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FRAGEN/003: Fulbright Professor Matthew Henry über die "Simpsons" (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 4/2010

"Homer" in der Wissenschaft

Matthew Henry über Comic Helden zweier Generationen


Matthew Henry ist seit diesem Semester neuer Fulbright Professor für Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft. Neben Kursen zu Literaturgeschichte und Afroamerikanischer Literatur bietet er auch ein Seminar zur US-Amerikanischen Kultur und den "Simpsons" an - sein Spezialgebiet. Ulrike Findeklee sprach mit ihm.

Herr Henry, wie sind Sie zu diesem wissenschaftlichen Spezialgebiet gekommen?

Die Show war gleich zu ihrem Beginn in den 90ern begeisternd. Sie war so anders. Ich war damals im College und las postmoderne Theorien. Die Wissenschaft begann gerade, sich auch für andere Medien neben dem Film zu interessieren, eben auch das Fernsehen. Ich schlug dann meinem Professor vor, eine Seminararbeit über "Die Simpsons" zu schreiben. Er fragte mich sogar: Was ist das denn? So neu war die Sendung! Ich fand darin neben dem Slapstick-Humor auch eine Ebene, voll mit Referenzen, Andeutungen, Parodie, Satire; Bezügen zu Kunst und Literatur, Geschichte und Filmgeschichte. Richtig intellektuell, eine wundervolle Mischung aus Klugem und Albernem. Noch im gleichen Jahr war ich bei einer Tagung der Popular Culture Association, gewann den Nachwuchspreis für Studenten und jemand wollte meine Arbeit unerwarteterweise publizieren, Ich war überrascht! Offenbar war ich auf einer guten Spur. Ich begeisterte mich immer mehr für die Simpsons, dachte immer mehr darüber nach, schrieb zunehmend darüber. So wurde es schließlich irgendwie zu "meinem" Gebiet.

Manche bezeichnen die spezifische Simpsons-Parodie als "verantwortungvolle Kritik", andere kritisieren das postmoderne Fehlen eines eigenen Standpunktes ...

Ja, einige Wissenschaftler beklagen, dass eine "moralische Basis" fehlt, dass jede Pointe systematisch durch die nächste wieder untergraben wird. Ich habe die Sendung schon zu lange im Unterricht verwendet, um das zu glauben. Die Künstler haben eine sehr klare Position und die ist häufig humanistisch und säkular geprägt. Sie wollen Bewusstsein für gesellschaftliche Probleme schaffen. Solche Pointen sehe ich nicht ad absurdum geführt. Das ist ja ein alter Streit, auf welchem Grund der Moralist zu stehen hat, um seine Kritik zu legitimieren. Besonders Matt Groening, der die Show kreiert hat, wollte damit eine Herausforderung gegenüber normativen Ideen schaffen. Und darin ist die Sendung konsequent.

Repräsentieren "Die Simpsons" den berüchtigten amerikanischen Pluralismus?

Naja, ich bin da sehr kritisch gegenüber meinem Land und frustriert über den Einfluss des religiösen Fundamentalismus. Den gibt es seit Gründung der USA, aber in der Post-9-11-Ära hat er sich extrem verbreitet. Und ich spreche nicht vom Islamismus. Christlicher Glaube wird immer stärker mit Patriotismus gleichgesetzt. Das widerspricht dem Pluralismus, auf dem die Nation gegründet sein sollte. Letztes Jahr haben wir uns natürlich viel mit Barack Obama beschäftigt und damit, dass die größte Bedrohung für seine Kandidatur die Frage war, ob er ein Moslem sei. Nur deshalb musste Obama sich so stark als "patriotischer Christ" inszenieren. Wir wollten einen Kandidaten sehen, der dazu stand, dass seine Religion für das Amt unwichtig ist. Damit hätte er aber nicht gewonnen.

Politische Karriere ohne Religiosität scheint demnach schwierig. Sehen Sie eine ähnliche Beziehung in der Wissenschaft?

Wahrscheinlich haben wir gerade in den Geisteswissenschaften das Bedürfnis nach Transzendenz. Vielleicht finden wir die gleiche Erfüllung in guten Fragen?

"Die Simpsons" werden teilweise als eine Art "Religionsersatz" beschrieben ...

Wie viele dieser Sendungen sind sie Kult geworden. Es gibt eine Art rituelles Schauen am Fernseher (jeden Sonntagabend), es gibt Treffs, bei denen sich mit anderen über die Sendungen unterhalten wird. Natürlich sammeln die Leute auch entsprechende Merchandisingartikel, wie sie es eben auch mit materiellen religiösen Symbolen tun. Sie betrachten das als "Erinnerungsstücke" einer gemeinsamen Erfahrung.

Wie gehen Sie eigentlich damit um, dass Sie einen sehr religiösen Namensvetter im 17. Jahrhundert hatten? Ein berühmter Bibelkommentar stammt von ihm.

Ich bekomme tatsächlich E-Mails von Leuten, die mich für diesen Mann halten. Und ich beantworte ihre Fragen. Natürlich ziemlich subversiv ...


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 4/2010, S. 43
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2011