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FRAGEN/010: Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 106, 4/08

Stets offene Augen und Ohren!
Eine deutsche Gesellschaft fördert Literatur und Autorinnen
aus Afrika, Asien und Lateinamerika

Interview mit Anita Djafari


Anita Djafari, Chefredakteurin der LiteraturNachrichten und langjährige Aktivistin von "litprom - Gesellschaft zur Förderung von Literatur in Afrika, Lateinamerika und Asien", erzählt im Interview mit Helga Neumayer über die Intentionen ihres Vereins, über Trends in der deutschsprachigen Literaturrezeption, über die Wichtigkeit von Literaturpreisen für die Nachwuchsautorinnenschaft und kommt zu dem Schluss, dass Literatur immer noch das beste Mittel zum Verstehen des "Fremden" ist.


FRAGE: Die Zeitschrift LiteraturNachrichten beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Literatur aus dem Süden. Wie kommen Sie an die Informationen?

ANITA DJAFARI: Die Zeitschrift ist entstanden aus der Arbeit der 1980 gegründeten gemeinnützigen Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika, heute kurz 'litprom' genannt. Peter Ripken, der 20 Jahre lang ihr Geschäftsführer war, hat sie entwickelt. Von ihm habe ich vor gut einem Jahr nach seinem Wechsel in den Ruhestand die Chefredaktion übernommen. Und damit auch einen Großteil der "InformantInnen", d.h. es gibt eine große Anzahl freier MitarbeiterInnen im Umkreis von 'litprom', alles im Laufe der vielen Jahre gewachsene Kontakte, von ProfessorInnen bis StudentInnen, JournalistInnen, ÜbersetzerInnen und Scouts, die häufig großes Spezialwissen haben und die in einzelnen Literaturen und Regionen regelrecht zu Hause sind. Und da 'litprom' inzwischen die Anlaufstelle ist für alle an dieser Literatur Interessierten, kommen ständig neue Kontakte hinzu. Mein wichtigstes Arbeitsinstrument sind stets offene Ohren und Augen.

FRAGE: Welche Rolle spielen Frauen in der Literatur des Südens in der Rückschau auf das letzte Vierteljahrhundert? Gibt es Trends?

ANITA DJAFARI: Das ist eine schwierige Frage. Ich habe ja in der vorletzten Ausgabe ein Themenheft gemacht: Frauen schreiben(1). Und hätte selbst noch vor kurzem gedacht, so etwas sei heutzutage nun wirklich nicht mehr nötig. Mir ist aber aufgefallen, dass die Zahl der Autorinnen aus Afrika, Asien und Lateinamerika noch immer deutlich geringer ist als die ihrer männlichen Kollegen und fand das beim näheren Hingucken auch bestätigt, ohne dass ich das anhand extra durchgeführter Recherchen belegen könnte. Und auch in den Gesprächen und Porträts der vorgestellten Autorinnen wurde deutlich, dass Schreiben für Frauen keineswegs überall eine Selbstverständlichkeit ist.

Anders verhält es sich vielleicht mit der Rezeption, zumindest hierzulande kann der Eindruck entstehen, dass afrikanische Schriftstellerinnen einen Bonus gegenüber ihren männlichen Kollegen haben, ihre Themen sind vielleicht zugänglicher, alltäglicher, näher an unseren Problemen.

FRAGE: Wie ist der Weg vom Schreiben zum Verlag? Und von dort zum internationalen Vertrieb?

ANITA DJAFARI: Ich glaube, der Weg vom Manuskript zum Verlag ist mehr oder weniger überall der gleiche, und davon können sämtliche Autoren und Autorinnen auf dieser Welt ein ziemlich ähnliches Lied singen.

Die Verlagslandschaft ist in den einzelnen Kontinenten so unterschiedlich, dass sich da keine allgemein gültigen Aussagen treffen lassen. In Lateinamerika z. B. haben die spanischsprachigen Konzerne die Oberhand, wer da landet, hat einen anderen Zugang zum internationalen Markt als diejenige, die bei einem kleinen unabhängigen Verlag veröffentlicht wird. Und in Afrika führt der Erfolgsweg wohl über Europa.

FRAGE: Wer wird als Literatin akzeptiert? Wieviele Autorinnen überleben den langen Weg?

ANITA DJAFARI: Diese Fragen kann ich beim besten Willen nicht in Zahlen beantworten. Wenn wir uns Autorinnen aus Afrika anschauen, sind es nur sehr wenige, die uns hier auffallen bzw. bei uns ankommen. Oft sind es die Frauen, die ohnehin teilweise in Europa, in Deutschland, England, Frankreich oder Holland leben. Viele bleiben aber auch ohne den Erfolg in Europa dran.

FRAGE: Welche Rolle spielen Literaturpreise zur Erkennung und Förderung des Autorinnen-Nachwuchses?

ANITA DJAFARI: Sie spielen ganz sicher eine große Rolle, wobei es hier wie dort zutrifft, dass die Anerkennung und die finanzielle Zuwendung hochwillkommen sind, sich aber allein deshalb niemand als Schriftstellerin weiterentwickelt. Nicht umsonst haben wir in unserer Zeitschrift LiteraturNachrichten immer eine Rubrik "Preise", die über zwei Seiten geht. Sie dienen auch den Verlagen und Agenturen als Orientierung und geben Hinweise auf noch zu entdeckende Autorinnen.

FRAGE: Welche Auswirkungen hat der nun seit über 20 Jahren verliehene LiBeraturpreis(2), der ausschließlich Autorinnen zugute kommt?

ANITA DJAFARI: Auch hier hätte ich gedacht, dass er irgendwann nicht mehr nötig sein würde. Aber der LiBeraturpreis ist inzwischen eine im Literaturbetrieb anerkannte Institution, die noch lange nicht wegzudenken ist. Immerhin war die zweite Preisträgerin die algerische Autorin Assia Djebar im Jahr 1989, als sie hier noch völlig unbekannt war. Viele Jahre später hat sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen, und es liegen zahlreiche Bücher in Übersetzung vor. Nicht für alle ausgezeichneten Autorinnen hat das so gut geklappt, aber eine gewisse Aufmerksamkeit ist ihnen durch die Verleihung des Preises immer gewiss.

FRAGE: Gibt es im deutschsprachigen Bereich einen Trend zur Annahme von Literatur aus dem Süden?

ANITA DJAFARI: Davon bin ich fest überzeugt. Wir können nicht mehr darüber klagen wie noch vor einigen Jahren, dass das Feuilleton die Literaturen des Südens ignoriert, da hat sich viel bewegt. Es gibt immer mehr RezensentInnen, die sehr ausführliche und kluge, kundige Besprechungen schreiben und dafür auch den Platz bekommen. Aber das heißt nicht, dass unsere Bemühungen deshalb nachlassen dürften. Wir von litprom etablieren z. B. gerade eine Bestenliste mit dem schönen Namen Weltempfänger, die Anfang Dezember zum ersten Mal veröffentlicht wird. Darauf werden vierteljährlich sieben beste Bücher in Übersetzung aus Afrika, Asien und Lateinamerika vorgestellt werden. Die Bestenliste soll vor allem auch dem breiten Publikum und dem Buchhandel eine Orientierungshilfe sein, und zwar kontinuierlich. Die Ehrengastauftritte einzelner Länder wie Indien oder Korea in den letzten Jahren mit ihren vielen Neuerscheinungen sind leider oft wie Feuerwerke, die viel zu schnell wieder abgebrannt sind. Trotzdem freuen wir uns schon jetzt auf das Gastland China im nächsten Jahr und danach Argentinien, weil jede Form von Öffentlichkeit letztendlich hilft.

FRAGE: Haben neue Medien etwas verändert im Literaturgeschehen von Frauen? Gibt es eine Vision?

ANITA DJAFARI: Durch die Digitalisierung ist soviel im Umbruch, da wage ich keine Prognose. Ganz sicher rücken wir global gesehen immer näher zusammen, das gilt auch für die Literaturen. Es gibt ja immer mal wieder ganz tolle Austauschprogramme für SchriftstellerInnen zwischen Ost und West, Nord und Süd. Ich kann mir gar nichts anderes vorstellen, als dass die Literaturen des Südens, wie sie manchmal auch missverständlich genannt werden, immer wichtiger werden und bei uns immer mehr Aufmerksamkeit finden. Und dass der Brückenschlag zwischen den Kulturen besser gelingt, daran arbeiten wir. Immerhin ist die Literatur noch immer eines der besten Mittel, das andere, vermeintlich Fremde, das so fern schon längst nicht mehr ist, zu verstehen.


Anmerkungen:

(1) Frauen schreiben (=LiteraturNachrichten 97, Frankfurt am Main 2008) - www.litprom.de.

(2) Der LiBeraturpreis (www.liberaturpreis.org) wurde 1987 gestiftet, um dem deutschsprachigen Publikum Literatur aus Lateinamerika, Asien und Afrika näher zu bringen. Er wird ausschließlich an Frauen verliehen, "da es Autorinnen aus 'Ländern des Südens' oft noch schwerer als ihre Kollegen haben, wahrgenommen zu werden" (www.litprom.de). Preisträgerinnen waren u. a. Assia Djebar (Algerien), Bapsi Sidhwa (Pakistan) und Edwidge Danticat (Haiti). Seit 2001 verfolgt der Verein LiBeraturpreis das Projekt "Förderpreis" mit dem Ziel, Autorinnen für den deutschsprachigen Raum zu "entdecken". Der Förderpreis wird an eine Autorin vergeben, deren Texte noch nicht in deutscher Sprache vorliegen. Vorgeschlagen wird sie jeweils von einer der LiBeratur-Preisträgerinnen mit dem Ziel, eine Veröffentlichung auf Deutsch zu ermöglichen. Der Förderpreis ist mit einer Einladung zur Leipziger Buchmesse verbunden. Die bisherigen Preisträgerinnen waren Mirta Yañez (Kuba), Yanick Lahens (Haiti), Spôjmaï Zariâb (Afghanistan), Lee Hye-Kong (Korea) und Tanella Boni (Elfenbeinküste).


Zur Interviewpartnerin:

Anita Djafari ist seit Anbeginn Mitglied von "litprom - Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika". Sie arbeitete lange Zeit als Übersetzerin, Lektorin und Organisatorin von literarischen Veranstaltungen und war aktives Mitglied von litprom. Neben der Chefredaktion, die sie seit 2007 innehat, ist sie auch für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von litprom zuständig. Sie ist außerdem Gründungsmitglied des LiBeraturpreises und hat fünf Jahre lang den LiBeratur-Förderpreis organisiert. Sie lebt in Wehrheim/Taunus bei Frankfurt.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 106, 4/2008, S. 8-9
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2009