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ANTIQUARIAT/044: "An einem fernen Himmel" von Hugo Pratt (SB)


Hugo Pratt


An einem fernen Himmel



Am 18. März hielt ich mich in Harar im östlichen Abessinien auf, wo ich mit dem französischen Händler de Monfreid zusammentreffen sollte, der ein Feind des äthiopischen Kaisers Haile Selassie war. Unvermittelt brach direkt über mir am Himmel ein erbittertes Luftgefecht zwischen einem italienischen Doppeldecker und zwei südafrikanischen Hurricanes aus. Die italienische Maschine stürzte ganz in der Nähe von Henry de Monfreids Farm ab. Als ich am Unglücksort eintraf, fand ich dort bereits einen südafrikanischen Offizier und einige Kolonialsoldaten vor. Es stellte sich heraus, daß eben dieser Offizier, ein Major Melrose, den Doppeldecker abgeschossen hatte. Von ihm erfuhr ich die nun folgende Geschichte über Kameradschaft, Liebe und Tod.

Hugo Pratt in seinem Vorwort zu "An einem fernen Himmel"

Ein zeitloses Album hat Hugo Pratt mit dieser Fliegergeschichte vor dem Hintergrund des II. Weltkrieges geschaffen. Luciana und Luca haben sich ineinander verliebt. Das Problem der beiden: Luciana ist bereits mit Lucas Bruder Pietro verlobt. Beide hoffen auf Pietros Großherzigkeit und sein Verständnis. Als Luca mit Pietro spricht, glaubt dieser jedoch zunächst nur an eine vorübergehende Gefühlsverwirrung seines Bruders, nicht aber, daß auch Luciana ihre Verlobung lösen will. Die Brüder werden jäh unterbrochen, denn Pietro muß sofort nach Afrika aufbrechen, wo er stationiert werden soll. Luciana kommt nicht mehr dazu, sich mit ihm auszusprechen.

Kurz nachdem Pietro in Afrika angekommen ist, erhält er eine Nachricht von seinem Freund Tristam Melrose, der Anführer der englischen Fliegerschwadron ist. Die beiden treffen sich "zu einem letzten Drink" im Grenzgebiet. Noch bevor sie ihr Gespräch beenden können, wird Melrose von einem Funkspruch zurückbeordert - England befindet sich nun offiziell im Kriegszustand mit Italien. Aus Freunden sind zwangsläufig Gegner geworden, die inständig hoffen, daß sie während der Kampfhandlungen nicht aufeinandertreffen werden.

Schon auf dem Rückweg hat Pietro Bronzi seine erste Bewährungsprobe, als er einen feindlichen Angriff auf eine italienische Militärbasis abwehrt. Er wird befördert und versetzt. Auf dem Weg zu seinem neuen Einsatzort macht Pietro Station in Assab, wo sich Luciana und ihre Familie - ihr Vater ist Oberst und wurde ebenfalls nach Afrika versetzt - befinden. Die Ereignisse überschlagen sich, bei einem plötzlichen Angriff wird Lucianas Vater getötet, Pietro muß der Familie die traurige Nachricht überbringen. Nun erfährt er auch von Luciana selbst, daß sie ihn nicht mehr liebt und Luca heiraten möchte.

Der Krieg nimmt seinen Fortgang und Pietro wird abermals versetzt. Später trifft er ein weiteres Mal mit seinem Bruder zusammen, der ihm mitteilt, daß er und Luciana nicht mehr zusammen sind. Doch für Pietro ist das alles nicht mehr von Bedeutung. Er hat mit dieser Sache abgeschlossen. Durch die sich zuspitzenden Ereignisse ist Pietro kurz darauf gezwungen, den Stützpunkt anzugreifen, auf dem Tristam stationiert ist. Er wird abgeschossen ...

Hugo Pratt, der 1995 verstorbene "italienische Großmeister der Autorencomics", der Figuren wie den faszinierenden Abenteurer "Corto Maltese" schuf, war selber ein Reisender und Abenteurer und füllte seine Erzählungen oft genug mit Stoff, den er aus eigener Anschauung gewonnen hatte. Daneben gelang es ihm jedoch stets, in seinen Geschichten so viel Raum zu lassen, daß der Phantasie des Lesers genügend Möglichkeiten bleiben, sie für sich ganz persönlich auszufüllen und weiterzuspinnen. Er überfrachtete nicht mit Details, "Wimmelbilder" waren nicht seine Sache. Wilde, unberührte Landschaften, das weite Meer oder die Wüste, Abenteuer, Gefahren und Herausforderungen vertragen eben keine Grenzen und Einschränkungen, kein kleinfiseliges Stricheln, sondern wirken am überzeugendsten in jener unübertroffenen Spontaneität der Prattschen Tuschetechnik, deren Charakteristikum die großzügig gesetzten Schwarzflächen und die kühnen, kraftvollen Umrißlinien sind. Als Meister dieser Technik verstand es Pratt wie nur wenige andere, mit eben jenem kühnem Strich treffsicher sowohl beiläufige Gesten wie auch große Gefühle auszudrücken.

"An einem fernen Himmel" ist ein Album, für das man sich Zeit nehmen sollte, denn es ist voll von diesen Zwischentönen, die sich in kleinen Gesten oder in der Körperhaltung zeigen. Es ist erstaunlich, wie es Hugo Pratt aber auch gelingt, zum Beispiel aus einigen länglichen Flecken die Weite des Wüstenhimmels hervorzuzaubern. Man fühlt förmlich die flirrende Hitze, den Staub, und hört das Brummen der herannahenden feindlichen Flugzeuge ...

24. Juli 2007


An einem fernen Himmel
Hugo Pratt
Feest Comics, Dezember 2006
80 S., Hardcover im Überformat, farbig
ISBN 3-89343-949-8