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SF-JOURNAL/023: Akzente... Sterben die SF-Hörspiele aus? (SB)


Science Fiction-Hörspiele

Geschichte, Wissenswertes über die Herstellung,

Autoren, Regisseure, Sprecher


Ein Blick auf die Geschichte des Science Fiction-Hörspiels (dem hoffentlich nur eine Wende und nicht das Ende droht) hat das Schattenblick SF-Journal dazu veranlaßt, ein lautes Wort für diese kleine Sonderabteilung des Genres einzulegen.


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Da gibt es keinen alten SF-Fan, der nicht wüßte, daß das Science Fiction-Hörspiel der Vorreiter der deutschen Science Fiction und zumindest in Deutschland 27 Jahre lang mit tonangebend gewesen ist. Die meisten etablierten Autoren sind im Hörspiel zuhause, aber entsprechend unbekannt. Oder doch nicht? - meist deutsche Autorennamen wie Herbert W. Franke, Michael Krausnick, Hermann Ebeling, Eva Maria Mudrich, Stanislaw Lem, Chris Brohm, Ekkes Frank, Horst Zahlten (gestorben), Wolfgang Jeschke, H.J. Alpers und bis 1995 Alfred Behrens, Walter Adler, Karlheinz Knuth, Eberhard Petschinka, Helmuth Mössmer, Peter Meisenberg und Wolfgang Zander haben sich eigentlich weit über den Rundfunkbereich hinaus Beachtung verschafft, hatten es aber schwer, sich gegen den starken Einfluß des anglo- amerikanischen Raums in der Science Fiction durchzusetzen.

Dabei bilden Hörspiele eine starke Lobby für die Popularität von Science Fiction. Den Einschaltquoten kann man zwar entnehmen, daß im Vergleich zu anderen Rundfunksendungen eine geringe Prozentzahl mithört, aber in Hörerzahlen umgerechnet sind es im Schnitt 200.000 pro Hörspiel, nicht gerechnet die Wiederholungen und Übernahmen von anderen Sendern. Von dieser Zahl träumt jeder Verleger von Science Fiction.


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Die Entwicklung des SF-Hörspiels - jetzt nur noch Geschichte?

Im Jahr 1994 wurde der Kurd Laßwitz-Preis in der Kategorie Hörspiel nicht vergeben. Die Zahl der Ursendungen von Science Fiction- Hörspielen war von 31 (1992/93) auf 22 (1994/95) gefallen. Die Jury, der unter anderem Dieter Hasselblatt und Wolfgang Jeschke angehörten, beide erfolgreiche Autoren und erklärte Kenner des Science Fiction- Hörspiels, entschied nach der mangelhaften Qualität der Hörspiele.

Das Studio Heidelberg des Süddeutschen Rundfunks, 27 Jahre lang das Markenzeichen für anspruchsvolle und unterhaltsame Science Fiction, hat Ende 1993 nach fast 300 Sendeterminen seine Produktionsstätten für immer geschlossen.

Das ist die gegenwärtige Situation.

Wer jedoch will, kann auch heute noch im deutschsprachigen Raum fast überall Science Fiction im Radio aufstöbern. Etwas suchen muß man schon, aber dieser Umstand ist zunächst dem Ende des SF-Hörspiels vorzuziehen.


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Wie alles anfing:

Das erste SF-Hörspiel, das weltweit von sich reden machte, war 1938 die von Orson Welles zur Hörspiel-Reportage umgearbeitete Geschichte "War of the World" von H. G. Wells. Die Reportage wirkte so echt, daß sie in New York eine Panik auslöste und Hunderttausende in Angst und Schrecken versetzte, die das Hörspiel für einen Tatsachenbericht hielten: Marsbewohner landen auf der Erde und erobern mit Kriegsmaschinen und Hitzestrahlern England, bis sie selbst Opfer von Mikroorganismen werden.

In Deutschland ist die Geschichte des SF-Hörspiels nicht von der eigentlich tonangebenden, äußerst produktiven und populären Reihe: "Science Fiction als Radiospiel" im Süddeutschen Rundfunk Heidelberg von Andreas Weber-Schäfer zu trennen. Will man sich über das deutsche SF-Hörspiel informieren, braucht man sich nur mit der Geschichte dieser Sendereihe vertraut zu machen, die im folgenden in Kurzform dargestellt wird:

Alles fing damit an, daß die Sendestelle Heidelberg des Süddeutschen Rundfunks am 15. Januar 1967 "Die erfundene Zukunft - Science Fiction als Literaturgattung" sendete, ein Feature von Heinrich Schirmbeck. Zu dieser Zeit ahnte noch niemand, daß diesem Feature eine Sendung folgen sollte, die 27 Jahre lang einen treuen und begeisterten Hörerkreis fesselte.

Am 24. Februar 1967 begann die Reihe mit "Meuterei auf der Venus" von Herbert W. Franke, die zunächst "Science Fiction im Hörfunk" hieß und nicht von der Hörspielabteilung, sondern von der Wissenschaftsredaktion betreut wurde.

Bis 1986 war Dr. Horst Krautkrämer ihr Leiter. Bezeichnenderweise hatte er einen Preis für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Biowissenschaften bekommen und war zu dieser Zeit selbst Autor von einem Kurzhörspiel, neun Kurzgeschichten fürs Radio und Regisseur. Dr. Krautkrämer förderte bewußt des deutsche Original-Hörspiel. Die Autoren waren Schriftsteller und Bühnenautoren, die auch für den Funk schrieben. Hörspiele waren in Deutschland selten genug. Üblicherweise bearbeitete man Romanvorlagen. Waren Idee und Ausführung überzeugend, erklärte sich die Redaktion durchaus bereit, ein Risiko mit einem noch unerfahrenen und unbekannten Autoren einzugehen.

Ohne einen erstklassigen Regisseur jedoch verliert auch ein gutes Manuskript an Attraktivität. Der begeisterte Einsatz eines erfahrenen Handwerkers und überzeugenden Science Fiction-Fans macht die Qualität der Hörspiele letztlich aus. Dieser hervorragende Fachmann und Routinier war Andreas Weber-Schäfer, der im November 1968 ständiger Regisseur der Reihe wurde. Später übernahm er die Leitung.


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An dieser Stelle sei anhand eines Interviews mit ihm eine kurze Darstellung seiner fachkundigen Arbeit erlaubt. Andreas Weber-Schäfer wurde zur bemerkenswertesten treibenden Kraft des deutschen SF- Hörspiels. Er hat selbst eine Schauspielausbildung mit Abschluß, aber von Anfang an mit der Absicht, Regie zu führen. Er sagt über das Thema Science Fiction:

"Science Fiction ist ja gerade deshalb eine so schöne Materie, weil sie so irrsinnig phantasieanregend und nirgends durch etwas Vorgegebenes eingegrenzt ist. Wir können uns in der SF im Grunde ausdenken, was wir wollen. Wir brauchen immer nur eine Prämisse: Was wäre, wenn... und wenn wir Glück haben, gibt es zu dieser Vorgabe im Augenblick schon eine Entwicklung oder eine theoretische Erfahrung;..." (aus Wolfgang Jeschke: Das Science Fiction Jahr 1989, München 1989
(Heyne), S. 257 Is There Anybody Out There? Interview mit dem Regisseur Andreas Weber-Schäfer von Hugo Tröster und Thomas Tilsner, S. 270)

Geschickt verwendet Andreas Weber-Schäfer die Vorteile des Genres für das Hörspiel: Er meint, daß Bilder (zum Beispiel im Film) einengen, weil sie die gegenwärtige Technologie spiegeln, auch Monster in Filmen sind albern. Wenn man sich aufs Sehen konzentriert, muß man die Phantasie festnageln, was schnell unglaubwürdig wird, weil es letztlich Kulissenmogelei ist.

Im Hörspiel muß der Hörer ein Stück von sich selbst einbringen. Es eignet sich bestens, Atmosphäre und Stimmungen darzustellen, besonders, wenn etwas geschieht, das man noch nicht kennt. Dann kann man realitätsbezogene Dinge weglassen und durch symbolische Geräusche oder Handlungen darstellen. Das Hörspiel lebt jedoch wesentlich vom Dialog. Mit ihm kann man Stimmungen und Ängste übertragen.

Der Einsatz von Geräuschen wird heute dezenter als früher gehandhabt, weil dem Hörer inzwischen durch Kassettenrekorder und Videokamera die Machart bekannt ist. Der Reiz entsteht aus dem psychologischen Spannungfeld zwischen den Personen.

Im Interview gibt Andreas Weber-Schäfer die Gelegenheit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und die Arbeit eines Hörspiel- Regisseurs kennenzulernen. Im folgenden wird seine Darstellung verkürzt wiedergegeben:

1. Damit sich die Themen nicht wiederholen, regt der Regisseur das Manuskript an (im Dialog mit dem Autor). Er entscheidet auch nach dem Zeitgeschmack. "Früher hat man Hörspiele theatralischer gemacht, heute lieber wie ein Kammerspiel. Man kann im Hörspiel so schön Gedanken sprechen - ich höre etwas, was eigentlich einer denkt [...] Die große Schreierei ist vorbei. Emotionen lassen sich durch Kurzatmen darstellen, das ist im Theater anders."

2. Der Regisseur bekommt Angebote und überprüft ihre Brauchbarkeit, d. h. Dramaturgie. Im Hörspiel braucht man eine dramatische Handlung, sonst wird es eine Erzählung.

3. Er macht Umschreibevorschläge und schließt die Bearbeitung des Manuskripts ab.

4. Studioplanung: Vor den Aufnahmen sind schon zwei Drittel der Redaktionsarbeit für den Regisseur gelaufen wie der Aufnahmeplan mit der Studiobelegung, der Stereoplan, die Besetzung, die Kostenfrage, das künstlerische Konzept. -Schauspieler bzw. Sprecher werden nur für die Produktionszeit von einer Woche engagiert, damit sie nicht so teuer sind. Das hat für den Regisseur zur Folge, daß er nicht immer chronologisch aufnimmt und das Gesamtbild des Hörspiels in den Nuancen der Charakterentwicklung bis zu technischen Details präsent haben muß.

5. Probenarbeit mit den Schauspielern

6. Aufnahme: Der Regisseur schafft Atmosphäre und Stimmung im Studio. Er sitzt im Regieraum, hat nur noch Sichtkontakt mit den Sprechern und korrigiert über die Gegensprechanlage. "Das Mikrofon ist irrsinnig indiskret. Das merkt auch sofort, wenn ein Schauspieler nur "macht" und nicht wirklich empfindet -was ein Schauspieler wirklich können muß. Wenn er nur mit äußeren Mitteln eine Wirkung erzielt, hören Sie das sofort am Mikrofon." (aus dem Interview, a.a.O., S. 280)

7. Wenn die Dialoge auf Band und die Schauspieler aus dem Studio sind, folgt das Mischen (die Geräusche werden dazugespielt, Szenenübergänge geschaffen und Stimmen verändert). 8. Über das Frankfurter Rundfunkarchiv erhalten die anderen Anstalten einen Hinweis durch Produktionsblätter.


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1972 veranstaltete der Rundfunk zusammen mit der Hörspielabteilung des Westdeutschen Rundfunks ein Preisausschreiben für Science Fiction- Hörspiele, um deutsche Nachwuchsautoren zu fördern. 243 Manuskripte gingen ein. Die Jury bestand aus: Prof. Elsässer, Direktor des Max Planck-Instituts für Astronomie; Prof. Hemmerich, Biochemiker; Heinrich Schirmbeck, Schriftsteller und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung; Dr. Schultes, Hörspielleiter beim WDR und Dr. Krautkrämer. Eva Maria Mudrich gewann mit "Das Glück von Ferida" (Ursendung 21. Mai 1973) einen der vier Preise. 20 Hörspiele wurden angekauft.

Ein weiterer bemerkenswerter Schritt in der Entwicklung des Programms war die Premiere von Stanislaw Lem (der erste Autor aus den Ostblockstaaten) mit "Rückkehr zur Erde" (30. Dezember 1974), gefolgt von Fialkowskis "Tod ohne Ende".

1974 schreibt Helge Marie Sack im Fachbereich "Neuere Deutsche Literaturwissenschaft" der Universität Heidelberg eine Staatsexamensarbeit "Science Fiction als Radiospiel":

"Die meisten Hörspiele behandeln Gesellschaftsprobleme, Gesellschaftssysteme von morgen und dabei insbesondere den Komplex "Automatisation, Robot- und Computerherrschaft". Selten und nur in früheren Sendungen spielt der Weltraum eine Rolle. Spätere Weltraum-Hörspiele sind eher Satiren auf die Anthropozentrik des Menschen oder Parodien auf bestimmte Arten der Space Operas." (aus: Wolfgang Jeschke: Das Science Fiction Jahr 1989, a.a.O., * Science Fiction als Radiospiel - Die Geschichte der SF aus dem Studio Heidelberg des SDR von Horst Tröster, S. 249)

Am 21. Dezember 1981 wird den Hörern sang- und klanglos statt des Sendetermins mitgeteilt, daß die Reihe ersatzlos aus dem Programm gestrichen sei, weil die Anpassung der Rundfunkgebühren nicht durchgesetzt werden konnte. Andreas Weber-Schäfer und viele Hörer kämpften um die Reihe mit den Argumenten, der Süddeutsche Rundfunk könne auf seine Spitzenstellung bezüglich der Science Fiction- Hörspiele stolz sein, und verglichen mit den Kosten für Fernsehprogramme seien sie geradezu spottbillig. Außerdem stellten sie ein Stück guter deutscher Rundfunktradition dar.

Die Proteste hatten Erfolg: Am 2. Januar 1984 erschien die Reihe erstmals wieder.

Bis 1986 war Dr. Krautkrämer noch ihr Betreuer, dann übergab er aus Zeitmangel am 2. Juni 1986 seinem Regisseur Andreas Weber-Schäfer die Leitung, dessen erste Regiearbeit schon am 25. November 1968 mit "Experten" von H. Zahlten, über Gehirntransplantation und Identitätsprobleme begann. In den folgenden zwei Jahrzehnten ließ er sich nur viermal vertreten.

Im Juli 1986 verlegte Dr. Klett, der neue Programmdirektor des SDR, die Reihe von montags, 21.00h auf mittwochs um 23.05h. Viele Hörer konnten sich nicht an die neue Sendezeit gewöhnen, Jugendlichen und berufstätigen Stammhörern war der Termin zu spät. Große Schwierigkeiten bereitete auch die Anweisung, das Programm "flockiger, lockerer" zu machen, um den Unterhaltungswert der Reihe zu steigern. Das hatte zur Folge, daß das Niveau fiel.

1987 starb Dr. Klett überraschend und der neue Hörfunkdirektor des SDR, Friedhelm Lüke, verlegte den Termin der SF-Hörspielreihe wieder auf den gewohnten Montagstermin um 21.00h. Auch der Schwerpunkt auf Unterhaltung wurde zurückgenommen. Die Hörspiele erhielten wieder das alte Niveau.

Ende 1993, nach fast 300 Sendeterminen, schließt das Studio Heidelberg des Süddeutschen Rundfunks seine Produktionsstätten für die Reihe: "Science Fiction als Radiospiel".


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Hat die literarische Form des Hörspiels sich im Informationszeitalter überlebt? Heute wirft man den Hörpielautoren künstlerisch-elitäre Ambitionen vor, vielleicht weil es die einzige kreative Sendeform des Rundfunks ist. Es entsteht im Studio und zwar nicht, um Informationen zu vermitteln, sondern es verwendet Fakten und Meinungen als künstlerisches Mittel. Es kann alle Sendeformen spielerisch verwenden, zum Beispiel Nachrichten, Sportreportagen usw. Sollte das schon zu anspruchsvoll für die Konzentrationsfähigkeit eines heutigen Radiohörers sein?

Es verlangt vom Hörer eine Bereitschaft, die in unserer schnellebigen Zeit schon fast antiquiert zu nennen ist: sich hinzusetzen, zuzuhören und die Phantasie spielen zu lassen -vielleicht von der Zukunft der Menschheit, neuen Techniken, den unendlichen Weiten des Weltraums oder anderen Lebensformen.

Um was sonst geht es in der Science Fiction?

Das SF-Hörspiel vereint alle Vorteile und Qualitäten des Genres in sich und ist unverzichtbar für jeden Fan!


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Literatur:

1) Wolfgang Jeschke: Das Science Fiction Jahr 1989, München 1989, Heyne Verlag, * Science Fiction-Hörspiel 1987/88 von Horst Tröster und Thomas Tilsner, mit freundlicher Unterstützung von Ute Baur, S. 219

2) Wolfgang Jeschke: Das Science Fiction Jahr 1989, München 1989, Heyne Verlag, * Science Fiction als Radiospiel - Die Geschichte der Science Fiction aus dem Studio Heidelberg des SDR, S. 249

3) Wolfgang Jeschke: Das Science Fiction Jahr 1989, München 1989, Heyne Verlag, * Is There Anybody Out There? Interview mit dem Regisseur Andreas Weber-Schäfer von Hugo Tröster und Thomas Tilsner, S. 257

4) Wolfgang Jeschke: Das Science Fiction Jahr 1996, München 1996, Heyne Verlag, * Science Fiction-Hörspiele 1994/95 von Ute Perchtold, Christiane Timper, Birke Vock, Bärbel Weixner, Helmut Magnana und Horst G. Tröster, S. 303

5) Georges Wagner-Jourdain: Rund um das Hörspiel -Geschichtliches und Dramaturgisches, ein Ton-Beitrag des Verlags Inter-Nationes


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Akzente
Hinweise auf
- Bemerkenswertes, Erfreuliches und Wissenswertes
- Höhepunkte und Tendenzen in der Entwicklung
- neue literarische Richtungen
- gesellschaftliche Einflüsse

Erstveröffentlichung 4. März 1997

5. Januar 2007