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SPRACHE/559: Die befremdlichen Argumente der Germanisten (VDS)


Sprachnachrichten Nr. 37/März 2008

Hoch und allgemein
Die befremdlichen Argumente der Germanisten

Von Gerd Schrammen


Sie haben ein besonders inniges Verhältnis zur eigenen deutschen Sprache, sonst hätten sie nicht diesen Beruf erlernt. Das denkt der gewöhnliche Bürger von ihnen. Und er rechnet damit, daß sie besonders heftig zusammenzucken, die Germanisten an den Unis oder die Deutschlehrer an den Schulen, wenn ihnen Sale für Schlußverkauf, electronic Cash für Kartenzahlung oder Europe's Creative Heartbeat als Werbespruch für das Land Nordrhein-Westfalen vorgesetzt wird. "Die Deutschlehrer müßten auf die Barrikaden gehen - wer, wenn nicht sie!", hörte ich schon mal.

Nein, sie gehen nicht auf die Barrikaden. Und sie zucken nicht zusammen angesichts ständig neuer Beispiele für die Anglisierung der deutschen Sprache. Im Gegenteil, sie finden nichts dabei. Und wenn sie sich öffentlich zu Denglisch äußern, verharmlosen sie die unwillkommenen Veränderungen der deutschen Sprache.

Der Vorsitzende der Gesellschaft für deutsche Sprache tingelt durch die Republik und predigt Gelassenheit. Der Leiter des Instituts für Deutsche Sprache erwartet, daß Denglisch irgendwann - in 15 Jahren etwa - von selbst ausstirbt. Ein Lehrstuhlinhaber in Halle findet das neue Anglodeutsch überhaupt nicht aufregend. Der Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung unterstellt denen, die die Sprache pflegen wollen, blanke Ahnungslosigkeit. Ein führender Grammatiker betrachtet die englischen Brocken als Bereicherung des Deutschen.


Mit den fremden Sachen kommen die fremden Wörter

Bisweilen werden drollige Argumente vorgebracht. Eine Kollegin von der Germanistik belehrte mich vor laufender Fernsehkamera, mit den fremden Dingen kämen auch deren fremde Bezeichnungen zu uns. Das hatte ich so platt noch nicht vernommen. Daß wir bei Basketball oder Baseball bleiben, die jenseits des großen Teichs erfunden wurden, leuchtet mir ein. Oder bei Apéritif einer durch und durch französischen Sache. Aber Ropeskipping, Card oder Nanny werden beim besten Willen nicht benötigt. Wir haben Seilspringen, Karte und Kinderfrau (oder -mädchen). Und den Rechner hatten wir, bevor uns der Computer aufgedrückt wurde.

Die freundliche Dame brachte mir auch bei - und das war dann ein Glaubenssatz ihrer Zunft -, daß gegen die Masse der englischen Wörter nichts einzuwenden sei. Wir hätten ja auch die Bluse, die von französisch blouse kommt (was in Frankreich übrigens etwas anderes bedeutet als bei uns) und das Ambiente aus Italien. Im Deutschen habe es immer fremde Wörter gegeben; das sei kein Grund zur Besorgnis. Gern wird dabei verschwiegen, daß es durch die Jahrhunderte hindurch auch immer Widerstand gegen die fremden Wörter im Deutschen gab.


Die lebendige Sprache

Angeblich ist die deutsche Sprache "lebendig". Wir hören und lesen, daß sie "fließt" und sich "natürlich" entwickelt. An eine "lebendige" Sprache glaubt auch der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Die Sprachpfleger der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft in Köthen bezeichnete er als "Leute, die von der Lebendigkeit einer Sprache, die für sich selber sorgt, keine Ahnung" haben. Das ist ein feinsinniges Urteil aus der Fülle sprachwissenschaftlicher Kompetenz.

Die "Lebendigkeit" der deutschen Sprache beobachten wir, wo Wörter aus der englischen Sprache eingeschleust werden und sich breit machen. Junggeselle, Kundendienst und Börsenkrach sind für immer dahin und durch Single, Service und Crash verdrängt worden. Statt Unterhose, Hemd, Schwimmbecken, Imbiß oder Auskunft lesen oder hören wir Slip, Shirt, Pool, Snack und das alberne Service Point. Nicht immer, aber oft. Hier lebt die englische Sprache - wie die Made im Speck. Und die deutsche stirbt viele kleine Tode.


Der Blick aus großer Höhe und weiter Ferne

Es sieht aus, als hätten die prominenten Philologen sich verabredet, bei Protesten gegen Denglisch immer wieder in die gleiche ausgeleierte Kerbe zu hauen. Abwiegelung heißt das Prinzip. Die Damen und Herren, die so wacker verharmlosen und den Skandal der Anglizismen kleinreden, haben eines gemeinsam: Sie reden hoch und allgemein. Die deutsche Sprache ist für sie ein Ganzes, ein abstraktes Zeichensystem und eine Sache, die sich über einen längeren Zeitraum, meist mehrere Jahrhunderte, erstreckt. Sprache ist langue für sie, wie das linguistisch heißt, nicht parole. Der alltägliche Sprachgebrauch, das sprachliche Einzelereignis, über das der Bürger sich empört, gerät bei solcher Vogelschau auf die Sprache nicht in den Blick.

Nur manchmal beugen sie sich über einzelne englische Wörter. Kids ist eines davon. An ihm mühen sie sich ab, um zu zeigen, daß es eine Lücke im Deutschen füllt und etwas bezeichnet, wofür wir kein deutsches Wort haben. Da gibt es einen germanistischen Abwiegler, der uns erzählt, das Wort habe eine echte Funktion, weil es Teenager ablöst.


Zahlenspiele

Derselbe Herr veranstaltet auch Zahlenspiele und verkündet, daß 5.000 Anglizismen in einem Gesamtwortschatz des Deutschen von 500.000 Wörtern eine verschwindend geringe Menge sei.

Das ist leichtfertig dahergeredet. Abgesehen vom viel zu hoch veranschlagten Gesamtwortschatz des Deutschen gibt die bloße Zählung der Anglizismen keinen Aufschluß über deren tatsächliche Präsenz, ihr Gewicht und ihren Einfluß auf das Deutsche.

Bei dem als Tröstung gemeinten Verweis auf die Gesamtheit der deutschen Wörter stelle ich mir vor, die Wohnstube eines Bauern am Ufer der Elbe steht unter Wasser. Man beschwichtigt ihn mit dem Argument, nicht überall sei Hochwasser und die Landwirte in den übrigen 400.000 Höfen in Deutschland lebten im Trockenen. Oder einem Kneipenbesucher, der auf dem Heimweg von Schlägern verprügelt wird, erklärt man, die riesige Mehrheit der Bürger habe den Abend unbeschadet überstanden.

Sprachpflege heißt: Beschäftigung mit den skandalösen Einzelfällen. Wie das der Richter tut, der über einen Verkehrssünder urteilt, oder der Arzt im Rettungswagen, der ein Unfallopfer versorgt. Sprachpflege heißt auch, Maßnahmen zu ergreifen, die weitere Beschädigungen der Muttersprache verhindern. Niemand komme mit der Mär, Sprache sei "frei" und vertrage deshalb keine Regulierungen. Sprache braucht Regeln und wird reguliert. Wir denken an die Rechtschreibreform, eine Regelung leider der schlechten Art. Wir erinnern uns auch, daß uns von der Kindheit bis in den Beruf gesagt wird, wie wir zu sprechen und zu schreiben haben und wie nicht. Was gutes und schlechtes, richtiges und falsches Deutsch ist. Englische Brocken im Deutschen sind schlechtes Deutsch.


Die Bringschuld

Unter den Fachgelehrten der deutschen Sprache wird bisweilen die Frage erörtert, ob gut bezahlte Experten nicht eine "Bringschuld" zu leisten hätten, die dem sprachlichen Laien und damit der gemeinsamen Sprache zugute kommt. Ich meine, das ist so. Dabei wird es weniger darum gehen, daß Germanisten ihre wissenschaftliche Kompetenz einbringen, als daß sie ihre gesellschaftlich anerkannte Autorität nutzen. Wenn sie sich stark machen für die deutsche Sprache und öffentlich gegen deren Anglisierung protestieren, wird das Wirkung haben. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn Germanisten auf die Verbreitung fadenscheiniger Argumente zugunsten von Denglisch verzichten wollten.


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Quelle:
Sprachnachrichten Nr. 37/März 2008, Seite 5
Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und des Autors
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2008