Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → LITERATUR

SF-JOURNAL/012: Akzente... Space Opera - Flucht in unendliche Weiten (SB)


Die Space Opera


"Wildwest im Weltraum" oder "Weltraum-Abenteuer" - dieser umfangreiche Bestandteil des Genres macht im eigentlichen Sinne die Anziehungskraft und den Bekanntheitsgrad der Science Fiction- Literatur aus.


*


Name

Der Name "Space Opera" für diese Art von Science Fiction-Unterhaltung ist in Anlehnung an die "Horse Opera" - zu deutsch "Wildwest-Epos" - entstanden. Schon Ende der 20er Jahre war Science Fiction, bedingt durch ihre Veröffentlichungsform in Magazinen, kaum etwas anderes als ein in die Tiefen des Weltalls übertragener Western, in dem die Prärie durch unendliche Weiten, das Pferd durch ein Raumschiff, die Pistole durch den Laserstrahler und die Banditen durch Außerirdische, eventuell in Form von "Bug-Eyed-Monsters" (kurz BEMs genannt), ersetzt wurden.


*


Anfänge

Die ersten, die mit reißerischen "Raumopern" Erfolg hatten, waren E. E. "Doc" Smith ("The Skylark of Space", 1928) und Edmond Hamilton ("Crashing Suns", 1928, die erste Erzählung um eine Interstellare Patrouille und 1939 seine berühmte "Captain Future"-Serie). Schon bald entwickelte sich eine Vorstellungswelt mit "typischen" Motiven (z.B. Raumlandschaften, die fünfte Dimension, Überlichtgeschwindigkeit, Zeitreisen, Roboter usw.), auf die Autoren wie Leser gleichermaßen zurückgreifen konnten.

"Space Opera" bedeutete zunächst: interstellare Raumfahrt, politische Konflikte von kosmischer Größenordnung, galaktische Bösewichte auf der einen und aufrechte Helden und interstellare Polizeitruppen auf der anderen Seite und nicht zuletzt gigantische Raumschiffe und riesige Entfernungen.

Kurz, der größte Anteil an der Space Opera war zunächst reine Unterhaltung, abgehoben von wissenschaftlichen Tatsachen oder Wahrscheinlichkeiten. Daher konnten sich auch viele Romane zu Serien erweitern. Zwei davon, die sechsteilige Lensman-Saga von E. E. Smith (1937) und die 27-bändige Serie "Captain Future" von Edmond Hamilton, wurden die Vorläufer der bisher umfangreichsten Space Opera, des 1828- bändigen und seit 35 Jahren fortgeführten Perry Rhodan-Werkes, der größten Weltraumserie überhaupt (das erste Heft erschien am 8.9.1961).

Es gibt kaum einen SF-Autoren, der sich nicht in dieser klassischen Form versucht hätte. Die im folgenden aufgezählten haben eines gemeinsam, sie beinhalten mehr als Abenteuer, Flucht und reine Unterhaltung: Isaak Asimov mit seiner dreibändigen "Foundation Trilogie" (1951 bis 1953), Stanislaw Lem, "Der Unbesiegbare", Poul Anderson mit der "Nicholas von Rij'n"-Serie, Brian Stableford, "Star Pilot Grainger" und die "Daedalus-Serie", Andre Norton mit dem Solar Queen-Abenteuer, E. C. Tubb mit "Dumarest of Terra" und viele andere mehr.

In den 60er Jahren flaute das Interesse an der Space Opera ab - vielleicht war die Wirklichkeit, die erste bemannte Weltraumfahrt der Russen und Amerikaner, spannender geworden.

Erst ab den 70er Jahren griffen einige bekannte Autoren ihre Tradition wieder auf und machten sie erneut attraktiv: Larry Niven und Jerry Pournelle, "Splitter im Auge Gottes" (1973), Arthur C. Clarke, "2001 - Odyssee im Weltraum" (1968) und C. J. Cherryh, "Die sterbende Sonne" (ab 1978), um nur einige zu nennen.

Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Berühmtheit der heutigen Space Opera haben auch die Filmindustrie (zum Beispiel mit den Fernsehserien "Star Trek", "Alien Nation" oder "Babylon 5", mit Kultfilmen wie "2001 - Odyssee im Weltraum", "Star Wars"-Serie usw.) und der Comic-Heft-Markt, der zum großen Teil durch Science Fiction- Elemente bestimmt wird.


*


Themen und Funktion der Space Opera

Betrachtet man die Themen genauer, so stellt sich heraus, daß sie alle einen Schwerpunkt gemeinsam haben: Die Eroberung des Weltalls, auf welche Art auch immer, wird unter dem Aspekt der Bewältigung irdischer Probleme vorangetrieben. Ob die Sternenfahrer nun im Auftrag der übervölkerten oder rohstoffarmen Erde in den Fernen der Galaxis nach Welten Ausschau halten sollen, die man besiedeln oder ausbeuten kann, ob sie nach extraterrestrischen Superintelligenzen suchen, die mit den menschlichen Problemen beratend und ersatzweise fertig werden können oder ob durch Zeitreisen zurück in die irdische Vergangenheit die schiefgelaufene Geschichte korrigiert werden kann - der Bezug zu ganz menschlichen Fragestellungen wird nicht verlassen. Der Kontakt zu außerirdischen Wesen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten - die durch galaktische Politik gebändigt sind - spielt eine große Rolle, um überhaupt noch an eine Weiterentwicklung der Menschheit denken zu können - ein bequemer und sehr schicksalsergebener Lösungsersatz für einen sonst mühevollen und fast aussichtslosen Kampf mit den Schwierigkeiten der terranischen Wirklichkeit. Ohne Hilfe aus dem Weltraum degeneriert die Menschheit: Kommen zum Beispiel irdische Kolonistenschiffe durch eine Raumschlacht, Meuterei oder unvorhergesehene Begegnung vom Kurs ab oder haben einen Maschinenschaden und stranden auf einer Welt, von der aus jeder Kontakt zur Erde abbricht, so entwickeln sich die Nachfahren der Kolonisten um Jahrhunderte zurück. Oder in einem sogenannten Generationenraumschiff machen die Passagiere alle Schattierungen der sozialen Verhältnisse noch einmal mit, die die Menschheit auf der Erde schon durchgemacht hat.

Die Space Opera trägt einen erheblichen Teil dazu bei, den Gegensatz zwischen dem Ohnmachtsgefühl angesichts unserer bedrohten Gegenwart und dem Traum von erfolgreichen Lösungen für soziales Unrecht und Unterdrückung, Vernichtung durch Atomkriege, Umweltbelastungen, Überbevölkerung und Energiemangel aufrecht zu erhalten.


*


Zurück auf den Boden der Wirklichkeit

Aber Science Fiction-Literatur besteht nicht nur aus Space Operas und eignet sich durchaus auch bestens dazu, auf die Wirklichkeit und ihre Möglichkeiten zurückzukommen.

Hier eine kleine Bilanz, wie weit die Möglichkeiten der Menschheit wirklich reichen, ihre Probleme in den Weltraum zu verlagern:

* Der Mond liegt vor unserer Haustür, der Mars vielleicht einen halben Schritt darüber hinaus. Aber es ist sehr fraglich, ob wir in den nächsten Jahren überhaupt dazu in der Lage sind, diesen halben Schritt zu gehen. An weiterführende Schritte ist überhaupt nicht zu denken. Insofern ist auch die Perspektive, nach dem endgültigen Verbrauch bestimmter Rohstoffe auf der Erde im Weltall nach Ersatz zu schürfen, reine Hoffnung. Der Aufwand für ein solches Projekt müßte vorher, hier auf der Erde, erbracht werden und würde, ins Verhältnis gesetzt, den Nutzen nicht rechtfertigen.

* Da es bis heute noch keine widerspruchsfreie Theorie zur Entstehung irdischen Lebens gibt, steht die Frage nach den Entstehungsbedingungen für außerirdisches Leben noch gar nicht an. Sie bleibt zweitrangig, solange selbst noch bei einfach durchzuführenden Experimenten grundlegende Fragen offen bleiben. - Außerdem dürften schon logisch gesehen Außerirdische keine anderen Wesen sein, denn das müßte bedeuten, daß es überhaupt keine Verbindung, Verständigung oder gar Wahrnehmung zwischen den Menschen und ihnen geben kann. Die Verbindung wäre geringer als zu einem warmblütigen Tier oder einer Ameise, wenn es überhaupt ein Erkennen geben würde.

* Wissenschaftliche Theorien aus Physik, Astronomie und Biologie werden oft nicht mehr als bloße Theorien gesehen, sondern sofort für praxisbezogen gehalten, was dazu führt, daß "weltfremde" Spekulationen gefördert werden. Ein Beispiel ist der Einzug der Multidimensionalität in das physikalische Weltbild. Obwohl es sich dabei um eine Theorie handelt, eröffnen sich damit Spekulationen über Reise- beziehungsweise Transportmöglichkeiten, die sich bisher allein durch die unglaublichen Distanzen im All fast ausschlossen. Selbst ein so renommierter Physiker wie Stephen Hawking hält Zeitreisen zumindest theoretisch für möglich und entfernt sich damit weit vom technisch Machbaren.

* Für das Erscheinen fremder Raumfahrer sind übergeordnete Räume die Voraussetzung (denn wenn man davon ausgeht, daß sich die fremden Intelligenzen durch den uns bekannten Raum nähern, dann müßten sie die kaum faßbaren Entfernungen mit technischen Mitteln bewältigen). Aus mathematischer Sicht sind zusätzliche Dimensionen zu den drei oder vier uns vertrauten (Länge, Breite, Höhe sowie die Zeit) kein Problem, doch von der physikalischen Seite gibt es für das mathematische Ordnungssystem keine Entsprechung.

* Damit stellt sich die ernsthafte Frage nach der Wahrscheinlichkeit von überlichtschnellen und anderen Antrieben:

a) Die größte uns bekannte Geschwindigkeit ist die des Lichts (annähernd 300.000 Kilometer in der Sekunde). Sie wird in Lichtjahren ausgedrückt und als Berechnungsgrundlage für Entfernungsangaben im Weltall benutzt. Von Materie, das heißt von Raumschiffen, kann diese Geschwindigkeit wegen der Massenträgheit nicht annähernd erreicht werden.

b) Atomare Antriebe bringen nicht den erforderlichen Schub von 7,9 km/s. Mit der Fusionstechnik wird frühestens in fünfzig Jahren gerechnet - wenn es überhaupt zu einer verwertbaren Umsetzung des Potentials kommen sollte, denn im Augenblick ist gar nicht abzusehen, wie man die Energien, die bei der Verschmelzung frei werden, kontrollieren und kanalisieren kann.

c) In der Science Fiction wie in der Physik ist von Ionen-und Photonenantrieben die Rede, aber sie haben sich über das reine Denkmodell nicht hinausentwickelt.

d) Bei einem Warp-Antrieb wird der Raum zwischen zwei Punkten zusammengezogen. Bei den sogenannten Wurmlöchern hat man es auch mit Abkürzungen im All zu tun, mit einer Art Tunnel durch die Raumzeit. Sie können aber nicht für Raumschiffe genutzt werden und sind untauglich als Sternentore, weil in ihnen alle Materie, selbst Planeten oder ganze Sonnen, extrem zusammengepreßt werden.

* Auch die Idee, mit Generationenraumschiffen ins All vorzustoßen, erübrigt sich allein schon bei der Frage nach der Versorgung. Außerdem sind die entstehenden sozialen Probleme ein schwer zu bewältigender Faktor.

Obwohl zugestandenermaßen gerade die Space Opera den Anteil der Science Fiction-Literatur ausmacht, der dem Bedürfnis nach Flucht entgegenkommt, wird es wohl kaum einem Science Fiction-Fan gelingen, sich ihrem Charme zu entziehen. Denn: Warum darf Literatur nicht auch bloße Unterhaltung sein für die Sehnsucht nach fremden Galaxien, neuen Lebensformen und ...?

Es gibt wohl kaum einen Leser, dem nicht zuzutrauen wäre, bei nachhaltigem Interesse an den Geschehnissen im Weltraum diese Dimensionen von der Wirklichkeit zu trennen.


*


Literatur:
Alpers/Fuchs/Hahn/Jeschke (Hrsg.):
Lexikon der Science Fiction-Literatur,
Bd. 1, München 1980,
Heyne Verlag


*


Akzente
Hinweise auf
- Bemerkenswertes, Erfreuliches und Wissenswertes
- Höhepunkte und Tendenzen in der Entwicklung
- neue literarische Richtungen
- gesellschaftliche Einflüsse


Erstveröffentlichung am 3. Februar 1996

5. Januar 2007