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BUCHBESPRECHUNG/204: Beat Rigger, Cédric Wermuth - Die Service Public Revolution (Klaus Ludwig Helf)


Beat Rigger, Cédric Wermuth

Die Service Public Revolution. Corona, Klima, Kapitalismus - eine Antwort auf die Krisen unserer Zeit.

von Klaus Ludwig Helf, Juli 2021


Die beiden Autoren des vorliegenden Bandes konstatieren mit Recht einen Epochenumbruch, der nicht zuletzt auch durch die Corona-Pandemie noch schärfere Konturen bekommen habe. Wir seien konfrontiert u.a. mit Klimawandel (Hitze, Unwetter) krassen regionalen und globalen Ungleichheiten (bei Einkommen, Vermögen, Lebenshaltung, Gesundheit, Bildung), mit der Zunahme internationaler Spannungen, mit Übersäuerung der Meere, dem Zerfall der Biodiversität, mit einer Krise der Grundwerte und mit einer Weltwirtschaft mit immensen Schuldenbergen: "Der Zustand der Welt verlangt entschiedenes Anpacken und nicht Zaudern und Zögern" (S. 10). Nationalismus und Kapitalismus seien nicht die geeignete Rezepturen für den notwendigen Umbau, sondern nur eine konsequent global- und gemeinwohl-orientierte Politikwende, die zwar in der Schweiz ansetze, aber über sie hinausweise und Spielräume eröffne.

Die Autoren entwickeln in ihrem Band Vorschläge, die sowohl revolutionär als auch pragmatisch seien als eine Gegenbewegung zum Kapitalismus. Konkreter Ansatzpunkt für ihre ökologisch-feministisch-soziale 'Ökonomie der Sorge' ist die 'Service-public-Revolution', die an die erfolgreiche Tradition und Kultur der kommunalen Selbstverwaltung der Schweiz anknüpfe in Verbindung zu den neuen Bewegungen der Klimajugend und des Feminismus und zu den zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen. Kern des Umbaues sei der Gedanke, dass sich die Gesellschaft nach den Bedürfnissen der Menschen ausrichten müsse und nicht an der Logik der Konkurrenz und des privaten Profits. Öffentliche Dienste müssten daher nach Meinung der Autoren die dominierende Form der ökonomischen und gesellschaftlichen Organisation werden, eine durchaus attraktive, humane und kühne politische Vision.

Beat Ringger (*1955) ist Schweizer Publizist, war von 2004 bis 2020 Geschäftsführer des sozialkritischen Schweizer Thinktanks Denknetz und Zentralsekretär der Service-Public-Gewerkschaft VPOD, davor Ingenieur bei IBM-Schweiz. Cédric Wermuth ist Politikwissenschaftler, Strategie- und Kommunikationsberater für NGOs, zusammen mit Mattea Meyer Co-Präsident der Sozialdemokratischen Partei (SP) der Schweiz und seit 2011 Nationalrat. Gemeinsam haben Ringger und Wermuth den Band MarxnoMarx herausgegeben (2018).

Der Band hat drei Teile: Fassungslosigkeit und Hoffnung, Kapitalismus und Care, die Service-Public-Revolution und ein Schluss-Kapitel über die 'Globale Care-Gesellschaft'. Teil eins behandelt die Beweggründe, dieses Buch zu schreiben. Im Teil zwei werden zentrale Aspekte der gesellschaftlichen Ungleichheit, der Logik des Kapitalismus und der Care-Ökonomie analysiert. Im dritten und umfangreichsten Kapitel legen die Autoren detailliert und beispielhaft dar, was hinter der 'Public-Service-Revolution' steckt, wie neue Horizonte für eine gemeinwohlorientierte Transformation der Gesellschaften regional und global erschlossen werden können: "Nachhaltig, kooperativ, gendergerecht und solidarisch" (S. 11).

Der vorliegende Band wurde nach Angaben der Autoren in der Zeit von Anfang Mai bis Anfang Juli 2020 erstellt und fußt auf Überlegungen, die sie bereits in ihren jeweiligen Netzwerken entwickelt haben, ohne Anspruch auf ein umfassendes, politisches Programm: "Die Service-public-Revolution ist lange noch nicht alles. Aber ohne Service-public-Revolution ist alles nichts" (S. 12). Ein Bruch mit der Logik der Kapitalverwertung sei der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Umbaus der gesellschaftlichen Ordnung. Dies komme einer 'kopernikanischen Wende' gleich und sei eine riesengroße Aufgabe. Anzusetzen sei vor allem dort, wo bereits gute Grundlagen vorhanden seien z. B. beim 'Service-Public': "Öffentliche Dienste, das sind vertraute Institutionen, die vor Ort verankert sind.

Die Service-public-Revolution findet ihre breite Basis vor Ort, in den Gemeinden, Regionen, Ländern. Eigentliches Terrain ist allerdings die ganze Welt" (S. 202). In der Schweiz sei der Begriff des 'Service Public' als weitgehend öffentlich-rechtlich organisierte Erbringung von Leistungen der Grundversorgung politisch allgegenwärtig. Der Schweizer Bundesrat habe eine Liste erstellt, die weit über das Verständnis einer minimalen Ausstattung der Grundversorgung hinausgehe und von Abfall/Abwasser über Bildung, Elektrizität, Internetzugang, Kulturangebote, Medien, medizinisch-pharmazeutische Versorgung bis zum Wohnen und zum Zahlungsverkehr reiche.

Aufgrund dieser realpolitischen Basis stellen die beiden Autoren mustergültige, gemeinwirtschaftliche Lösungen und Projekte aus der Schweiz vor, die traditionell über ein vergleichsweise gut ausgebautes Netz von Infrastrukturen und Dienstleistungen der Grundversorgung verfüge. Der neoliberale Angriff auf die staatliche Grundversorgung sei dort nicht zuletzt durch Instrumente der direkten Demokratie zu einem substanziellen Teil erfolgreich verhindert worden. Die Schweiz könne als kleines Land durchaus "das Schwungrad für eine zukunftsfähige Dynamik weit über seine Landesgrenzen hinaus in Gang bringen" (S. 205).

Diese Projekte sind in der Tat beachtlich u.a. im gemeinnützigen Wohnungsbau, in der dezentralen solaren Energieversorgung, bei der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung und der öffentlich getragenen Pflege, Betreuung und Alltagsunterstützung im Alter (Care) und 'Pharma fürs Volk'. Der Anstoß für die Errichtung öffentlicher Dienste sei in der Regel von zivilgesellschaftlichen Initiativen ausgegangen mit dem Ziel der Gestaltung gesamtgesellschaftlicher, verbindlicher Lösungen. Aufgrund der Erfahrungen in der Finanzkrise 2008 und mit den umsatzstarken globalen Plattform-Betreibern (u.a. GAFA) sei darüber hinaus der Aufbau von öffentlich-rechtlichen, demokratisch kontrollierten und transparenten Strukturen im Zahlungs- und Bankenverkehr, beim Internet (Aufbau einer Open-Access/Open-Data-Landschaft), beim Paketdienst, bei Mobilität/Verkehr und bei Forschung und Entwicklung dringend geboten.

Finanziert werden könne der soziale und ökologische Umbau nach Vorstellung der Autoren durch eine grundlegende Veränderung der Steuerpolitik, die Reiche wesentlich stärker belaste. Privater Reichtum müsse 'zurückverteilt' werden in öffentliche Bereiche; das Geld werde also nicht 'umverteilt', sondern zurückgeholt von denen, denen es genommen worden war. Einen enormen Finanzschub zur Bewältigung der Folgen der Klima-Corona-Krise bringe eine einmalige Vermögenabgabe für das oberste Prozent der Vermögenden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) habe einen entsprechenden konkreten Vorschlag bereits unterbreitet (einmalige Abgabe von 10 bis 20 Prozent auf Mindestnettovermögen von 2,5 Millionen Euro). Ein Gesetz zum Lastenausgleich habe es in Deutschland bereits 1952 gegeben.

Unter dem Motto 'Pharma für alle' solle ein zentrales Handlungsfeld für eine globale 'Service-Public-Revolution' entwickelt werden. Die globale Pharmaindustrie habe Milliarden-Geschäfte allein mit sogenannten Blockbustern generiert und weniger profitable Felder wie Impfstoffentwicklung oder Alternativen zu Antibiotikaresistenzen vernachlässigt. Die Regierung solle dem Schweizer Pharmakonzern 'Novartis' die nicht profitable Generikasparte 'Sandoz' abkaufen und zu einem öffentlich-rechtlichen Non-Profit-Pharma-Cluster ausbauen. Dieses könne dann z.B. eine globale Versorgung mit Antibiotika betreiben und eine weltweite Zusammenarbeit mit allen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen organisieren.

Der kleine Band hat es in sich und steckt voll mit kreativen und sinnvollen Ideen für eine sozial-ökologische, demokratische Transformation der Gesellschaft. Jetzt käme es darauf an, Strategien für die Umsetzung zu entwickeln, darüber erfahren wir in dem Band wenig.

Beat Rigger, Cédric Wermuth: Die Service Public Revolution. Corona, Klima, Kapitalismus - eine Antwort auf die Krisen unserer Zeit. Rotpunkt Verlag Zürich 2020, 213 Seiten, EUR 15,00.

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Quelle:
© 2021 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 24. August 2021

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