Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → LITERATUR

SF-JOURNAL/066: Autoren... Robert Ervin Howard, der Barbar (SB)


Robert Ervin Howard
(1906-1936)


Tu nickte weise. "Aye, Kull. Aber dies ist ein zivilisiertes Land, wo alle den Gesetzen gehorchen. In Eurem Heimatland Atlantis tun die Männer und Frauen was sie wollen; sie sind unbehindert von Sitten und Traditionen. Hier aber [im Königreich Valusien] haben wir die Zivilisation, und Zivilisation ist nichts anderes als ein kompliziertes Gebilde von Gewohnheiten und Regeln, die die Handlungen des Menschen strikt einschränken, so daß alle in Sicherheit leben können."

"Sicherheit!" Kull räusperte sich verächtlich. "Ich halte wenig von einer 'Sicherheit', die von verstaubten Gesetzen herrührt. Gib mir die Sicherheit, die ein kräftiger Krieger mit seiner Kampferfahrung und der scharfen Schneide seines Schwertes gewährleistet! Das ist Kulls Auffassung von Sicherheit!"

"Aye, König", meinte Tu beruhigend. "Es ist die Auffassung eines Mannes, der - mit Verlaub - von Barbaren erzogen wurde."

Kull lachte. "Je mehr ich von dem sehe, was du Zivilisation nennst, desto mehr halte ich von dem, was du als barbarisch bezeichnest!"
(aus: Herr von Valusien - Abenteurer aus dem Hyborischen Zeitalter, von Robert E. Howard, S. 14-15, Terra Fantasy / Pabel Verlag 1976)

Robert E. Howards Geschichten gelten als ein Meilenstein in der Geschichte der Fantasy. Mit Howard wurde ein neuer Seitenzweig dieses Genres begründet: die phantastische Abenteuererzählung um barbarische Helden in barbarischen Reichen und Zeitaltern. Schwert-und-Magie-Erzählung (Swords and Sorcery) lautet im Nachhinein die literarische Zuordnung; ein Ausdruck, der 1961 von Fritz Leiber geprägt wurde.

Wer einmal Howard gelesen hat, für den bekommen die Begriffe Zivilisation und Barbarei auf jeden Fall eine andere als die herkömmliche, uns anerzogene Bedeutung. Eigenschaften wie beispielsweise ungesittet, unkultiviert oder unzivilisiert erfährt der Leser als etwas Erstrebenswertes, für das es sich unter allen Umständen zu kämpfen lohnt. Denn bei Howard wird das Wort Barbar auf seine Herkunft zurückgeführt: barbarisch heißt nämlich ursprünglich brav im Sinne von wacker, unbändig, wild, tapfer und mutig oder auch sich treu sein.

Howards Barbaren-Geschichten kann man nicht getrennt betrachten von Howard als Mensch. Das unterscheidet ihn auf jeden Fall von konventionellen Schriftstellern. Viele nach ihm haben versucht, seinen Schreibstil nachzuahmen, aber es ist meiner Meinung nach niemandem wirklich gelungen; denn in Howard wohnte ein rebellischer Geist, und dieses kämpferische Wesen findet man natürlich auch ganz stark bei seinen barbarischen Helden wieder.

"Das Leben ist nicht lebenswert, wenn jemand glaubt, er könne über dich bestimmen", so Howard selbst. Und weiter: "Ich bin gutmütig, und man kommt leicht mit mir aus; ich verabscheue jede Art von Streit und weiche ihm aus, aber es hat keinen Sinn, alles zu schlucken." Und das sagte Howard nicht nur locker daher, er meinte es auch wirklich so. Die 'scharfe Schneide eines Schwertes' sollte für ihn seine Schreibmaschine werden.

Vor allem dieser Aspekt als auch die Fülle an Material, das er trotz seines nur dreißigjährigen Lebens hinterlassen hat, und das noch lange nach seinem Tod von Lin Carter, Björn Nyberg und L. Sprague de Camp aufgearbeitet und erfolgreich vermarktet wurde, machen Robert E. Howard bis heute zu einem unvergeßlichen und wichtigen Namen innerhalb der Fantasy- und Science Fiction-Szene.


- Persönliche Daten -

Am 22. Januar 1906 wurde Robert Ervin Howard in Peaster, einem Dorf in Texas, geboren. Sein Vater war Isaac Mordecai Howard, ein Arzt, seine Mutter hieß mit Mädchennamen Hester Jane Ervin. Es dürfte vor allem die Familie der Mutter gewesen sein, deren Abstammung Robert E. Howard so faszinierte und beeinflußte, denn die Ervins waren ein Clan des schottischen Hochlands, also keltischer Abstammung. Dieses Interesse ging so weit, daß Howard seine eigene Herkunft zumindest auf pseudohistorische Weise bis auf die Atlanter zurückführte.

Als Kind war Howard schwächlich und lebte zurückgezogen, las gerne Bücher, ließ sich von seiner Mutter Gedichte vorlesen, von der Grußmutter Schauergeschichten erzählen - und diente gleichaltrigen Kameraden als Prügelknabe. Als er älter wurde begann er seinen Körper zu trainieren und brachte es schließlich zu einem 1,80 m großen und fast 100 kg wiegenden, angesehenen Amateurboxer. Er brachte dieses Können nie zur Anwendung, verschaffte sich damit jedoch den nötigen Respekt, und niemand wagte sich mehr an ihn heran.

Den größten Teil seines Lebens verbrachte Howard in Cross Plains, einer Stadt im Herzen von Texas. Während seines kurzen Lebens widmete er sich den verschiedensten Sparten der Unterhaltungsliteratur. Seine ersten Geschichten verfaßte er als Neunjähriger, ernsthaft zu schreiben begann er im Alter von fünfzehn Jahren. Mit siebzehn schloß er die Oberschule ab und arbeitet danach zunächst in einem Kleidergeschäft. Ein Jahr später versuchte er sich vorübergehend als Wandermusiker, doch es fehlte ihm der geeignete Geigenunterricht. Danach absolvierte er an einem College Kurse für Stenographie und Maschinenschreiben. Er begann für Zeitungen zu schreiben und arbeitete nebenher als Privatsekretär für einen Rechtsanwalt, als Baumwollpflücker, bei einem Rinderzuchtbetrieb, auf einem Postamt, in einem Gaswerk, bei der Müllabfuhr, auf einer Tankstelle, in einem Gemüseladen und und und.

Bei seinem aufreibenden Kampf gegen die ständige Armut mit all den wechselnden Gelegenheitsjobs vernachlässigte Howard jedoch nie das Schreiben. Neben Gedichten verfaßte er unzählige Western-, Geister-, Piraten-, Boxsport-, Fantasy-, Science Fiction- und Abenteuergeschichten. Er schickte sie an Pulps wie Argosy, Adventure, Romance, True Stories, Ghost Stories, Thrills of the Jungle und Liberty. Nur wenige davon wurden veröffentlicht. Einzig Farnsworth Wright, der Herausgeber von Weird Tales 1), kaufte ungefähr ab 1926 regelmäßig seine Arbeiten. Im Alter von 24 Jahren hatte Howard sein Leben gewissermaßen in Stellung gebracht: Seit 1930 saß er als Schriftsteller fest im Sattel.

Doch die nun folgende, intensive Schaffensperiode währte nicht lange. Sechs Jahre später wurde Howards Mutter schwer krank. Es gab keine Hoffnung für sie. Robert hing so sehr ihr, daß er es nicht ertragen konnte, sie sterben zu sehen, so lautete später die Erklärung seines Vaters: Am Morgen des 11. Juni 1936 beendete Robert Ervin Howard sein Dasein mit einem Kopfschuß.


- Das Schreiben -

Schon immer wollte ich meinen Lebensunterhalt durch Schreiben verdienen - solange ich mich zurückerinnern kann. Und wenn mir auch nicht der überwältigende Erfolg beschieden war, so ist es mir doch seit einigen Jahren gelungen, genug zu verdienen, ohne eine geisttötende Arbeit annehmen zu müssen, bei der man Sklave einer Stempeluhr ist. In diesem Beruf liegt Freiheit, und das ist der Hauptgrund, warum ich ihn gewählt habe. Das Leben ist nicht lebenswert, wenn jemand glaubt, er könne über dich bestimmen.
(aus einem Brief an den Herausgeber von Weird Tales im Jahr 1931)

Howard brauchte sich nicht zu verstellen, wenn er seine Figuren zu Papier brachte. Er dachte, sprach, träumte, lebte und schrieb gewissermaßen 'barbarisch'. Er befand sich 'automatisch' auf der Seite des Barbaren und kämpfte gegen die Kräfte der Zivilisation, wie er einmal in einem Brief äußerte, und zwar so intensiv, daß es ihm manchmal selbst unheimlich wurde... (und dem Leser nicht minder). Fast empfand er das Schreiben nicht als Beruf, sondern als Berufung.

Viele Kritiker, die das offensichtlich nicht nachvollziehen konnten, haben ihn oft als psychisch labil bezeichnet. Howard nannte diese Menschen die Feinde der Träumer, Materialisten und Nichtdenker, die von der Gesellschaft im allgemeinen als die Starken angesehen werden. Mit ihnen wollte er nichts zu tun haben.

Und diese Stellungnahme findet sich auch in seinen Werken wieder. Howard-Bücher liest man nicht einfach nur und legt sie dann beiseite; nein, man kann sich der Handlung kaum entziehen, man erlebt und durchlebt die Abenteuer beinahe physisch mit.


- Das Hyborische Zeitalter -

Schon in frühester Jugend hatte Howard ein besonderes Interesse für Mythen, barbarische Völker, versunkene Kulturen und dunkle Geheimnisse entwickelt. Und so versetzt er später als Schriftsteller seine Helden in eine pseudogeschichtliche, vorsintflutliche Epoche der Erde. Kull von Atlantis oder Cormac Mac Art zum Beispiel leben in einem fiktiven Britannien etwa in der Zeit 500 nach Christus. Conan dagegen, der wohl berühmteste Howardsche barbarische Krieger, erlebt seine Abenteuer in einem noch viel älteren, fast schon prähistorischen Zeitalter. Der Handlungsschauplatz bei Conan liegt auf der nörlichen Hemisphäre und schließt Europa und Nordafrika mit ein. Und zwar im Sinne des Wortes, denn in Howards Zeit existiert das Mittelmeer noch nicht in seiner heutigen Form, sondern lediglich in einigen Seen und Binnenmeeren. Howard nennt diese Zeit das Hyborische Zeitalter in Anlehnung an das griechische Hyperborea 2), wie er die Namen für seine Länder und Kulturkreise überhaupt oft der griechischen und anderen Mythologien entlehnt. Was das betrifft, bediente er sich hemmungslos. Das ist die Freiheit des Fantasy-Autoren.


- Die Helden -

Robert E. Howards Helden hatten wahrscheinlich nur aus vermarktungstechnischen Gründen so unterschiedliche und klangvolle Namen wie Solomon Kane, Kull, Bran Mak Morn, Cormac Mac Art und schließlich Conan. Im Kern waren sie ein- und dieselbe Figur und irgendwie auch Howard selbst.

Experten jedoch, und ich für meinen Teil auch, halten Kull für den ihn am nächsten stehenden Helden. Hier finden wir am meisten von seinem eigenen Wesen wieder. Da ist etwas Düsteres, Grüblerisches an Kull, das die anderen Figuren nicht so sehr prägt und das Kull, den Atlanter und Barbarenkönig von Valusien, besonders interessant macht. Dadurch bieten speziell diese Geschichten Raum für beispielsweise philosophische Betrachtungen über Barbarei und Zivilisation, über das menschliche Wesen an sich, über Sein und Nicht-Sein, über Raum und Zeit, über die Stille, über Gott und die Welt und die Welten dahinter, oder auch über Zauberei und Magie, die über das Abenteuer selbst weit hinausgehen.

Kull, ein Atlantis-Geborener unbekannter Herkunft, ist eigentlich noch barbarischer als seine Stammesgenossen 3), denn er stößt als fremder Junge, der zusammen mit Tigern und Wölfen aufwuchs, und der mit der menschlichen Sprache nicht vertraut war, auf einen ebenfalls wild lebenden Stamm, bei dem er schließlich ein Zuhause findet. Aber er kann sich mit deren Sitten und Gebräuchen nicht arrangieren, hinterfragt sie, zweifelt alles und jeden an, und stößt zunehmend auf den Widerwillen der anderen.

Ein bestimmtes Ereignis - eine sehr beeindruckende Geschichte, die hier nicht verraten wird - ist dann schließlich ausschlaggebend dafür, daß Kull vor der Rache seiner barbarischen Stammesgenossen fliehen muß. Fortan führt er sein eigenes Leben, erlebt viele Abenteuer, ist stets umgeben von tödlichen Intrigen, Verrat, Heimtücke und Magie und bekämpft das, was er als Böse empfindet, wo auch immer es ihm begegnet, ungeachtet aller Gesetze, Sitten und Gebräuche. Seine Handlungsweise ist stets sehr direkt, sehr überraschend und sehr unkonventionell. Sein Leben lang bleibt er ein Fremder unter Fremden; ja zuweilen weiß er selbst nicht einmal mehr, wer er eigentlich ist, und was den Menschen an sich ausmacht.


- Eine Leseprobe -

Was ist wirklich im Leben, sann Kull. Ehrgeiz, Macht, Stolz? Die Freundschaft eines Mannes? Die Liebe einer Frau - die Kull nie gekannt hatte - Kampf, Eroberung? Was? War der Kull auf dem Thron der echte Kull? Oder war es jener, der die Berge von Atlantis durchstreifte, die fernen Inseln des Sonnenuntergangs unsicher machte, und die wildbrandenden Wogen verlachte, die an Atlantis' Küste rollten? Wie konnte ein einzelner Mann in einem kurzen Leben so viele verschiedene Männer sein? Denn er wußte, daß die verschiedensten Kulls in dieser einen Person steckten, und nun fragte er sich, welcher davon der realste war. Die Priester der Schlange gingen mit ihrer Zauberei nur einen Schritt weiter, denn im Grunde genommen hatte jeder Mensch eine Maske vor dem Gesicht - viele verschiedene Masken für jeden Mann, jede Frau. Und Kull grübelte, ob nicht hinter jeder Maske eine Schlange lauerte. - So saß und brütete er vor sich hin, und seine Gedanken verliefen in wirren Bahnen.
(aus: Kull von Atlantis, von Robert E. Howard und Lin Carter, Terra Fantasy, Erich Pabel Verlag 1976, S. 53)

Auch Howard setzte sich häufig mit den Widersprüchen der menschlichen Natur auseinander. Vielleicht scheiterte er letzen Endes daran?

Diabolo, so bin ich ein Oper und eine Kreatur meiner Launen. Erst stürzt mich eine Stimmung in endlose Meere der Verzweiflung und Selbsterniedrigung, dann werde ich wieder solchen Höhen entgegengetragen, wie ich sie nie zu erreichen hoffe. Erst fühle ich mich allen unterlegen - dann viel zu sehr überlegen. Aber nichts schmerzt mich tiefer in der Seele, als wenn ein Träumer unter dem ehernen Absatz physischer Überlegenheit zertreten wird.
(aus einem Brief von Robert E. Howard an Harold Preece, 5.9.1928)

Oder, um es mit Kulls Worten zu sagen:

Mein Fehler liegt darin, daß ich nicht weit genug träumte...


*


Anmerkungen:

1) Pulp-Magazine lebten nur von der verkauften Auflage. Deshalb waren Pulps ständig auf der Suche nach neuen Talenten und galten als Sprungbrett für aufstrebende Autoren. Ohne die amerikanischen Pulp-Magazine wäre die heutige Fantasy und Science Fiction wohl nicht entstanden. Zwei waren für die Entwicklung der Fantasy bestimmend: Weird Tales und Unknown (später Unknown Worlds). Die erste Nummer von Weird Tales erschien im März 1923, die letzte im September 1954. Genau 279 Ausgaben waren erschienen.

2) Hyperboreer (gr.-lat.) Mehrz.: von den alten Griechen im Norden vermutetes Fabelvolk (ursprünglich in Thrazien lokalisiert; hyperboreisch: veraltet für im hohen Norden gelegen, wohnend.

3) Barbar, lat. barbarus / gr. barbaros, urspr. = mit der einheimischen Sprache nicht vertrauter Ausländer; Nichtgrieche, eigt. = stammelnd (abwertend)

a. roher, empfindungsloser Mensch ohne Kultur
b. auf einem bestimmten Gebiet völlig ungebildeter Mensch
c. (für die Griechen und Römer der Antike) Angehöriger eines fremden Volkes

brav (Adj.) franz. brave; ital. bravo = wacker; unbändig, wild; über das Vlat. (vulgärlateinisch) zu lat. barbarus = fremd; ungesittet (siehe Barbar); veraltet: tapfer, mutig

13. August 2007