Schattenblick → INFOPOOL → BUCH → MEINUNGEN


BUCHBESPRECHUNG/089: Zwei gegensätzliche Biografien über Papst Franziskus (Gerhard Feldbauer)


Die Widersprüche eines umjubelten Papstes

Zwei gegensätzliche Biografien über Franziskus

Von Gerhard Feldbauer, 14. Dezember 2015


Franziskus kritisiert soziale Auswüchse des Kapitalismus, spricht Befreiungstheologen Lateinamerikas selig, setzt progressive Zeichen in der großen Politik, fordert kirchliche Würdenträger zu Bescheidenheit auf und legt sich mit der Mafia an. Gegenüber Homosexualität oder Frauenpriestertum mahnte er auf der jüngsten Synode in Rom, "Barmherzigkeit und Mitleid" an. Das und die ungezwungene Art, mit der er den Gläubigen gegenübertritt, hebt ihn in sympathischer Weise von seinen engstirnigen, offen reaktionären Vorgängern, dem polnischen Papst Wojtyla alias Johannes Paul II. und dessen deutschem Nachfolger Josef Ratzinger, der sich Benedikt XVI. nannte, hervor. Seit seiner Wahl am 13. März 2013 umgibt ihn eine geradezu euphorische Welle der Begeisterung. In der gut eine Milliarde Mitglieder zählenden Weltkirche halten ihn viele für einen Reformer oder gar religiösen Revolutionär, der zu der tiefgehenden Wende zurückkehrt, die von Johannes XXIII. mit dem II. Vatikanischen Konzil (1962/63) eingeleitet, aber von Wojtyla und Ratzinger rückgängig gemacht wurde.

Der Problematik wenden sich zwei der jüngsten Biografien zu, die dabei zu recht gegensätzlichen Ergebnissen gelangen: Marco Politi: Franziskus unter Wölfen und Hubertus Mynarek: Papst Franziskus. Der ausgewiesene Vatikankenner Politi meint in seinem 2014 erschienenen Buch, Franziskus wolle "das Modell einer absoluten Monarchie" überwinden und "eine gemeinschaftliche Struktur" schaffen, in der die Episkopate mit entscheiden. Ein von ihm ernannter "Kardinalsrat" erörtere eine "Reform der Kurienverfassung" und sollte die Bischofssynode beauftragen, sich "mit der Gesamtthematik der Familie, der Empfängnisverhütung, der Sexualität und der gleichgeschlechtlichen Beziehungen" zu beschäftigen. Die im Oktober 2015 tagende Synode traf jedoch zu keiner dieser Fragen eine verbindliche Aussage.


Politi ist des Lobes voll

Politi lobt, dass Franziskus einen Schlussstrich unter die Skandale der Vatikanbank IOR ziehe und dazu eine Untersuchungskommission einsetzte. Nun überrollte jedoch ein im November 2015 aufgedeckter neuer Skandal "um Geldwäsche, Insiderhandel und Marktmanipulation", wie die römische Repubblica schrieb, "die Reform des Papstes". Im Kapitel "Franziskus und die Wölfe" werden nicht wenige Namen der Gegner genannt, darunter auch Erzbischof Georg Gänsewein, einst engster Mitarbeiter Benedikts XVI. Politi geht aber nicht darauf ein, dass es sich hier um einen Repräsentanten des Zentrums handelt, das die Höhle der Wölfe bilden dürfte: Das Opus Dei, das unter Benedikt zum eigentlichen Machtzentrum des Vatikans aufstieg. Brachte dieser doch eine große Zahl seiner Mitglieder in Führungspositionen unter und ließ für den Gründer Escriva de Balaguer, einen Bewunderer Hitlers und Mussolinis, am Petersdom eine fünf Meter hohe Marmorskulptur errichten und darunter sein päpstliches Wappen anbringen. Distanz dazu ist bei Franziskus nicht zu erkennen.


Mynarek bemerkt "Widersprüche über Widersprüche"

Der frühere Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Hubertus Mynarek, macht bei Franziskus nicht nur "autoritäres Gebaren", sondern "Widersprüche über Widersprüche" zwischen Worten und Taten aus. Er thematisiert die "bis ins innerste Mark korrupte" kirchliche Sexualmoral, die Erbsündenlehre und Marienideologie, das Festhalten am Zölibat bei gleichzeitiger Tolerierung des bekannten Bruchs durch viele Priester, die Empfängnisverhütung, die in dem vulgären Ausdruck Franziskus' mündete, die Gläubigen sollten sich nicht "wie Karnickel benehmen", oder die Exkommunikation von Frauenpriestern. Der 1972 als erster Theologie-Professor aus der Kirche Roms ausgetretene Mynarek schlussfolgert, dass Franziskus alles andere als der päpstliche "Sozialreformer", geschweige denn "ein Revolutionär ist". Er habe bei aller Kapitalismuskritik dieses Ausbeutungssystem nie verurteilt, weil er dann gegen seine Kirche, die selbst "ein durch und durch kapitalistisches System ist", vorgehen müsste. Auch "die Rede von der Armen-Kirche" biete "keinen Ansatz für eine totale Veränderung der strukturellen Gestalt der katholischen Kirche oder des christlichen Glaubens".


Eine "unverbindliche theologische Rhetorik"

Der gegen die Mafia verhängte Kirchenbann sei, wie selbst Radio Vatikan korrigierte, "keine förmliche Exkommunikation durch einen Urteilsspruch" gewesen. Hier wie in anderen Fragen betreibe Franziskus eine "unverbindliche theologische Rhetorik". Wenn er zu Missbrauchstätern einschränke, es seien "nur zwei Prozent der katholischen Priester", so wären das, wie Mynarek vermerkt, bei 400.000 Priestern erschreckende "8.000 klerikale Missetäter", deren Zahl mit Zigtausenden aber viel höher liege, da 2004 allein in den USA 4.392 Priester deswegen angezeigt wurden. Dieser Bedrohung, so rechnet Mynarek auf, sind in 200.000 kirchlichen Bildungseinrichtungen 40 bis 50 Millionen Schüler ausgesetzt. Dazu komme, dass dieser Papst "die Prügelstrafe an Kindern billigt"


"Personalunion von Papst und Jesuit"

Mit Franziskus, dem Mitglied der Societas Jesu (Gesellschaft Jesu), so das Fazit Mynareks, ist es "zur Personalunion von Papst und Jesuit" gekommen. Er bezweifelt, dass aus diesem erzreaktionären "auf einheitlicher Befehlsgewalt, mit blindem Gehorsam" aufgebauten Orden ein Reformer, ja "ein Revolutionär" hervorgehen könnte.


Marco Politi: Franziskus unter Wölfen. Der Papst und seine Feinde. Herder 2014. ISBN: 978-3-451-34286-8
Hubertus Mynarek: Papst Franziskus. Die kritische Biografie. Tectum 2015. ISBN: 978-3-8288-3583-2.

*

Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang