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BERICHT/040: Weibliche Stimmen aus Korea (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 93, 3/05

Weibliche Stimmen aus Korea

Waltraud Zirngast


Südkorea ist das Gastland bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Aus diesem Anlass wurden auf Einladung der Frauensolidarität drei prominente koreanische Schriftstellerinnen im Wiener Literaturhaus vorgestellt. Die Gastlesung von Oh Jung- Hee, Sin Kyongsuk und Bae Su-Ah bewies eindrucksvoll, wie lohnenswert eine Entdeckungsreise in die koreanische Literaturlandschaft ist.


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SchriftstellerInnen genießen in Korea hohes gesellschaftliches Ansehen. Autorinnen sind im zeitgenössischen literarischen Leben ebenso zahlreich und prominent vertreten wie Autoren. Die Tradition dichterisch tätiger Frauen lässt sich dabei mehr als tausend Jahre zurückverfolgen. Allerdings wurde das Schaffen von Frauen bis in die jüngste Vergangenheit bloß als schöngeistige Tätigkeit im privaten Raum akzeptiert und erst seit den 70er Jahren können Autorinnen ihr Schreiben tatsächlich auch zum Beruf machen.

Dass Frauen ihre neuen Möglichkeiten zu nutzen wissen, zeigt sich allein darin, dass schon die 90er Jahre als "Zeit weiblicher Autorinnen" gelten, in der sie nicht nur die Bestsellerlisten anführen, sondern auch die wichtigsten literarischen Auszeichnungen des Landes erringen.

Einer besonderen Form von "Frauenliteratur" fühlen sich koreanische Autorinnen - so die Aussagen von Oh Jung-Hee und Sin Kyongsuk - nicht verbunden.

"Ich bin eine Frau und schreibe vor allem über Dinge, die ich sehr gut kenne. Das hat dazu geführt, dass in meinen Romanen sehr häufig Frauen vorkommen. ich habe aber nicht den Hintergedanken gehabt, dass ich eine Frauenliteratur schreibe. (...) Allein schon, dass man `Frauenliteratur' sagt, ist eine Diskriminierung. Man sagt damit, hier ist die Literatur und hier ist die Frauenliteratur. Aber es gibt ja nur Männer und Frauen." (Frau Oh)

Oh Jung-Hee

Oh Jung-Hee, die 1947 in Nordkorea geboren wurde, gilt als eine der wichtigsten literarischen Stimmen Koreas. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt in der Porträtierung von Frauen, die, gefesselt im Alltag familiärer Verpflichtungen, eine tiefgründige Einsamkeit und Entfremdung erleiden.

Im Wiener Literaturhaus hat die Autorin aus ihrem Roman "Vögel" gelesen. Darin beschreibt sie eine städtische Lebenswelt, die von Armut, Gewalt und sozialer Kälte geprägt ist. Der Text wird aus der Perspektive eines Mädchens erzählt, welches zwar den Launen und der Macht ihrer (männlichen) Umwelt ausgesetzt ist, diese aber nicht nur durchschaut, sondern sich letztlich auch in ihr zu behaupten versteht. Die Ich-Erzählerin ist zwölf Jahre alt, als der Vater sie und ihren Bruder abholt, um beide allein in einem Mietshaus am Stadtrand von Seoul zurückzulassen. Das Mädchen kommentiert das - und dies ist kennzeichnend für den ganzen Text - vollkommen illusionslos und entzieht sich den äußeren Gewaltverhältnissen durch Rückzug auf eine eigene Vorstellungswelt.

"Mit seiner großen und groben Hand wühlte Vater unsere Haare durcheinander und fragte, ob es uns gut gegangen sei, ob wir ihn nicht vermisst hätten, und lachte laut dabei. Aber ich wurde ganz rot, ich wusste nämlich nicht so recht, ob es uns gut gegangen war und ob wir ihn vermisst hatten.

Statt zu antworten, schaute ich durch die Haare, die er in Unordnung gebracht hatte und die mir nun in die Stirn fielen, nach draußen. Durch die geöffnete Zimmertür betrachtete ich, was sich draußen der Diele gegenüber den Augen bot. An der Mülltonne, die noch nicht auf die Straße geschafft worden war und zum Überlaufen voll in der Hofecke stand, sah ich eine Maus stöbern und schnell wieder weglaufen."

Im Erleben der beiden Kinder vermischen sich Realität und Traumsequenzen zunehmend. Aller entwürdigenden sozialen Realitäten zum Trotz ist es aber gerade ihre innere Vorstellungswelt, die ihnen menschliche Würde und Integrität sichert.

Sin Kyongsuk

Eine andere besonders anerkannte Autorin ist Sin Kyongsuk. "Das Zimmer im Abseits" ist ihr erster Roman, der in deutscher Sprache erschienen ist. Darin erzählt sie ihre eigene Jugend in den 70er Jahren und wie sie mit 16 Jahren vom Land nach Seoul geht, um in einer Elektronikfabrik zu arbeiten. Tagsüber arbeitet die junge Frau am Fließband und nach der Arbeit besucht sie die Abendschule. Mit zwei Brüdern und einer Kusine teilt sie ein winziges "Zimmer im Abseits".

Das Werk beschreibt eine Phase koreanischer Zeitgeschichte, in der sich der Aufstieg von einem der ärmsten Länder der Weit zur modernen Industrienation vollzog. Es war dies freilich eine Entwicklung, die Millionen von Menschen mit unvorstellbar ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und politischer Repression bezahlen mussten. Der Text geht jedoch weit über eine rückblickende sozialrealistische Milieuschilderung hinaus und beschreibt den schmerzhaften Prozess persönlichen Erinnerns an jene Zeit, von der in Korea heute niemand mehr etwas wissen will.

Die lyrische Sprache Sin Kyongsuks hat einen empfindsam- distanzierten Grundton, der mit Recht gerühmt wird. Besonders intensiv tritt dieser Ton in den Schilderungen ihrer Freundinnenschaften hervor:

"Die Kusine, die als erste zu tanzen begonnen hat, schnappt nach Luft und fällt auf die Binsenmatte. Ich setze mich zu ihr und Hi- Chae zu mir. Der Nachtwind wischt uns den Schweiß von der Stirn. Dass wir uns die Hände gegenseitig auf die Schultern legen und zusammenrücken, als umarmten wir uns, liegt wohl daran, dass uns kalt ist. So sitzen wir lange. Schulter an Schulter bleiben wir sitzen und nicht weit von uns donnern die Stahlräder der letzten Bahn vorbei. Der schwarze Mond, der auf dem Schornstein des Design-Verpackungs-Centers hockt, zeigt nun sein klares Gesicht. 'Der Schatten des gefrorenen Mondes (...) fällt auf die Wellen (...) Eine kleine Insel gegen die die wilden Wogen im Winter anbranden (...) Denkt an die große und herzliche Liebe des Leuchtturmwärters (...) Wir sind drei Monde [1]. Als wir singen, steigt in uns ein warmes Gefühl auf, das Gefühl, etwas Wunderbares miteinander geteilt zu haben."

Bae Su-Ah

Die dritte koreanische Autorin, die sich dem Wiener Lesepublikum vorstellte, ist Bae Su-Ah. Ihr Schreibstil ist ganz anders und wird in Korea zuweilen als Provokation empfunden. Man kritisiert, dass ihr Werk keinerlei Respekt vor traditionellen Ausdrucksweisen zeige und lediglich aus abgebrochenen Bilderfolgen bestehe. Doch gerade dadurch wird in den Texten eine postmoderne Grundstimmung nachempfunden, welche die meist jungen ProtagonistInnen scheinbar ziellos durchs Leben treiben lässt. Für sie scheinen der Wertekanon ihrer Elterngeneration und die Frage nach einem tieferen Sinn im Leben völlig bedeutungslos geworden zu sein.

In ihrer Erzählung "Ein Rudel schwarzer Wölfe" wird aber hinter der Kulisse eines "hochsommerlichen Vergnügungsparks" zugleich eine geheimnisvolle Bedrohung erkenntlich. Die Ich-Erzählerin geht dem Verschwinden eines Wolfsgeheges, das in ihrer Kindheit noch eine besondere Attraktion des Parks darstellte, nach. Auf eine geheimnisvolle Weise stehen diese Wölfe mit dem Schicksal ihres verschwundenen Bruder in Verbindung, wobei das Bild der entlaufenen Wölfe unterschiedliche Deutungen zulässt: auf einer individuellen Ebene als Bild für die existenzielle Lebensunsicherheit einer nur scheinbar selbstgewissen neuen Generation-, auf einer kollektiven Ebene als Bild einer Gesellschaft, welche die Schattenseiten einer kapitalistischen Konsumwelt nur sehr oberflächlich zu verdrängen vermag. Es ist dies eben eine Welt, in der es "schwarze Löcher gibt":

"Obgleich das Aussehen der Menschen oder der Schaufensterpuppen oder das heiße Sonnenlicht sich gar nicht verändern, kommt das, was damit geschieht und wie man das auffasst, einem völlig anders vor. Die Innen- und die Außenseite eines Hutes sind verschieden. Das verschwundene Rudel schwarzer Wölfe, der in der Zeitung nicht erwähnte Todesfall entzogen sich meiner Kenntnis. Wäre der Tote ein Mafiaboss oder eine schöne Filmschauspielern gewesen, hätte der Fall anders gelegen. Niemand aber erwähnte den Plattenleger. Bei einer Schuhreklame verhält es sich auch so. Die Herstellung der Schuhe und die Werbung für das neue Modell sind wie die Innen- und Außenseite eines Hutes. Ab und zu spüre ich plötzlich, dass die immer gleich aussehende Welt um mich herum fremd und unvertraut ist."

Die Literatur koreanischer Autorinnen bietet also weit mehr als die Beschreibung einer uns fremden asiatischen Kultur und Gesellschaft. In der Thematisierung menschlicher Identitätssuche in modernen (und postmodernen) Gesellschaften könnten die Erzählungen im europäischen Kontext eigentlich aktueller nicht sein.


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Literatur:

Oh, Jung-Hee:
Vögel (Bielefeld 2002).

Sin, Kyongsuk:
Das Zimmer im Abseits (Bielefeld 2001).

Bae, Su-Ah:
Ein Rudel schwarzer (Wölfe. In:
Ahn, Sohyun; Kang, Heidi (Hginnen): Ein ganz einfaches
gepunktetes Kleid. Moderne Erzählungen koreanischer
Frauen (Bielefeld 2004).

Zur Autorin:

Waltraud Zirngast ist Historikerin und Lehrerin. Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 93, 3/05, S. 24-25
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

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