Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → SPRACHEN

FRANZÖSISCH/074: Skizzen... Sprachunbegabt? - So etwas gibt es nicht! (SB)


Skizzen


Sprachunbegabt? Nur Mut, so etwas gibt es nicht!

Die folgenden kurzen Überlegungen sollen



Mut machen, sich mit Sprachen zu befassen, auch wenn einen das Etikett "sprachunbegabt" verfolgt;
motivieren, wenn man sich selbst dafür hält;
helfen, das eigene Interesse an der Fremdsprache abzuklären und darüber einen anderen Zugang zum Sprachenlernen ermöglichen;
jenen, die immer noch bei diesem Argument bleiben möchten, sanft in den Hintern treten, so ganz ohne Moral - man sollte wissen, was man tut, denn Sprachen lernen muß man ja nun wirklich nicht.

Das Etikett, nicht sprachbegabt zu sein, verfolgt so manchen durch die Schulzeit und setzt sich möglicherweise noch fort. Auf traditionellen Schulen wird Neigungen durch einen sprachlichen und einen mathematisch- naturwissenschaftlichen Zweig entsprochen, das Stigma damit eigentlich verfestigt. Der Begriff Neigung oder Vorliebe sagt nichts über den Ursprung derselben aus, und keinesfalls handelt es sich um ein ehernes Gesetz, das den Sprachunbegabten dazu verdammt, es auch zu bleiben. Vielmehr wird jemand, der sich über diese Etikettierung hinwegzusetzen vermag, einen intensiveren Zugang zu Sprachen und Sprechen erringen können als jemand, dem es augenscheinlich leicht fällt, in einer Fremdsprache ungehemmt zu plaudern.

Zunächst mag die Frage helfen, ob, warum oder wofür man die Sprache überhaupt lernen will, denn es gibt durchaus eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Ein schlechter Ausgangspunkt ist in der Regel, durch Schule oder Beruf dazu gezwungen zu sein und an sich keine Neigung zu verspüren, Sprachen zu lernen. Will man nicht Schule oder Beruf wechseln, muß man sich damit abfinden. Also vergißt man das nicht vorhandene Interesse am besten gleich, wendet sich dem eigentlichen Problem Sprachenlernen zu und bringt es hinter sich. Dann ist der Ausgangspunkt auch nicht mehr schlecht. Schlecht ist höchstens die Art, mit der man ans Lernen herangeht.

Befindet man sich nicht in obiger "Zwangslage", sollte man dennoch als erstes der Frage auf den Grund gehen, ob man diese Sprache nun wirklich lernen will. Hat man zum Beispiel einfach nur Lust dazu, ist sie schnell geklärt. Meist gibt es jedoch Gründe oder ein bestimmtes Ziel, das man erreichen möchte:
- Man will sich im Ausland verständigen können;
- auf diese Weise Menschen kennenlernen;
- sich näher mit dem Phänomen Sprache und Verständigung überhaupt beschäftigen;
- man kennt jemanden, der nur Französisch spricht und zu faul ist zum Deutsch-Lernen!!!!;
- man will nach Frankreich oder in ein anderes französischsprachiges Land;
- einen bestimmten Abschluß machen;
- sich den guten Durchschnitt nicht mit einer 5 oder 6 in Französisch verderben;
- endlich mal Jules Verne, François Villon oder Proust im Original lesen;
- verstehen, was Moustaki oder Edith Piaf singen und mitträllern können;
- ...

Und eventuell ist man nur zu faul dazu: Man würd' schon gern, aber es ist einfach zu mühsam. Auch das ist eine Frage der Methode und der Umstände, die man sich zum Sprachenlernen schafft. Auch faul kann man lernen. Und auch, wenn man sich nur mit seinen Kenntnissen brüsten will, kann das genug Grund bieten.


Was nennt man nun gemeinhin sprachbegabt? Man kann sich Wörter zum Beispiel schnell merken und hat keine Schwierigkeiten mit der Aussprache. Man hat keine Hemmungen, auch geringe Kenntnisse zu nutzen und sich als Anfänger zu zeigen. Man ist neugierig auf neue Worte und Zusammenhänge. Man erwischt sich, wie man im Zugabteil "ne pas se pencher dehors" zum xten Male studiert und befriedigt die deutsche Übersetzung daneben zur Kenntnis nimmt, statt sich nicht hinauszulehnen. Im Telefonbuch gibt es einen französischen Teil, plötzlich fällt es einem überall auf. Mit fast detektivischer Akribie stellt man fest, daß Großmutter das Wort Trottoir benutzte und daß das Wort Portemonnaie natürlich aus dem Französischen stammt und ganz platt übersetzt "Geld tragen" oder "das, womit Geld getragen wird" heißt. Man erinnert sich an "Non, rien de rien, non, je ne regrette rien..." von Edith Piaf oder mindestens an "Je t'aime" von - wie hieß sie noch?

Warum kann man sich nun die Wörter schnell merken? Eigentlich aufgrund der sagen wir ruhig etwas einseitigen Neugier des Sprachbegabten. Der beschäftigt sich nämlich ziemlich viel mit Wörtern und Begriffen, rätselt herum, übersetzt, fragt nach. Sprachbegabung ist also keineswegs ein Naturereignis, sondern eigentlich nur fachspezifische Neugier. Als "Sprachunbegabter" hat man die Chance, den "Sprachbegabten" nicht als unerklärliches Ereignis zu bestaunen, sondern ein bißchen hinter die Kulissen zu blicken und sich die gewonnen Erkenntnisse zunutze zu machen. Man sollte niemals darauf bestehen, daß eine Sprache schwierig ist. Sie ist höchstens ein riesiges Kreuzworträtsel, das man noch nicht gelöst hat oder eine Gleichung mit einer fast unendlichen Anzahl von Unbekannten. An einer Ecke fängt man an, mit einem Kästchen, mit einem Begriff.

Was dabei ganz sicher hilft, ist Zuhören und zwar ganz gleich, ob im Unterricht, bei Radio oder Fernsehen (französischsprachige Sendungen) oder im Gespräch mit ausländischen oder deutschen Freunden/Bekannten. Nie sollte man den Versuch unternehmen, gleich alles zu verstehen und an diesem Anspruch womöglich verzweifeln. Doch sollte man schon versuchen, alles zu verstehen, indem man nachschlägt, sich in die Situation hineinversetzt oder - wenn möglich - nachfragt. Man muß nicht alles richtig machen, schließlich geht's ums Lernen, und es geht auch um die Auseinandersetzung mit dem Stoff und schließlich um die Verständigung, die Auseinandersetzung mit dem anderen Menschen. Und bei der wird man letztendlich nicht auf die Sprach-, sondern auf eine ganz andere Barriere stoßen.

Man lernt eine Sprache am schnellsten durch den Gebrauch. Das kann auch ein Buch sein. Hüten sollte man sich allerdings davor, nur aus Büchern zu lernen und das Sprechen nicht zu üben.

Mit der Frage, was man tun kann, wenn man eine Sprache sehr schnell lernen will, werde ich mich in einem nächsten File noch befassen. Was ich hier generell vorschlagen möchte, ist eine Methode des Experimentierens und zunehmend in einer Sprache Zuhausefühlens, wobei Fühlen eigentlich nicht ganz das richtige Wort ist - vielleicht eher: sich Heimischmachens. Dafür muß man eine Sprache nicht mögen. Man kann auch merken, wie schrecklich man radebrecht, und sich dennoch nicht fremd fühlen. Es ist lediglich eine Frage der Herangehensweise. Gewissermaßen nähert man sich auf der Grundlage der Gemeinsamkeiten an, ohne den ständig distanzierten Vergleich mit der eigenen Sprache zu suchen, also vom Deutschen ins Französische oder umgekehrt zu übersetzen. Zum Beispiel bietet der Kontext eine ganze Reihe von Anhaltspunkten für's Verständnis. Im Gespräch wie im Unterricht sollte man viel nachfragen, zurückfragen, fragen: Habe ich das so und so richtig verstanden?

Durch die Beschäftigung mit einer Sprache kann man mit der Zeit, ganz gleich wie der Ausgangspunkt war, eine Liebe dazu entdecken. Man muß sich nicht für Französisch begeistern, um sich damit zu befassen, aber man kann natürlich auch völlig davon eingenommen sein, von der Sprachmelodie, von ihrer vergangenen und gegenwärtigen Bedeutung für andere Sprachen. Ein gelegentlicher Überenthusiasmus gegenüber dem Französischen und der hohe Ruf als vollendete Kultursprache mag so manchem zuviel Hochachtung einflößen und vielleicht hemmen. Sehen Sie es einfach als ein Gerücht, das die Franzosen verbreiten.

Um noch ein anderes Bild zu benutzen... Man strandet zunächst an einem fremden Ufer. Es mag aufgrund der kargen und steinigen Landschaft nicht sehr anheimelnd sein, doch fängt man an, nach und nach die Gegend zu erkunden. Zunehmend wird sie vertrauter, schließlich kennt man vielleicht jedes einzelne Steinchen, aber die Sandkörner noch nicht und beginnt diese zu studieren und schließlich folgen die Flechten und Gräser, die struppigen kleinen Sträucher, das weiche Moos. Stein, Sandkorn, Gräser und Gestrüpp sind nicht mehr gleichgültig oder verwechselbar. Man gewinnt an Orientierung und beginnt, sich zuhause zu fühlen.

Vielleicht wäre noch kurz anzumerken, daß man möglicherweise mit unterschiedlichen Voraussetzungen strandet, aber alle stranden. Allein wichtig ist, wie man weiter verfährt, nicht der Unterschied zum Anderen. Mit den verschiedenen Voraussetzungen haben wir es höchstens im einzelnen zu tun, nie im Vergleich und nicht zuletzt deshalb auch nicht mit begabt oder unbegabt. Denn das steht dann fest, ist unverrückbar und ein wunderbares Argument, keine Sprache zu lernen. Will man sie nicht lernen, gut, wozu braucht man einen solchen mageren Grund? Wenn man sie lernen möchte, braucht man erst recht kein solches Konzept. Man hüte sich vor dem Vergleich mit anderen, außer man versteht, diesen zum eigenen Vorteil zu nutzen, was hieße, den Besseren einfach einzuspannen. Wenn er den Vergleich liebt, wird er es aus diesem Grunde tun, will er lernen, tut er es erst recht gern.


Erstveröffentlichung am 31. August 1998


23. Juli 2007