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BUCHBESPRECHUNG/168: Dorothee von Kügelgen - Bonifatius, Apostel der Deutschen (Gerhard Feldbauer)


Bonifatius, der "Apostel der Deutschen", war Schmied der Allianz von Kreuz und Schwert

Ein interessantes Buch über den Chefideologen der Kurie bei der Christianisierung des Abendlandes

von Gerhard Feldbauer, 11. März 2019



Abbildung: Cornelis Bloemaert (1603-1684) [Public domain]

Der "Heilige Bonifatius" - Kupferstich von Cornelis Bloemaert, entstanden ca. 1630
Abbildung: Cornelis Bloemaert (1603-1684) [Public domain]

Die geschichtsträchtige hessische Stadt Fulda feiert 2019 den 1275. Jahrestag ihrer Grundsteinlegung, die am 12. März 744 in der Gründung des Klosters gesehen wird. Sie erfolgte im Auftrag des mit der Christianisierung des Frankenreiches durch den Papst beauftragten Bonifatius, in der Geschichte der katholischen Kirche als "Apostel der Deutschen" geehrt. Zum Jubiläum erschien über den von Sagen umwobenen Missionar ein Buch von Dorothee von Kügelgen, einer Urenkelin des berühmten Archäologen der Stadt, Joseph Vonderau [1]. Die Autorin erweist sich als eine fundierte Kennerin der Materie, die über den Tellerrand der Kuriengeschichte hinausblickt, auf Distanz zu diversen Legenden geht und es obendrein versteht, den manchmal trockenen Stoff reich bebildert und im lockeren Erzählerstil spannend darzubieten. Ein umfangreicher, nach Sachgebieten untergliederter Quellen- und Literaturnachweis stellt für Fachhistoriker eine Fundgrube dar. Den Laien mag die oft sehr ins Detail gehende Abhandlung manchmal etwas überfordern, aber das ist vertretbar. Ein Orts- sowie ein Personenregister helfen bei der Suche nach Orten und dem Platz von Persönlichkeiten in den historischen Prozessen.

Ein grundlegender "Irrtum"

Bonifatius und mit ihm Fulda bildete in dieser Zeit, wie einleitend eingeordnet wird, einen zentralen Bezugspunkt des Frankenreiches, das im Ergebnis des Unterganges des Weströmischen Reiches nach dem Sieg der Franken gegen die Alemannen unter dem Merowingerkönig Chlodwig in der sogenannten "Bekehrungsschlacht" von Tolbiacum (Zülpich bei Euskirchen) 496 oder 497 entstand. Die Legende besagt, Chlodwig habe während des unentschieden wogenden Getümmels den Christengott angerufen und gelobt, sich taufen zu lassen, wenn er den Sieg erringe. Mit Hilfe göttlicher Heerscharen habe er dann triumphiert. [2]


Abbildung: Évariste Vital Luminais [Public domain]

Flucht der Germanen nach der "Bekehrungsschlacht" - Historiengemälde von Évariste Vital Luminais aus dem 19. Jahrhundert
Abbildung: Évariste Vital Luminais [Public domain]

Die Autorin macht hier einen grundlegenden "Irrtum" der frühmittelalterlichen Christianisierung der Germanen aus, dass der "Frieden predigende Christus" als "siegbringender Kriegsgott" dargestellt wurde. Auf das Thema kommt sie wiederholt zurück und es ist amüsant, fast möchte man zuweilen meinen, sie karikiert, wenn sie die gegenüber den Germanen betriebene Praxis der "Heidenbekehrung" beschreibt. So dass "der Durchschnittsgermane nicht der Typ (war), der die linke Wange hinhielt, wenn einer ihm gerade auf die rechte geschlagen hatte". Aber man zögerte nicht, "den frisch christianisierten, kampflustigen Stammesbrüdern das Evangelium schmackhaft" zu machen. Da wird Christus als "Hüter der Burg Betlehem" dargestellt, "seine Jünger stehen zu ihm im Gefolgschaftsverhältnis, sind seine rinkos oder thegnos, 'junge Krieger und Helden'. Sein Prozess vor Pilatus wird beschrieben "wie ein thing, eine germanische Rechtsversammlung" (S. 109 ff.) [3]. Dass Bonifatius nicht die hagere Figur eines Jesus hatte, sondern von wuchtiger Gestalt, 1,85 m bis 1,90 groß war und eher einem Recken wie Hagen von Tronje aus dem Nibelungenlied glich, trug zu dieser Sicht bei. Andererseits vermerkte von Kügelgen aber auch, dass Chlodwig durch die Taufe "kein höheres sittliches Niveau" erreicht habe. "Entsetzliche Gewaltexzesse, Säuglingsmord, Fehdekultur, althergebrachte Selbsthilfe in Streitfällen - das war selbstverständlich auch weiterhin Teil seines Alltags". (S. 12 ff.)


Abbildung: Pethrus [Public domain]

Die Taufe Chlodwigs I. - Teilansicht eines Elfenbein-Buchdeckels aus dem 9. Jahrhundert
Abbildung: Pethrus [Public domain]

Unter Chlodwig begann in Europa der historische Prozess des Entstehens des bedeutendsten Reiches des frühen Mittelalters, das germanische und romanische Völker umfasste und zur Grundlage der politischen und kulturellen Entwicklung des Abendlandes, insbesondere Deutschlands und Frankreichs, wurde. Die christliche Religion bildete das ideologische Band, das den Vielvölkerstaat zusammenhielt, in dem sich aber auch "das Klientelwesen des antiken Rom und das germanische Vasallenwesen vermischten (S. 23). Den Beginn der Christianisierung, die sich bis ins 11. Jahrhundert hinzog und von blutigen Auseinandersetzungen begleitet war, markierte die Taufe Chlodwigs und 4.000 seiner Krieger nach der "Bekehrungsschlacht". Im Bündnis von "Kreuz und Schwert" hatte "Karl Martell den militärischen, Bonifatius den geistlichen Teil der Aufgabe zu erledigen". Das hieß "zuerst wurde buchstäblich mit eiserner Zunge gepredigt. Kaum hatte man die Menschen mit Feuer und Schwert besiegt, machte man sich daran, ihnen Frieden, Nächstenliebe und Demut nahezulegen und dass Bedrückungen im Diesseits ihnen im Jenseits vergolten würden" (S. 125).

Zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert breitete sich das Frankenreich zu einem riesigen Imperium aus, das vom Atlantik bis zur Elbe, von den ostfriesischen Inseln bis weit hinter Rom reichte. "Der Stammesgott der Franken war seit Chlodwigs Taufe der Christengott, d. h., mit der Taufe wurde man Franke. Ließ sich der Magnat mit seinen Vasallen taufen, musste das Volk mithalten" (S. 17).


Graphik: Altaileopard [CC0]

Chlodwigs Eroberungen bis zum Jahr 511, salische Teilkönigreiche im Jahr 481
Graphik: Altaileopard [CC0]

Ein "Teamleiter"

Mit Kreuz und Schwert wurde die Herrschaft der Könige und Kaiser gestärkt. Unter dem Kreuz dazu den wahrscheinlich entscheidendsten Beitrag geleistet zu haben, kam dem 672 oder 673 als Sohn eines angelsächsischen Adligen im Königreich Wessex geborenen Missionar Bonifatius zu. Er hieß eigentlich Wynfried/Wynfreth (Winfrid), abgeleitet von wynne/wonne und frith/Fridde. Als Geburtsort gilt der Ort Crediton nahe Exeter (heute eine Kleinstadt in Devon, etwa 12 km von Exeter entfernt). Dort und auch in Nursling bei Southampton war er Mönch und leitete auch eine Klosterschule (S. 21 ff.). Bonifatius erwarb als "Missionslehrling" sein Rüstzeug also in einer Hochburg germanischer Expansion, die im 5. Jahrhundert das von den Sachsen in Süd- und Südwestengland gegründete Königreich Wessex hervorbrachte, das andere Herrschaftsgebiete dominierte. Bonifatius wandte sich Hessen, dem geografischen Zentrum des Frankenreiches zu, wo es "noch richtige Heiden (gab), bei denen man ganz von vorn anfangen konnte" (S. 66).

Sein missionarischer Eifer, sein historischer Weitblick, seine gewaltige Stimme, aber auch sein großes organisatorisches Talent ließen ihn frühzeitig zum wichtigsten Vertrauten des Heiligen Stuhls bei der Festigung der Papstherrschaft nördlich der Alpen werden. Und er war, was man heute einen "Teamleiter" nennt, verstand, starke und einflussreiche Helfer zu mobilisieren. In Kurzbiografien werden u. a. die Äbte Sturmius und Hrabanus und die Äbtissin von Tauberbischofsheim Lioba/Leoba vorgestellt. Die Gebeine der 782 verstorbenen Heiligen Lioba ruhen auf dem Petersberg von Fulda in der Krypta der zum Benediktiner-Kloster gehörenden Kirche.


Foto: Weberli [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

Die Kirche St. Peter auf dem Petersberg bei Fulda - Grabeskirche der "Heiligen Lioba"
Foto: Weberli [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

Die Wandfresken des Klosters gehören zu den ältesten Deutschlands. Erwähnt wird, dass der fünfte Abt des Klosters Fulda, Hrabanus Maurus, zu sonst namentlich nicht bekannten Fuldaer Mönchen gehört, die Autoren des "berühmten Hildebrandliedes, einer der raren Schätze althochdeutscher Heldendichtung" sind (S. 85 ff., 162, 172 f.). Hrabanus gilt als ein hervorragender Gelehrter und Poet, der u. a. ein lateinisch-deutsches Glossar verfasste. Unter ihm wurde die Klosterschule zu einer bedeutenden Lehrstätte. Hier fand nicht nur die althochdeutsche Literatur ihre Wiege, es bildete sich auch Deutsch zur Schriftsprache heraus. Hrabanus, der 847 die Weihe zum Erzbischof erhielt und in Mainz Nachfolger Bonifatius' wurde, wird "Praeceptor Germaniae" (Lehrer der Deutschen) genannt.

Mit gleichbleibender Treue diente Bonifatius vier Päpsten - Gregor II. (715-731) und III. (731-741), Zacharias (741-752) und Stephan II. (752-757). Gregor II. erteilte ihm 719 in Rom den offiziellen Auftrag, den "ungläubigen Völkern das Geheimnis des Glaubens bekannt zu machen". Der Auftrag war der "entscheidende Schritt zur Missionierung der germanischen Völker". [4] 722 wurde er zum Bischof und zehn Jahre später zum Erzbischof geweiht. 738 ernannte ihn Zacharias zum Legaten für Germanien. Schon vor diesen Ämtern hatte ihn Gregor II. durch die Verleihung des Namens Bonifatius (Wohltäter), eines römischen Märtyrers [5], fest an die Kurie gebunden.

Bonifatius' Lebensaufgabe

Mit wechselndem Erfolg kämpften sowohl die Könige und Kaiser als auch die Päpste darum, das Frankenreich zu beherrschen. Der Einfluss des Heiligen Stuhls auf dieses riesige Imperium, dessen Kirche sich der Leitung durch Rom entzog, war indessen zu Beginn des 8. Jahrhunderts gering. Nördlich der Alpen konnte der Papst von sich aus keinen Bischof, noch nicht einmal einen Priester ernennen und die germanische Kirche entwickelte sich weitgehend "ohne päpstliche Aufsicht". Der König verteilte "die Bischofssitze an seine Parteigänger, die oftmals völlig ungeeignet waren". Sie führten nicht das Leben von Geistlichen, sondern "das adliger Grundherren", waren "gut auf der Jagd oder dem gemeinsamen Kriegszug, führten Ehen, unterhielten Liebschaften und produzierten Nachkommen, denen sie ihre Bischofssitze zu vererben gedachten". Dem musste ein Ende bereitet werden. "Die alte geistliche Macht in Rom musste mit der neuen aufstrebenden der Karolinger in Kontakt kommen. Das alles sollte Bonifatius' Lebensaufgabe werden" (S. 9, 18 f.). Der "Wohltäter" löste diese Aufgabe, setzte im Rahmen der Christianisierung die Unterordnung der fränkischen Kirche unter Rom durch, wofür er in die Geschichte der katholischen Kirche als "Apostel der Deutschen" einging.

Vor allem zwei Bischöfe waren erbitterte Feinde Bonifatius': Gewillip von Mainz und Milo von Reims und Trier, die beide ihre Bistümer von den Vätern geerbt hatten. Eine erstmals 742 oder 43 (das Datum ist nicht genau überliefert) von Bonifatius einberufene Synode setzte Gewillip ab und berief ihn zu seinem Nachfolger. Im Beschluss der Versammlung hieß es: "Falschen Priestern und ehebrecherischen oder unzüchtigen Diakonen und Klerikern haben wir ihre kirchlichen Pfrunde entzogen, sie abgesetzt und zur Buße genötigt", es wurde allen Dienern Gottes "untersagt, Waffen zu tragen, zu kämpfen, ins Feld gegen den Feind zu ziehen", ebenso das Jagen. Es hieß darin, dass "Schluss sein sollte mit dem herrschaftlichen Wohlleben in den Bischofshäusern" (S. 145 ff.).

Opfer pragmatischer Päpste

Dass der "Wohltäter" erst im Alter von etwa 70 Jahren mit der Ernennung zum Bischof von Mainz ein eigenes Bistum und damit eine feste Bleibe erhielt, verdeutlicht, dass er von den Päpsten auch weidlich ausgenutzt und ihrem Pragmatismus geopfert wurde. Um das Zusammenwirken mit den Frankenherrschern, die auf ihre Vorrechte pochten, nicht zu gefährden, hatte er noch nicht einmal als Erzbischof ein eigenes Bistum erhalten, damit auch keinen festen Wohnsitz gehabt und war wie ein Wanderprediger herumgereist. Von Kügelgen schreibt denn auch, dass Verhältnis zu Rom sei, besonders mit Zacharias "nie ganz spannungsfrei gewesen" (S. 179 f.).


Abbildung: Bernhard Rode [Public domain]

Legendenbildung? Bonifatius fällt die Donareiche - Radierung von Bernhard Rode von 1781
Abbildung: Bernhard Rode [Public domain]

Die "Wundererzählung" von der Donar-Eiche

Einen herausragenden Platz nimmt in der Geschichtsschreibung der katholischen Kirche über Bonifatius das Fällen der Donar-Eiche ein. Danach hat er 723 in Hessen in Geismar (heute Stadtteil von Fritzlar) in Anwesenheit zahlreicher Chatten (einem Stamm der Germanen) eine deren Kriegsgott Thor (Donar) geweihte Eiche gefällt. Er habe den zum Großteil noch nicht zum Christentum bekehrten Chatten die Ohnmacht der altgermanischen Götter beweisen wollen. Zu dieser "Wundererzählung" hält von Kügelgen fest, dass "wohl Abstriche gemacht werden" müssten. Das ganze Unternehmen sei "absichtsvoll auf größtmöglichen Eindruck hin inszeniert" worden. "Sollte es wahr sein, dass der Baum nach wenigen Hieben bereits fiel, so müssen wir unterstellen, er sei vorher präpariert worden." Obendrein hatte Bonifatius sich militärischen Beistandes versichert. Die Aktion fand in Sichtweite des "fränkischen Stützpunktes, der Büraburg, eine der modernsten und stärksten Festungen des Reiches überhaupt und besetzt mit einer kräftigen Heereseinheit", statt. Dass Donar nicht eingriff, dürfte "die Germanen schwer erschüttert" und ihnen gezeigt haben, dass "der friedenbringende Christengott zuzeiten recht machtvoll und durchschlagskräftig" schien und "starke irdische Helfer" hatte, (S. 74 f.).

Die von Bonifatius nach römischen Richtlinien betriebene Reform der fränkischen Kirche nutzte auch das Königtum dieser Zeit für seine Interessen, da sie die durch die Heidenbekehrung unterworfenen germanischen Stämme an das fränkische Reich band. Bonifatius knüpfte daran an und trat in den Konflikten zwischen der Zentralgewalt des Reiches und dem Papsttum um die weltliche Herrschaft als Sachwalter Roms, oft auch als Vermittler auf. In diesem Kontext kam es vor allem mit Karl Martell (688 bis 741) zu einer engen, wenn auch widersprüchlichen Zusammenarbeit und schließlich zum Bündnis zwischen Kirche und Reichsgewalt. Vor allem die Karolinger, die für eine starke Königsherrschaft eintraten, suchten gleichzeitig die Hilfe der Kirche zu nutzen, was voraussetzte, den römischen Einfluss zu stärken. In Rom wiederum wusste man, dass das Missionswerk des Bonifatius den militärischen Beistand der Fürsten benötigte. Auf dieser Basis gestaltete sich die Kirche neben dem Lehnswesen zur zweiten wesentlichen Stütze der Reichsgewalt.


Abbildung: G. Garitan [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]

Pippins Königssalbung durch Papst Stephan II. - Gemälde von François Dubois
Abbildung: G. Garitan [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]

Salbung nach einem Staatsstreich

Besondere Bedeutung erhielt dieses Bündnis, als Pippin der Jüngere 751 den letzten merowingischen König Childrich III. stürzte und selbst die Macht an sich riss. Rom billigte den Willkürakt Pippins, der danach von der Reichsversammlung in Soissons zum König (seitdem auch Pippin III.) erhoben wurde. Diesem mit weitreichenden Konsequenzen für das Verhältnis zwischen dem Machtanspruch der weltlichen Herrscher und dem des Papstes verbundenen Abschnitt der Geschichte widmet die Verfasserin das Kapitel "Staatsstreich" (S. 205 ff.).

Um seine Berufung durch Gott zu bezeugen, wurde der neue Herrscher zum ersten Mal in der Geschichte des Frankenreiches nach alttestamentarischer Weise gesalbt. Von Kügelgen tritt der Meinung entgegen, das Ritual habe Bonifatius selbst vorgenommen [6]. Er sei wohl gar nicht dabei gewesen, weil ihm "wahrscheinlich diese ganze neumodische Salberei gegen den Strich ging" (S. 210).

Der neue Frankenkönig dankte es dem Heiligen Vater mit einem Kriegszug nach Italien, wo er ihn gegen die vordringenden Langobarden unterstützte. Im Ergebnis des Feldzuges übereignete er Stephan II. das "Patrimonium Petri" [7] nebst Rom und Ravenna, in der Geschichtsschreibung "Pippinsche Schenkung" genannt. Es entstand der Kirchenstaat, der die weltliche Herrschaft des Papstes begründete. Erst jetzt wurden vertraglich rechtsgültig der Kirchenstaat, das Staatshoheitsgebiet der Päpste und ihre weltliche Herrschaft, begründet. [8] Als Gegenleistung wurde am 28. Juli 754 die Königssalbung durch Stephan II. noch einmal wiederholt, bei der gleich die Söhne Karl und Karlemann mit gesalbt wurden, was "die dynastische Erblinie der Karolinger begründete" (S. 216). [9]

773/74 eroberte Karl der Große das Langobardenreich in Oberitalien. Weihnachten 800 vergalt es Papst Leo III., indem er den zu dieser Zeit mächtigsten Herrscher des frühen europäischen Mittelalters zum "Römischen" Kaiser krönte. Es war Bonifatius, der dem Heiligen Stuhl zu diesem Einfluss im Frankenreich verhalf und das Bündnis zwischen beiden Mächten zustande brachte. Noch vor Karl dem Großen wird ihm ein wesentlicher Anteil an der Gestaltung des Abendlandes zugeschrieben.


Abbildung: Julius Lange (Zeichner); Johann Gabriel Friedrich Poppel (Stahlstecher) [Public domain]

Der Bonifatiusplatz in Fulda mit Bonifatiusdenkmal und Hauptwache - Stahlstich von 1850
Abbildung: Julius Lange (Zeichner); Johann Gabriel Friedrich Poppel (Stahlstecher) [Public domain]

Die Klostergründung in Fulda

Am 12. März 744 verkündete der Missionar Sturmius (Lat. der Stürmische) im Beisein von 7 Gefährten auf dem Ruinenfeld einer verlassenen fränkisch-merowingischen Anlage in Fulda im Auftrag Bonifatius, dass hier ein Benediktiner-Kloster errichtet werde. Sturmius, der um 710-779 lebte, stammte aus bayerischem Adel, wurde im Kloster Witzlar ausgebildet und etwa 739 zum Priester geweiht. Als engster Vertrauter Bonifatius' wurde er erster Abt des Klosters Fulda, des Wichtigsten von Rom im Kampf um die Schaffung der fränkischen Reichskirche und dabei Wiege des Entstehens der Stadt Fulda. Es entsprach der Praxis frühchristlicher Missionen, heidnische Kultstätten zu zerstören, um auf ihren Ruinen christliche Kirchen zu errichten. Es sollte ein "Musterkloster für monastisches (klösterliches) Leben in vorbildlicher Weise" werden. Entscheidend für die Ortswahl war, dass es eine "Zentralstelle" war, "an der sich alle Wege trafen: die Antsanvia vom Rhein-Maingebiet über Erfurt zur Elbe, der Ortsweg vom Grabfeld nach Mainz sowie zwei weitere kleinere Strassen". Neben der idealen geographischen Lage und der "unbestrittenen Schönheit des Ortes dürfte ihn besonders entzückt haben, dass dort noch brauchbare Gebäudereste herumstanden, die sich nutzen ließen". Sturmius hatte auch die Besitzrechte geklärt und eine "Karlmann-Schenkung" (dem Sohn Karl Martells) erreicht, die am 12. März 744 übergeben wurde, was als "Gründungstag des Klosters" gilt (S. 159 ff.). [10]


Foto: I, Bouwe Brouwer [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]

Heiligenverehrung auch in Dokkum - Reliquienschrein des Bonifatius
Foto: I, Bouwe Brouwer [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]

Umstrittener Märtyrertod

Zum Ende widmet sich von Kügelgen dem auch von Legenden umwobenen Tod Bonifatius' am 5. Juni 754 am Fluss Borne bei Dokkum in Friesland, dem Ursprungsgebiet seiner Missionsarbeit, in das er über 80jährig noch einmal gereist war.

Bei dem Überfall soll er seine Mannen "hart anlassend" aufgerufen haben, vom Kampf abzulassen. Er selbst soll aber versucht haben, die Schläge gegen sich mit einem heiligen Evangelienbuch abzuwehren, das im Kloster Fulda ausgestellt ist. Sie widerspricht der Meinung, die Verletzungen des Buches durch Hiebe seien eine Fälschung, neigt aber der These zu, Bonifatius könnte mit seinen etwa 50 Gefährten - Geistlichen, ihren Bediensteten sowie der militärischen Bedeckung - einem Raubüberfall zum Opfer gefallen sein. Dass er einen Märtyrertod gesucht habe, hält sie für "unwahrscheinlich" (S. 219 ff.).

Sein Leichnam wurde zunächst nach Mainz gebracht und dann nach Fulda überführt, wo er in der Erlöserkirche des Fuldaer Klosters seine letzte Ruhe fand. 1855 erließ Pius IX. die Kanonisation (Heiligsprechung) des Bonifatius, die am 5. Juni begangen wird.

In den Jahrhunderten nach dem Tod Bonifatius' wallfahrten die Gläubigen zu seiner Grabstätte. Durch Spenden der Frommen erlangte das Kloster Reichtum und Macht. Noch zu Lebzeiten Bonifatius' hatte Papst Zacharias dessen außerordentliche Dienste 751 durch die Verleihung eines Exemptionsprivilegs an das Kloster Fulda gewürdigt, es so von jeder bischöflichen Jurisdiktion unabhängig erklärt und für alle Zeiten ausschließlich der päpstlichen Gerichtsbarkeit unterstellt. Ab 1170 nahmen in Fulda Äbte ihren Sitz, nach einem 1220 erlassenen Gesetz Kaiser Friedrichs II. waren sie gleichzeitig Fürstäbte und Reichsfürsten (S. 174, 253 ff.).

Zwischen 1704 und 1712 ließ Johann Dientzenhofer aus der Familie der Barock-Architekten auf den Grundmauern der gewaltigen Ratgar-Basilika [11] den Dom der Stadt errichten. Diese größte karolingische Kirche nördlich der Alpen entstand an der Stelle der ersten Grabeskirche des Bonifatius. Ihre Ausmaße sollen mit späteren Anbauten die Größe des heutigen Doms übertroffen haben Die Krypta des Domes birgt das Grabmal des Bonifatius. Ein mit schwarzem Marmor umgebenes Alabasterbild der Barockzeit zeigt seinen Märtyrertod. Vor dem Stadtschloss steht in wuchtiger Größe ein erzgegossenes Standbild des Bonifatius, der das Kreuz hoch erhoben hält (S. 271 ff.).


Foto: 2017 by photoforyou (gemeinfrei) via pixabay

Der Domplatz von Fulda mit dem Dom (l.) und der Michaeliskirche (r.)
Foto: 2017 by photoforyou (gemeinfrei) via pixabay


Fußnoten:

[1] Nach dem Lehrer und Heimatforscher, der zahlreiche Objekte aus der Stein- und Bronzezeit entdeckte, ist das 1875 gegründete Museum von Fulda, mit fast 4000 m² Ausstellungsfläche das größte hessische Museum dieser Art, benannt.

[2] Joseph Blanc (1848-1904, französischer Maler des Klassizismus) hat in einem Gemälde 1882, das im Pariser Pantheon zu sehen ist, die Legende dargestellt. Es zeigt Chlodwig, wie er während der Schlacht sein Taufgelöbnis spricht. In einer anderen Szene besiegen danach göttliche Heerscharen die Alemannen.

[3] Thing (auch Ding), germanische Volks-, Heeres- und Gerichtsversammlung. Tagte unter Vorsitz des Königs, Stammes- oder Sippenoberhauptes unter freiem Himmel, beriet Fragen des Zusammenlebens, entschied über Krieg und Frieden, urteilte über schwere Verbrechen. Mit zunehmender Entwicklung der Feudalmacht wurde das Thing eingeschränkt und schließlich ganz abgeschafft. An das Ding bzw. Thing erinnert noch heute die Bezeichnung für die Parlamente nordischer Staaten, so Landsting und Folketing in Dänemark, Althing in Island und Storting in Norwegen.

[4] Hans Kühner: Lexikon der Päpste. Kirchengeschichte - Weltgeschichte - Zeitgeschichte von Petrus bis heute, Zürich 1977.

[5] Bonifatius, der kein Christ war, lebte gegen Ende des 3. Jahrhunderts in Rom in der Villa der reichen Römerin Aglae als Sklave. Er war für seine Herrin Verwalter ihrer Güter und ihr Geliebter. Sie schickte ihn nach Tarsus (einer unter römischem Einfluss liegenden Provinz in der Türkei, Geburtsort des Apostels Paulus), wo er die Reliquien christlicher Märtyrer finden und nach Rom bringen sollte. Als er in Tarsus die Folterungen und Tötungen der verfolgten Christen unter Kaiser Galerius miterlebte, ließ er sich taufen und bekannte sich zum Christentum. Darauf wurde er durch siedendes Pech selbst umgebracht.

[6] So Gustav Faber in: Auf den Spuren von Karl dem Großen. München 1985.

[7] Patrimonium Petri, ("Petri Erbgut", auch Vermögen Petri genannt) ist das durch Schenkungen und Besitzergreifungen erworbene und immer mehr vergrößerte Vermögen der römischen Kirche bzw. des Kirchenstaates.

[8] Bis dahin galt die Ansicht, dass Kaiser Konstantin (Kaiser 306-337) Papst Silvester I. (314-335) zum Dank für die Heilung vom Aussatz in einer Schenkung (Donatio Constantini) umfangreiche Gebiete überlassen habe. In einer Urkunde seien der Vorrang der Stadt Rom über alle Kirchen, die Verleihung des kaiserlichen Abzeichens an den Papst und die Schenkung des Lateranpalastes sowie die Abtretung Roms, Italiens und der abendländischen Provinzen an die Kirche angeführt worden, während sich der Kaiser selbst nach Byzanz zurückgezogen und mit der Herrschaft über den Osten begnügt habe. Eine entsprechende Urkunde entstand jedoch erst im 8. Jahrhundert. Die Konstantinische galt als echt, bis sie im 15. Jahrhundert der Humanist Laurentius Valla und Nicolaus Cues als Fälschung erkannten. Siehe Hans Kühner, a.a.O., S. 82 ff.

[9] Siehe dazu die beigefügte Abbildung des Gemäldes von François Dubois.

[10] Dass der 12. März 744 auch der Gründungstag der Stadt Fulda ist, trifft so nicht zu. Für die förmliche Verleihung des Stadtrechts liegt keine Urkunde vor. Im Stadtarchiv Fulda geht man davon aus, dass mit der Verleihung des Münz-, Markt- und Zollrechts durch Kaiser Heinrich II. (973-1024, seit 1014 deutscher Kaiser) 1019 an Fulda die Initialzündung für die Entwicklung zur Stadt gegeben wurde und dieses Datum in Ermangelung einer förmlichen Stadtrechtsverleihung die Grundlage für das diesjährige Jubiläum bildet. Die Klostergründung bildet unabhängig davon den Grundstein für oder anders ausgedrückt die Wiege Fuldas zur Entwicklung als Stadt.

[11] Ratgar-Basilika. Der Bau begann unter dem Abt Ratger von 791 bis 819, 3. Abt des Klosters Fulda nach Sturmius, deshalb auch Ratger-Basilika genannt.

Dorothee von Kügelgen
Bonifatius. Apostel der Deutschen
Parzellers Buchverlag, Fulda 2018
ISBN 978-3-7900-0524-0
304 Seiten
25 Euro

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2019

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