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ANTIQUARIAT/021: "Theodor Pussel" von Frank LeGall


Frank LeGall


Theodor Pussel (10)

"Im Palast des Nabobs", Teil 2



Theodore Poussin, bei uns unter dem Namen Theodor Pussel bekannt, sieht aus wie der ältere Bruder des rasenden Reporters Tim: kugelrundes Gesicht, Strichmund, Knopfaugen und nur wenige Haare auf dem Kopf - drei Stück, um genau zu sein. Mit derlei Äußerlichkeiten hat sich die Ähnlichkeit jedoch bei weitem noch nicht erschöpft, denn auch Pussel reist gern in der Weltgeschichte umher, liebt es, komplizierte Kriminalfälle aufzuklären und hat es wie sein berühmtes Alter ego mit der Gerechtigkeit. Der einzige Unterschied zwischen den beiden besteht darin, daß Pussel, im Unterschied zu Tim, eher in die Ereignisse hineingezogen wird, als sie zu provozieren. Er ist eine nachdenkliche Gestalt, die im Grunde nicht für das Abenteuer geschaffen zu sein scheint, auch wenn sie große Abenteuer erlebt.

Die Abenteuer Theodor Pussels spielen um die Jahrhundertwende, eine Zeit, die sich, wie Zeichner Frank LeGall, der sich selbst als nostalgischen Menschen bezeichnet, meint, ganz ausgezeichnet dazu eignet, Geschichten zu erzählen. Einerseits gibt es schon viele moderne Erfindungen wie Autos, Strom und Flugzeuge, und Sprache und Gewohnheiten ähneln den unseren; andererseits ist da noch den Aspekt des Romantischen in vielen Dingen, wie der Architektur, der Kleidung oder den Frisuren. Da alles gewissermaßen in der Erinnerung existiert, die immer ein wenig verzerrt gesehen wird, muß er sich weniger um den äußeren Anschein von Realismus kümmern und kann sich ganz auf die Beschreibung von Situationen und Figuren konzentrieren.

Ein ungewöhnliches Stilelement sind die Erzähltexte, die LeGall in seine Geschichten einbaut und die ihm den Ruf des "Literaten im Comic" eingebracht haben. Neben der Absicht, sich auch in diesem Bereich zu beweisen, was bei den zumeist in Dialogen verwendeten knappen Comic-Texten nur sehr eingeschränkt möglich ist, nutzt LeGall hier eine Gelegenheit, die Möglichkeiten des Genres auszuschöpfen, nämlich herauszufinden, was eine Idee besser transportiert, was ausdrucksvoller ist - Text oder Bild, und diese einander ergänzend einzusetzen. So kommt etwa der romantische Dialog von Pussel und Chouchou, bei dem äußerlich nicht viel passiert, im Erzähltext besser zur Geltung. In Comic- Bildern in Szene gesetzt, hätte man hier eine Menge Text kürzen müssen, um nicht allzu viel Platz für diese für den Fortgang der Handlung nicht unbedingt notwendige Szene zu verbrauchen.

"Theodor Pussel" ist eine "intelligente" und sehr "erwachsene" Comic-Serie, die man allen empfehlen kann, die diese Attribute schätzen und sich gerne etwas Zeit für das Lesen eines Comics nehmen. Diese Zeit braucht man, denn aufgrund der großen Anzahl von handlungsrelevanten Personen und einander überschneidenden Erzählsträngen verliert man bei flüchtiger Lektüre bald den Überblick. Leider kann man der Serie eine gewisse Biederkeit nicht absprechen, wodurch das Abenteuer einiges an Reiz verliert.

Werfen wir zur Veranschaulichung einen Blick in das zehnte Album dieser Serie, das im Jahr 2000 bei Carlsen erschien:


Philipp Bataille, der neue Generalstatthalter eines kleinen malaiischen Staates unter französischem Protektorat, muß überrascht feststellen, daß Prinz Abdul Amsad ihn anscheinend bestechen will, denn er sandte ihm einen Früchtekorb, in dem hundert Goldstücke versteckt waren. Als er erfährt, daß sein Freund und Vorgänger Bouillon über Jahre hinweg die gleiche "Aufmerksamkeit" erhalten hat, ist er entsetzt. Um die Sache aufzuklären, beschließt er, sich zum Palast zu begeben. In seiner Begleitung befinden sich seine Tochter Chouchou und zwei zu dieser Gelegenheit engagierte "Sekretäre", seine Freunde Augustin Fischl und Theodor Pussel. Es wird ihnen zu Ehren eine Tigerjagd arrangiert ...

Nach diesen Ereignissen, die sich im ersten Album abspielten, setzt der zweite Teils der Geschichte ein. Da der Fortsetzungsband - löblich, löblich - auf einer Doppelseite eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse sowie Abbildungen und Kurzbeschreibungen der Personen enthält, fällt es auch demjenigen, der den ersten Band nicht kennt, leicht, sich in die Handlung einzufinden.

Auf der Tigerjagd wäre es fast zu einem dramatischen Unfall gekommen, nachdem einer der Elefantenführer das Tier zu nahe an einen Baum mit niedrigen Ästen lenkte, wodurch Philipp Bataille und Prinz Abdul Amsat aus der Sänfte gestoßen wurden, in der sie saßen. Diesen Moment nutzte die Tigerin zum Angriff, und hätte nicht Bataille die Geistesgegenwart besessen, sofort zum Gewehr zu greifen und einen gezielten Schuß abzugeben, wären er und der Prinz erledigt gewesen.

Dieser Vorfall, bei dem es sich offensichtlich nicht um einen unglücklichen Zufall gehandelt hat, gibt Theodor Pussel Anlaß zu vielerlei Spekulationen. Er unterhält sich mit René Chaumette, dem Architekten der Kolonialverwaltung, der sich mit den Sitten und Gebräuchen dieses Landes auskennt, und kommt zu der Vermutung, daß dieser Anschlag gegen den Prinzen in Anwesenheit des Generalstatthalters dem Zweck dienen sollte, die französische Herrschaft zu destabilisieren. Der Anschlag richtete sich - aus Angst vor Repressalien - zwar nicht direkt gegen den Generalstatthalter, doch wenn in den Augen der Bevölkerung selbst die Anwesenheit des obersten französischen Beamten den Mord am Prinzen nicht verhindern konnte, würde das die gesamte Regierung in Mißkredit bringen, was verheerende politische Folgen haben würde.

Theodor Pussel tritt in Aktion ...


Frank LeGall
Theodor Pussel (10) "Im Palast des Nabobs", Teil 2
Carlsen, Hamburg, 2000
48 Seiten, Softcover, farbig
ISBN 3-551-71930-6