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SPRACHE/708: Snacken im Norden (Portal/Uni Potsdam)


Portal - Das Potsdamer Universitätsmagazin 3/2010

Snacken im Norden
Germanisten nehmen norddeutschen Sprachraum ins Visier

Von Andreas Peter


Gerade erst ist mit Heidi Kabel nicht nur eine der letzten echten Volksschauspielerinnen verstorben, sondern zugleich auch der wohl bekannteste lebende Werbeträger eines Dialektes, der sich zwar großer Beliebtheit erfreut, aber genauso gefährdet ist wie viele andere: Plattdeutsch. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass in vielen Gegenden Norddeutschlands nach wie vor "Platt gesnackt" wird. Ein Wissenschaftlerteam um Joachim Gessinger, Professor für Geschichte der deutschen Sprache an der Universität Potsdam, hat in Zusammenarbeit mit fünf anderen Universitäten eine Studie begonnen, die die Alltagssprache in Norddeutschland untersucht. Die Gelder hierfür kommen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.


Plattdeutsch ist eine Sprache der Alten. Das kann man auch in Brandenburg beobachten, wo im Fläming, in der Prignitz und Uckermark noch immer zumeist ältere Einwohner Platt verwenden. Die berlinisch gefärbte Umgangssprache der jüngeren Generation haben sie nie angenommen. Allerdings ist auch bei ihnen eine Vermischung zwischen Nieder- und Hochdeutsch durchaus vorhanden.

Dass in einer Region unterschiedliche Dialekte gesprochen werden, hält Joachim Gessinger für völlig normal. Da macht Norddeutschland keine Ausnahme. Der Landstrich hat das Interesse der Sprachforscher geweckt, weil hier eine sprachwissenschaftliche Besonderheit vorliegt. Ursprünglich wurde hier nämlich ausschließlich Niederdeutsch, also Platt gesprochen. Im 15. bis 17. Jahrhundert hielt dann das Hochdeutsche Einzug, zunächst nur als Schriftsprache. Gesprochen wurde weiterhin Platt. Diese "mediale Diglossie", wie Gessinger die Ko-Existenz der beiden Sprachvariationen nennt, führte allerdings zu einem erheblichen Anpassungsdruck. Ergebnis war, so der Germanist, "die Ausbildung einer an der Schriftsprache orientierten norddeutschen Sprechsprache, die dann Ende des 19. Jahrhunderts im wesentlichen Grundlage der heute noch gültigen hochdeutschen Aussprachenorm wurde".

Aber wie wird heute in Norddeutschland gesprochen? Trennen die Bewohner Norddeutschlands bewusst oder unbewusst zwischen Situationen, in denen sie entweder Hoch- oder Niederdeutsch verwenden? Dies sind nur zwei von vielen Fragen, die mit der aufwändigen Studie beantwortet werden sollen und für die sich sechs deutsche Universitäten, darunter auch die hiesige, zusammengeschlossen haben.

"Um ein Bild des gesamten Sprachraums zu gewinnen, wurden Daten vieler Gewährspersonen von Ostpommern bis zum Niederrhein erhoben", erklärt Gessinger die gerade beendete umfangreiche Recherche. Zwei Jahre hat sie immerhin gedauert. Die Wissenschaftler der Universität Potsdam sind bei diesem Großprojekt für die Regionen Nord- und Mittelbrandenburg sowie Nordostfalen zuständig. Was die Forscher bisher erkundeten, ist nicht so sehr der einzelne Ortsdialekt in all seiner Tiefe. Vielmehr ging es darum, "Frauen mittleren Alters aus kleineren Orten nach ihrem Sprachwissen, ihren Spracherfahrungen und Spracheinstellungen zu befragen". Auch Aufnahmen spontanen Sprechens in Familiensituationen wurden hinzugezogen. "Zusammen mit biographischen Daten ergeben sich so reichhaltige und aussagekräftige Sprecherinnenprofile, die sich dann zu spezifischen, vergleichbaren Regionalprofilen verdichten lassen", so Gessinger. Warum nur Frauen befragt wurden, hat übrigens einen ganz einfachen Grund: In vergangenen Studien sind es fast ausschließlich Männer gewesen, die quasi als Forschungsobjekte dienten. Das sollte sich diesmal ändern. Außerdem, so ein Projektmitarbeiter, seien Frauen "sprachbewusster". Und da sie die Hauptlast der Kindererziehung schultern, seien sie es, die am besten die Frage beantworten könnten, inwieweit Plattdeutsch "weitervererbt" werde.

Noch liegt die Auswertung der Antworten nicht vor. Denn erst im März dieses Jahres endete die Datenerhebungsphase. Es wird deshalb noch etwas Zeit in Anspruch nehmen, bis alle Ergebnisse auf dem Tisch liegen. Eines aber gibt es schon jetzt: eine unschätzbar wertvolle Sprachdatenbank eines Dialektes, den man so sehr wahrscheinlich schon bald nicht mehr hören wird.


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Quelle:
Portal - Das Potsdamer Universitätsmagazin 3/2010, Seite 34
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2010