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SPRACHE/468: Schreiben zwischen Sprachen und Kulturen (idw)


Universität Dortmund - 23.04.2007

Schreiben zwischen Sprachen und Kulturen: Volkswagen-Stiftung bewilligt 498.000 Euro für Studiengruppe an der Universität Dortmund


Wer mit schriftlicher Sprache nicht hinreichend umgehen kann, läuft Gefahr, von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen zu bleiben und elementare Interessen nicht durchsetzen zu können. Migrationsbiographie und Mehrsprachigkeit sind hierfür nicht die einzigen Gründe. Eingeschränkte (schrift)sprachliche Fähigkeiten können auch bei muttersprachlichen Sprechern des Deutschen als Folge mangelnder Bildungsvoraussetzungen auftreten. Die daraus resultierende Selbstwahrnehmung am Rande der Gesellschaft sind Faktoren, die zu immer weiterem Rückzug von institutionellen Angeboten führen. Die Volkswagen-Stiftung fördert jetzt eine Studiengruppe an der Universität Dortmund, sich gegen starke Konkurrenz durchsetzen konnte. Sie untersucht unterschiedliche und vergleichbare individuelle Zugänge zur mündlichen und schriftlichen Sprachkompetenz.von Migranten und Deutschen. Ziel des von Professor Ludger Hoffmann, Prof. Uta Quasthoff (Institut für Deutsche Sprache und Literatur) und Prof. Michael Kastner (Institut für Psychologie) initiierten Projekts ist es dabei, Sprachbiographien im Bereich des Zugangs zur Schrift und zu Institutionen zu rekonstruieren und entsprechend Möglichkeiten und Wege aufzuzeigen, wie ausgrenzende Faktoren in diesem Bereich abgebaut werden können.

Mangelnde Schreibfähigkeiten im Sinne der Fähigkeit, Texte zu produzieren und formellen Anforderungen in Formularen zu genügen, sind als besondere Barriere für die Teilhabe an der deutschen Mehrheitsgesellschaft bisher noch wenig untersucht. Schreibfähigkeiten werden als selbstverständlich für eine schriftgeprägte Gesellschaft angesehen, so dass fehlender Zugang als identitätsbedrohend erscheinen kann. Für Migrantinnen und Migranten ist der Erwerb der Schreibfähigkeiten zudem dadurch erschwert, dass er in der Zweitsprache Deutsch erfolgen muss. Oft ist bei diese Gruppe und bei bildungsfernen Einsprachigen bereits die Fähigkeit, sich mündlich im Gespräch auszudrücken, und die für das Schreiben nötige sprachliche Bewusstsheit mehr oder weniger stark begrenzt. Damit fehlen wesentliche Voraussetzungen zum Erwerb angemessener Schriftlichkeit. Manch einer nimmt die Schriftsprache, die eine zentrale Rolle in Institutionen (Arbeitsvermittlung, Bildungsbereich, Sozialamt etc.) spielt, unter Umständen gar als bedrohlich wahr oder hat sich an die Unterstützung durch "Vermittler" gewöhnt. Öfter fehlt einfach die Motivation, die Mühen des Schrifterwerbs auf sich zu nehmen, weil nicht klar ist, was dadurch zu gewinnen ist.

Für ihre empirische Studie im Ruhrgebiet wird die Studiengruppe die Daten von Personen mit türkischsprachigem Migrationshintergrund mit denen deutschsprachiger Befragter jeweils aus Milieus mit niedrigem Bildungsstand vergleichen. Die Intensiv-Stichprobe umfasst dann 48 Personen, von denen immer drei Generationen (im Alter von etwa 20, 45 und 65 Jahren) zur gleichen Familie gehören sollen. An ihr wird gezeigt, wie mündliche und schriftliche Sprachkompetenzen ausgeprägt sind und wie sich Erfahrungen mit Schriftlichkeit in der Biografie spiegeln. Als Datenbasis dienen narrative Interviews sowie ausgefüllte Formulare und Briefe an deutsche Ämter. Die Ergebnisse werden an einer Stichprobe von 360 Personen mithilfe eines Fragebogens auf ihre Verallgemeinerbarkeit überprüft. Die Gruppe will daraus Empfehlungen ableiten, wie sowohl die Bildungsangebote als auch das Umfeld gestaltet werden müssen, damit Zuwanderer bessere Zugänge zur Schrift finden können.

"Am Ende des Projekts wissen wir also u.a. mehr darüber, was MigrantInnen und Deutsche aus manchen Milieus davon abhält, sich schriftlich zu äußern, wie entsprechende Kurse für MigrantInnen aussehen sollten, die wirklich angenommen werden, wie Behördenvertreter kommunizieren müssen, damit sie von Migranten und Nicht-Migranten verstanden werden," so die Forscher.

Kontakt:
Prof. Ludger Hoffmann, Ruf 0231/755-2921
Prof. Uta Quasthoff, Ruf 0231/755- 5464
Universität Dortmund
Institut für Deutsche Sprache und Literatur

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution12


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Dortmund, Ole Lünnemann, 23.04.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2007