Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → LITERATUR

AKZENTE/104: Konzepte des afrikanischen Feminismus (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 100, 2/07

Kritische Distanz
Konzepte des afrikanischen Feminismus in Theorie und Literatur

Von Susan Arndt


In Abgrenzung zum westlichen und zum afrikanisch-amerikanischen Feminismus haben afrikanische Frauen Alternativkonzepte entwickelt. Eine Form davon ist der "afrikanische Feminismus", der sich u.a. auch auf literarischer Ebene niedergeschlagen hat.


"In vielen afrikanischen Sprachen gibt es kein Synonym für Feminismus im Sinne der westlichen Definition. Dennoch kennt und praktiziert die Mehrheit der Afrikanerinnen das Konzept von Gruppenaktivität unter Frauen, das auf der Idee des Gemeinwohls in sozialen, kulturellen, religiösen und politischen Angelegenheiten basiert." (Kolawole 1997, S. 27) Solche Frauenverbände bilden ein Fundament des afrikanischen Feminismus, ohne dass sie per se als feministisch gelten können. Hier finden Frauen u.a. bei familiären und finanziellen Problemen solidarische Unterstützung. Die Transformation bestehender Geschlechterverhältnisse gehörte jedoch nie zum erklärten Ziel dieser Verbände.


Differenzen zum westlichen Feminismus

Gleichzeitig waren der westliche und der afrikanisch-amerikanische Feminismus wichtige Katalysatoren des afrikanischen Feminismus, was wiederum ein Grund dafür ist, dass dem Feminismus als Konzept in Afrika auch mit kritischer Distanz begegnet wird. Nicht nur von jenen, die Transformationen in den Geschlechterverhältnissen für überflüssig halten. Auch Afrikanerinnen, die sich dieser Idee verpflichtet fühlen, können sich mit dem Feminismus nicht identifizieren, weil er eine Bewegung weißer Frauen ist. Die koloniale Vergangenheit wird von weißen westlichen Feministinnen weitgehend nicht reflektiert. Sie verhalten sich gegenüber gesellschaftlichen Prozessen und speziell frauenpolitischen Themen ignorant, paternalistisch, ja rassistisch. Spezifische Probleme und die Stimmen afrikanischer Frauen bleiben ignoriert oder marginalisiert. Viele weiße Feministinnen maßen sich gleichzeitig an, im Namen aller Frauen sprechen zu können und kleiden ihre eigenen Probleme in Metaphern, die Kolonialismus und Sklaverei verharmlosen. So etwa, wenn es immer wieder heißt: "Frauen sind die Sklaven der Welt". Gemeint sind dann weiße Frauen, und Schwarze Frauen als Opfer von Sklaverei und Rassismus einerseits und Geschlechterdiskriminierung andererseits bleiben ignoriert. Des Weiteren formulieren AfrikanerInnen auch inhaltliche Differenzen. Der Feminismus gilt als Bewegung, die Männer ausgrenzt und sich auf die Geschlechterfrage konzentriert. AfrikanerInnen wollen die Geschlechterverhältnisse jedoch zusammen mit Männern und im Kontext anderer gesellschaftlicher Probleme bekämpfen.

In den genannten Punkten gehen die AfrikanerInnen mit dem afrikanisch-amerikanischen Feminismus konform. Während seine Theoretikerinnen wie Angela Davis und bell hooks z.B. fordern, dass die Geschlechterverhältnisse im Kontext der Kategorien "Rasse" und Klasse diskutiert werden sollten, wollen AfrikanerInnen die Geschlechterverhältnisse jedoch komplexer betrachten, d.h. vor dem Hintergrund von Unterdrückungsmechanismen und gesellschaftlichen Problemen wie Rassismus, Neokolonialismus, (Kultur-)Imperialismus, sozial-ökonomischen Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmechanismen, religiösem Fundamentalismus sowie diktatorischen und/oder korrupten Systemen. Zudem werfen AfrikanerInnen auch den afrikanisch-amerikanischen FeministInnen vor, für alle Schwarzen Frauen sprechen zu wollen. Sie ignorierten die kulturell, gesellschaftlich, politisch und ökonomisch bedingten Unterschiede innerhalb der Community Schwarzer Frauen und vereinnahmten Afrikanerinnen ungefragt. Die Konsequenz ist, dass der Terminus Feminismus von vielen frauenpolitisch engagierten AfrikanerInnen abgelehnt wird.


Afrikanische Alternativkonzepte

Analog zu afrikanisch-amerikanischen Theoretikerinnen wie Alice Walker (Womanism, 1983) und Clenora Hudson-Weems (Africana Womanism, 1993) haben AfrikanerInnen deshalb nach terminologischen und konzeptuellen Alternativen für ihre Emanzipationsbestrebungen gesucht. Unabhängig von Walker entwickelte die Nigerianerin Chikwenye Ogunyemi ihr Konzept des 'womanism' (1985/86), das sie später 'African womanism' nennt. Molara Ogundipe-Leslie, ebenfalls aus Nigeria, prägte 1994 den Begriff 'stiwanism' (STIWA ist ein Akronym für Social Transformation Including Women in Africa). Diese afrikanischen Alternativkonzepte wollen eine autonome afrikanische Alternative zum weißen Feminismus begründen und dabei auch eigene Akzente im Vergleich zum afrikanisch-amerikanischen Feminismus setzen.

Aber es gibt auch AfrikanerInnen, die sich unumwunden als FeministInnen bezeichnen. Sie sehen in den Konzepten weißer Frauenbewegungen keine grundsätzlichen Unterschiede, sondern nur im Detail. Um diese Ambivalenz von Kongruenz und Differenz terminologisch zum Ausdruck zu bringen, sprechen sie von "afrikanischem Feminismus". Der afrikanische Feminismus ist eine Weltanschauung und Lebenshaltung von Frauen und Männern, die sich gegen gesellschaftliche Strukturen und Mächte auflehnen, die für die Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen - und auch Männern - verantwortlich sind. Afrikanische FeministInnen wägen ab, welche traditionellen Institutionen für Frauen positiv und welche nicht akzeptabel sind und daher abgeschafft werden sollten. Sie zeigen auf, wie Kolonialismus und Modernisierung die Geschlechterhierarchien zum Nachteil von Frauen verändert haben, benennen aber gleichzeitig auch die für Frauen positiven Folgen der Modernisierung. Letztlich ist der afrikanische Feminismus aber nur ein Konstrukt. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlichster Facetten und Spielarten, was sich deutlich auch am Beispiel der afrikanisch-feministischen Literatur zeigt. In ihr sind drei Strömungen zu unterscheiden: die reformerische, die transformatorische und die radikale.


Literarische Strömungen

Reformerische Schriftstellerinnen akzeptieren die patriarchale Grundausrichtung ihrer Gesellschaft als etwas Gegebenes und verhandeln mit dieser über neue Spielräume für Frauen. Eingeforderte Veränderungen werden als realisierbar beschrieben. Der Text schließt meist mit einem versöhnlerischen "Happy End". Efuru (1966) von Flora Nwapa (Nigeria), der Pionierroman des afrikanischen Feminismus, ist ein Beispiel für den reformerischen Feminismus. Polygynie und Beschneidung werden darin nicht nur unkritisch gesehen, sondern sogar idealisiert. Die Geschlechterverhältnisse werden jedoch insofern kritisiert, als offensiv angemahnt wird, dass Frauen sich nicht auf die Rolle als Mütter und Ehefrauen reduzieren lassen sollten. Andere Vertreterinnen dieser Strömung sind Grace Ogot (Kenia) und Sindiwe Magona (Südafrika).

Literarische Texte, die dem transformatorischen und dem radikalen Feminismus zuzuordnen sind, üben im Gegensatz dazu prinzipielle Kritik an den patriarchalen Gesellschaftsverhältnissen und fordern deren grundlegende Umgestaltung. Diskriminierendes Verhalten von Männern wird als typisch für Männer als soziale Gruppe beschrieben und scharf kritisiert. Ein Unterschied zwischen transformatorischen und radikalen Texten besteht darin, dass transformatorische Texte an die Möglichkeit der Veränderung von Geschlechterverhältnissen glauben. Die meisten afrikanisch-feministischen Texte gehören dieser transformatorischen Strömung an. Die wichtigsten Vertreterinnen sind Buchi Emecheta (Nigeria), Ama Ata Aidoo (Ghana), Bessie Head (Südafrika/Botswana), Miriam Tlali (Südafrika) und Mariama Bâ (Senegal). Die radikale afrikanisch-feministische Literatur schließlich verneint jede Aussicht auf eine Transformation geschlechtsspezifischer Hierarchien. In diesen Texten wird, wie z.B. in den Romanen von Nawal El Saadawi (Ägypten) und Calixthe Beyala (Kamerun), der Mann als Feind der Frauen dargestellt. Viele dieser Romane enden damit, dass ein Mann, der die Diskriminierung von Frauen verkörpert, von der Protagonistin ermordet oder kastriert wird, oder aber die Protagonistin erliegt der Gewalt und Brutalität von Männern.

Mit ihrer Heterogenität reagiert die afrikanisch-feministische Literatur auf die Existenz verschiedener gesellschaftlicher Gegebenheiten und unterschiedlicher individueller Prägungen und Vorstellungen einzelner Persönlichkeiten.


*


Literatur:

Arndt, Susan: Feminismus im Widerstreit: Afrikanischer Feminismus in Literatur und Gesellschaft (Münster 2000).
Kolawole, Mary E. Modupe: Womanism and African consciousness (Trenton 1997).
Nnaemeka, Obioma (Ed.): Sisterhood, feminisms and power: from Africa to diaspora (Trenton 1998).
Ogundipe-Leslie, Molara: Stiwanism: feminism in an African context. In: Dies.: Re-creating ourselves: African women and critical transformations (Trenton 1994) 207-241.
Ogunyemi, Chikwenye Okonjo: Africa wo/man palava: the Nigerian novel by women (Chicago 1996).

Zur Autorin:
Susan Arndt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Frankfurt am Main. Sie forscht und lehrt zu afrikanischen Literaturen, Feminismus und Gender in Afrika, Rassismus und Kritische Weißseinsforschung sowie Europa und Diaspora.


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 100, 2/2007, S. 10-11
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Abonnement: Inland 20,- Euro; Ausland 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2007