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BERICHT/031: Mario Adorf zum Thema "Deutsche Lebensläufe" (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 203, Februar 2008
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Lebenskrimi
Mario Adorf zum Thema "Deutsche Lebensläufe"

Von Ulrike Brandenburg


Hat Mario Adorf, Schauspieler und bekennender Weltbürger schon von Berufs wegen, eine typisch deutsche Biografie? Im Rahmen der "Mainzer Gespräche - Universität und Wirtschaft", die in Zusammenarbeit mit der "Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz" stattfand, unterhielt sich Mario Adorf mit Prof. Dr. Volker Hentschel vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften.


Was ist typisch deutsch? Das Heimweh oder das Fernweh oder beides? Bereits im 18. Jahrhundert hatte eher die Neugier Konjunktur. Dabei nimmt sich Goethes berühmte Italienreise eher unspektakulär aus, im Vergleich etwa mit der weltumsegelnden Konkurrenz eines Georg Foster. Immerhin etablierte der Dichter mit seinem Trip gen Südeuropa einen bis heute aktuellen germanischen Dauerseller. Die deutsche Nähe zur Ferne, sie besitzt eine lange Tradition. Vielleicht hatte der Nationalismus bei uns ja überhaupt nur Erfolg, weil er so neu, so exotisch daherkam? Wer hätte vor 1871 an einen einheitlichen deutschen Staat geglaubt?! Vermutlich niemand. Nach 1871 wirkte die scheinbar allmächtige Vaterfigur des Deutschen Kaisers dann allerdings umso identitätsbildender.

Deutsche Lebensläufe. Wen immer es um 1900 in die Welt zog - das royale Überich blieb im psychischen Reisegepäck. Gerhart Hauptmann, seines Zeichens Schriftsteller, bereiste Griechenland und entdeckte dort die wahren, will sagen blond-aristokratischen, Germanen. Kaspar Adorf, seines Zeichens Handwerker, siedelte von Mayen in der Eifel nach Zürich um, brachte es eben dort als Sattlermeister zu Wohlstand - und lehnte knapp vor dem Ersten Weltkrieg die Schweizer Staatsbürgerschaft mit der Begründung ab, das könne er seinem Kaiser nicht antun. Die Loyalität zum Phantom führte in den geschäftlichen Konkurs und damit ins familiäre Desaster. Tochter Alice, künftige Mutter eines künftigen Prominenten, kehrte in die Eifel zurück. Bald nach dem Krieg aber ging's in den Süden - Schwester Elsy lebte bereits im Sehnsuchtsland der Deutschen. In Neapel ließ Alice Adorf sich zur Röntgenassistentin ausbilden, schnell fand sie eine Anstellung. Ihr berufliches Engagement weckte die Aufmerksamkeit des Klinikchefs, eines honorigen Familienvaters. Weihnachten 1930 kehrte die junge Frau nach Mayen zurück - mit Baby Mario auf dem Arm, das sie den geschockten Verwandten als selbst fabriziertes Christkind präsentierte.

Deutsche Lebensläufe. Mayen, Zürich: Der Großvater. Zürich, Mayen, Neapel, Mayen: Die Mutter. In Zürich geboren, in Mayen aufgewachsen: Mario Adorf.

Während Alices Kind laufen lernte, träumten sich die Deutschen in imperiale Zeiten zurück. Sie wollten ihren Kaiser wieder haben und wählten die Diktatur. Die Lektionen über Armut und Faschismus, die Mario Adorf während seiner Jugend erhielt, sind ihm unvergessen. Und auch die Lektion der Menschlichkeit. Der Respekt ist geblieben vor Mutter Alice, die den Lebensunterhalt sicherte, vor den katholischen Nonnen, in deren Waisenhaus Mario, der Arbeitsüberlastung seiner Mutter wegen, zeitweilig untergebracht war. Die Ordensfrauen begriffen das Dritte Reich als das, was es war: als eine brutale Gewaltherrschaft.

Nachdem die Deutschen auch den Zweiten Weltkrieg gewonnen hatten, indem sie unterlagen, zog es den künftigen Schauspieler zunächst nach Mainz, an die Universität. Außerstande, sich für eine Fakultät zu entscheiden, belegte Mario Adorf im ersten Semester nicht weniger als 24 Vorlesungen. Zum Beispiel in Anglistik (über Shakespeare) und in Kriminologie (über den Serienmörder Haarmann). Aus einem Studierenden mit diesen Interessenkoordinaten wird, anfängliche Planung hin oder her, kein Lehrer.

Tatsächlich bewarb sich Mario Adorf 1953 erfolgreich an der renommierten Münchener Otto-Falckenberg-Schule. Die Aufnahmeprüfung bestand er weniger rezitierend als vor allem dramatisch agierend, will heißen, übers Ziel, die Bühnenrampe, hinaus ins Parkett fliegend, krachend, stürzend. Eine Szene mit Symbolwert, denn schließlich landete Ikarus Adorf ja auch später nicht auf Theaterbrettern, sondern beim Film.

Hier machte er schnell Karriere, immerhin kannte er den Plot seines ersten Leinwanderfolges gewissermaßen schon aus Mainzer Studienzeiten. "Nachts, wenn der Teufel kam" (1957, Regie: Robert Siodmak) verlegt ein in den 20er Jahren beliebtes Gruselgenre ins Dritte Reich. Nazi- Funktionäre wollen die Mordtaten eines herkömmlichen, das heißt in seinem Handeln nicht institutionell legitimierten, Kriminellen vertuschen. Deutschland in den 50ern: Nach Nationalismus, Patriotismus und Faschismus beginnt eine erste zaghafte Auseinandersetzung mit der Diktatur. Mario Adorfs Verkörperung des Mörders Bruno Lüdke, dessen todbringende Energie dem Film zufolge derjenigen der Nazis weit überlegen ist, brachte dem Schauspieler 1958 immerhin den Bundesfilmpreis ein - und in den Folgejahren noch gemeinere und zugleich viel schönere Rollen, und diese weltweit.

Es half dem Schauspieler bei der internationalen Karriere die typisch deutsche Eigenschaft, den auch und besonders von Hollywood gepflegten Topos des freudlosen und autoritätshörigen Germanen schlichtweg zu ignorieren. Ganz abgesehen davon, dass Adorf, als "Halb-Italiener", vor allem böse Mexikaner darzustellen pflegte.

Deutsche Lebensläufe. Hierzulande keineswegs ungewöhnlich ist eine übernationale Herkunft. Auch wenn Mario Adorf erst spät seinen Vater treffen, erst spät seine Halbschwestern kennen lernen konnte, ist Italien, ist Rom zu seiner zweiten Heimat geworden - eben das Land, eben die Stadt welche er, wie Adorf selbstironisch erzählt, zunächst aus deutschem, aus goetheschem und damit eigentlich distanziertem Blickwinkel erkundete.

Verwunderlich ist diese Perspektive nicht, immerhin war und ist Deutschland für Mario Adorf mindestens Sprachheimat. Die beiden Studienjahre auf dem hiesigen Campus hätten, so ergänzt Adorf, allgemeine Wissensgrundlagen gelegt, ohne die er seinen späteren Beruf nicht hätte leben können. Flugs und wie zum Beweis schlüpft der Filmstar in die Rolle des Hamlet. Lässig über Sein oder Nicht-Sein parlierend, wendet Adorf sich seinem Interviewer zu. Zwei Herren im Anzug auf der Bühne des Auditorium Maximum, und deren einer handelt so beiläufig existentielle Fragen ab, als handele es sich hier um selbst Erdachtes, selbst Erlebtes. Und mit Blick auf Familiengeschichte und Lebenslauf des Mario Adorf stimmt das ja auch.


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 203, Februar 2008, S. 6-7
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: AnetteSpohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2008