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REZENSION/007: S. Nasar - Genie und Wahnsinn - Das Leben des John Nash (SB)


Sylvia Nasar


Genie und Wahnsinn

Das Leben des John Nash



Unter dem reißerischen deutschen Titel "Genie und Wahnsinn" kam vor kurzem die Geschichte des berühmten Mathematikers "John Nash" in unsere Kinos.

John Forbes Nash, ein genialer Mathematiker, erkrankt in seinem dreißigsten Lebensjahr an paranoider Schizophrenie. Nach fast 30 Jahren wird er vom Wahnsinn geheilt und erhält den Nobelpreis.

So lautet die Kurzbeschreibung des Films.

Spannend, mit starken Bildern, prägnanten Dialogen und einer großen Lovestory gefüllt, gibt der Film einen Überblick über den kurzen Ruhm und die lange Leidensgeschichte des John Nash. Das Happy End bilden seine Genesung und der Erhalt des Nobelpreises für seine überragenden Leistungen in jungen Jahren.


Wer danach die Biographie "Genie und Wahnsinn - Das Leben des genialen Mathematikers John Nash" von Sylvia Nasar zur Hand nimmt und eine ähnlich romantische Story erwartet, erlebt sein blaues Wunder. Große Gefühle und Spannung sind nicht ihr Anliegen.

Die Autorin erzählt die Lebensgeschichte des Mathematikers sehr ausführlich, aber auf sachliche Weise. Angefangen bei seiner Kindheit in Bluefield, West Virginia über seine verschiedenen akademischen Stationen in Amerika und seine Reisen nach Europa, nichts wird ausgelassen.

Dabei verwendet Sylvia Nasar meistens die Gegenwartsform der Erzählung:

Nash scheint sich sehr gut zu amüsieren. Eine starke Aversion gegen die reine Anhäufung von Wissen und ein starkes Verlangen, durch die praktische Auseinandersetzung mit den Dingen sich Wissen anzueignen, zählen zu den zuverlässigsten Anzeichen eines Genies. (S. 73)

Man fühlt sich daher zu jedem Zeitpunkt der Lektüre direkt in die Handlung einbezogen.

Andererseits machen betont sachliche Sätze wie dieser den Stil des Buches aus. Das Ganze ist eine sehr sorgfältig recherchierte Abhandlung in Form einer Biographie. Jede Begebenheit und jeder Abschnitt im Leben des John Nash, die im Buch erzählt werden, sind durch Interviews mit seinen Zeitgenossen, seiner Familie sowie durch Briefe und E-Mails belegt. Im Buch befindet sich dazu ein ausführlicher Anhang, in dem dies dokumentiert ist.

Zuerst war ich sehr enttäuscht vom diesem akademischen und streckenweise schwierigen Schreibstil. Er macht es so gut wie unmöglich, das Buch nebenbei oder gar zur Unterhaltung zu lesen. Man wird zur Aufmerksamkeit und zum Mitdenken gezwungen. Genau das ist aber der große Vorteil an diesem Buch. Wer beispielsweise geschichtliches Interesse mitbringt, findet darin sehr spannende Informationen.

John Nashs Karriere stand nämlich unter dem starken Einfluß des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs. Er und seine Kollegen waren zu dieser Zeit wichtige, gefragte Persönlichkeiten in Amerika und arbeiteten im Interesse der nationalen Sicherheit:

Der zweite Weltkrieg war ein Krieg, in dem die Talente der Wissenschaftler in einem noch nie dagewesenen, fast verschwenderisch zu nennenden Ausmaß genutzt wurden. Zum einen waren da zunächst all die neuen Erfindungen der Kriegsführung zu nennen - Radar, Infrarotlampen, Bomber, Langstreckenraketen, Torpedos mit Wasserbomben sowie die Atombombe. Zum anderen hatte das Militär nur sehr vage Vorstellungen davon, wie diese Erfindungen einzusetzen wären... Jemand mußte neue Techniken für diese neuen Waffen entwickeln, neue Methoden, mit denen sich ihre Wirksamkeit sowie die effektivste Art und Weise der Handhabung ermitteln ließen. Dies war eine Aufgabe, die den Wissenschaftlern zufiel. (S. 118)

Diese geschichtlichen Hintergründe werden von Sylvia Nasar als wichtiger Bestandteil der Biographie dargestellt.

Die Autorin unterläßt große Spekulationen darüber, warum John Nash an paranoider Schizophrenie erkrankte. Statt dessen legt sie ganz nüchtern die paranoiden gesellschaftlichen Umstände dar, unter denen John Nash lebte und arbeitete. Dazu gehört eben auch der Verfolgungswahn der McCarthy-Zeit, der viele berühmte Kollegen von Nash in psychische Krankheit, Tod oder das gesellschaftliche Aus drängte.

Dies ist nur ein markantes Beispiel von vielen in "Genie und Wahnsinn", in welche die Autorin die Geschichte eines außergewöhnlichen und intelligenten Menschen einbettet. Ebenso detailgenau und sachlich werden die Klinikaufenthalte und der Krankheitsverlauf beschrieben, die John Nash ertragen muß.

Besonders aufschlußreich ist auch die Beschreibung der Personen im Umfeld des berühmten Mathematikers. Nicht nur, daß darunter viele Genies und Berühmtheiten wie Albert Einstein, John von Neuman und Norbert Wiener sind, viel wichtiger ist noch, daß viele dieser Personen ebenfalls unter Depressionen, Psychosen und anderen psychischen Problemen litten.

Der Leser gewinnt zum Teil den Eindruck, daß die Geschichte berühmter Naturwissenschaftler häufig auch eine dramatische Krankheitsgeschichte ist.

Für mich ist dieses Buch deswegen so gut, weil die Autorin keine einseitigen Aussagen trifft. Sie hält ihre persönliche Meinung zurück und läßt den Leser selbst seine Schlußfolgerungen ziehen. Sie verpflichtet sich der Aufklärung und führt den Leser auf eine spannende Reise durch das Leben des John Nash.


Sylvia Nasar
Genie und Wahnsinn
Das Leben des genialen Mathematikers John Nash
Aus dem Amerikanischen von Cäcilie Plieninger und Anja Hansen-Schmidt
1998 by Sylvia Nasar
Piper Verlag GmbH, München, März 2002
565 Seiten, Euro 13,90
ISBN 3-492-23674-X