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INTERVIEW/018: Leibniz-Gemeinschaft - Horizonte der Nachhaltigkeit, Prof. Dr. Reiner Brunsch im Gespräch (SB)


Fragen zu den Forschungslandschaften in Deutschland am Beispiel der Leibniz-Gemeinschaft

Aus Anlaß des Jahrespressegesprächs der Leibniz-Gemeinschaft am 24. März 2014 in Berlin

Interview mit Prof. Dr. agr. habil. Reiner Brunsch über die vielschichtigen Herausforderungen an die Agrartechnik vor Problemstellungen des globalen Wandels



Keine Gesellschaft hat ihr demokratisches Versprechen erfüllt, wenn Menschen hungern ...
Wenn einige nicht zu essen haben, sind sie offensichtlich jeder Macht beraubt worden. Die Existenz von Hunger straft die Existenz der Demokratie Lügen. (Frances Moore-Lappé, Aktivistin gegen den Welthunger und seine Ursachen)

Eine wachsende Weltbevölkerung, sich verändernde Lebensgewohnheiten, immer knappere Ressourcen, Bodendegradierung, zunehmende Mißernten und Ernteverluste durch die Folgen des Klimawandels, drohende Hungerkrisen ... Vor dem Hintergrund des globalen Wandels stellen sich auch die Institute des Leibniz-Forschungsverbunds "Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung" den naheliegenden Fragen: Wie kann die Weltbevölkerung sicher, nachhaltig und gesund ernährt werden? Wie kann die gesunde Ernährung der Gesellschaft aus der Wissenschaft heraus gefördert werden, welche Fragen über die Wirkung von Lebensmitteln auf die Gesundheit und über die Ernährungsgewohnheiten sind hier noch offen? Und wie beeinflussen sich nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung? Daneben wird in der Agrarforschung und -technologie zunehmend auch die stoffliche und energetische Nutzung von Biomasse diskutiert. Während sich ihre maßgebliche Kritik in der Zivilgesellschaft unter Slogans wie "Tank oder Teller" und "Vermaisung der Landschaft" eindeutig positioniert, kaufen Industrie und Energiekonzerne bereits Anbauflächen in der Welt auf, um ihre Interessen zu sichern und mit Kapital und Boden zu unterfüttern.

Hauptgebäude des Leibniz-Instituts für Agrartechnik Potsdam-Bornim - Foto: ATB

Der Standort in Potsdam-Bornim ist aus dem ehemaligen Akademie-Institut für Landtechnik der DDR hervorgegangen.
Foto: ATB

Wie diese Problemstellungen von der konventionellen Wissenschaft und einer problem- und anwendungsorientierten Forschung aufgegriffen werden, die eng mit der Industrie und Landwirtschaft zusammenarbeitet sowie eine beratende Funktion in der Politik einnimmt, welche Produktionssysteme bereits entwickelt wurden und daß es bisher keine vollkommen befriedigende Lösung gibt, konnte der Schattenblick von dem Direktor des Leibniz-Instituts für Agrartechnik Potsdam-Bornim [1] und Sprecher des Leibniz-Forschungsverbunds "Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung", Prof. Dr. agr. habil. Reiner Brunsch, in einem Interview vor dem offiziellen Jahrespressegesprächs der Leibniz-Gemeinschaft am 24. März 2014 erfahren. Für ihn, das wurde deutlich, hat die Ernährung von Vielen oberste Priorität.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

'Wissenschaftspolitisch in eine Gemeinschaft integriert, lassen sich forschungspolitische Interessen innerhalb der Gesellschaft besser vertreten.'
Prof. Dr. agr. habil. Reiner Brunsch
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Was bedeutet es für Sie, Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft zu sein?

Professor Reiner Brunsch (RB): Es ist immer gut, als relativ kleines Institut wissenschaftspolitisch in eine Gemeinschaft integriert zu sein, um forschungspolitische Interessen innerhalb der Gesellschaft besser vertreten zu können. Aus diesem Grund hatten die damaligen Institute der Blauen Liste [2] den Verein Leibniz-Gemeinschaft gegründet.

SB: Stehen Sie denn auch in einem wissenschaftlichen Kontakt zu anderen Mitgliedern der Leibniz-Gemeinschaft?

RB: Ja, in einem sehr engen. Zum einen gibt es das neue Instrument der Forschungsverbünde oder das der Wissenschafts-Campi, mit denen wir die Verbindung zwischen den Leibniz-Instituten verstärkt haben, und zum anderen traditionell seit Gründung der Leibniz-Gemeinschaft die sogenannten Sektionen, die fachlich gegliedert sind. In der Sektion Umweltwissenschaften zum Beispiel hatten wir mit den Instituten schon immer den engsten fachlichen Kontakt. Das hat sich jetzt weiterentwickelt, denn wir haben gemerkt, daß sehr viele wissenschaftliche Fragestellungen nicht nur in den klassischen Sektionen abgehandelt werden können. Deshalb existieren jetzt auch diese neuen Formen der Zusammenschlüsse.

SB: Hat es einen besonderen Grund, daß Sie sich Institut für Agrartechnik nennen, weil das Wort ja nicht so gebräuchlich zu sein scheint. Gibt es da einen Unterschied zum Landwirtschaftlichen Institut, der sich dem Laien vielleicht nicht sofort erschließt?

RB: Wir sind traditionell, historisch gesehen, seit der Gründung in den 1920er Jahren am Standort in Potsdam [3] ein agrartechnisch orientiertes Institut und sind aus dem ehemaligen Akademie-Institut für Landtechnik der DDR hervorgegangen. Deswegen ist natürlich auch der Gründungsauftrag agrartechnisch geprägt. Viele Leute verstehen unter Technik immer bloß Maschinen, aber wir verstehen unter Agrartechnik auch die Nutzung der Maschinen im landwirtschaftlichen Produktionssystem. Das ist das, womit wir uns forschungsmäßig beschäftigen.

Große Planiermaschinen schaufeln die Weizenernte in sterile Betonsilos - Foto: by Felagund freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz

Agrartechnik, wie sie gemeinhin verstanden wird - Silageproduktion (Weizen) in Israel
Foto: by Felagund freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz

SB: Haben Sie eine bestimmte Zielgruppe, für die Sie Ihre Forschungen betreiben?

RB: Ja, zunächst betreiben wir die Forschung auch für die agrarwissenschaftliche Community, aber sind in unserer grundlegenden Forschung auch sehr anwendungsorientiert. Das heißt, wir haben eigentlich in der Regel für jede wissenschaftliche Fragestellung, die uns bewegt, einen konkreten wirtschaftlichen Anwendungsfall im Auge. Wir erarbeiten nicht oder höchst selten völlig zweckfreien Erkenntnisgewinn, sondern wir sehen irgendwo ein Problem, das wir als Herausforderung auffassen und für das wir dann eine wissenschaftliche Klärung herbeizuführen versuchen.

SB: Geht das so weit, daß Sie auch Auftragsforschung oder Projekte annehmen?

RB: In Ausnahmefällen machen wir auch Auftragsforschung. Aber wir bevorzugen die gemeinsame Forschung mit den Industriepartnern, weil wir dann von vornherein auch die wissenschaftliche Verwertung der Ergebnisse, sprich Publikationen, miteinander regeln können. Bei reiner Auftragsforschung erfüllt man den Auftrag des Dritten, der einen dafür bezahlt und bestimmt, was mit den Ergebnissen passieren wird. Das ist natürlich für die Wissenschaft nicht so ganz lukrativ, denn wir werden durch unsere Veröffentlichungen wahrgenommen.

SB: Ihre Forschungsbereiche haben alle irgendwie mit Rinderhaltung und Milchwirtschaft zu tun. Ist das richtig?

RB: Das ist ein gewisser Schwerpunkt, ja.

Ein Melker bei der Arbeit - Foto: by Denis Gustavo freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-2.0 Lizenz

Handarbeit ...
Foto: by Denis Gustavo freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-2.0 Lizenz

SB: Kommen Sie selbst aus dem landwirtschaftlichen Bereich. Haben Sie eine Beziehung dazu von Hause aus?

RB: Ja, ich bin gelernter Melker, wenn Sie so wollen, habe Landwirtschaft studiert und mich auch im Bereich der Tierhaltung spezialisiert. Die Milchkühe hatten für mich schon immer besondere Präferenz. Es ist allerdings jetzt vielleicht in Bezug auf das Institut nicht unbedingt zwingend, daß das getan wird, was der Chef am liebsten macht, sondern es ergibt sich einfach daraus, daß die Milchproduktion innerhalb der Landwirtschaft in Deutschland noch insgesamt einen sehr hohen wirtschaftlichen Stellenwert und darüber hinaus hat.

SB: Was bedeutet für Sie in diesem Zusammenhang Ressourceneffizienz?

RB: Ressourceneffizient im weitesten Sinne bedeutet für uns, daß wir eine bestimmte Menge Milch und auch Rindfleisch mit dem geringst möglichen Verbrauch an nicht erneuerbaren Ressourcen, also vor allen Dingen Nährstoffen, aber auch Energie, erzeugen, und auch, daß wir dabei die Ressource Natur im Auge behalten. Das heißt, daß wir eine möglichst geringe Belastung der Natur mit der Produktion verursachen. Und es bedeutet auch, daß wir uns der sozialen Dimension von Produktion bewußt sind, daß wir also nicht Arbeitsplätze um jeden Preis vernichten wollen, sondern im Gegenteil mit Automatisierung und Mechanisierung eine Entlastung der Arbeitskräfte von stupider und schwerer körperlicher oder gefährlicher Arbeit erreichen. Wir wollen nicht um jeden Preis automatisieren, um mit weniger Menschen mehr zu produzieren. Das ist nicht der Sinn und Zweck. Die Ressource Arbeitskraft spielt in unseren Forschungen eine Rolle, ebenfalls die Gesunderhaltung der werktätigen Landwirte im Arbeitsprozeß, also ergonomische Fragestellungen zum Beispiel.

Melkgeschirr ressourceneffizient im Einsatz an der Kuh - Foto: by Volker Detering (Public domain), via Wikimedia Commons

... oder Agrartechnik
Foto: by Volker Detering (Public domain), via Wikimedia Commons

SB: Gehören zu diesen Rationalisierungsbestrebungen auch die sehr großen, industriell betriebenen Milchwirtschaften zum Beispiel in Polen und Ungarn?

RB: Es gibt ja immer diese schönen, modernen Trendwörter, die für uns als Wissenschaftler eigentlich jeglicher Definition oder zum Teil auch einer scharfen Abgrenzung nicht zugänglich sind. Das heißt, auf Ihre Frage zurückkommend: Wir machen keinen Unterschied in der Größe der Bestände, denn tiergerechte Haltungssysteme braucht es für den Kleinstbestand genauso wie für den Großbestand. Die größeren Tierbestände ab 1000 Kühen stellen sicherlich dann noch eine ganze Menge zusätzlicher, höherer Anforderungen, vor allen Dingen ans Management, als 20er oder 50er Kuhbetriebe.

Diese speziellen Anforderungen an Großbestände untersuchen wir schon auch, denn es gibt angepaßte Technologien in Abhängigkeit vom Bestand. Bleiben wir mal beim Beispiel Milchproduktion. Für den modernen Milchviehbetrieb bäuerlicher Größe ist der Melkroboter eine sehr gewünschte und gern investierte Variante, während man in einem 1000-Kuh-Betrieb ungefähr 15 bis 20 Melkroboter brauchen würde, um den Bestand zu melken. Dafür ist diese Technologie nicht geeignet. Da ist dann schon, wenn man so einen hohen Automatisierungsgrad haben will, ein Melkkarussell zum Beispiel in dem großen Bestand besser, in dem bestimmte Arbeiten bis hin zu allen Tätigkeiten, die im Melkprozeß stattfinden, auch heutzutage schon automatisiert stattfinden können, aber nicht müssen.

In dem Melkkarussell eines Landwirtschaftsbetrieb in Großerkmannsdorf, von dem nur ein Drittel abgebildet ist, stehen Kühe mit den Köpfen nach außen. Der Innenmelker (im Außenmelker stehen die Kühe andersherum) soll dem Melker in der Mitte einen besseren Überblick auf das Wohlbefinden der Tiere verschaffen. - Foto: by Gunnar Richter freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz

Ressourceneffizienz und Kuh-Wellness kein Widerspruch?
Was die Kuh zum Wohlfühlen braucht, liegt im Ermessen des Betriebspersonals.
Foto: by Gunnar Richter freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz

SB: Auf welche Dinge muß man da zusätzlich achten, damit das alles noch tiergerechter wird? Stellen sich da größere Probleme?

RB: Je weniger Kontakt zwischen Mensch und Nutztier stattfinden kann, je kürzer die Zeiten des Kontaktes sind, um so wichtiger ist es, sehr genaue Informationen über Gesundheit und Wohlbefinden der Tiere zu erfassen. Das muß man nicht per Auge oder Nase oder wie auch immer machen, sondern da kann man sich heute moderne Sensoren zur Hilfe nehmen, die das Tierverhalten beziehungsweise die Tiergesundheit überwachen. Das sind dann zum Beispiel die Hilfsmittel, an denen wir forschen. Wie man durch mehr Informationen, die man objektiv gewinnt und einer Bewertung zuführt, und möglichst auch mit einer automatisierten Bewertung dann Entscheidungshilfen bekommt und als Landwirt ganz gezielt die Anonymität zu dem einzelnen Tier ein Stück weit überwinden kann, die in der Regel mit einem Zurückgang der Betreuungszeit und einem Wachsen des Bestandes einhergeht. Daß man sich das Tier nach dem, was einem der Computer empfiehlt - daß dort irgendwelche Unregelmäßigkeiten offensichtlich sind -, dann genauer anguckt und dafür sorgen kann, trotzdem einen exakten Überblick über seine Tiere zu haben, auch mit relativ wenig Arbeitskräften. Mit vielen technischen Hilfsmitteln kann man dann über das Wohl der Tiere wachen.

SB: Wie finden Sie den Vorschlag einiger Ökosystemforscher, mehr Vieh auf weniger Land zu halten, indem man noch mehr Kraftfutter oder Energiefutter zufüttert? Es gab kürzlich eine Studie dazu.

RB: Das ist eine sehr spannende Herausforderung. Zum einen haben wir zu berücksichtigen, daß die Tierhaltung heute, genau wie alles andere Wirtschaften, eine globale Dimension hat. Das heißt, alles, was wir nicht produzieren, kommt von woanders. Was wir aber verzehren wollen und nicht produzieren, wird eben woanders hergestellt, wenn es auf dem Weltmarkt diese Nachfrage gibt. Das heißt, wenn wir, wie besonders in Deutschland, sehr hohe Tierschutzstandards in der Produktion haben und uns da leichtfertig zurückziehen und sagen, wir produzieren weniger, obwohl die Welt mehr Tierprodukte nachfragt, ist das ein Stück weit auch nicht verantwortungsvoll.

Die konkreten Fragen, wieviel Vieh man denn auf einer Fläche halten kann und welche Tierkategorie man sinnigerweise in Kombination mit anderen hält, sind wissenschaftlich nach wie vor spannend. Dem widmen wir uns auch, denn wir haben, wenn ich das vielleicht mal ganz simpel mit einem extremen Beispiel konstruiere, einerseits natürliche Grünlandgebiete, auf denen traditionell weidendes Vieh, meistens Rinder, zu Hause ist und das Gras, das dort im natürlichen Grünlandsystem wächst, zu für Menschen verwertbaren Produkten wandelt, also zu Milch und Fleisch. Und auf der anderen Seite haben wir vielleicht in der Magdeburger Börde hochproduktive, hochfruchtbare Böden, auf denen man Getreide oder Mais produziert. Und man ernährt dann auf dem Standort die Tiere von diesem Mais und dem Getreide, so daß auch sie Fleisch und Milch produzieren. Und schon hat man beide Male Milchproduktionssysteme, aber mit ganz unterschiedlichen, natürlichen Voraussetzungen und damit auch ganz unterschiedlichen Effizienzgraden, auch aus der Sicht der Nutzung der natürlichen Ressourcen.

An unserem Institut versuchen wir zum Beispiel auch genau herauszuarbeiten, unter welchen Bedingungen welche Formen von Tierproduktion sinnvoll ist. Da kommt man dann sehr schnell zu den Ertragsgrenzen des Standortes. Nach heutigem Erkenntnisstand kann man mit Gras nicht 10.000 oder 15.000 Liter Milch von einer Kuh im Jahr gewinnen. Aber man kann vielleicht 10 Jahre lang mit einer Kuh 5.000 oder 6.000 Liter Milch gewinnen, so daß sie dann in ihrem Leben, das sie vollbringt, in der Summe möglicherweise genau so viel produziert hat. [4] Aber da sind noch sehr viele Fragen offen.

Was mich immer wieder ärgert angesichts der Tatsache, daß wir uns in unseren Arbeiten sehr um den Systemansatz kümmern, ist, daß man wiederholt verkürzte Argumente hört. Erst letzte Woche hat wieder irgend jemand im Radio festgestellt, wenn die Kühe mehr Mais als Gras fressen, haben sie weniger Methan-Emissionen. Das ist wirklich nicht neu, das wissen wir schon lange. Je rohfaserreicher die Rinderration ist, umso höher ist die Methanproduktion. Nur, wenn ich das allein vom Futter der Tiere abhängig mache und sage, dann emittiert die Kuh mehr oder weniger Methan, und dabei vergesse, die Produktion des Futters und die damit verbundenen Umweltwirkungen mit in die Bewertung einzubeziehen, komme ich zu falschen Schlußfolgerungen. Was leider sehr häufig passiert, ist, daß wir nur die Kuh anschauen und je mehr Getreide ich in die Kuh stecke, umso weniger Methan emittiert sie natürlich, auf die Produktion berechnet. Aber wenn man das konsequent zu Ende denkt, dann sollte man eigentlich gleich Schweine melken. Weil die nämlich in der Futterverwertung deutlich effizienter sind, nur daß wir sie nicht auf Milchproduktion selektiert haben beziehungsweise die geeigneten Technologien für ihr Melken haben. Aber das wäre konsequent, wenn man den Wiederkäuer mehr und mehr an der Grenze zum monogastritischen Tier ernährt, eben von Eiweiß- und Getreidefuttermitteln und nicht mehr mit Gras, wo die Tiere ursprünglich herkommen. Dann entfernt man sich mit der Tierhaltung auch von dem ursprünglichen Produktionssystem.

Ein Schwein mit recht drahtiger Wollbehaarung im Wildpark Lüneburger Heide - Foto: by Quartl via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz

Das Mangalica (Woll)-Schwein, nur zwei Schritte von der eierlegenden Wollmilchsau entfernt?
Das Schwein ist in der Futterverwertung am effizientesten, nur haben wir es nicht auf Milchproduktion gezüchtet.
Foto: by Quartl via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz

SB: Ist der Klimafaktor, der heute mit in die Forschung einfließt, ein Punkt, der stärker ins Gewicht fällt? Muß man bei der Grasproduktion auch auf die Emissionen achten, die dabei oder durch die Verwendung von Dünger anfallen?

RB: In der Wissenschaft beachten wir das schon ziemlich lange. Ich selbst habe mich seit Anfang der 90er Jahre mit Fragen der Emission aus der Tierhaltung wissenschaftlich beschäftigt. Damals haben wir uns auch mit den zu dieser Zeit möglichen Gegebenheiten befaßt, abzuschätzen unter welchen Bedingungen wieviel Methan und Ammoniak im Kuhstall entsteht. Das haben wir schon gemacht, als die Diskussion in der Gesellschaft noch nicht angekommen war und wenn wir als Wissenschaftler gut sind, dann haben wir einen gewissen Vorlauf an Wissen und Kenntnissen vor der Gesellschaft. Dann wissen wir schon ein bißchen mehr, wenn ein Problem öffentlich diskutiert wird, so daß wir dann auch mit Rat und Tat zur Verfügung stehen können. Aber die Erfahrungen sind, je komplexer die Zusammenhänge werden, um so schwieriger ist es natürlich auch, als Wissenschaftler eine Empfehlung auszusprechen. Wir Naturwissenschaftler, Agrarwissenschaftler, sind es zum Beispiel von der Wissenschaftskultur her gewohnt, nur hochsignifikante Zusammenhänge zu kommunizieren. Nun haben wir zum Beispiel von den Klimaforschern gelernt, daß man auch eine unsichere Erkenntnis kommunizieren kann. Man muß dann eben sagen, daß es nach unseren Kenntnissen voraussichtlich so oder so sein wird, aber daß wir da noch sehr unsicher in der Aussage sind. Das hilft ja der Gesellschaft mehr, als wenn man sich als Wissenschaftler verweigert.

Wenn ich aber sage, ich weiß es noch nicht so ganz genau, wie das mit dem Methan und den Kühen und dem Gras und dem Getreide ist, dann öffne ich den Raum für Spekulationen. Und dann schließen sich auch andere mit weniger fundierten Analysen der Argumentation an und beeinflussen die öffentliche Meinung, weil die Wissenschaft sich eben zum Teil auch verweigert. Also wir lernen allmählich, daß es nötig ist, wieder zu der exakten wissenschaftlichen Erkenntnis zurückzukommen. Daß man aber nicht mit der gesellschaftlichen Kommunikation hochsignifikanter, wissenschaftlicher Erkenntnis, die ja bei biologischen Systemen sehr schwierig zu erarbeiten ist, so lange wartet, bis man den letzten Zweifel ausgeräumt hat.

Kühe in einem Kuhstall, in dessen Mitte Sensoren aufgestellt sind. - Foto: ATB

'Die Frage der Emission im Kuhstall ist schon seit Anfang der 90er Jahre unser Thema'. Reiner Brunsch
Messungen des Stallklimas in einem frei belüfteten Rinderstall
Foto: ATB

SB: Was ist denn im Moment der neueste Stand, was die Klimagasemission durch Stickstoffdünger beziehungsweise die durch Bodenbakterien erzeugte Lachgasentwicklung angeht?

RB: Der neueste Stand ist nach wie vor der, daß wir viel zu wenig über die Mikrobiologie des Bodens wissen. Viele der Analysen, die angestellt werden, betrachten die Mikrobiologie des Bodens noch als Black Box. Das heißt also, wir schütten Dünger auf die Erde und gucken, wie viel Lachgas zum Beispiel emittiert wird. Was da unten eigentlich abläuft, warum die Dinge so sind, wie wir sie messen, das verstehen wir häufig noch gar nicht. Wir haben also noch einen enormen Wissensbedarf, allein über die Vielfalt des mikrobiellen Lebens im Boden, sowie über die Stoffwechselprozesse und Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Mikrobiom [5]. In der Regel hoffen wir, daß das eintritt, was uns die Erfahrung lehrt. Aber warum das so ist, das können wir teilweise nicht erklären. Und wenn es nicht so ist, können wir es teilweise auch nicht erklären. Wie spannend und informativ allein das Erforschen des Mikrobioms ist, das haben wir im eigenen Institut mit dem Biogas-Reaktionsprozeß festgestellt. Bei vergleichbaren Substraten [Nähr-Biomasse für die Mikroorganismen] und vergleichbaren Behältnissen gibt es durchaus ganz unterschiedliche mikrobielle Umsetzungsprozesse.

Wir können tatsächlich nicht sagen, warum es diese Unterschiede gibt, aber wenn wir einen bestimmten Ausgangsstoff in verschiedenen Reaktoren [Behältnissen] verwenden, kommt, kurz gesagt, etwas anderes raus. Aber wir können es beschreiben. Natürlich können wir mit den modernen molekulargenetischen Charakterisierungsmöglichkeiten auch die Mikroorganismenpopulation relativ einfach beschreiben, aber deswegen verstehen wir noch lange nicht, wie die miteinander interagieren und sich gegenseitig zum Überleben brauchen, wie die eine Teilpopulation, eine Mikrobenart, von den Ausscheidungsprodukten oder Nebenprodukten einer anderen lebt und was die daraus machen. Das ist ein sehr spannendes Gebiet.

Palmölsamen - muß für ihren Aufwuchs Urwald gerodet werden, ist der Biodiesel daraus klimaschädlicher als Diesel aus fossilem Erdöl. - Foto: 2005 by Tornasole (Public Domain)

Flächenkonkurrenz läßt sich nicht allein auf Tank und Teller reduzieren, auch das Klima, Brachland oder Nutzflächen sind Faktoren für die Gesamtbewertung
Foto: 2005 by Tornasole (Public Domain)

SB: Können Sie uns noch zu einem weiteren Thema Ihre Einschätzung geben? Es gibt ja den Konflikt Tank versus Teller, Energiepflanzen versus Pflanzen für den Nahrungsanbau. Ist diese Kontroverse ein reiner Medienhype oder können Sie bestätigen, daß es dieses Konkurrenzverhältnis tatsächlich gibt?

RB: Das Konkurrenzverhältnis gibt es grundsätzlich. Es ist insofern in Deutschland entstanden, weil die Energieerzeugung aus Biomasse stark gesellschaftlich gefördert worden ist. Das heißt, die Verwertung von Biomasse zu Energie ist gesellschaftlich stärker begünstigt worden, als die Erzeugung von Lebensmitteln. Wenn es da zu einer Verschiebung kommt, führt es letztlich dazu, daß nach den Mechanismen des Marktes das gemacht wird, was mehr Geld bringt. Das ist ganz normal. Das kann man aber aufgrund der hohen Komplexität der Zusammenhänge nicht unbedingt genau voraussehen. Insofern muß man auch die Schelte des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) ein bißchen relativieren.

Es war gesellschaftlicher Wille, Flächen zum Anbau von Energiepflanzen zu nutzen, die nicht mehr für die Lebensmittelproduktion in Nutzung waren. Wir hatten ja mal Stillegungsflächen, und zunächst hat man angefangen, sie für Aufwüchse zu nutzen. Als das dann aber so lukrativ war, wurde natürlich auch eine Konkurrenzsituation hergestellt. Die Verwertung von pflanzlicher Biomasse zur Lebensmittelerzeugung ist deutlich aufwendiger und risikoreicher als die zur Energie. Deshalb diskutiert man jetzt die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, um die Überattraktivität der Energienutzung von Biomasse vielleicht wieder etwas zu mäßigen.

SB: Glauben Sie, daß dieses Konkurrenzverhältnis dann zur Zufriedenheit aller Beteiligten gelöst werden kann, auch vielleicht mit Blick auf globale Fragen? Ganz oberflächlich gesehen ist ja der Konflikt: Es hungern rund 850 Millionen Menschen und hier werden Energiepflanzen angebaut.

RB: Ich glaube, daß sich das Problem nicht kurzfristig lösen wird, denn wenn wir die Prognosen, die OECD und FAO unter anderem abgeben, wie groß der Nahrungsbedarf der wachsenden Weltbevölkerung ist, dann reicht die Fläche nicht, die wir haben. Das heißt also, egal wieviel Anteile man an primärer Biomasse nutzt, es wird den Konflikt geben. Und ich sage bewußt primärer Biomasse, weil es durchaus vernünftig ist, die sekundäre Biomasse zu einer energetischen oder weiteren stofflichen Nutzung zu verwenden, nachdem man das Potential zur Lebensmittelerzeugung ausgeschöpft hat. Sprich: Reststoffe aus der Tierhaltung dann in den Biogas-Reaktor zu geben, bleibt nach wie vor interessant. Nicht die gesamte pflanzliche Biomasse ist für Ernährungszwecke nutzbar, die Reststoffe kann man anders nutzen, so daß wir eine mehrstufige, kaskadische Ausnutzung der Primärbiomasse anstreben, wo ganz oben als allererstes die Lebensmittelproduktion steht und danach dann die energetisch-stoffliche Nutzung von Biomasse kommt. Das ist auch die Herangehensweise bei uns im Hause. Selbstverständlich haben wir zu Energiepflanzen geforscht und da laufen auch einige Langzeitexperimente, wo Fruchtfolgeeffekte zum Beispiel untersucht werden, die jetzt noch laufen. Wir werden aber in diesem Bereich keine neuen Projekte starten, sondern wir konzentrieren uns mehr und mehr auf die Reststoffe.

SB: Gibt es mit den industriellen Rohstoffen und Werkstoffen, Stichwort "Plastikbecher vom Acker", demnächst einen dritten Konkurrenten? Ist das eine schon aktuelle, relevante Größe in der Agrarwirtschaft?

RB: Es ist auf alle Fälle im Kommen. Man hat zwar jetzt schon in dem Bereich enorme Zuwachsraten zu verzeichnen, doch die Volumina insgesamt sind noch relativ bescheiden. Das heißt, solange die Kohlenstoffverbindungen aus Öl und Kohle preiswerter sind als die aus der Biomasse, wird es schwierig sein, die Stoffwirtschaft auf biobasierte Rohstoffe zurückzuführen. Aber auch da ist es wieder so, daß wir am Ende ja nur den Kohlenstoff brauchen. Und wenn wir vorher Lebensmittel erzeugen - oder Energie erzeugen -, dann bleibt der Kohlenstoff ja immer noch übrig. Er geht ja nicht weg und wir müssen nur überlegen, wie wir ihn langfristig in Produkte binden. Dafür haben wir noch keine Technologien, aber es wird beispielsweise sogar daran gearbeitet, das Kohlenstoffdioxid, CO2, wieder aufzubereiten, jedoch nicht in unserem Institut.

SB: Man könnte Kohlenstoffdioxid ja theoretisch auch aus der Luft oder aus dem Wasser zurückgewinnen.

RB: Ja, wobei das Problem ist, daß der CO2-Gehalt in der Luft so niedrig ist, daß das Aufkonzentrieren enorm aufwendig wäre. Insofern geht man dann schon sinnigerweise an das Ende der Verbrennungsprozesse, wo man dann Kohlendioxid in höheren Konzentrationen im Abgasstrom hat. Da lohnt es sich schon eher, den Kohlenstoff einzusammeln. Die Pflanzen machen das sehr effektiv, indem sie uns den Kohlendioxid aus der Atmosphäre holen, und daher können wir dann sozusagen den pflanzlich aufgearbeiteten, angereicherten Kohlenstoff in Form von Biomasse am besten für alles mögliche einsetzen. Aber tatsächlich ist die Stoffnutzung potentiell ein dritter Konkurrent.

SB: Werden an Ihrem Institut auch Untersuchungen über mögliche ökologische Auswirkungen gemacht, die ja der vermehrte Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen für diese pflanzliche "Werkstoffproduktion" mit sich bringt? Ist da auch ähnlich wie bei anderen genetisch veränderten Organismen eine unkontrollierbare Ausbreitung oder ein Wildwuchs der industriell genutzten Pflanzen in die umgebende Natur zu befürchten? Gibt es solche Untersuchungen schon?

RB: Bis jetzt basieren die meisten Kunststoffverwertungen auf den traditionellen, landwirtschaftlichen Kulturpflanzen. Also in unseren Breitengraden auf stärkereichen Pflanzen und in Südamerika, in tropischen Regionen, auf Zuckerrohr- oder auf Ölbasis. Das Spannende bei der Nicht-Nahrungspflanzenproduktion ist, daß wir unsere Kulturlandschaft wieder bunter gestalten können, gerade auch mit den verschiedenen Arten von Energiepflanzen. Genauso ist es auch denkbar, daß wir andere Pflanzen anbauen, die nicht zu Nahrungszwecken verwendet werden, und damit zur Vielfalt der Landschaftsvegetation beitragen und die Fruchtfolge ein Stück auflockern können. Denn diese Einengung der biologischen Vielfalt entsteht durch die nur relativ geringe Anzahl von Nahrungspflanzen, die wir weltweit anbauen. Letztlich ist dadurch sehr viel Biodiversität verloren gegangen. Insofern sehe ich das nicht ganz so nachteilig, wenn wir jetzt wieder andere Pflanzen mit in Kultur nehmen. Wenn wir nicht den gleichen Fehler machen und auch diese Pflanzen wieder in größtflächigen Monokulturen anlegen, kann das durchaus noch eine interessante Bereicherung werden. Ich denke, wir haben aus der Frage der energetischen Nutzung von Biomasse - nicht nur hier in Deutschland, sondern global - einiges gelernt, so daß man durchaus mit diesen Erfahrungen auch die stoffliche Verwertung von Biomasse sehr vernünftig gestalten könnte.

In situ-Messung von Fruchteigenschaften mittels eines Multispektral-Sensors - Foto: Zude/ATB

Präzisionslandwirtschaft durch den vermehrten Einsatz von Sensortechnik
Hier werden die Ausdünstungen einer Pflaume gemessen.
Foto: Zude/ATB

SB: Was verstehen Sie eigentlich genau unter dem auf Ihrer Webseite erwähnten Begriff "Precision Agriculture"? Und was verspricht man sich davon?

RB: Der Begriff Präzisionslandwirtschaft oder Precision Agriculture ist entstanden, als immer mehr elektronische, sensortechnische Hilfsmittel in die Landwirtschaft Einzug gehalten haben und es damit möglich wurde, zunächst differenzierter auf die Bedürfnisse des Bodens oder dann auch der Tiere zu reagieren. Individueller, wenn man vom Tier ausgeht oder teilflächenspezifisch beim Pflanzenanbau. Daß man also zum Beispiel nur dort Pflanzenschutzmittel hinbringt, wo auch ein Bedarf dafür ist und nicht gleich das ganze Feld behandelt, denn der Unkrautdruck ist nie völlig gleichförmig auf dem ganzen Feld. Die interessantere Entwicklung, die wir verzeichnen können, ist jetzt die, daß wir aus der Zusammenlegung von ganz vielen Informationen auch unter dem Stichwort "Precision Farming" neue Erkenntnisse gewinnen. Das bedeutet, daß wir über langfristige Ertragskartierung im Zusammenhang mit Bodenbeprobung und Nährstoffdaten auch über längere Zeitreihen bestimmte Entwicklungsprozesse voraussehen können und damit eine ganz andere Qualität der Landbewirtschaftung erlangen, als das früher bei dem noch so erfahrenen Landwirt möglich war. Heute können wir einfach viel schneller bestimmte Informationen gewinnen, die der Landwirt früher erst an der Entwicklung der Pflanzen beobachten mußte. Wenn man zum Beispiel den Düngebedarf sieht, den kann man heute früher einschätzen und muß nicht erst gucken, ob die Pflanze kümmert, um ihr dann wieder etwas mehr Nahrung zu geben. Insofern ist der Wunsch, mit den Ressourcen effizienter umzugehen, bei Precision Agriculture sehr gut angelegt. Man kann dadurch, wie es in der Fachsprache heißt, so präzise wie nur möglich die einfolgenden Schläge mit Dünger oder Pflanzenschutzmitteln bedienen oder mit Precision Dairy Farming die Tiere möglichst individuell berücksichtigen. Gerade da geht es darum, daß jede Kuh möglichst gut gekannt wird, um ihren Bedürfnissen und ihren Möglichkeiten gemäß behandelt zu werden, weil wir zum Beispiel wissen, daß manche Kühe mehr fressen als andere, obwohl sie die gleiche Leistung haben. Dann kann man der Kuh, die viel frißt, auch eine andere Futterzusammensetzung anbieten.

SB: Und wie vermittelt man das an die Landwirtschaft? Wie schnell übertragen sich Ihre Erkenntnisse bis zur Anwendung auf dem Acker oder im Kuhstall?

RB: Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt bei den Landwirten, wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch, sogenannte Pioniere, die moderne Technologien und neue Ideen frühzeitig aufgreifen und auch mit hohem Risiko in ihre Produktion integrieren. Aber das ist nicht die Masse. Das ist sozusagen nur die risikobereite Spitze. Spannender ist es letztlich, wie wir mit neuen Erkenntnissen zum ressourceneffizienteren Umgang in der Landwirtschaft in die Breite kommen. Und dazu sind wir als Forschungsinstitut nicht in der Lage. Sondern wir beraten letztlich noch die Berater, aber nicht die Landwirte. Wir arbeiten ganz konkret zum Beispiel mit dem Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft zusammen, das dann Beratungsempfehlungen für die Landwirte entwickelt, das heißt die Datensammlungen für die praktische Betriebsführung und für Betriebsplanung, basierend auf unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen, die dann sozusagen in die nächste Gruppe zu den Beratungsunternehmen, den Landwirtschaftskammern gehen. Die Spezialberater, die da tätig sind, verstehen die wissenschaftlichen Publikationen, die wir schreiben. Die können sich das für sie relevante herausziehen und daraus für die konkreten Gegebenheiten ihrer zu beratenden Klientel dann Empfehlungen entwickeln. Wir selber gehen höchst selten direkt in die Landwirtschaft. Aber wir wollen versuchen, etwas konzentrierter bestimmte neue Erkenntnisse bereits im Hause zusammenzupacken.

SB: Das könnte ja auch positiv rückwirkend auf die wissenschaftliche Arbeit sein, daß es zu einer Art Fokussierung vielleicht auch auf problemorientierte, anwendungsbezogene Fragen kommt.

RB: Oder was wir jetzt gerade mit den Forschungsverbünden machen wollen, daß man feststellt: Hier ist ein interessanter Punkt, hier wirkt sich etwas auf das Verhalten der Menschen aus, aber das ist nicht unser Forschungsgegenstand, da suche ich mir den Partner in einem anderen Leibniz-Institut, zum Beispiel für Ernährungsverhalten. Wenn sich das Ernährungsverhalten ändert, dann hat es eine Auswirkung auf die Produktion. Aber wir betrachten das bisher wissenschaftlich weitgehend unabhängig voneinander. Und nun gibt es den Versuch, die Arbeiten auch über größere Themen im Verbund miteinander aufzuteilen. Das hängt zusammen, wir sind als Institut sehr stark interdisziplinär aufgestellt. Wir haben von Molekulargenetikern, die zum Beispiel das Mikrobiom im Biogasreaktor charakterisieren, bis zum Maschinenbauer, der dann den Behälter um die Mikrobiologie herum oder die Maschine weiterentwickelt, sehr viele verschiedene Wissenschaftsdisziplinen im Hause. Und das bringt in der Regel erst einmal Schwierigkeiten der Kommunikation, weil jede Wissenschaftsdisziplin eine andere Sprache spricht und man muß sie teilweise erst übersetzen, damit es für andere verständlich wird. So geht uns das auch mit den anderen Instituten, wenn wir interdisziplinär zusammenarbeiten. Der Maschinenbauer und der Molekulargenetiker haben natürlich ein ganz anderes Vokabular. Die müssen erst miteinander reden lernen, ehe sie miteinander gemeinsam forschen können. Aber bei uns im Hause haben wir seit vielen Jahren einen guten Fortschritt gemacht und deswegen haben wir uns jetzt auch in den Verbund getraut. Wir glauben, im Verbund mit anderen Instituten die Forschung durchaus auch noch weiter qualifizieren zu können.

SB: Das hört sich gut an.

RB: Wir werden sehen, wie die Resonanz ist.

SB: Die Frage der Übersetzung des fachsprachlichen in eine allgemeinverständliche, vielleicht populärwissenschaftliche Fassung ist auch bei den Ergebnissen von Forschungsinstituten nicht immer sehr gelungen. Wir erhalten oft Pressemitteilungen, in denen dann so etwas geschildert wird, wie vor kurzem ein chemischer oder elektrochemischer Angelhaken, mit dem man Kohlenstoffdioxid, CO2, aus der Atmosphäre ziehen könnte. Und bei genauerer Betrachtung stellt sich dann heraus, daß bestenfalls ein Katalysator gefunden wurde, von dem man sich vielleicht in 20 Jahren erhofft, ihn unter bestimmten Voraussetzungen für die Rückumwandlung oder Reduktion von CO2 in Kohlenstoffgerüste zu entwickeln. Da muß man aufpassen, daß die Medien nicht die Hoffnung als etwas viel Konkreteres vermitteln, als tatsächlich da ist. Ohne das ihrem Institut unterstellen zu wollen, ist das auch ein sprachliches Problem.

RB: Das ist richtig. Ein Beispiel aus unserem Bereich, den wir diskutiert haben, ist der Katalysator für die Kuh, der auch immer wieder mal durch die Medien geistert. Der aber letztlich bedeuten würde, daß ich der Kuh eine Gasmaske aufstülpen müßte, weil sie ja über den Ruptus, über die Rülpsbewegung das Methan ausstößt, und gleichzeitig über die Exkremente auch noch mal eine Auffangvorrichtung schaffen müßte. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß ich oder jemand anderes auf die skurrile Idee kommen würde, eine Kuh mit einer Gasmaske am Fressen zu hindern, das wäre nicht nur vom Tierschutz her äußerst bedenklich.

Das heißt, wir können nicht mit einer Kuh solche Versuche anstellen und es wird auch nie einen Kuh-Katalysator geben, aber wir können uns überlegen, daß wir die Luft aus dem Stall auffangen und aufbereiten. Das ist tatsächlich etwas, womit wir uns momentan beschäftigen. Und da sagen im ersten Moment auch alle, das ist doch kein Problem, das können wir. Wenn wir dann aber konkret werden und erklären, daß es darum geht, 50 ppm Methan (Teile pro Millionen Teile) aus einem Kubikmeter Luft herauszuholen, dann kommen selbst Leute unseres Partner-Instituts, des Katalyse-Instituts, doch schon ein wenig in Schwierigkeiten und sagen: 'Upps, mit so geringen Konzentrationen hatten wir eigentlich nicht gerechnet, die Kuh soll doch so viel Methan produzieren, wird immer geschrieben.' Ja, aber verdünnt mit jeder Menge Luft, die der Kuh ja auch als Lebensgrundlage dient, ist dann eben nur so wenig Methan in einem Kubikmeter. Und das dann rauszuholen, um am Ende weniger Umweltbelastung zu haben, ist nicht mehr so simpel wie gedacht. Zum Teil haben wir dafür einfach noch keine Technologien. Deswegen haben wir unsere Partner in Rostock im Katalyse-Institut dafür interessiert, sich dieses Themas anzunehmen, um geeignete Verfahren für derart niedrige Konzentrationen zu finden. Weil auch die geringen Methankonzentrationen über die tausende Kubikmeter, die im Laufe eines Jahres durch so einen Stall gehen, am Ende eine große Menge ergeben.

SB: Insgesamt ist es dann ein enormes Volumen, was da an Methan zusammenkommt.

RB: Ja, genau. Diese Zahlen werden auch kommuniziert und dadurch ist die Kuh sozusagen so in die Kritik geraten.

SB: Nun ja, 12 bis 18 Prozent der gesamten Treibhausemissionen, sagen manche, aber es gibt wohl auch andere Rechnungen ...

RB: Genau, die werden der Rinderhaltung zugerechnet, wobei dann bei diesem Prozentsatz auch die Abholzung des Regenwaldes für den Anbau von Futterpflanzen wie Soja und für die Weideflächennutzung miteingerechnet ist. Und wie das immer so ist, jeder Vergleich hinkt irgendwo. Auf alle Fälle ist, ich formuliere es einmal andersrum, das Rind die erfolgreichste Spezies auf der Erde, denn in Lebendmasse umgerechnet ist die ihre ein Mehrfaches von der Lebendmasse Mensch. Insofern ist das Problem durchaus groß und gewaltig, ja.

SB: Herr Professor Brunsch, wir bedanken uns für das aufschlußreiche Gespräch.

Eine gemütlich im Gras ruhende sogenannte Braunkuh - Foto: by Ikiwaner via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz

Eine Kuh macht Muh - Viele Kühe machen Mühe ...
Foto: by Ikiwaner via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz


Fußnoten:

[1] Das Leibniz-Institut Agrartechnik Potsdam-Bornim stellt mit seinen Schwerpunkten: Technik und Verfahren im Pflanzenbau und in der Tierhaltung, Qualität und Sicherheit von Lebens- und Futtermitteln, Stoffliche und energetische Nutzung von Biomasse, Bewertung des Technikeinsatzes in Agrarsystemen genau genommen ein Musterbeispiel für die bereits 2010 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) propagierte "Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030" dar. Die Bioökonomie, wie sie als Begriff in der gesellschaftspolitischen Diskussion in Verwendung ist, erstreckt sich über alle industriellen und wirtschaftlichen Sektoren, die erneuerbare biologische Ressourcen zur Herstellung von Produkten und zur Bereitstellung von Dienstleistungen unter Anwendung innovativer biologischer und technologischer Kenntnisse und Verfahren nutzen. Mit der Einführung einer biobasierten Wirtschaft ist die Hoffnung auf neue, nachhaltig erzeugte Produkte oder nachhaltige Prozesse verbunden. Siehe auch:
http://www.atb-potsdam.de/institut/ueber-uns/auftrag-und-ziele.html

[2] Blaue Liste - Die Ursprünge der Leibniz-Gemeinschaft gehen in die Gründerzeit der Bundesrepublik zurück. Im März 1949 schlossen die deutschen Länder ein Staatsabkommen über die "Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen", in dem sie sich verpflichteten, bei größeren Forschungseinrichtungen überregionaler Bedeutung, deren Zuschußbedarf die Finanzkraft eines einzelnen Landes übersteigt, die zur Erfüllung der Forschungsaufgaben erforderlichen Mittel gemeinsam bereitzustellen. Zwanzig Jahre später errang dieses Abkommen Verfassungsrang und bot Bund und Ländern die Möglichkeit, bei Forschungsvorhaben überregionaler Bedeutung und gesamtstaatlichem wissenschaftspolitischen Interesse zusammenzuarbeiten. 1977 schließlich veröffentlichten Bund und Länder eine Liste von 46 Einrichtungen, die unter den Bedingungen des Artikels 91b gemeinsam gefördert wurden. Das blaue Papier, auf dem die Liste veröffentlicht wurde, gab ihr auch den Namen: "Blaue Liste".

Im Zuge der Umgestaltung der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft kam es durch die Aufnahme vom Wissenschaftsrat positiv evaluierter, ehemaliger Institute der Akademie der Wissenschaften der DDR in die gemeinsame Forschungsförderung fast zu einer Verdopplung der Zahl der "Blaue-Liste"-Institute auf 81 im Jahr 1992.

Am 24. Januar 1991 gründeten Vertreter von zunächst 32 Einrichtungen in Dortmund die "Arbeitsgemeinschaft Blaue Liste" (AG-BL), die besonders in administrativen Fragen institutsübergreifend tätig war. Vier Jahre später benannte man sich in "Wissenschaftsgemeinschaft Blaue Liste" (WBL) um, dem folgte im Jahr 1997 schließlich der Name "Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz" (WGL)

[3] 1920 wird Prof. Dr. Friedrich Aereboe Ordinarius für Betriebslehre und Direktor des gleichnamigen Instituts an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin. Das Gut Bornim wird am 1. Juli 1927 an die Landwirtschaftliche Hochschule Berlin verpachtet. Das Institut für Betriebslehre und Arbeitswirtschaft übernimmt das Gut Bornim als Versuchsgut für Landarbeit. Direktor wird Prof. Ludwig-Wilhelm Ries. Die weitere Geschichte des Instituts finden sie hier:
http://www.atb-potsdam.de/institut/ueber-uns/chronik.html

[4] Professor Brunsch setzt hier voraus, daß dem Leser das Problem des "Burn-out" und die wesentlich kürzere Lebenserwartung von Hochleistungskühen bekannt ist. In dem Buch "Milch - Vom Mythos zur Massenware" spricht Andrea Fink-Keßler von zahlreichen Gesundheitsproblemen wie Fruchtbarkeitsstörungen, Euterentzündungen, Stoffwechselstörungen, Lahmheiten, welche die ohnehin auf ein Drittel gegenüber alten Rassen reduzierte Lebenszeit von Kühen verkürzen. Siehe auch:
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar600.html

[5] Mikrobiom - meist: die Gesamtheit aller den menschlichen Körper besiedelnden Mikroorganismen. Hier: die Gesamtheit aller Bodenorganismen im mikroskopischen Maßstab.


Weitere aktuelle Berichte und Interviews zu den Forschungslandschaften Deutschlands finden sie hier:
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/ip_bildkult_report_interview.shtml

INTERVIEW/011: Leibniz-Gemeinschaft - Universaloption und Grenzen, Prof. Karl Ulrich Mayer im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkri0011.html

INTERVIEW/012: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften - Gelehrte, Forscher, Brückenbauer, Prof. Günter Stock im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkri0012.html

INTERVIEW/017: Leibniz-Sozietät - Über den Tellerrand ... Prof. Dr. Gerhard Banse im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkri0017.html

und

http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/ip_bildkult_report_bericht.shtml)
BERICHT/031: Leibniz-Gemeinschaft - Anspruch und Wirklichkeiten? (SB))
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkrb0031.html

24. April 2014