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BUCHBESPRECHUNG/158: Ute Schaeffer, Fake statt Fakt (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Ute Schaeffer
Fake statt Fakt - Wie Populisten, Bots und Trolle unsere Demokratie angreifen

Klaus Ludwig Helf, September 2018


Der Anlass für das vorliegende Buch war zunächst ein harmloser Tweed, den die Journalistin Ute Schaeffer 2016 teilte, über eine Meldung der deutschen Wirtschaft, in der es um Probleme ging, Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Eine Flut von hasserfüllten Rückmeldungen war die Antwort. Ähnliche Reaktionen habe sie für ihre Kommentare für die «Deutsche Welle» erhalten, bei denen es einen anwachsenden Einfluss von Trollen und Bots in den Netzwerken ging. Als engagierte und kritische Journalistin habe sie sich die Frage nach den Ursachen der explosiven Aggression und Wut gestellt vor allem bei Themen wie der Flüchtlingspolitik oder der Presse- und Meinungsfreiheit: "Da sprechen Menschen zu mir, die offensichtlich ganz andere Schlagzeilen und Bilder bewegen als mich. Wenn Journalismus den Job hat, das ganze Bild zu zeichnen, die gesellschaftliche Diskussion in ihrer Breite zu kennen und zu verstehen - fehlt mir dann nicht dieser Teil der Debatten und der politischen Auseinandersetzung?" (S. 14) Die Autorin beschloss, ihre eigene Informationsblase zu erweitern, indem sie sich eine alternative Identität unter einem Pseudonym im Netz aufbaute. Damit konnte sie einen ungehinderten Zugang zu den abgeschotteten Netzwerken erhalten und sich unerkannt an Diskussionen im vielfältigen Spektrum rechter Gruppen (populistisch, radikal, extremistisch, nationalistisch, rassistisch, islamistisch u.a.) bei Facebook und Twitter beteiligen.

Ute Schaeffer (*1968) studierte Kunstgeschichte, Geschichte, Romanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an den Universitäten Trier und Bonn, war ab 2011 Chefredakteurin der »Deutschen Welle« und ist seit 2014 stellvertretende Leiterin der DW-Akademie. Sie hat zahlreiche Bücher verfasst.

Der Band hat zwei große Kapitel: Wir gegen die Anderen - Die Gegenöffentlichkeit im Netz und Akteure von außen. Es folgen ein sehr umfangreicher Anmerkungsapparat, eine akribische Auflistung der ausgewerteten Quellen, ein nützliches Glossar der verwendeten Fachbegriffe und der Dank an die vielen Berater, Unterstützer und Förderer des Buchprojektes. Ute Schaeffer will in ihrem Buch warnen vor den Gefahren für unsere freiheitliche Demokratie und für unser aufgeklärtes gesellschaftliches Wertesystem, die durch strategisch eingesetzte digitale Desinformation und Kommunikation von rechten und populistischen Akteuren entstehen. Ute Schaeffer recherchierte Undercover zwei Jahre lang in den digitalen Informations- und Meinungsräumen (Echokammern) der «Rechten» und untersuchte auch türkische Netzwerke und untersuchte, wie Russland und auch die Islamisten ihre jeweilige digitale Kommunikationsstrategie gestalten. Diese haben - so Ute Schaeffer in ihrer Analyse - folgende Gemeinsamkeiten: Ein Set von einfachen Erzählungen (mit Opfern und Tätern, Feinden und Helden), gezielte Desinformationen, Personalisierung, Emotionalisierung und die Möglichkeit zum Mitmachen. Die Autorin versucht u.a. zu erklären, wie die AfD ihren Wählerstamm in kurzer Zeit vergrößern konnte, wie mitten in unserer Gesellschaft junge Männer zu islamistischen Attentätern wurden oder warum die Mehrheit der türkischstämmigen Bürgerinnen und Bürger in unserem Land die undemokratische Politik Erdogans unterstützen. Die Autorin stellt zu Recht fest, dass - beschleunigt durch die digitale Entwicklung - eine fundamentale Veränderung des öffentlichen Informationsraums und der Meinungsbildung stattfinde, was auch weitreichende Folgen habe für demokratische Verständigung, die politische Kommunikation und für die journalistische Arbeit. Demokratiefeindliche, rechte und populistische Akteure nutzten intensiv und systematisch das Netz und die sozialen Medien, um ihre politischen Ziele zu erreichen, Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen und Anhänger für ihre Position zu gewinnen: "Das ist insofern gelungen, als dass sich rechtspopulistische Ideen messbar in der bürgerlichen Mitte verbreitet haben." (S. 25) Bereits nach wenigen Wochen stellte die Autorin bei sich selbst einen «Echokammereffekt» fest: Wer sich in einer Informationsblase bewege, der kenne die Themen und Diskurse der anderen nicht:

"An vielen Stellen habe ich ... das Gefühl, dass Parteien wie Medien einen Bogen um strittige Themen machen. Die politischen Debatten halten nicht Schritt mit dem, was uns politisch herausfordert. So versuchten die im Bundestag vertreten Parteien provokante und hochstrittige Themen aus dem Wahlkampf heraus bzw. klein zu halten." (S. 17) 

Strittige Themen wie die Integration von Flüchtlingen, die Bekämpfung von Alters- und Kinderarmut, die Ängste vor Terror und sozialem Absturz, das Auseinanderdriften des gesellschaftlichen Zusammenhalts, das weitere Auseinanderklaffen bei Einkommen und Vermögen, der Reformstau im Bildungssystem oder der Investitionsstau bei der technischen, baulichen und verkehrspolitischen Infrastruktur würden weitgehend aus den Debatten im Parlament und in den Wahlkämpfen herausgehalten, komplexe und weitreichende Entscheidungen wie der Atomausstieg oder die «Ehe für Alle» würden im Eilverfahren durchgesetzt. Ein Teil unserer Gesellschaft fühle sich nicht gehört und gesehen; das lasse sich aber ändern. Nicht nur Politiker seien gefordert, sondern vor allem auch Journalisten. Sie sollten häufiger darauf verzichten zu berichten, was gesagt wird, sondern viel öfter berichten, was erlebt und gedacht wird auch von denen, die nicht zu ihren zentralen Zielgruppen gehörten und abseits der Hauptstadt lebten. Guter Journalismus lebe davon, Perspektiven zu wechseln:

"Das leisten viele Angebote nicht. Journalismus in Deutschland steht oft den politischen Entscheidern näher als den Menschen, die sich abgehängt fühlen. Wer sich mit der Politik bei Kamingesprächen einschließt, der wird die Anliegen der meisten Bürger kaum mehr kennen. Dadurch gehen nicht mehr Glaubwürdigkeit verloren, sondern Leser, Zuschauer, Zuhörer und User." (S. 308) 

Der digitale Strukturwandel habe zwingende Folgen für den Journalismus, da er ein zentrales Instrument bei der Ermittlung und Verifizierung der Fakten, bei der Unterscheidung von Fake und Fakten sei. Am Ende ihres Selbstversuchs in den Echokammern der Populisten und Extremisten sei ihr Anspruch an journalistische Arbeit gewachsen vor allem bezüglich der Professionalität beim Recherchieren und bei der Faktentreue: "Eine echte Gefahr für die Meinungsbildung sind Journalisten, die sich die Sprache der Populisten zu eigen machen oder sich gar als deren Sprachrohr annehmen. Die Zeit der klassischen Rollenverteilung für Journalisten - hier Welterklärer und Meinungsmacher, dort das Publikum - ist auf jeden Fall vorbei." (S. 309)

Ute Schaeffer ist zu Recht der Meinung, dass es ein Fehler sei, dieses antidemokratische, hasserfüllte Rauschen im Netz und die Desinformationen (Fakes), die dort zirkulieren, auszublenden. Man müsse sich dem entschieden und konsequent entgegenstellen. Der professionelle Journalismus müsse offener sein für Themen, die in diesen «alternativen» Medien von zahlreichen Menschen diskutiert werden, denn wenn man Themen weglasse, befeuere man nur den Vorwurf der »Lügenpresse«; auch müssten mehr Kontroversen in den etablierten Medien und in den Parlamenten diskutiert werden, sonst verlagerten sich diese in die Sozialen Medien. Die digitale Zivilgesellschaft müsse Antworten darauf finden, wie digitale Meinungsbildung funktionieren soll, dass immer mehr Menschen souverän und kritisch mit digitalen Informationen umgehen und Resilienz gegen Desinformationen entwickeln können. Da sei auch insbesondere die politische Bildungsarbeit und die Vermittlung von Medienkompetenz gefordert: "Und nun braucht es die Anstrengung aller Demokraten in Bildung und Schule, Zivilgesellschaft und Medien, diese Kompetenzen zu vermitteln." (S. 312) Genau für diese Akteure ist dieses Buch geschrieben, das hervorragend recherchiert, flüssig zu lesen ist und nach den aufschreckenden Ergebnissen der Analyse eine Reihe praktikabler und vernünftiger Vorschläge macht.

Ute Schaeffer hat sehr eindrucksvoll mit den Methoden des investigativen Journalismus ein Segment der «dunklen» Echokammern im Netz ausgeleuchtet und damit für die Verteidigung von Demokratie und Zivilgesellschaft eine verdienstvolle Arbeit geleistet; sie hat damit auch gezeigt, welche strukturellen Defizite die professionelle Kommunikation in Deutschland hat und wie diese ausgearbeitet werden können.

Ute Schaeffer
Fake statt Fakt
Wie Populisten, Bots und Trolle unsere Demokratie angreifen
dtv Verlagsgesellschaft München 2018
dtv premium
Hardcover
414 Seiten
16,90 Euro

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Quelle:
© 2018 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2018

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