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THEORIE/005: Wie funktioniert das Lesen von Comics? (SB)


Comiclesen will gelernt sein ...


Eigentlich sollte dieser Artikel heißen: "Was macht Comics so faszinierend?" - doch für viele Menschen sind Comics weder interessant, noch üben sie in irgendeiner Weise eine Faszination auf sie aus. Sie können schlicht und einfach nichts damit anfangen. Wenn man jemandem, der Comics "blöd" findet, der niemals welche liest und auch als Kind keine Comic-Hefte gelesen hat, sagen würde, daß er nicht gelernt hat, sie zu lesen und sie unter Umständen aus diesem Grunde langweilig, uninteressant oder niveaulos findet, würde er mit ziemlicher Sicherheit den Kopf schütteln und etwas in der Art sagen wie: "Wieso, ich kann doch lesen, und ich kann auch die Bilder erkennen, was soll ich da groß lernen?"

Aber ein Comic besteht eben nicht einfach aus "Text" und "Bild". Text und Bild sind zwar die Bestandteile eines Comics, sie werden aber auf eine für dieses Medium spezifische Weise gelesen, gedeutet und interpretiert. Es gibt eine Symbolsprache, die man kennen muß, um sich den vollständigen Inhalt und die Aussage eines Comics zu erschließen. Auch die oft geäußerte Meinung, der Text diene nur dazu, den Bildinhalt zu beschreiben, trifft - außer vielleicht bei Comics, die für ein sehr junges Publikum gemacht sind - so nicht zu. Der Text ergänzt nicht nur das Bild, oftmals kontrastiert er es auch und führt gerade dadurch zur eigentlichen Aussage des Comics hin.

Um nun herauszufinden, wie das Lesen eines Comics vor sich geht, wie es "funktioniert", welche Symbole und Stilmittel von den Zeichnern verwendet werden, um ganz bestimmte, genau geplante und kalkulierte Effekte zu erreichen, empfiehlt es sich, zunächst einmal die einzelnen Elemente eines Comics mit ihrer spezifischen Bedeutung der Reihe nach zu betrachten:

- Seitenaufbau bzw. Anordnung der einzelnen Bilder
- Personen
- Hintergründe
- Sprechblasen und Textelemente
- graphische Symbole (z.B. Geschwindigkeitslinien)
- Geräusch-Worte


Seitenaufbau

Als erstes fällt einem der grundlegende Aufbau einer Comic-Seite auf, an dem man meistens schon erkennen kann, an welches Publikum der Comic gerichtet ist und um welches Genre es sich dabei handelt. Im Prinzip unterschiedet man drei Grundformen mit jeweils typischen Charakteristika in der Anordnung der Einzelbilder: "Normaufbau", "Fortgeschrittener Aufbau" und "Avantgarde-Aufbau".

Der "Normaufbau" ist die einfachste Form der Bildaufteilung. Er besteht fast ausschließlich aus Bilderzeilen, die aus ein bis vier (meistens aber drei oder vier), Einzelbildern zusammengesetzt sind. Wenn ganz- oder halbseitige Bilder vorkommen, dann nur, wenn es gilt, eine besondere Situation oder eine überraschende Entwicklung zu betonen. Der Vorteil dieser zeilenweisen Bildanordnung liegt in seiner Überschaubarkeit und guten Lesbarkeit, wodurch der Inhalt leicht zu erfassen ist. Man liest die Bilder so, wie man auch einen Text lesen würde, immer der Reihe nach. Comics für eine jüngere Leserschaft werden auf diese Weise konzipiert, aber auch viele Comics für ältere oder erwachsene Leser, weil sie für eine direkte Übermittlung des Handlungsfadens sorgt.

Der "Fortgeschrittene Aufbau" weist im großen und ganzen ebenfalls die Merkmale des zeilenweisen Aufbaus auf. Allerdings wird dieses Schema häufig durchbrochen, durch hochgestellte, großformatige oder ineinander verschachtelte Bilder, aus ihnen herausragende oder in andere Bilder hineinreichende Figuren. Manche Bilder sind rahmenlos, um ihren Inhalt besonders zu betonen, in anderen sind zum Beispiel verschiedene Phasen eines Ablaufs festgehalten, was einen Eindruck von der verstreichenden Zeit vermitteln soll. Techniken aus dem Film wie "Totale", "Schwenk" oder "Nahaufnahme" werden verwendet, was auch darauf hinweist, daß diese Form des Seitenaufbaus insgesamt dem Film verwandt ist. Bei einer gelungenen Bildaufteilung in dieser Manier wird eine direktere, unmittelbarere Beteiligung des Lesers am Geschehen erreicht als beim zeilenweisen Aufbau, der eher dem Theater entlehnt ist, und bei dem die Handlung wie auf einer Bühne frontal vor dem Leser abläuft.

Während es zur "Entschlüsselung" des Fortgeschrittenen Bildaufbaus nur einer geringen Vorerfahrung aus dem Comic- oder auch filmischen Bereich bedarf, verlangt der "Avantgarde-Aufbau", der nur für Erwachsenen-Comics verwendet wird, einiges an Comic- Leseerfahrung. Unter diesem Namen werden alle möglichen experimentellen und innovativen Darstellungsformen von Comics zusammengefaßt. Das fortlaufende, stringente Lesen eines Handlungsablaufs ist hier nicht möglich - und auch nicht beabsichtigt. Comic-Seiten mit einem Avantgarde-Bildaufbau kann man in gewisser Weise mit abstrakten Gemälden vergleichen - und wie diese sind auch sie nicht jedermanns Sache. Trotzdem kann es interessant sein, zu untersuchen, auf welche Weise der Zeichner den Leser förmlich dazu zwingt, beispielsweise eine Seite als ganzes auf sich wirken zu lassen, zu assoziieren und zu interpretieren, um der Handlung überhaupt folgen zu können. Der Zeichner, der sich eines solchen Seitenaufbaus bedient, muß eine umfassende Kenntnis der Sehgewohnheiten besitzen, um souverän mit ihnen umzugehen und genau die von ihm beabsichtigte Wirkung zu erzielen.


Personen

Comic-Figuren, gleich welcher Art und in welcher Darstellungsweise, sind so gut wie immer die tragenden Elemente und stehen daher im Mittelpunkt des Geschehens. Man liest einen Comic schließlich nicht wegen der Landschaften oder sonstigen Hintergründe (außer vielleicht einen besonders bizarren Avantgarde-Comic), sondern wegen der Darsteller. Alles andere hat die Funktion von zwar wichtigen, aber eben nur ergänzenden Beigaben.

Das auffälligste Kennzeichen von Comic-Figuren ist, daß jede Gestalt so gut wie immer das gleiche Aussehen hat. Sie trägt stets dieselbe Kleidung und Frisur und benutzt die gleichen Gegenstände. Dieses Stilmittel wird ganz bewußt und nicht etwa aus Bequemlichkeit oder Einfallslosigkeit eingesetzt. Zum einen bekommen die Figuren dadurch einen hohen Wiedererkennungswert, und zum anderen kann sich der Leser gerade dadurch, daß die Figur keine sensationellen optischen Neuigkeiten bietet, besser auf die Handlung konzentrieren. Die Ausnahme bilden besondere Anlässe (zu einem Ball trägt Daisy ein Abendkleid), wobei gerade das ausgesprochen seltene Abweichen von der Normalkleidung die herausragende Bedeutung des Ereignisses geschickt betont.

Je mehr man sich mit einer Comic-Figur identifizieren kann, desto spannender wird sie für den Leser. Ein interessantes Phänomen ist, daß man sich mit einfach gezeichneten Figuren in der Regel leichter identifiziert - ein weiteres absichtlich eingesetztes Stilmittel. Je realistischer und detaillierter eine Figur dargestellt ist, desto mehr ist man von ihrer äußeren "Hülle" in Anspruch genommen - man sieht eine andere Person, beschäftigt sich mit ihrem Aussehen, ihrer Ausstrahlung und Wirkung. Bei einer einfach gezeichneten Figur schlüpft man jedoch gewissermaßen ohne diese störende "andere Person" in die Rolle der gezeichneten Figur und erlebt das Abenteuer in deren Gestalt.

Wenn es gilt, die Dramatik einer Situation zu steigern, wendet der Zeichner oft bestimmte visuelle Tricks an, die dem Leser meist gar nicht auffallen. Vor allem bei Funny-Comics sind häufig Teile des Körpers oder auch Kleidungsstücke an der Handlung beteiligt, vor allem wenn es darum geht, das Gefühlsleben der Figur zu veranschaulichen: Dem Helden geht der Hut hoch, ihm stehen die Haare zu Berge, sein Hals reckt sich über die Maßen. Ein klassisches Beispiel sind die Flügel an Asterix' Helm, die ihre Stellung ständig ändern und seine momentane Stimmung wiederspiegeln. Auch Donalds Zähne sind ein bekanntes Phänomen: Obwohl die Comic-Enten eigentlich zahnlos sind, hat Donald plötzlich welche, etwa wenn er auf etwas sehr Zähes beißt und manchmal auch, wenn er in Rage ist.


Hintergründe

Die Hintergründe werden in Comics völlig anders behandelt als im Film. Während sie dort wirklichkeitsgetreu und stringent sein müssen (man wäre schon sehr erstaunt, wenn in einem Film von einer Szene zur nächsten plötzlich die Tapeten des Zimmers gewechselt hätten), haben die Hintergründe in Comics die Funktion, die Umgebung zu definieren und Stimmungen herzustellen. Dafür reichen oft wenige Symbole aus, vor allem, wenn in einem der vorhergehenden Bilder die Umgebung schon eindeutig ausgewiesen wurde. Eine ständige, penible Wiederholung, beipielsweise aller Einrichtungsgegenstände eines Zimmers, würde sich nur störend auf den Handlungsablauf und vor allem auf die Dramatik des Geschehens auswirken. Der Leser ist sich der Umgebung bewußt, auch wenn er sie nicht ständig vor Augen hat. Man kann das mit dem Lesen eines Romans vergleichen, wo man, auch wenn die Umgebung nicht ständig neu beschrieben wird, doch ein Bild von ihr abrufbereit hat.

Besonders der Funny-Comic kann sehr frei mit Hintergründen umgehen, ohne daß das störende Folgen für das Verständnis des Geschehens hätte, im Gegenteil, die Aussage wird durch die bewußte Darstellung von in der Realität eigentlich nicht möglichen Szenarien verstärkt und die Atmosphäre verdichtet. So läßt man beispielsweise den Blick über eine vollgestopfte, unaufgeräumte Küche wandern. In mehreren aufeinanderfolgenden Bildern werden immer neue Teilansichten des Raumes mit zahlreichen Gegenständen gezeigt, die eigentlich gar nicht alle in einen einzigen Raum hineinpassen können; trotzdem setzt man sich aus den Einzelbildern einen Eindruck von dieser Küche zusammen, der sehr viel aussagekräftiger und einprägsamer wirkt als eine realitätsgetreue Darstellung.

Auch die Außenansichten passen sich dem Bedarf an, ganze Stadtsilhouetten verändern sich, Häuser tauchen auf oder verschwinden, ohne daß man irritiert wäre. Ein Beispiel hierfür ist Entenhausen, das niemals ein einheitliches Bild bietet, in dem sich ein Leser aber trotzdem zurechtfindet, weil immer das gezeigt wird, was für Handlung und Stimmung gerade notwendig ist. Auch der wechselnde Einsatz von Farben spielt hier eine wichtige Rolle.

Doch genausogut kann im Comic auch die betont realistische Gestaltung von Hintergründen als Stilmittel eingesetzt werden. Bestimmt ist manchem schon der in vielen Comics zu findende Unterschied zwischen einer in betont einfachem und cartoonhaften Stil gezeichneten Figur und realistisch-detailliert ausgestalteten Hintergründen aufgefallen (etwa bei Tim und Struppi). Auch hier handelt es sich um ein absichtlich eingesetztes Stilmittel: Quasi in der Gestalt des Identifikationsobjektes der handelnden Figur kann der Leser in eine realistische Welt voller Abenteuer und Sinnesreize eintreten.


Textelemente/Sprechblasen

Die Bedeutung des Textes in Comics wird vor allem von Kritikern gern unterschätzt und lediglich als unwichtige Nebensache angesehen. In den meisten Comics kommt ihm jedoch eine tragende Rolle für das Verständnis der Handlung, vor allem auch bei der Präzisierung von bestimmten Wendungen, Ereignissen und Gags zu. Viele Gags können überhaupt erst mit Hilfe des Textes entstehen, etwa wenn er den Bildinhalt kontrastiert. Man kann das leicht nachprüfen, indem man zum Beispiel einen fremdsprachigen Comic betrachtet. Obwohl man, je nach Art der Story, ein mehr oder weniger grobes Verständnis vom Gesamtablauf der Geschichte bekommt, bleiben trotzdem Unklarheiten offen, die man nicht versteht, weil sie durch den Text erklärt werden.

Ein wichtiges Charakteristikum von Comics sind die Sprech- oder Denkblasen. Gerade hier wurden im Laufe der Zeit zahlreiche Symbole entwickelt, die sowohl durch Form und Umriß, wie auch durch die Gestaltung der Schrift und Hinzufügung weiterer Symbole innerhalb der Sprechblase, einen Eindruck von der Art des Tonfalls, der Sprechweise, Lautstärke und sogar der Gefühle des Sprechers vermitteln können. Durch diesen, in der Regel unbewußt ablaufenden Vorgang, erscheint es dem geübten Leser fast so, als würde er den Comic hören.

Bei der Verteilung der Sprechblasen im Bild muß der Zeichner stets die Leserichtung beachten. Wenn etwa die rechts stehende Person als erste das Wort erhebt, muß man deren Blase entweder höher oder weiter nach links als die folgenden stellen. Einen Unterschied macht es auch aus, ob der gesprochene Text in einer einzigen oder in mehreren aufeinanderfolgenden Sprechblasen dargestellt wird. Durch viele kleine Sprechblasen kann ein Charakter als "Sabbeltasche" oder "Besserwisser" ausgewiesen werden. Auch eine Steigerung des dramatischen Effekts läßt sich erreichen, wenn der Text in mehrere Sprechblasen aufgeteilt wird, so wirkt etwa "Es ist aus, laß uns gehen!" wesentlich dramatischer, wenn der Text in zwei deutlich voneinander getrennten Sprechblasen steht.

Form und Umriß der Sprechblase geben dem Leser eindeutige Hinweise. So bedeutet eine gezackte Umrißlinie heftige Emotionen und laute Stimmen, Zornausbrüche, Entsetzensschreie oder ähnliches, während ein zitteriger Umriß eine leise, weinerliche Stimme und Unsicherheit, Angst oder Schüchternheit beschreibt. Runde Sprechblasen mit Blümchenumrandung zeigen, daß der Sprecher mit säuselnder, einschmeichender Stimme spricht. Der geübte Comic- Leser ist gewarnt: Dieser Schmeichler treibt ein falsches Spiel! An der Sprechblase wachsende Eiszapfen versinnbildlichen eine grimmige, kalte Stimme und frostige Atmosphäre unter den Sprechern.

Auch der Text innerhalb der Sprechblase wird in seiner Gestaltung als Stilmittel eingesetzt: Je größer und fetter die Buchstaben sind, desto lauter spricht der Betreffende; ist der Text ausschließlich in Versalien geschrieben, schreit er. Betonungen werden durch fettgeschriebene Worte hervorgehoben. Im Gegensatz dazu werden halblaute Stimmen oder Flüsterton durch sehr kleine, dünne Schrift dargestellt. Witzige Effekte werden zum Beispiel auch durch immer kleiner werdenden Text erreicht. Damit kann man ausdrücken, daß sich der Sprecher im Laufe seiner Rede immer unsicherer wird, aber auch einen Bildinhalt unterstreichen, in dem der Darsteller ohnmächtig wird oder sich aus dem Geschehen entfernt. Oft finden auch Symbole wie Totenköpfe, Fäuste, Explosionen, Bomben o.ä. Verwendung, die auf weitaus witzigere Weise als ein geschriebener Text es vermocht hätte, Schimpfen oder Fluchen symbolisieren. Ja, es ist sogar möglich, eine Seite lang ganz auf Bilder zu verzichten, etwa wenn eine Szene im Nebel oder im Dunkeln spielt, und die Handlung ausschließlich durch Text und grafische Symbole zu veranschaulichen.

Zum Abschluß seien hier noch die Denkblasen erwähnt, die an ihrer wolkenartigen Form und den kleinen Ovalen oder Kreisen, die die Verbindung zur Figur herstellen, zu erkennen sind. Der Comic hat sich hier eine hervorragende Möglichkeit geschaffen, Gedanken sichtbar darzustellen, was in anderen Medien nicht so einfach möglich ist. In Theater oder Film zum Beispiel wirken gesprochene Gedanken oftmals unnatürlich und dadurch störend.


Grafische Symbole

Die wohl am häufigsten benutzten grafischen Zeichen sind die sogenannten Bewegungs- oder Geschwindigkeitslinien. Sie werden so oft verwendet, weil man mit ihrer Hilfe Bewegung und Action in eine "eingefrorene" Abbildung eines Moments bringen kann. Wenn man sich daraufhin einmal Comics ansieht und diese Linien abdeckt, wird man verblüfft über ihre enorme Ausdruckskraft und gestalterische Wirkung sein. Wie selbstverständlich werden alle möglichen Arten von Bewegungen durch solche Linien unterstützt. Ein auf dem Rand eines Schwimmbeckens balancierender Donald etwa, der droht, sein Gleichgewicht zu verlieren, hat um die Arme herum kreisförmige Linien. Dadurch sieht man förmlich, wie er mit den Armen rudert, um nicht zu stürzen. Nur mit Hilfe der Linien ist es hier gelungen, aus der Momentaufnahme eine kleine Szene zu machen. Auch die komische Wirkung wird durch Bewegungslinien erheblich gesteigert.

Geschwindigkeitslinien werden manchmal, etwa bei Autos, rennenden Menschen oder Tieren, mit einem Staubwölkchen am Ende gezeigt. Schlingernde Linien deuten eine ebensolche Bewegung an, etwa eines fliegenden Insekts. Ein witziger Effekt entsteht beispielsweise dadurch, daß der kurvenreiche Weg, den ein Betrunkener zurückgelegt hat, durch eine gepunktete Linie dargestellt wird. Kleine Bewegungen stellt man durch kurze, vertikale Linien dar, Zittern durch eine oder mehrere kurze Linien an beiden Seiten des Gegenstandes. Gewellte Linien hingegen, die von Gegenständen ausgehen, die erfahrungsgemäß stark riechen können, wie etwa ein Mülleimer oder ein struppiger Hund, sind Geruchslinien, die meist auch noch von symbolisch dargestellten Fliegen begleitet sind.

Grafische Symbole sind in Comics so selbstverständlich, daß sie kaum mehr auffallen. Kein Leser wundert sich über Dolche, die Dagobert aus den Augen springen, wenn er von Donald um ein Darlehen angegangen wird, über kleine Vögelchen und Sterne, die Donalds Kopf umkreisen, nachdem er in hohem Bogen rausgeflogen ist, oder eine Glühbirne, die über seinem Kopf erscheint, wenn er eine Idee hat. Einen heftigen Schlag oder Aufprall erkennt man an den "Explosionslinien", Schmerzen werden durch Sterne, Glocken (dröhnender Kopf) oder scharfe, gezackte Linien symbolisiert, die von der betroffenen Stelle ausgehen. Beinahe in jedem Funny-Comic findet man die berühmten wegspritzenden Schweißtropfen, die keinesfalls nur die Bedeutung haben, daß dem Betreffenden warm ist. Genauso oft drücken sie auch heftige Emotionen wie Furcht, Erschrecken, Überraschung oder Verlegenheit aus.

Etliche dieser Zeichen haben auch schon Eingang in unsere Alltagswelt und -sprache gefunden: Herzen gelten allgemein als das Symbol für Verliebtheit, man sieht Sterne oder kleine Vögelchen, einem geht der Hut hoch, Blicke können erdolchen oder jemandem geht ein Licht auf.


Sound-Worte (Onomatopöien)

Abschließend kommen wir zu den sogenannten "Onomatopöien", den Sound-Worten. Gerade sie, so argumentieren oft genug die Kritiker, würden ja zeigen, daß die Sprache von Comics hauptsächlich aus "Krach", "Bumm", "Peng" und ähnlichen Worten bestünde. Zur Aufklärung eines Mißverständnisses wollen wir deshalb noch einmal auf den Unterschied zwischen einem geübten und einem ungeübten Comic-Leser hinweisen. Einem ungeübten Comic- Leser (zu dieser Kategorie gehören die meisten Kritiker) springen diese Lautworte nämlich geradezu ins Auge, da sie ja auch meistens ziemlich dick und fett im Bild stehen. Da diese Leser jedes einzelne Wort wie einen Text lesen, bekommen Lautworte für sie auch eine entsprechend "inhaltsschwere" Bedeutung.

Bei einem geübten Comic-Leser läuft dieser Vorgang anders ab: Er nimmt Lautworte nicht als Text, sondern als Bildelemente wahr und sieht sie wie andere graphische Zeichen als visuelle Information an. Demzufolge liest er die Lautworte auch nicht wie einen Text, sondern erfaßt ihre Bedeutung mit einem Blick. Dadurch erhalten sie den Stellenwert, der ihnen auch zukommt: Lautworte stellen eine zusätzliche Beschreibung von etwas dar, das im Bild sowieso zu erkennen ist. Wenn ein Auto gegen einen Baum fährt, ist ein riesig großes "Crash!" für das Verständnis der Geschichte eigentlich überflüssig, wird aber als belebendes und das Medium erweiterndes Lautelement eingesetzt. Sound-Worte gelten allgemein auch als das am wenigsten wichtige Stilelement im Comic.

Etwas anders verhält es sich bei Funny-Comics: Hier bekommen Lautworte häufig ein Eigenleben und erweitern das Geschehen um zusätzliche Gags. Besonders die lautmalerische Qualität der Worte wird hervorgehoben ("Sproing, Sproing", "Pa-dumm"), was ausgesprochen witzige Effekte haben kann. Zusätzlich werden die Worte möglichst so gezeichnet, daß sie den Laut imitieren oder versinnbildlichen, etwa ein langgezogenes "Zwiiiietsch!" mit einer Outline, die das Grelle des Wortes hervorhebt, oder ein "Platsch", das Tropfen in alle Richtungen versprüht.


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Die Symbolwelt der Comics ist vielfältig und birgt tausenderlei Ausdrucksmöglichkeiten. Es kann deshalb eine sehr aufschlußreiche und zugleich auch unterhaltsame Angelegenheit sein, einmal zu versuchen, den Zeichnern "auf die Schliche zu kommen" und sich Comics in Bezug auf diese Vielzahl von Tricks und visuellen Stilmittel hin anzusehen. Man wird erstaunt sein, was einem bisher alles nicht aufgefallen ist!


Folgende Literatur liegt diesem Artikel zugrunde: Comic Welten - Geschichte und Struktur der Neunten Kunst von Harald A. Havas und Gerhard Habarta Edition Comic Forum, Wien, 1993

27. Dezember 2006