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BUCHTIP/1012: "Der Kampf zwischen Mensch und Mikrobe" (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 3/2006

Blitzkrieg der Viren

Von Christina Beck


Stefan H. E. Kaufmann,
Der Kampf zwischen Mensch und Mikrobe,
2-CD-Set, 120 Minuten, Booklet, 20 Seiten,
Supposé Verlag, Köln 2006, 24,80 Euro.


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Stellen Sie sich vor, jede Stunde stürzt ein Jumbo Jet mit 450 Passagieren ab - das sind die Todeszahlen, die für HIV und Tuberkulose gelten", beschreibt Stefan H. E. Kaufmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, die aktuelle Situation. Seine Forschungen gelten schon seit Jahren der Suche nach einem wirksamen Impfstoff gegen die Tuberkulose. Auf zwei Hör-CDs erläutert der renommierte Immunologe die Grundzüge unseres Immunsystems, beschreibt die Gefahr, die nach wie vor von den drei großen Seuchen AIDS, Malaria und Tuberkulose ausgeht und erklärt die Ansätze zur Entwicklung einer neuen Generation von Impfstoffen. Auf der ersten CD nimmt Kaufmann den Zuhörer mit auf eine Reise in die Vergangenheit: Sie beginnt 100 vor Christus bei Mitritates. Kaufmann spinnt den Faden über das Mittelalter bis in die Neuzeit. Er erzählt von Edward Jenner, dem englischen Landarzt, der die erste Impfung gegen die Pocken durchführt, und natürlich von Louis Pasteur, dem Vater der Impfung. Dessen Entdeckung, dass man Mikroorganismen in ihrer krankmachenden Wirkung abschwächen (attenuieren) kann, wird Teil der Impfstrategie. Und so entstehen gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Impfstoffe gegen Tollwut und Milzbrand.

Den Milzbrand-Erreger konnte Robert Koch zuvor erfolgreich isolieren. Die von ihm dabei entwickelten Methoden der Reinkultur, der mikroskopischen Fotografie und der Färbung von Bakterien bilden auch heute noch die Grundlagen für die medizinische Mikrobiologie. Angereichert mit kleinen Anekdoten ist dies ein äußerst kurzweiliger Exkurs durch die Geschichte der Immunologie.

Auch Emil Behring und Paul Ehrlich arbeiten bei Koch im Labor. Sie kommen zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Antikörpern auf die Spur, den Trägern der spezifischen Immunität. Hier nun wagt Stefan H. E. Kaufmann den Schritt in die molekularen Details: Er macht den Zuhörer mit Antikörpern, Fresszellen und T-Zellen und ihren Referenzstrukturen, den MHC-Molekülen, bekannt und erklärt den Unterschied zwischen der spezifischen und der unspezifischen Immunantwort. Die Ausführungen verlangen vom Zuhörer viel Konzentration, denn die Zusammenhänge sind äußerst komplex - man hätte sich an dieser Stelle etwas visuelle Unterstützung durch das dazugehörige Booklet gewünscht.

Wo immer Antikörper für den Schutz verantwortlich sind, ist es auch möglich, einen Impfstoff zu entwickeln. Allerdings gibt es eine Reihe von Krankheitserregern, die in den Wirtszellen des Körpers verschwinden und von Antikörpern nicht mehr angegriffen werden können. Tatsächlich haben Mikroorganismen innerhalb ihrer drei Milliarden Jahre Entwicklungszeit eine Vielfalt von Strategien hervorgebracht, um die Abwehr ihres Wirts zu überwinden.

Der Max-Planck-Forscher scheut keine plakativen Bilder - er spricht von Blitzkrieg, Grabenkampf, Guerilla-Kampf und Bürgerkrieg, wenn er das Kräftemessen zwischen Mensch und Mikrobe beschreibt. Seine Schlagwörter sind ebenso eingängig wie treffend. Und er offenbart, wo das Hauptaugenmerk bei der Entwicklung neuer Impfstoffe liegt: auf der stärkeren Aktivierung der T-Zellen.

Fünf bis sechs Millionen Tote verursachen die drei großen Seuchen AIDS, Malaria und Tuberkulose jedes Jahr - ein Impfstoff ist dringender nötig denn je, so Kaufmann auf der zweiten CD. Hier widmet er sich dem gesellschaftlichen Nutzen und der Akzeptanz von Impfstoffen. Er lässt keinen Zweifel daran, dass Impfungen nach wie vor die kostengünstigste Maßnahme sind: Für jeden Euro, der in eine Impfung gegen Masern/Tetanus/Diphterie investiert wird, werden 10 bis 20 Euro an Arzt- und Pflegekosten eingespart. Und er kritisiert die Impfmüdigkeit in unserer Gesellschaft: Aus Sicht des erfahrenen Immunologen eine verheerende Entwicklung. 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung müssten einen Impfschutz haben, damit es nicht zu Impflücken kommt.

Kaufmann beschreibt auch die andauernde Bedrohung durch Seuchen. Jedes Jahr erleben wir einen Seuchenausbruch, jüngstes Beispiel: die Vogelgrippe. Dass dieser Erreger vom Tier auf den Menschen überspringt, steht für den Infektionsbiologen außer Zweifel: "Es ist keine Frage, ob es geschieht, sondern wann", erklärt der Forscher. Doch anders als bei einer chronischen Infektionskrankheit wie HIV, die erst nach Jahren bei dem Infizierten ausbricht und von diesem vorher unerkannt überall hin verbreitet wird, hält Kaufmann die Vogelgrippe für kontrollierbar. Allerdings wird es ein Wettlauf mit der Zeit, denn die Produktion eines neuen Impfstoffs dauert in der Regel sechs bis acht Monate. Der Forscher fordert deshalb einen globalen Notfallplan und natürlich eine offene Informationspolitik seitens der betroffenen Staaten.

Am Ende gibt sich Kaufmann ganz pragmatisch. Er weiß, dass die Gewinnmargen bei Impfstoffen gering sind und fordert deshalb ein Zwei-Preis-System (ähnlich wie es von den afrikanischen Ländern für AIDS-Medikamente ausgehandelt wurde), Steuervergünstigungen und eine staatlich garantierte Abnahme, um bei der Industrie Anreize für ein verstärktes Engagement in der Impf-stoffentwicklung zu schaffen. In seinem Schlussplädoyer zitiert er den französischen Schriftsteller und Philosophen Voltaire: "Wir sind verantwortlich für das, was wir tun, aber auch für das, was wir nicht tun."


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 3/2006, S. 74-75
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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