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BUCHTIP/1015: Rhetorik und Geschlechterdifferenz (idw)


Westfaelische Wilhelms-Universität Münster - 28.12.2006

Männer sind noch immer die Norm

Germanistin der WWU MÜnster widerspricht der Gender-Neutralität der Rhetorik


Natürlich reden Frauen anders als Männer. Natürlich? In den Genen liegt der Unterschied nicht, da ist sich Prof. Dr. Martina Wagner- Egelhaaf sicher. Die Germanistin der WWU Münster mit dem Schwerpunkt Rhetorik hat jetzt gemeinsam mit Dr. Doerte Bischoff unter dem Titel "Mitsprache, Rederecht, Stimmgewalt" den zweiten Sammelband zum Thema "Rhetorik und Geschlechterdifferenz" vorgelegt. Der Band dokumentiert die Vorträge, die auf der über den Frauenförderpreis der WWU finanzierten Internationalen Sommerschule im August 2004 gehalten wurden, ergänzt um einige weitere Beiträge zum Thema. Im Mittelpunkt steht die öffentliche Rede, also ein Bereich, der jahrtausendelang traditionell den Männern vorbehalten war. Dabei entlarven die Autorinnen und Autoren die lange behauptete Gender-Neutralität der Rhetorik als Trugschluss.

Noch immer werden Frauen als Rednerinnen anders wahrgenommen als Männer. Das haben nicht zuletzt die aktuellen Debatten um die Kanzlerinnenschaft von Angela Merkel gezeigt. Auch die Tatsache, dass die Uni Münster von einer Rektorin gelenkt wird, wird noch lange nicht als selbstverständlich hingenommen. "Männliches Verhalten ist noch immer die Norm, alles, was davon abweicht, gilt alsAusnahme oder Sonderfall", erklärt Wagner-Egelhaaf. So wurden, als die ersten weiblichen Abgeordneten in der Weimarer Nationalversammlung das Wort ergriffen, deren "zu hohe", "hysterische" Stimmen kritisiert. Sie waren einfach unvertraut für die an männliches Brummen gewöhnten Ohren.

Noch heute lernen Rundfunksprecherinnen in der Sprechausbildung als erstes, ihre Stimmen zu senken. Auch wenn Frauen heutzutage in allen Lebensbereichen vertreten sind, sie werden mit Argwohn beobachtet. Moderatorinnen im Fernsehen, zumal in scheinbar männlich dominierten Themengebieten wie dem Polittalk, ließen den FAZ-Redakteur Frank Schirrmacher bereits eine "Männerdämmerung" befürchten. "Frauen können ihr Geschlecht nicht einfach abstreifen, auch wenn sie es wollen. Sie werden immer als Frauen wahrgenommen, egal wie sie sich verhalten. Aber damit kann man ja auch spielen", erläutert Wagner- Egelhaaf. Insgesamt habe eine zunehmende Präsenz von Frauen im öffentlichen Leben aber allmählich nicht nur eine Veränderung der Rede-, sondern auch der Wahrnehmungskultur zur Folge.

Dass es keine Geschlechtsneutralität gibt, bedeutet nicht, dass Verhalten und Wahrnehmung unveränderbar feststehen. Anthropologische Studien beweisen, dass Redeweise und Gehört-Werden je nach Kultur ganz unterschiedlich ausgeprägt sind und dass sich die Normen verändern können. Ganz im Sinne von Wagner-Egelhaaf, die Rhetorik auch als Inventar zur Beschreibung von Verhaltensweisen versteht: "Rhetorik ist für mich ein Mittel der Kulturanalyse, mit rhetorischem Wissen kann ich analysieren, welche gedanklichen Strategien hinter kulturellen Erscheinungen und Formen stecken."

Dass Frauen in großen Runden eher abwarten, bis sie an die Reihe kommen, während Männer häufig einfach das Wort ergreifen, dass Frauen eher "wir" als "ich" sagen, dass sie sich eher für das Gelingen eines Gespräches verantwortlich fühlen als dass sie ihre eigene Position vertreten und durchsetzen wollen - das alles sind Verhaltensweisen, die sich nur aufbrechen lassen, wenn man sie durchschaut hat. "Frauen können an Souveränität gewinnen, wenn sie lernen, auch männliche Register zu ziehen. Je vielfältiger man agieren kann, desto mehr Stärke gewinnt man", meint Wagner-Egelhaaf. "Umgekehrt wäre es deshalb auch nicht schlecht, wenn Männer eher weibliche Verhaltensweisen lernen würden - zum Beispiel, sich auf ihre Vorredner oder -rednerinnen beziehen", sagt sie.

In ihren Lehrveranstaltungen zu "Rhetorik und Geschlecht" überwiegen noch die Studentinnen. Doch die Zahl der Männer nimmt stetig zu. "Glücklicherweise ist das Interesse an Gender-Fragen heute nicht mehr nur eine Sache der Frauen", resümiert Wagner-Egelhaaf zufrieden.

Mitsprache, Rederecht, Stimmgewalt.
Genderkritische Strategien und Transformationen
der Rhetorik Doerte Bischoff,
Martina Wagner-Egelhaaf (Hrsg.),
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2006

Weitere Informationen finden Sie unter

http://www.uni-muenster.de/DeutschePhilologie2/MWE/INDEX.htm

Lehrstuhl Prof. Wagner-Egelhaaf


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster, Brigitte Nussbaum,
28.12.2006
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de