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MEDIEN/147: Nigeria - Made in Nollywood (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 105, 3/08

Made in Nollywood
Populäre Filme aus Nigeria im transnationalen Diskurs

Von Ursula Lummerstorfer


"Nollywood", so nennt sich die drittgrößte Filmindustrie weltweit, die in Nigeria entstanden ist. Im Jahre 2005 wurden offiziell 1.710 Filme als Heimvideos bzw. Video-CDs produziert. Auf einen großen lokalen Absatzmarkt abzielend, ist die Filmindustrie bis jetzt von ausländischem Kapital unabhängig und einer der wenigen Wachstumsmärkte des Landes.


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Anfang der 1990er wichen, im Zuge des wirtschaftlichen Niedergangs und der unzureichenden Infrastruktur für Kinofilme und TV-Serien, nigerianische ProduzentInnen auf das Video(VCD-)format aus. Dies ermöglichte es, ein breites Publikum unabhängig von Ort und Zeit zu erreichen; der Umstieg auf englischsprachige Filme brachte unvergleichlichen kommerziellen Erfolg.

Die Bild- und Tonqualität dieser Filme ist oft mangelhaft, da sie mit minimalem Aufwand möglichst schnell, oft innerhalb von zwei Wochen, produziert werden. In ihrer Form weichen sie vom Aufbau eines Spielfilms ab, aus marketingtechnischen Gründen sind sie fast immer zweiteilig, manchmal auch drei- bis vierteilig. Im Vordergrund stehen hochemotionale, situationsbezogene Dialoge und Handlungen, die Bildersprache wird genutzt, um die meist moralisierende Botschaft zu verstärken, und weniger, um ein ästhetisches Empfinden anzusprechen.

In der Literatur wurden die Filme anfangs mit dem afrikanischen Kinofilm kontrastiert und bisweilen gar als "Video Monster" bezeichnet, das aufgrund seiner niedrigen Qualität und des kommerziellen Erfolgs den Kinofilm verdrängt. Während Kinofilme insbesondere im frankophonen Raum von der Bevölkerung wenig rezipiert werden, sind die nigerianischen Home Movies eine populäre Kultur, die die Lebensrealität im postkolonialen Nigeria von NigerianerInnen für das nigerianische Publikum abbildet. Da der Markt ohnehin groß genug ist, braucht es die ProduzentInnen nicht zu kümmern, dass die Filme wenig Anklang beim westlichen Publikum finden.


Eine populäre Kultur für alle NigerianerInnen?

In Nigeria wurden zur Zeit des Entstehens der Home Movies kaum mehr Kinofilme produziert. Die Home Movies waren daher eher ein Versuch, ein kulturelles Vakuum wieder aufzufüllen. Mittlerweile streben die ProduzentInnen, die lange vor dem Video-Boom in der Kinofilmproduktion tätig gewesen waren, wieder eine Rückkehr zu dieser an. Diesem Vorhaben steht auch nichts mehr im Wege: Mit der Erkenntnis, welche Breitenwirksamkeit die Filme haben, geht eine verstärkte finanzielle Unterstützung von Staat und Wirtschaft einher.

Die Videos ersetzen vor allem die importierten Filme von Hollywood & Co. Anders als diese sind sie aber keine Massenkultur, in der sich eine eigene Klasse von ProduzentInnen, abgehoben von den KonsumentInnen, etabliert hat. Vielmehr sind die Filme eine populäre Kultur von der Bevölkerung für die Bevölkerung. Die Filme können als Fortführung einer dynamischen Tradition von Populärkultur wie dem Wandertheater der Yoruba oder der Onitsha Market Literature gesehen werden, die ebenso synkretistisch ist - die Inkorporation von "fremden" Elementen aus Bollywood, Telenovela oder Soap Opera ist demnach nichts Neues -, und auf oralen Traditionen fußt. Die direkte Interaktion zwischen DarstellerInnen und Publikum fällt zwar beim Filmschauen weg, doch die schnelllebige Filmproduktion greift einen populären mündlichen Diskurs (radio trottoir) auf, den sie mitgestaltet und auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert, sodass sie ihr Publikum über ethnische und Klassengrenzen hinweg anspricht.


Faszination und Bedrohung durch die Moderne

Zwar werden die Filme oft von Neureichen gesponsert, und deren Leben in Luxus dient gerne als Filmkulisse, aber in einem Land, in dem fast jede/r in Netzwerke eingebunden ist, die sich bis zur gesellschaftlichen Elite erstrecken, sehen sich fast alle zumindest als potenzieller Teil derselben: Die Filme schaffen derart einen Raum, in dem zwischen unterschiedlichen Lebenswelten vermittelt wird.

Zugleich wird die Faszination, die vom Reichtum ausgeht, immer wieder mit moralischen Kommentaren begleitet und eingeschränkt. Eine wichtige Rolle spielen dabei Vorstellungen von Hexerei und Okkultem, die in allen Genres vorkommen. Aufstrebende IndividualistInnen ohne Rücksicht auf die Gemeinschaft (Familie, Dorf, Nation) werden unter Hexereiverdacht gestellt und damit in ihre Schranken gewiesen, mit abschreckenden Visualisierungen werden ihre Machenschaften geradezu "aufgedeckt". Pfingstkirchen nutzen die Filme, um ihr vereinfachtes Schema einer in Gott und Teufel geteilten Welt zu verbreiten.


Brücke zwischen "home" und "abroad"

Ihren großen Erfolg verdanken die Filme auch der nigerianischen Diaspora. Die Komödie Osuofia in London (Regie: Kingsley Ogoro, 2003) verkaufte sich weltweit 400.000 Mal. Auch in Wien etablierte sich ein schnellebiger Markt von Filmverleih und -verkauf. Parallel zum Welthandel wird mit Hilfe erleichterter Bedingungen für den Handel über Grenzen hinweg Profit erwirtschaftet, doch die HändlerInnen des "ethnic business" verlassen sich dabei ganz auf ihre informellen sozialen Netzwerke. Diese, die die Existenz in der Migration erleichtern und nachfolgende MigrantInnen anziehen, verdichten sich über die Grenzen hinweg zu soziokulturellen Räumen , die von medialen Repräsentationen wie den Filmen genährt werden. Oder wie es ein Interviewpartner ausdrückte." So, you can now stay in abroad, and still be at home".

Durch ihren offenen Charakter als populärer Diskurs, in den das Publikum aktiv gestaltend eingreift, schaffen die Filme Bezugspunkte für eine Vielzahl von multiplen (individuellen und kollektiven) Identitäten, angepasst an die globale wirtschaftspolitische Situation und diese für sich nutzend. So wirken die Filme emanzipatorisch, indem sie z.B. das ausbeuterische System des Frauenhandels aufdecken. Gleichzeitig stellen sie die Loyalität gegenüber der Familie auch über Grenzen hinweg vor das Wohl des Individuums.


Identitätsstiftend in der nigerianischen Diaspora

Auch ethnische Zugehörigkeit wird über die Referenz auf die Filme (neu) interpretiert. So konsumieren viele NigerianerInnen in Österreich die Filme "to educate myself on our community and our own culture" und "to see the kind of life one is lacking behind". Als TransmigrantInnen, die, sofern ihnen möglich, zwischen Herkunfts- und Zielland hin- und hermigrieren und immer die Absicht hegen, irgendwann zurückzukehren, werden diese Identitäten gepflegt, um den sozialen Status im Herkunftsland aufrecht zu erhalten.

Über die Filme wird ebenso die Zugehörigkeit zu einer "nigerianischen Diaspora" bestärkt, was in Österreich, wo NigerianerInnen wenig Akzeptanz erfahren, der positiven Abgrenzung dient. Als nigerianische Diaspora positionieren sich die Menschen wiederum innerhalb der afrikanischen Diaspora sowie gegen die nigerianische Regierung, die von der wirtschaftlichen Kraft der Filmindustrie und den Rücküberweisungen des transnationalen Filmpublikums abhängig ist.


Das Fortbestehen eines populären Diskurses

In einer globalen, von Massenmedien dominierten Welt werden die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien - so erfolgt die Verbreitung und der Konsum der Filme zunehmend auch über Internet und Sat-TV - genutzt, um Afrika in der Medienlandschaft neu zu positionieren. In vielen Geschäften, in denen ich Kundin war, waren die Verkäuferinnen ebenso überrascht wie erfreut, dass sich auch ÖsterreicherInnen für die Filme interessieren, und es ist sichtbar, dass der "Nollywood"-Boom die Menschen mit Stolz erfüllt.

Zielführend ist weder eine Verteufelung der Filme als Kommerz noch ein unkritisches Gutheißen des Populären, vielmehr sind diese Filme als ein offenes Forum zu verstehen, in dem kollektive Vorstellungen von sozialen AkteurInnen ausgehandelt werden. Auch wenn einige ProduzentInnen neue Wege beschreiten und zunehmender Einflussnahme von Seiten des Staates oder der Kirchen ausgesetzt sind, wird das Publikum weiterhin eine Rolle in der Home-Movie-Produktion spielen.


Literatur:

Adeleye-Fayemi, Bisi: Either one or the other. Images of women in Nigerian television. in: Barber, Karin (Ed.): African popular culture (Oxford/Bloomington 1997) S. 125-131

Haynes, Jonathan (Ed.): Nigerian Video Films (Ohio 2000)

Meyer, Birgit/Geschiere, Peter (Ed.): Globalization and identity: Dialectics of flow and closure (Oxford 1999)

Newell, Stephanie: Writing African women: gender, popular culture and literature in West Africa. In: Newell, Stephanie (Ed.): Writing African women: gender, popular culture and literature in West Africa (London 1997) S. 1-8

Portes, Alejandro: Globalization from below: the rise of transnational communities
(http://www.transcomm.ox.ac.at)


Zur Autorin:

Ursula Lummerstorfer ist Diplomandin der Ethnologie und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache und EDV im Integrationshaus Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 105, 3/2008, S. 28-29
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2008