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REZENSION/020: Haasis - Den Hitler jag ich in die Luft (Georg Elser) (SB)


Hellmut G. Haasis


Den Hitler jag ich in die Luft

Der Attentäter Georg Elser



Am 8. November 1939 scheiterte ein Attentatsversuch auf Adolf Hitler nur sehr knapp. Der schwäbische Schreinergeselle Georg Elser hatte erkannt, daß das Deutsche Reich unter nationalsozialistischer Führung auf einen großen Krieg zusteuerte, und hat nach aufwendiger Vorbereitung und unter ständiger Gefahr, entdeckt zu werden, eine Bombe gebaut, die den Diktator und eine Reihe seiner Anhänger in den Tod reißen sollte. Nur auf diese Weise sei Hitler zu stoppen, war Elser überzeugt.

Für ihn hätte es viele Gelegenheiten gegeben, von seinem riskanten Plan abzulassen, auszusteigen und das Attentat nicht durchzuführen. Er hätte eine erfolgreiche Laufbahn als Handwerker absolvieren und eine Familie gründen können. Er hätte sich schon irgendwie durchlaviert, hätte nur bei den passenden Gelegenheiten eifrig seinen Arm zum Gruß recken und ansonsten mit seinen Ansichten hinterm Berg halten müssen. Elser hätte noch nicht einmal jemanden verraten, wenn er seinen Attentatsplan aufgegeben hätte - außer sich selbst.

Wochenlang begab er sich in den Münchener Bürgerbräukeller, verbarg sich in einer Abstellkammer und bereitete nach Schließung des Lokals das Versteck für die Bombe vor. Er hat keine Mühen gescheut, die Fähigkeiten zum Bau der Zeitzünderbombe zu erlernen, unauffällig Informationen einzuholen und sich Sprengstoff zu besorgen. Es gibt keinen Zweifel, daß er sehr genau wußte, was er tat und warum es getan werden mußte. Das hat der Publizist, Verleger und Rundfunkautor Hellmut G. Haasis sowohl durch die ausführliche Rekonstruktion der Attentatsvorbereitungen als auch durch seine einfühlsamen Versuche, die Gedankenwelt Elsers transparent zu machen, zu einer gelungenen Biographie dieses von der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit noch immer zu wenig zur Kenntnis genommenen Attentäters verdichtet.

Es hat allerdings den Anschein, als hätte sich der Unglaube der Gestapo und politischen Führung des Deutschen Reichs darüber, daß ein einfacher Handwerker widerständiges politisches Bewußtsein entwickeln und eine solch entschlossene Tat begehen konnte, in der Nachkriegszeit in der Analyse manchen Historikers fortgesetzt. Elser wurde allerhand zugeschrieben, bis hin zu der Spekulation, daß er in Wirklichkeit von Hitler angeheuert worden sei, weil dieser sich mit dem Mythos des von höheren Kräften beschützten Führers umgeben wollte.

Haasis' Charakterisierung des schwäbischen Schreiners dagegen wirkt stimmig. Elser war ein Einzeltäter. Er war ein sich der ihn bestimmenden gesellschaftlichen Umstände sehr bewußter und damit politisch prognosesicherer Mensch. Im Herzen war er Kommunist, eine Zeitlang sogar Mitglied des Rotfrontkämpferbunds, des paramilitärischen Kampfverbands der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD).

Doch hätte er eine Karriere in der Partei angestrebt, wäre er womöglich nicht derjenige gewesen, dem es fast gelungen wäre, Adolf Hitler zu töten.

Wenn, hätte, falls ... das letztendliche Scheitern Elsers lädt zu der Frage ein, welchen Verlauf die Geschichte genommen hätte, wenn an jenem 8. November 1939 kein Nebel aufgezogen wäre und Hitler mit dem Flugzeug statt mit der Bahn von München nach Berlin hätte zurückkehren können. (S. 113) Dann hätte er seine Rede in gewohnter Länge gehalten und wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit bei dem Attentat ums Leben gekommen. Die Frage ist keineswegs müßig: Hätte das die Vernichtung der Juden und anderer unliebsamer Personenkreise verhindert, wie gerne spekuliert wird?

Wer dieser Annahme bedenkenlos zustimmt, vernachlässigt den systemischen Charakter der Vernichtung von Menschenleben vor dem Hintergrund der Denkweise eines Regimes, das seine Grenzen sowohl nach außen als auch nach innen unter Einsatz sämtlicher zur Verfügung stehenden militärischen wie repressiven Mittel zu erweitern trachtete. Selbstverständlich hätte die Geschichte ohne Hitler einen anderen Verlauf genommen. Aber er war nicht der einzige Verantwortliche für millionenfachen Mord; er war nicht der einzige, der von unwertem oder minderwertigem Leben sprach, und auch nicht der einzige, der an die Überlegenheit der arischen Rasse glaubte und von einem dritten Reich fabulierte.

Im Unterschied zu den Hitler-Attentätern um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die den Diktator am 20. Juli 1944 beseitigen wollten, also erst zu einem Zeitpunkt, als sich die Niederlage des Deutschen Reichs abzeichnete und sie sich in Gefahr sahen, auf der Seite der Verlierer zu stehen, und die auch keineswegs die Macht der herrschenden Elite brechen, sondern sie durch den Austausch der Führungsfigur retten wollten, könnte Elsers Motiv als geradezu selbstlos bezeichnet werden. Offenkundig war es ihm nicht um Anerkennung gegangen, auch drängte es ihn nicht, selbst an die Macht zu gelangen. Viel schlichter: Nach eigenen Angaben hat er die Unzufriedenheit in der Arbeiterschaft erkannt (S. 77) und noch vor Kriegsbeginn gewußt, was Hitler anstrebte.

Elsers Tat müßte nach heutiger Gesetzeslage als rechtens bezeichnet werden, deswegen ist die Historie für die Gegenwart relevant. Seit 1968 sichert das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland das Widerstandsrecht (Artikel 20, Abs. 4) eines Bürgers beispielsweise gegen Bestrebungen des Staates, die verfassungsmäßige Ordnung zu zerstören - vorausgesetzt, daß legale und friedliche Mittel nicht greifen, der Widerstand nicht der persönlichen Bereicherung dient und er mit angemessenen Mitteln ausgetragen wird.

Menschlich gesehen ist dem Hitler-Attentäter hoch anzurechnen, daß er trotz endloser Verhöre, in denen er schwer gefoltert wurde, niemanden belastet hat. Auch wenn Elser ein Einzeltäter war, dürften ihm seine Peiniger wiederholt das verlockende Angebot gemacht haben, daß er dem Schmerz leicht ein Ende bereiten könne, wenn er nur Namen nenne. Doch der sture Schreiner zog niemanden mit hinein, er legte sogar falsche Fährten, um die Gestapo in die Irre zu führen.

Am 8. November 1939 wurde Georg Elser bei dem Versuch, illegal die Grenze zur Schweiz zu übertreten, verhaftet, am 9. April 1945 wurde er im KZ Dachau erschossen. Hellmut G. Haasis' Buch vermittelt eindrucksvoll, daß es keines jahrelangen Studiums und keiner verschachtelten politikwissenschaftlichen Analyse bedarf, damit ein Mensch erkennt, daß ein Staat eine allen demokratischen Rechtsauffassungen Hohn sprechende, bellizistische Entwicklung einschlägt, und er die schwerwiegende, aber gebotene Konsequenz zieht: Den Hitler jag ich in die Luft.

7. November 2009


Hellmut G. Haasis
Den Hitler jag ich in die Luft
Der Attentäter Georg Elser
Edition Nautilus, Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg 2009
ISBN: 978-3-89401-606-7
384 Seiten