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INTERVIEW/013: Gebührenboykott - parteiverdrossen, kampfentschlossen ... Marion Meyer und Martin Klingner im Gespräch (SB)


Die Studiengebühren sind nicht für alle Zeiten vom Tisch

Interview am 3. April 2014 in Hamburg



Der Rechtsanwalt Martin Klingner gehört der 1981 gegründeten "Kanzlei 49" an, deren besonderes Anliegen eine engagierte Interessenvertretung in Fällen ist, in denen soziale Gruppen politischen und gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Dies gilt insbesondere für Migrantinnen und Migranten, Flüchtlinge und Frauen. Die Anwältinnen und Anwälte arbeiten mit verschiedenen Institutionen und Interessenvertretungen wie "Mieter helfen Mietern", der Verbraucherzentrale Hamburg, den norddeutschen Frauenhäusern, den Flüchtlingsräten und Migrationsberatungsstellen zusammen. RA Klingner engagiert sich zudem im "Arbeitskreis Distomo", der sich für die Entschädigung griechischer Opfer nationalsozialistischer Verbrechen einsetzt, und vertritt derzeit die Geschwister Sfountouris in einem Entschädigungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. [1]

Marion Meyer studierte an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) und war dort Mitglied im AStA. Sie ist seit mehreren Jahren im Boykott gegen die Studiengebühren aktiv. Gemeinsam mit Martin Klingner beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zum Gebührenboykott.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Martin Klingner
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Was könnt ihr uns über den aktuellen Stand des Boykotts der Studiengebühren berichten? Am 10. April wird ja ein Antrag der Linksfraktion auf Aussetzung der Zwangsvollstreckungen und Einrichtung eines Mediationsverfahrens in der Hamburger Bürgerschaft eingebracht.

Martin Klingner: Aus Sicht des Senates scheint es keinen Handlungsbedarf zu geben. Wir haben als Anwälte im Auftrag des AStA der Hochschule für bildende Künste (HfbK) einen Antrag auf Niederschlagung der Gebühren gestellt, der von Frau Stapelfeld, der zuständigen Senatorin und Zweiten Bürgermeisterin, in relativ knappen Worten zurückgewiesen worden ist. Offensichtlich findet sie das auch von der Sache her nicht richtig. Das ist im Moment der Stand. Das Problem besteht fort, die Studierenden werden weiter mit Zahlungsaufforderungen, Mahnungen und Zwangsversteigerungsmaßnahmen drangsaliert. Wenn Die Linke ihren Antrag wie angekündigt einbringt, müssen sich Bürgerschaft und Senat dazu verhalten.

SB: Mit welcher Kernaussage wird der Antrag begründet?

MK: Die Kernaussage ist dieselbe, die wir immer gegen Studiengebühren vorgebracht haben, nämlich daß diese unsozial und ein Mittel der sozialen Selektion sind, daß sie Menschen vom Studium abschrecken. Das war immer die grundsätzliche politische Argumentation. Jetzt kommen natürlich einige Aspekte dazu, die sich daraus ergeben, daß Studiengebühren in Hamburg wie auch den anderen Bundesländern abgeschafft worden sind. Die SPD hatte das als ein Wahlkampfversprechen in Aussicht gestellt, was dann etwas verspätet eingelöst wurde. Es gibt jedoch die Altlasten, daß sich viele Studierende die Gebühren nicht leisten konnten und diese gestundet oder boykottiert wurden. Jetzt sind die Hochschulen dazu angehalten, diesem Geld hinterherzulaufen und Forderungen einzutreiben, die noch nicht einmal mit dem Sinn von Studiengebühren, soweit er denn einen gehabt haben soll, in Einklang gebracht werden können. Die Studiengebühren sollten ja dazu verwendet werden, die Studienbedingungen zu verbessern. Wenn man nun Studierende, die kein Geld haben, weiter mit Vollstreckungsmaßnahmen verfolgt, ist dieses Ziel nicht mehr erreichbar. Das ist ein Zusatzargument, das sich aus der aktuellen Situation ergibt.

Zudem kann man erfahrungsgemäß sagen, daß der Aufwand, der für diese Zwangsmaßnahmen betrieben wird, aller Wahrscheinlichkeit nach in keinem Verhältnis zum Ertrag steht. Ein sehr großer Teil der Studierenden wird auch perspektivisch gesehen nicht in der Lage sein, ein Einkommen zu erzielen, das es erlaubt, größere Beträge im vierstelligen Bereich ohne weiteres zurückzuzahlen. Es entstehen Härtesituationen durch Vollstreckungsmaßnahmen, Einträge ins Schuldnerverzeichnis und möglicherweise Schufa-Eintragungen. Das alles hat tiefgreifende persönliche Konsequenzen für die Betroffenen, denen auf der anderen Seite vielleicht einige tausend Euro gegenüberstehen, die dem allgemeinen Staatshaushalt zufließen könnten. Meiner Meinung nach könnte der Senat ein politisches Signal setzen und sagen, wir haben das Thema Studiengebühren erledigt, wir haben eine neue gesetzliche Grundlage geschaffen, jetzt beenden wir diese ganze Problematik und sorgen dafür, daß nicht jeder einzelne um sein Recht kämpfen muß.

Denn das ist natürlich weiterhin möglich, daß jeder einzelne weiter Stundung oder auch Niederschlagung beantragen kann, wenn die Forderungen auf Dauer nicht einbringlich sind. Das läßt die Landeshaushaltsordnung bei Schulden gegenüber der öffentlichen Hand durchaus zu. Aber das bedeutet eben, daß sich jeder einzelne darum kümmern, seine Post bearbeiten, hinterherlaufen und darauf achten muß, daß solche Anträge bearbeitet und nicht trotzdem Maßnahmen getroffen werden, was ja schon passiert ist. Das schafft wiederum einen großen bürokratischen Aufwand, die Steuerkasse ist damit beschäftigt, das Geld einzutreiben, die Hochschulen müssen kontrollieren, ob das Geld reinkommt. Ganze Mitarbeiterstäbe sind damit beschäftigt, dieses Geld einzutreiben. Das könnte doch wirklich sinnvoller eingesetzt werden.

SB: Welche Interessen sind da am Werk, wenn es selbst in ökonomischer Hinsicht im Grunde nicht viel Sinn macht, die ausstehenden Gelder weiter einzutreiben?

MK: Da kann ich nur spekulieren. Ich glaube, die Einsicht ist nicht sehr groß, daß da überhaupt ein Problem besteht. Wir haben das Problem vorgetragen, aber wahrscheinlich wird die Stimme des AStA der HfbK nicht so furchtbar ernst genommen. Man kann nur hoffen, daß durch die Unterstützung von Gewerkschaftsseite und vielen anderen ASten und Einzelpersonen so viel politischer Druck aufgebaut wird, daß der Senat das als Problem begreift. Das wäre der erste Schritt. Ob hinter der Vorgehensweise des Senats ein klares politisches Kalkül steckt und man sagt, wir treiben jeden Cent ein, der uns geschuldet wird, oder ob es sich eher um eine Unwilligkeit handelt, sich überhaupt mit dem Thema auseinanderzusetzen, weiß ich nicht. Der SPD-Senat hat dafür gesorgt, daß Studiengebühren abgeschafft werden, also soll er auch den zweiten Schritt machen und sagen, jetzt ziehen wir einen Schlußstrich.

SB: In der HfbK gab es damals eine sehr breite Unterstützung für den Boykott. Sie war die einzige Hochschule in Hamburg, die es geschafft hat, das Quorum unter den Studierenden zu erreichen.

MK: Und die Studierenden der HbfK haben den Boykott dann auch am längsten und konsequentesten durchgehalten. Sie haben am spätesten angefangen, aber ihr Anliegen dann mit sehr viel Nachdruck verfolgt.

Stellwand mit Bildern und Grafitti und Aufschrift 'Free Gezi' - Foto: © 2013 by LL - Schattenblick.de

Sozialer Widerstand kennt keine Grenzen - HfbK Jahresausstellung 2013
Foto: © 2013 by LL - Schattenblick.de

SB: Warum gelang das gerade an der HFBK? Sind die Studierenden dort etwas anders gepolt, gibt es dort ein anderes Milieu als an den übrigen Hochschulen Hamburgs?

Marion Meyer: Das kann man so nicht sagen. Zunächst einmal verhielt es sich so, daß die Studierenden bei der Organisation des Boykotts damals zahlreich zur Vollversammlung erschienen sind. Das geschah alles sehr kurzfristig, weil viele die Einführung der Studiengebühren noch gar nicht richtig mitgekriegt hatten. Wichtig war auf jeden Fall der gemeinsame Beschluß, den Boykott aufzunehmen und fortzusetzen. An den anderen Hochschulen wurde die Entscheidung daran festgemacht, wieviel Geld auf dem Boykott-Konto ist, und dabei wurden die Quoren knapp verfehlt. An der Universität Hamburg befürworteten ungefähr 11.000 Studierende den Boykott, und von der Anzahl her hätte das ausgereicht, den Boykott durchzutragen. Es gab jedoch in dieser Situation nicht die Möglichkeit, mit allen Studierenden direkt zu reden. Ich glaube, das war ein wesentlicher Hinderungsgrund. Dabei hätten sich dort bestimmt viele beteiligt, und daß etliche bis heute nicht bezahlt haben, ist ja bekannt.

MK: Das ist bei euch an der HfbK ein bißchen kleiner und überschaubarer, man kann in der Vollversammlung gemeinsam Dinge entscheiden, und das hat den Boykott sicher erleichtert. Außerdem gab es bei euch mehr kreativen Input in den Aktionen, das hat auch einen Unterschied gemacht.

SB: Wie ging es damals weiter? Auch Teile des Lehrkörpers haben sich ja mit dem Boykott solidarisiert. Offenbar hat selbst der Präsident der HfbK die Forderungen ursprünglich unterstützt. Wie kam es dazu, daß er später zu einer treibenden Kraft bei der versuchten Erzwingung der Zahlungen wurde?

MM: Das müßt ihr ihn mal fragen! Er wurde von der Presse mit den Worten zitiert, daß er gegen Studiengebühren sei, und das sagt er - genau wie die jetzige Kanzlerin Frau Neubauer - auch heute noch. Er hätte jedoch damals durchaus die Möglichkeit gehabt, dagegen vorzugehen, daß die Studiengebühren auf diese Weise eingetrieben werden. Statt dessen hat er 2007 alle, die nicht gezahlt haben, exmatrikuliert, obwohl das rechtswidrig war. Wäre er wirklich konsequent gegen Studiengebühren gewesen, hätte er sich zuvor über die Rechtslage informieren können.

SB: Die Exmatrikulation schlug hohe Wellen weit über die HfbK hinaus und rief Repräsentanten aus dem Kulturbereich auf den Plan, die Hamburg als Kulturstandort in Gefahr sahen, falls die Studierenden auf diese Weise ausgeschlossen und abgeschreckt würden. Es sollte ja damals ungefähr die Hälfte aller Studierenden der HfbK exmatrikuliert werden, was die Größenordnung des Protests wie auch der Sanktionsandrohung deutlich macht.

MK: Gleich in der ersten Welle der Exmatrikulationen wurden Widersprüche eingelegt und Klagen eingereicht. Kurz vor der mündlichen Verhandlung hat dann die HfbK einen Rückzieher gemacht, weil sie das Verfahren verloren hätte. Es war klar, daß eine Exmatrikulation zu diesem Zeitpunkt rechtlich nicht möglich war. Sie hätte diesen Prozeß verloren, und um sich das zu ersparen, hat sie dann lieber vorher einen Rückzieher gemacht, bevor das in aller Öffentlichkeit verhandelt worden wäre. Die Position des Präsidenten war von Anfang an ambivalent. Ich würde nicht sagen, daß er sich mit den Studierenden solidarisiert hat. Er hat vielmehr allgemeine Erklärungen abgegeben, daß ihm Studiengebühren auch nicht so gut gefallen, aber im Konkreten hat er sich dann doch zum Werkzeug machen lassen und versucht, die Zahlung zu erzwingen. Erst auf Druck des Boykotts sowie der Klagen und Widersprüche war die Hochschule bereit, vorerst einzulenken, und wir konnten eine Vereinbarung mit ihr herbeiführen, daß zumindest die Forderungen gestundet werden. Damit hatten wir einen Teilerfolg erreicht.

MM: Politiker machen gerne Versprechungen, um die Leute zum Schweigen zu bringen, und der damalige Präsident ist aus meiner Sicht auch so ein Politiker, der öffentlich etwas behauptet, was er dann in der Konsequenz nicht einlöst. Es gibt immer Möglichkeiten, wie man Studierende besser beschützen könnte, und eine Hochschule sollte doch eigentlich die Aufgabe haben, Impulse in diesem Sinne zu setzen. Das sehe ich derzeit in der HfbK oder auch bei anderen Hochschulen bundesweit überhaupt nicht.

SB: Mit welchen Zwangsmaßnahmen müssen Studierende rechnen, die einfach nicht zahlen können oder sich aus prinzipiellen Gründen den Studiengebühren dauerhaft verweigern?

MK: Es kann versucht werden, deren Einkommen oder Konten zu pfänden oder bei ihnen zu Hause per Gerichtsvollzieher eine Pfändung durchzuführen. Normalerweise gehen bei Menschen, die kein oder ein geringes Einkommen haben oder von Transferleistungen leben, solche Pfändungen ins Leere. Es kann jedoch die Abgabe der sogenannten eidesstattlichen Versicherung durchgesetzt werden, mit der man erklärt, über kein Einkommen und Vermögen zu verfügen. Das wiederum hat eine Eintragung ins Schuldnerverzeichnis zur Konsequenz, das öffentlich einsehbar ist, so daß daraus weitere Probleme entstehen können. Wenn Bankkonten gepfändet werden, erfolgt normalerweise automatisch eine Eintragung bei der Schufa, weil die Banken mit ihr entsprechende Verträge haben. Das alles kann dazu führen, daß der Dispokredit gekündigt wird und man auch sonst keine Kreditleistung bekommt. Bei Anmietung von Wohnungen wird häufig auch eine Schufa-Auskunft verlangt, und wenn die Schuldeneintreibungen enthält, bekommt man auch da Probleme. Solche Folgen können daraus entstehen. Daß aber tatsächlich Geld fließt, wird in den wenigsten Fällen vorkommen. Die etwas haben, werden wahrscheinlich ohnehin bezahlen. Also wird es diejenigen hart treffen, die nichts haben.

SB: Vermutlich haben die Leitung der HfbK und auch die Behörden damit gerechnet, daß die Boykottkampagne in absehbarer Zeit zusammenbrechen und einschlafen wird. Ihr habt jedoch bemerkenswert lange durchgehalten, wobei inzwischen viele Unterstützer ihr Studium bereits abgeschlossen haben. Wie habt ihr es geschafft, diese Kontinuität aufrechtzuerhalten und zu verhindern, daß sich der Boykott auflöst?

MM: Die Leute haben gemerkt, daß der Boykott 2007 ein großer Erfolg war. Dann wurde er Semester für Semester immer wieder durchgeführt, bis sich diese Kampagne verselbständigt hat. Die Studierenden waren informiert, wußten, was sie machen müssen, und haben einfach nicht mehr bezahlt. Das hat sich durchgängig fortgesetzt. Eine ganze Zeitlang ist ja auch nichts passiert, da sich die Hochschule nach der gescheiterten Exmatrikulation zurückgehalten und versucht hat, das Problem mit einer Stundung nach Landeshaushaltsordnung einzudämmen. Viele Studierende haben dann auch eine Stundung beantragt. Da diese Stundungen jetzt auslaufen, tritt der Konflikt erneut zutage. Damit hat keiner gerechnet, weil es immer hieß, daß durch die Stundung das Problem vom Tisch sei und niemand mehr diese Gelder einfordern würde.

SB: Ihr habt damals verschiedene öffentlichkeitswirksame Aktionen durchgeführt, um auf den Boykott aufmerksam zu machen. Was habt ihr alles unternommen, um die Kampagne auf breitere Füße zu stellen?

MM: Es gab beispielsweise eine spontane Reaktion auf die Exmatrikulation, als an der Hochschule die Wände angemalt wurden. Das hatte zunächst eine Strafanzeige zur Folge, die der Präsident aber wieder zurückgezogen hat, als die Studierenden zusagten, daß sie die Wände wieder weiß anstreichen würden. Zudem erklärten sie, es handle sich um eine künstlerische Aktion, was zu einer Kontroverse im Lehrkörper führte. Die einen stellten sich auf den Standpunkt, daß das lediglich Schmierereien und bestenfalls schlechte Graffitis seien. Andererseits unterstützten einige Hochschulprofessoren die Studierenden mit der Begründung, es handle sich auf jeden Fall um eine künstlerische Aktion, wie es sie in vergleichbarer Form schon immer gegeben habe.

Videoinstallation mit Transparent 'Das letzte Hemd nimmt uns die Studiengebühr' - Foto: © 2011 by Ray Juster

Installation zum Boykottspot "NACKT ins Leben - Sie nehmen Dir das letzte Hemd" [2]
Foto: © 2011 by Ray Juster

SB: Gibt es im Lehrkörper der HfbK insbesondere bei der älteren Generation eine Tradition, auf eine Geschichte politischer Ausdrucksformen von Kunst Bezug zu nehmen?

MM: Es gab einige kritische Professoren, die sich damals darüber gefreut haben, jetzt aber nicht mehr an der Hochschule sind. Andere unterstützten die Studierenden nicht aus politischen Gründen, sondern unter einem kunsthistorischen Aspekt.

SB: Offenbar werden nicht an allen Hamburger Hochschulen ausstehende Studiengebühren mit gleicher Vehemenz eingefordert. Warum ist das an der HfbK, weniger jedoch an der Universität Hamburg der Fall? Es müßte folglich eine selektive Weichenstellung gegeben haben, wo besonders rigoros nachgefaßt wird.

MK: Es gab eine Prüfung des Rechnungshofs, der die HfbK aufgefordert hat, die ausstehenden Gebühren einzutreiben. Möglicherweise hätte die Hochschule von sich aus gar nichts unternommen. Inwieweit das bei anderen Hochschulen gleichzeitig geprüft wurde, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls war die Mahnung des Rechnungshofs der Anlaß für die HfbK, dieses Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

SB: Wie habt ihr Kontakt zu den Medien hergestellt und welche Erfahrungen habt ihr dabei gemacht?

MK: Im Moment läuft das etwas schleppend an, aber ich denke, das kommt nochmal wieder. Damals haben alle Medien und Zeitungen ausführlich darüber berichtet. An allen Hochschulen ist etwas passiert, da die Einführung und Durchsetzung der Studiengebühren ein zentrales Thema der Bildungspolitik war. Es war ein bundesweites Thema mit Hamburger Spezifika, und das haben alle Medien aufgegriffen, da mußte man gar nicht so viel dafür tun. Der Boykott hatte eine derartige Resonanz, daß man damals gar keine speziellen Pressekontakte benötigte. Das hat einfach alle interessiert, weil es so viele Studierende betraf.

MM: Die allgemeinen Studiengebühren waren in Hamburg gerade neu eingeführt worden, und da es damals um die Ausrichtung der gesamten Bildungspolitik ging, zeigten sich die Medien sehr interessiert. Inzwischen sind die Studiengebühren wieder abgeschafft worden, so daß es viel schwieriger ist, Interesse an diesem Thema wachzurufen.

MK: Bei der Einforderung der gestundeten oder boykottierten Gebühren hat man einen wesentlich schlechteren Zugang zur Öffentlichkeit, weil Studiengebühren heute als ein randständiges Problem der Vergangenheit gesehen werden. Ich gehe jedoch davon aus, daß dieses Thema nicht für alle Zeiten vom Tisch ist, da durchaus Diskussionen geführt werden, ob man diese Gebühren nicht doch wieder einführen sollte. Die Vehemenz des Protests hat dazu geführt, daß das Thema in der Schublade verschwunden ist, aus der es aber irgendwann wieder hervorgekramt werden dürfte. Ich glaube nicht, daß alle, die seinerzeit die Einführung der Studiengebühren betrieben haben, glücklich waren, als sie wieder abgeschafft wurden.

SB: Gab es überhaupt eine konsistente Begründung, warum die Studiengebühren wieder abgeschafft wurden?

MK: Hier in Hamburg war klar, daß die SPD Studiengebühren ablehnte, in denen sie kein geeignetes bildungspolitisches Instrument sah. Vor allem aber war die Abschaffung dem Regierungswechsel geschuldet, weil sich die SPD vor dem Hintergrund der massiven Proteste gedrängt sah, diese Forderung in ihr Wahlkampfprogramm aufzunehmen. Ganz von allein sind die Sozialdemokraten also nicht darauf gekommen. Aber der Wind kann sich auch wieder drehen. Ich halte es für wichtig, an diesem Thema dranzubleiben, um zu verhindern, daß Studiengebühren noch einmal in die Diskussion kommen.

Installation Ray Juster 'Hamburg academy of fine snack culture' - Foto: © 2013 by Ray Juster

Darf's ein bißchen teurer sein? Hochschulpolitik für den verwöhnten Gaumen
Foto: © 2013 by Ray Juster

SB: Die Studierenden müssen verschiedene andere Gebühren entrichten, so daß ihre finanzielle und soziale Situation auch über die Frage der allgemeinen Studiengebühr hinaus davon belastet ist.

MM: Ja, es sind aktuell 290 Euro Semesterbeitrag, was ja auch nicht gerade wenig ist. Damals kamen diese 500 Euro Studiengebühren dazu, die später unter Regierungsbeteiligung der GAL auf 375 Euro gesenkt wurden, während man zugleich die Befreiungsmöglichkeiten für chronisch Kranke oder Studierende mit Kindern abgeschafft hat. Im Prinzip wurden die Kosten nur umgelegt. Da die Hochschulen dauerhaft unterfinanziert sind, setzt sich der Kostendruck für die Studierenden fort.

SB: Wie sind die in der Bürgerschaft vertretenen Parteien in Fragen der Bildungspolitik einzuschätzen? Die CDU war bekanntlich immer für Studiengebühren. Die SPD unter Olaf Scholz mußte ihr Wahlversprechen einhalten. Unter Beteiligung der GAL wurden die Studiengebühren zwar gesenkt, dafür aber Befreiungsmöglichkeiten abgeschafft. Gibt es unter den Grünen überhaupt zuverlässige Bündnispartner oder suchen sie lediglich vordergründige Anknüpfungspunkte, um Werbung in eigener Sache zu machen?

MM: Die Grüne Jugend Hamburg unterstützt den Boykott. Davon abgesehen habe ich schon den Eindruck, daß solche Themen dazu benutzt werden, Politik zu machen, und die Grünen nicht grundsätzlich gegen Studiengebühren sind, auch wenn sie das zeitweise sagen. Ich frage mich schon, was passieren würde, wenn sie erheblich mehr Stimmen bekämen. Unter Beteiligung der Grünen wurden in Hamburg die nachgelagerten Gebühren eingeführt, die über die KFW abgewickelt und für sozialverträglich erklärt wurden. Sollten eines Tages wieder Studiengebühren eingeführt werden, dann wahrscheinlich nach diesem Modell der Grünen, das aus meiner Sicht wegen der Verzinsung keineswegs sozialverträglich ist. Und selbst wenn es nicht verzinst wäre, bliebe es doch sozial unverträglich, weil es ungleiche Bedingungen schafft: Wer nicht sofort bezahlen kann, wird zur Kasse gebeten, wenn er später in den Beruf einsteigen will. Diesen Parteien traue ich nicht über den Weg!

MK: Nur Die Linke ist eindeutig und ohne konjunkturelle Schwankungen gegen Studiengebühren. Allerdings mußten wir bei der Frage der Altlasten, die jetzt zur Debatte steht, bei der Linksfraktion ein bißchen Überzeugungsarbeit leisten, bis sie das zu ihrem Thema gemacht hat. Ein wenig schwang zunächst die Skepsis mit, daß doch ein Teil der Studierenden gezahlt habe. Wieso sollen die anderen dann nicht auch bezahlen? Ich halte das für eine falsche Betrachtungsweise, weil diejenigen, die nicht bezahlt haben, einfach das Geld nicht hatten. Was aber die Grünen betrifft, so kann man sich nicht darauf verlassen, ob sie eher eine sozialere Richtung oder im Gegenteil die Modernisierer-Richtung einschlagen, wozu dann auch wieder Studiengebühren gehören, weil man die Hochschulen elitärer ausrichten will. Da gibt es beide Strömungen, und welche sich jeweils durchsetzt, hängt von der sonstigen gesellschaftlichen Auseinandersetzung ab. Die SPD wird vorerst bei ihrer Position bleiben, keine Studiengebühren einzuführen, so schätze ich das ein.

SB: Wie erlebt ihr das bildungspolitische Klima insgesamt, denn was die Hochschulreform unter dem Bologna-Prozeß betrifft, treten ja durchaus Kritiker auf den Plan, die diesen oder jenen Aspekt für verfehlt oder gescheitert erklären. Wie ist die Stimmung im Lehrkörper und unter Studierenden? Gärt da wachsender Unmut oder hat man es mit einer Entwicklung zu tun, gegen die es keinen Widerstand mehr gibt?

MM: Es gibt schon Widerstand. Beispielsweise wurde der Bachelor in Leipzig für das Lehramt abgeschafft, wo die Uni den alten Examenstudiengang wieder eingeführt hat. Unter den Studierenden erlebt man auf jeden Fall großen Unmut, und das gilt auch für diejenigen, die neu anfangen und es gar nicht anders kennen. Das ist ja ein großes Problem, daß die Leute unter neuen Bedingungen anfangen und die alten gar nicht mehr kennen. Da fällt es schwer, Ansätze der zu finden, aber es ist schon so, daß sowohl an der Uni als auch an der HfbK die Studierenden genervt sind.

SB: Gibt es Momente, wo dieser Unmut kulminiert und greifbarer wird, indem sich die Studierenden zusammenschließen und etwas unternehmen?

MM: Im Moment passiert in Hamburg nicht viel. Es gibt allenfalls studentische Initiativen, die Reformen fordern. Beispielsweise wurden beim Bachelor Modulfristen abverlangt, so daß man in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Anzahl von Seminaren, die zusammengehören, absolvieren mußte. Schaffte man das nicht, war man im gesamten Modul durchgefallen. Diese Regelung wurde auf Initiative von Studierenden aufgehoben. Das sind dann so kleine Verbesserungen.

Polizeikette und Studierendendemo - Foto: © 2009 by Ray Juster

Lernen fürs Leben - Bildungsstreikdemo auf dem Hamburger Rathausmarkt am 17. Juni 2009
Foto: © 2009 by Ray Juster

SB: Gibt es darüber hinaus einen Übertrag auf andere politische Themen, indem man einerseits für die eigenen Forderungen kämpft, aber auch eine Brücke zu anderen gesellschaftlichen Themen schlägt? Hat es in jüngerer Zeit in dieser Hinsicht Veränderungen gegeben? Da die Isolation und der Druck stark zugenommen haben, sind die Voraussetzungen, etwas zu unternehmen, sicher schlechter geworden.

MM: In den Jahren 2007 bis 2009, als der Boykott aktuell war, sind die Studierenden enger zusammengerückt. Sie haben viel diskutiert, sich politisiert und sind auch bei anderen Themen kritischer geworden. Grundsätzlich ist es in einem derart verschulten System jedoch schwierig, sich politisch zu engagieren. Wenn man Vollzeit studiert, bleibt kaum Luft, sich mit anderen Dingen zu befassen. Es ist etwas Systemimmanentes, das in diesem Bachelor drinsteckt. Man kommt aus der Schule raus und in ein System rein, das wenig Spielraum für eigene offene Gedanken läßt. Immerhin gibt es viele Studierende, die das kritisieren.

SB: Die Form der Ausbildung betrifft also nicht nur die Lehrinhalte, sondern darüber hinaus auch die Einstellungen und Verhaltensweisen der Studierenden, die diesem System unterworfen sind?

MK: Das ist ganz sicher der Fall. Ich habe in den 1980er Jahren studiert, als es noch ganz andere Freiräume und eine wesentlich größere zeitliche Flexibilität gab. Man hatte erheblich mehr Möglichkeiten, sich sowohl hochschulpolitisch als auch in anderen Fragen zu politisieren. Da sind heutzutage die Hürden wesentlich höher, und das hat zu einem Mentalitätswechsel geführt. Das Studium wird eher als Berufsausbildung gesehen und nicht als Gelegenheit, sich allgemein zu bilden und mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Insgesamt ist das heute sehr viel weniger als noch in den 1970er Jahren der Fall.

MM: Das hängt auch mit dem gesellschaftlichen Druck von außen zusammen, der weiter steigt, da die Aussichten, daß man nach dem Studium auch Geld verdienen kann, angesichts zunehmend prekärer Arbeitsverhältnisse immer schlechter werden. Viele Studierende wollen nur ihr Studium möglichst gut abschließen, damit sie hinterher bessere Chancen haben. Das steckt im System, daß die Menschen nur noch an sich denken und nicht mehr auf die Idee kommen, etwas zu verändern.

SB: Martin, du bist mit den Studiengebühren als Anwalt schon etliche Jahre befaßt. Bei dir klingt aber auch ein persönliches Interesse an, dich gerade in dieser Frage zu engagieren.

MK: Ich bin schon immer ein politisch aktiver Mensch gewesen. Die Studierenden der HfbK haben angefragt, ob unsere Kanzlei die Vertretung übernimmt. Wir sind in verschiedenen Feldern wie Flüchtlingspolitik, Migrationspolitik, antifaschistische Politik und auch im Bildungsbereich aktiv. So lag es nahe, diesen Fall zu übernehmen, zumal ich es gut und spannend finde, daß die Studierenden eine ganze Menge auf die Reihe kriegen. Für mich war überraschend, daß noch so viel Engagement an einer Hochschule anzutreffen ist. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß sich derart viele Leute am Boykott beteiligen. Daß trotz des verschulten Systems so viel zustande gekommen ist, fand ich sehr beeindruckend und unterstützenswert.

SB: Am 10. April wird in der Hamburger Bürgerschaft so etwas wie ein Endpunkt gesetzt. Oder seid ihr im Gegenteil der Auffassung, daß das nur eine weitere Zwischenstation ist, unabhängig davon, ob der Antrag der Linksfraktion angenommen oder abgelehnt wird?

MK: Das ist eine Zwischenstation, zumal der Senat im Grunde bereits zum Ausdruck gebracht hat, wie er das sieht. Wie in vielen anderen politischen Feldern ist es eine Frage der Auseinandersetzung, ob Bewegung in die Sache kommt oder nicht. Vielleicht muß man das auch noch einmal an einzelnen Verfahren durchexerzieren und dann die Hürden so hoch legen, daß der Senat irgendwann sagt, daß seine bisherige Auffassung keinen Zweck mehr hat, weil er sich daran die Zähne ausbeißt und doch nicht an das Geld herankommt. Das kann vielleicht noch ein, zwei Jahre dauern, aber was derzeit passiert, ist kein Endpunkt, sondern nur ein Zwischenstand. Das Thema ist jetzt wieder aktuell geworden, und nun wird noch einmal öffentlich darüber verhandelt, was auch gut so ist. Aber wenn das jetzt nicht zum Erfolg führt, muß man sich andere Wege überlegen, die dann vielleicht erfolgversprechender sind.

SB: Gäbe es denn Möglichkeiten, auf dem Rechtsweg noch was zu unternehmen?

MK: Ja, wenngleich diese Möglichkeiten natürlich ein bißchen eingeschränkt sind. Soweit die ursprünglichen Gebührenbescheide bestandskräftig sind, ist es natürlich schwierig. Dann kann man eigentlich nur auf der Basis von Stundung und im Einzelfall Niederschlagung mit der Steuerkasse verhandeln. Ist kein Einkommen vorhanden, muß weiter gestundet werden, und bei Menschen, die dauerhaft krank sind, liegt nahe, daß die Sache dann niedergeschlagen wird. In je mehr Fällen das geschieht, desto größer dürfte die Bereitschaft sein, irgendwann einen Schlußstrich zu ziehen. Allzu erfolgreich waren wir bislang auf juristischer Ebene nicht, da die Richter im wesentlichen doch eher im Sinne der Staatsräson entschieden haben. Aber im Einzelfall kann man über Härtegründe sicherlich doch noch einmal versuchen, etwas zu erreichen. Das ganze muß jedoch immer politisch begleitet sein, denn selbst zehn Einzelfälle werden den Senat nicht beeindrucken, wenn nicht eine politische Auseinandersetzung stattfindet. Beides zusammen kann mit Chance zum Erfolg führen.

SB: Sollte man also noch einmal eine Kampagne auf den Weg bringen, die in der Öffentlichkeit Spuren hinterläßt, Signalfunktion hat und den Senat beeindruckt?

MK: Mit der Presseerklärung und dem offenen Brief haben wir einen deutlichen ersten Schritt gemacht, zumal sich auch Organisationen beteiligen, die einflußreicher als einzelne Studierende oder der ASTA sind. Nun muß sich zeigen, ob diese Organisationen das wirklich zu ihrer Sache machen und auch selber Initiative ergreifen.

SB: Marion und Martin, vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.

Hauptportal der HfbK mit weißen Daunenfedern geschmückt - Foto: © 2013 by LL - Schattenblick.de

Ganz in weiß - Verklärter Blick auf die HfbK anläßlich der Jahresausstellung 2013
Foto: © 2013 by LL - Schattenblick.de


Fußnote:

[1] http://www.kanzlei49.de/kanzlei.html#wir

[2] Boykottvideo "NACKT ins Leben - Sie nehmen Dir das letzte Hemd"
http://www.youtube.com/watch?v=0Ip1PVNHfJ8


Bisherige Beiträge zum Thema Boykott der Studiengebühren im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BILDUNG UND KULTUR → TICKER:

CAMPUS/001: Offener Brief - versprochen, gebrochen ... 1 (AStA HfbK, GEW Hamburg, Kanzlei 49)
CAMPUS/002: Offener Brief - versprochen, gebrochen ... 2 (AStA HfbK)

sowie unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → BILDUNG UND KULTUR → REPORT:

BERICHT/032: Gebührenboykott - Strafen und Exempel (SB)


8. April 2014