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MEDIEN/166: Kuhle Wampe - Ein proletarischer Film wird 80 (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 5/2012

Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?
Ein proletarischer Film wird 80

Von David Leuenberger



Die Weimarer Republik war in vielfacher Hinsicht eine dynamische Zeitspanne des Aufbruchs. Viele wurden währenddessen aber auch an den Rand gedrängt, spätestens durch die Wirtschaftskrise. Nicht verwunderlich also, dass Ende der 20er Jahre die Nöte der Arbeiter und Arbeitslosen auch im Film zunehmend thematisiert wurden. "Kuhle Wampe", der erste proletarische Tonfilm wurde am 14. Mai 1932 in Moskau uraufgeführt, die deutsche Erstaufführung fand am 30. Mai 1932 im Berliner Filmtheater Atrium statt.


"Soziale Ungerechtigkeit muss immer noch angeprangert und bekämpft werden. Von selbst wird die Welt nicht besser." Mit diesen wuchtigen Worten beendete der große marxistische Historiker und Analytiker des "Zeitalters der Extreme" Eric Hobsbawm seine Autobiografie - etwa auf gleiche Weise, wie 70 Jahre zuvor der Film Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt, ein Film, den Hobsbawm möglicherweise in seiner Berliner Jugendzeit gesehen hatte. In der finalen Sequenz antwortete eine Arbeiterin auf die Frage, wer die Welt ändern solle, resolut und deklamierend: "Die, denen sie nicht gefällt!". Es kam jedoch anders: Nicht einmal ein Jahr nach der Filmpremiere im Mai 1932 verboten die Nazis den Film und machten sich daran, die deutsche Arbeiterbewegung zu zerschlagen.

Erst nach einigem Zögern hatte sich unter dem Einfluss sowjetischer Revolutionsfilme (etwa Panzerkreuzer Potemkin von 1926) in der deutschen Linken der Wille durchgesetzt, dem "bürgerlichen" Kino ein revolutionäres und proletarisches Kino entgegenzusetzen: mit Filmen von Arbeitern für Arbeiter, die die wirklichen Probleme des Proletariats widerspiegeln und für die Arbeitersolidarität agitieren sollten.

Um das "bürgerliche" Monopol des Studiosystems zu umgehen, wurde 1926 die Prometheus Film-Verleih und -Vertrieb GmbH gegründet. Sie zeigte sowjetische Filme und produzierte "Wochenschau"-artige Dokumentarfilme über Themen der Arbeiterbewegung. Letztere konnten ästhetisch und dramaturgisch keineswegs mit den großen Publikumserfolgen der Ufa mithalten. Die Einführung des wirkungsmächtigeren, aber erheblich teureren Tonfilms brachte die stets finanzschwache proletarische Filmproduktion an den Rand des Zusammenbruchs. Der Stummfilm Mutter Krausens Fahrt ins Glück von 1929 wurde nichtsdestotrotz ein kleiner Erfolg und nahm die Themen von Kuhle Wampe bereits vorweg: Verelendung, Resignation, Selbstmord und die Darstellung der organisierten (kommunistischen) Arbeiterbewegung als Lösungsperspektive für die sozialen Probleme der Arbeiterschaft. Aus der Idee, einen Spielfilm über die linken Jugend-Sportorganisationen zu drehen, entwickelte sich das Projekt Kuhle Wampe, der erste proletarische Tonfilm.

Kuhle Wampe präsentiert in drei Akten das Leben der Arbeiterfamilie Bönicke unter den Bedingungen der Weltwirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit. Der erste Akt zeigt den Selbstmord des verzweifelten arbeitslosen Bönicke-Sohns. Seine Eltern und seine Schwester Anni werden kurz darauf aus ihrer Wohnung geworfen und ziehen im zweiten Akt in die Zeltsiedlung "Kuhle Wampe" im Osten Berlins um. Dort wird Anni schwanger und verlobt sich mit ihrem Freund. Während ihre Eltern in Resignation verfallen, entdeckt das junge Paar im dritten Akt die Arbeitersport-Bewegung und geht in ihr auf.

Der Film wurde als Kollektivproduktion unter Beteiligung kommunistischer Künstler entwickelt: Slatan Dudow (Drehbuch und Regie), Bertolt Brecht (Drehbuch), Ernst Ottwald (Drehbuch) und Hanns Eisler (Musik). Auch tausende Mitglieder linker Theatergruppen und Sportclubs beteiligten sich.

Von Anfang an litt die Produktion vor allem an finanziellen Schwierigkeiten, obwohl die meisten Beteiligten auf Gagen verzichteten. Noch während des Drehs meldete die Prometheus-Gesellschaft Konkurs an: Die Schweizerische Praesens-Film AG sicherte die weitere Finanzierung. Zwei Mal wurde der Film von der Filmprüfstelle verboten, bevor er nach öffentlichen Protesten freigegeben wurde - freilich nur unter Schnittauflagen und ohne Jugendfreigabe.

Die Zensurgeschichte von Kuhle Wampe offenbart nicht nur das zeitlose Unbehagen von Zensoren gegenüber sexual-moralischen Themen, sondern auch den Zeitgeist der ausgehenden Weimarer Republik mit ihren Notverordnungskabinetten: Ein Dialog über die Verordnung zur Kürzung der Arbeitslosenunterstützung musste ebenso entfernt werden wie ein kurzer Moment, in dem ein Auto mit einer Werbeaufschrift für Kondome durchs Bild fährt. Die geplante Abtreibung Annis blieb nur noch als Anspielung erhalten. Eine Sequenz, in der die Bewohner von "Kuhle Wampe" zu den Klängen einer Kirchenglocke nackt in einem See baden, wurde unter dem Vorwurf der antikirchlichen Unzüchtigkeit entfernt. Diese zensierten Szenen gelten heute als verschollen.

Trotz der Anwerbung des Films unter dem Slogan "nach mehrmaligen Verbot freigegeben" wurde Kuhle Wampe ein kommerzieller Flop. Dass die Konservativen und Rechtsnationalen den Film als "marxistisches Partei-Tamtam" abtaten, war zu erwarten gewesen. Doch auch die linke Presse konnte sich für den Film nicht erwärmen. Als zu kühl und unsentimental wurde er kritisiert, seine Gestaltung als zu theoretisch und schwierig bemängelt. Dies lag sicher auch daran, dass Kuhle Wampe nicht den konventionellen Erzählmustern folgte, sondern sich die sowjetischen Avantgardefilme Sergei Eisensteins und Dziga Wertows mit ihren kühnen Montagetechniken zum Vorbild nahm. Der Film hatte weder richtige Protagonisten noch eine durchgehende kohärente Handlung vorzuweisen: für damalige deutsche Zuschauer eine Zumutung. Wie Eisenstein interessierten sich Dudow, Brecht und Ottwalt kaum für die psychologischen Motivationen von Figuren, sondern nutzten sie lediglich zur Typisierung sozio-ökonomischer Strukturprobleme. Ganz im Sinne von Brechts epischem Theater forderte der Film den Zuschauer zur intellektuellen Mitarbeit auf, zur selbstständigen Aufdeckung der durch Montage konstruierten sozialen Probleme, und wollte weniger Mitleid hervorrufen als Widerstand provozieren.


Von den Nazis verboten

Der Film beginnt mit einer Montage von radfahrenden Arbeitslosen auf Arbeitssuche. Darunter ist auch der junge Bönicke. Nachdem er sich am Ende des ersten Aktes aus dem Fenster gestürzt hat, werden Bilder seines Fahrrads und der radelnden Arbeiter eingeblendet. Sein Selbstmord wird dadurch nicht psychologisiert, vielmehr verweist die Montage auf seine soziale Ursache, die zermürbende Arbeitssuche. In der meisterhaft inszenierten "Mata-Hari"-Sequenz liest Vater Bönicke aus einem Artikel über die Tänzerin laut vor und begeistert sich immer mehr für die geschilderten sinnlichen Details, während Mutter Bönicke an der Lage der Familienkasse verzweifelt. Dazwischen werden kontrastiv Bilder von Grundnahrungsmitteln montiert. Von der Regenbogenpresse verführt, verliert der Vater also jeglichen Bezug zur Realität, während die Mutter resigniert. Die jugendlichen Arbeiter jedoch entdecken die Arbeiterbewegung als Zukunftsperspektive und gehen ganz in ihr auf.

Kuhle Wampe dokumentiert auch, wie die kommunistische Arbeiterbewegung den Nationalsozialismus unterschätzte. Hinweise auf Konfrontationen der organisierten Arbeiterschaft mit den Nazis fehlen. Der Filmsoziologe Siegfried Kracauer sieht hingegen die Massensport-Szenen am Ende des Films als ästhetische Vorläufer des Körper- und Sportkults in Nazifilmen. Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? war jedenfalls einer der ersten Filme, den die Nazis verboten. Mit der Zerschlagung der Arbeiterbewegung endete auch der proletarische Film in Deutschland. Kuhle Wampe verschwand für Jahrzehnte und wurde in der DDR erst Ende der 50er Jahre gezeigt, in der BRD im Zuge der 68er Bewegung. Der Junge Deutsche Film der 60er und 70er Jahre übernahm zwar Elemente des Brechtschen Theaters, ohne jedoch explizit Bezug auf Kuhle Wampe zu nehmen.

Das dauerhafteste Erbe von Kuhle Wampe dürfte wohl Eislers und Brechts "Solidaritätslied" sein, das heute in keiner Kompilation von Arbeiterliedern fehlt. Nach dem Verschwinden der Arbeiterklasse im engeren Sinne in den 60er und 70er Jahren ist die Bedeutung des Films als Dokument der Arbeiterbewegung eher historisch. Aber seine ästhetische Radikalität, die meisterhafte Verknüpfung des Tons mit Stummfilm-Elementen und das schiere Selbstbewusstsein der Inszenierung bringen diesen frühen "Independent-Film" in die Anthologie der besten deutschen Filme der Weimarer Republik.


David Leuenberger (* 1986) hat Osteuropäische Geschichte, Neuere Geschichte und Politikwissenschaft in Jena studiert. Er schreibt beim interkulturellen Magazin unique und beim Filmmagazin Das Manifest und ist Mitherausgeber der Zeitschrift Ostblicke.
(david.leuenberger@web.de)

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 5/2012, S. 73-75
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2012