Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → FAKTEN

BERICHT/052: Kultur zwischen "öffentlichem Gut" und privatem Engagement (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1-2/2011

Kultur zwischen "öffentlichem Gut" und privatem Engagement

Von Bernd Wagner


Angesichts der Finanzkrise steht auch die Kulturfinanzierung gewaltig unter Druck. Kultur als öffentlich getragenes und gefördertes gesellschaftliches Sub-System wird zunehmend neue Wege beschreiten müssen, um wirtschaftlich bestehen zu können.


Unsere heutige vielgestaltige Kulturlandschaft - die Stadt-, Privat- und freien Theater, Musical- und Konzerthäuser, Museen und Ausstellungshallen, Kulturzentren, Musikschulen und Bibliotheken, Kinos, Chöre und Orchester, Festivals, Leseabende, Kleinkunstbühnen und viele andere Kultureinrichtungen und -aktivitäten - ist durch einen Trägerpluralismus von staatlich-kommunalen, privatwirtschaftlichen und freigemeinnützigen Akteuren gekennzeichnet. Die von der öffentlichen Kulturpolitik getragenen kulturell-künstlerischen Institutionen und Veranstaltungen einerseits, die von der Kulturwirtschaft hervorgebrachte Kunst und Kultur andererseits sowie die Angebote, Einrichtungen und Aktivitäten nicht marktorientierter, freigemeinnütziger Vereine, Verbände und Organisationen bilden gemeinsam die reichhaltige Kulturlandschaft Deutschlands.

Bei diesen drei Sektoren "Staat", "Markt" und "Gesellschaft" handelt es sich nicht um drei separate, scharf voneinander abgegrenzte Felder, sondern um Bereiche, die trotz unterschiedlicher Handlungslogiken und Zielsetzungen - kulturelle Daseinsvorsorge, Gewinn und gesellschaftliche Verantwortung - mal enger, mal weiter miteinander verflochten sind und sich gegenseitig bedingen und befruchten. Zwischen ihnen bestehen zahlreiche Übergänge, und sie wirken sowohl bei den praktischen Aktivitäten als auch bei der Trägerschaft von Kultureinrichtungen öfter zusammen.

Dieser Träger- und Angebotspluralismus ist von Beginn an ein Kennzeichen des kulturellen Feldes, das sich über mehrere Jahrhunderte bis heute herausgebildet hat. Dabei ist seine konkrete Ausgestaltung in einem fortwährendem Wandel begriffen, auch wenn in der Regel in nahezu allen Kunst- und Kultursparten alle drei Sektoren jeweils am Zustandekommen der Theater-, Musik-, Museums- und anderen Angebote beteiligt sind.

Ein gewichtiger Teil der heutigen kulturellen Infrastruktur wird von den Kommunen, den Ländern und dem Bund getragen und gefördert. Dafür geben diese jährlich etwa 8,3 Milliarden Euro aus. Hinzu kommt noch mehr als eine weitere Milliarde Euro indirekte Unterstützung durch Steuerermäßigungen für Kulturveranstaltungen und kulturelle Leistungen. Die öffentlich getragenen Kulturinstitutionen und Kulturaktivitäten werden zudem durch bürgerschaftliches Engagement in Form mäzenatischer Unterstützung und ehrenamtlich-freiwilliger Mitarbeit sowie durch privatwirtschaftliches Sponsoring unterstützt. Die gesamten jährlichen privaten Aufwendungen für Kunst und Kultur - ohne die Zeitspenden - betragen zwischen 830 Millionen und 2,6 Milliarden Euro, wobei es, über die letzten Jahrzehnte betrachtet, bei den Gesamtaufwendungen nur geringfügige Steigerungen gab, allerdings zwischen den unterschiedlichen Förderarten Verschiebungen stattfanden.


Öffentliche Kulturpolitik unter Druck

Diese öffentlich getragenen und geförderten Einrichtungen stehen gegenwärtig vor allem wegen zwei Entwicklungen unter einem besonderen Druck. Zum einen zwingen die Schulden und der Einspardruck der öffentlichen Haushalte vor allem die Kommunen und zunehmend auch die Länder als Träger und Förderer der Kultur- und Kunsteinrichtungen auch hier nach Einsparmöglichkeiten zu suchen und erschweren ihnen, Kostensteigerungen aufzufangen und die kulturelle Infrastruktur durch neue Angebote weiterzuentwickeln.

Zum anderen üben veränderte kulturelle Interessen in der Bevölkerung, die sich in einer teilweise zurückgehenden Nutzung der herkömmlichen Kunst- und Kultureinrichtungen - besonders bei der jüngeren Generation - ausdrücken, einen erheblichen Veränderungs- und Legitimationsdruck auf die kulturelle Infrastruktur und ihre Finanzierung aus. Der demografische Wandel, schrumpfende Städte, die multikulturelle Durchmischung und die Pluralisierung der Lebenswelten, aber auch eine wachsende Armut und ein weiteres Auseinanderdriften von Arm und Reich stellen heute besonders Kommunal-, und hier vor allem Kulturpolitik, vor neuartige Probleme des Zusammenhalts einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Gesellschaft und des Austarierens unterschiedlicher kultureller Anforderungen und Werte. Dieser Wandel kultureller Präferenzen, die neu artikulierten kulturell-künstlerischen Bedürfnisse und die Vervielfachung der kulturellen Angebote besonders durch die rasche Entwicklung der audiovisuellen Medien und neuen Kommunikationstechnologien sowie einen insgesamt immens gewachsenen Freizeitsektor, stellen die öffentliche Kulturpolitik vor die Aufgabe, ihr praktisches Handeln daraufhin zu überprüfen, inwieweit es noch den gewandelten kulturellen Bedingungen gerecht wird. Dazu gehört auch die Diskussion darüber, welche kulturelle Infrastruktur sie vorhalten und weiter entwickeln muss, damit möglichst viele Menschen ihren kulturell-künstlerischen Interessen nachgehen können.


Neujustierung

Gerade für eine demokratische, um soziokulturelle Alternativen bemühte Kulturpolitik, die möglichst vielen Menschen die Teilhabe an Kunst- und Kulturangeboten ermöglichen möchte, ist dies eine besondere Herausforderung, da die sozialintegrative Funktion kultureller Teilhabe für sie gemeinsam mit ihrer bildenden und unterhaltenden Dimension sowie der Förderung der Künste die zentrale Legitimation des öffentlichen Engagements für Kunst und Kultur bildet. Mit dieser Ermöglichung der Teilnahme der Einzelnen an Kunst- und Kulturangeboten leistet Kulturpolitik einen erheblichen Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft und zum sozialen Zusammenhalt in den Städten. Demokratisierung von, Partizipation an und Emanzipation durch Kultur sind die zentralen Zielsetzungen öffentlicher Kulturpolitik unter den beiden zentralen Motti "Kultur für alle" (Hilmar Hoffmann) und "Bürgerrecht Kultur" (Hermann Glaser).

In der gegenwärtigen Krise der kommunalen Kulturfinanzierung und einer vielfach auf große Kulturevents und Leuchttürme orientierten Kulturpolitik besteht die Gefahr, dass diese Ziele in den Hintergrund des kulturpolitischen Denkens und Handelns treten. Das trifft aber auch teilweise auf die Herausbildung alternativer Finanzierungswege, vor allem durch die stärkere Einbindung nicht-öffentlicher Akteure in die Finanzierung und Trägerschaft von Kulturangeboten und Einrichtungen, zu. Hierzu gehören eine stärkere privatwirtschaftliche Kulturförderung durch Sponsoring und Mäzenatentum, ebenso wie Public-Private-Partnership-Modelle und die intensive Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements.

Die Veränderungen der kulturpolitischen Praxis der letzten Jahre und Jahrzehnte haben bei all ihrer Verschiedenheit vielfach einen gemeinsamen Kern in der Neujustierung des Verhältnisses von staatlicher, beziehungsweise kommunaler Politik, gesellschaftlicher Selbstverantwortung und marktwirtschaftlichen Mechanismen. Dadurch wird den gesellschaftlichen Akteuren eine größere Bedeutung zugewiesen und staatlich-kommunales Handeln im Kulturbereich relativiert. Gleichzeitig bekommen durch die Intensivierung betriebswirtschaftlicher Verfahren bei der Organisation der Kultureinrichtungen, durch die verstärkte Anwendung von Marketing-Ansätzen in der kulturellen Praxis sowie ein insgesamt immer weiter entwickeltes Kulturmanagement marktwirtschaftliche Elemente im Kunst- und Kulturbereich eine größere Bedeutung, ohne damit notwendigerweise eine "Ökonomisierung" der Kultur hervorzubringen.

Eine solche Entwicklung schafft die Möglichkeiten einer breiteren und stabileren Sicherung der kulturellen Infrastruktur sowie besser auf die veränderten kulturellen Bedürfnisse der Menschen eingehen zu können. In einer solchen stärker kooperativen Kulturpolitik können die Kompetenzen, Erfahrungen und Ressourcen der unterschiedlichen kulturellen Akteure als Gestaltungspotenziale aufgegriffen und durch eine Kombination von öffentlicher Verantwortung, Marktdynamik und gesellschaftlicher Partizipation eine neue Qualität kulturpolitischer Aufgabenwahrnehmung erreicht werden.

Gleichzeitig besteht durch eine solche Verschiebung, die bislang allerdings nur in einigen wenigen Feldern wie dem verstärkten privaten Engagement im Museums-, Musiktheater- und Orchesterbereich feststellbar ist, die Gefahr, dass zum einen private Mäzene und Sponsoren einen zunehmenden Einfluss auf die Gestaltung der kulturellen Angebote und Einrichtungen bekommen. Zum andern kann es dadurch zu einer weiteren Konzentration auf aufmerksamkeitswirkwame Highlights und Events kommen. Zudem sind diese privaten Mittel gerade in Zeiten wirtschaftlicher und finanzieller Krisen, wie 2008/2009, gerade nicht stabil, wie beispielsweise aus einer Umfrage bei 215 großen Kultureinrichtungen hervorgeht, von denen 43% 2009 von einem Rückgang der Sponsoreneinnahmen berichteten.

Eingedenk möglicher negativer Auswirkungen, die allerdings durch eine kooperative und langfristig angelegte Kulturpolitik begrenzt werden können, ist es trotzdem vernünftig in der Kulturfinanzierung eine verstärkte Mischung der unterschiedlichen Akteure anzustreben, ohne dabei Staat und Kommunen aus ihrer Gesamtverantwortung zu entlassen und die öffentlichen Mittel einzuschränken.


Bernd Wagner (* 1948) ist u.a. wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft und verantwortlicher Redakteur der Kulturpolitischen Mitteilungen. 2009 erschien: Fürstenhof und Bürgergesellschaft. Zur Entstehung, Entwicklung und Legitimation von Kulturpolitik.
b.wagner.ffm@t-online.de


*


Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1-2/2011, S. 54-57
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
Redaktion: c/o Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin
Hiroshimastraße 17, 10785 Berlin
Telefon: 030/26 935-71 51, -52, -53
Telefax: 030/26 935-92 38
ng-fh@fes.de
www.ng-fh.de

Die NG/FH erscheint monatlich, wobei die Hefte 1+2
und 7+8 im Januar bzw. Juli als Doppelheft erscheinen.
Einzelheft: 5,50 Euro zzgl. Versand
Doppelheft: 10,80 Euro zzgl. Versand
Jahresabonnement: 50,60 Euro frei Haus


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2011