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BUCHBESPRECHUNG/219: Wolfgang Schroeder / Markus Trömmer (Hg.) - Rechtspopulismus. Zivilgesellschaft. Demokratie.(Klaus Ludwig Helf)


Wolfgang Schroeder / Markus Trömmer (Hg.)

Rechtspopulismus. Zivilgesellschaft. Demokratie

von Klaus Ludwig Helf, Juli 2022


Die AfD hat 2019 in ihrem Strategiepapier zum "Marsch durch die Organisationen" aufgerufen, um "sich stärker in der Bürgergesellschaft zu verankern", andererseits rief Björn Höcke dazu auf, "die sogenannte Zivilgesellschaft, die sich aus Steuergeldern speist", trockenzulegen. Beide Strategielinien widersprechen sich nicht, sondern bilden durchaus eine sich gegenseitig ergänzende, umfassende langfristige Strategie der Zangenbewegung der AfD und ihrer Umfeldorganisationen auf ihrem Marsch durch die Institutionen auch in nichtstaatlichen, bürgernahen Bereichen Einfluss zu gewinnen. Einerseits versucht sie, sich zu profilieren durch Fundamentalkritik an den etablierten zivilgesellschaftlichen Organisationen, gleichzeitig aber auch in der Zivilgesellschaft selbst Fuß zu fassen - und das mit einem gewissen Erfolg. Dies belegt eine Studie zum Thema "Bedrängte Zivilgesellschaft von rechts. Intervention Versuche und Reaktionsmuster", die ein Team um den Sozialwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel im Jahr 1920 vorgelegt hat.

Auf der Basis von detaillierten Dokumentenanalysen und zahlreichen Interviews untersuchten sie, mit welchen Themen und Aktivitäten rechtspopulistischer und rechtsextremer Druck entwickelt wird und wie die organisierte Zivilgesellschaft auf diese Interventionen reagiert. Beispielhaft wurden Arbeitswelt, Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrts- und Sportverbände analysiert mit folgendem Ergebnis: Rechtspopulistische Aktivitäten gibt es mit steigender Tendenz in allen Bereichen der Zivilgesellschaft, sind aber bislang noch nicht systematisch angelegt. Rechtspopulistische Akteure sind sich der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung der organisierten Zivilgesellschaft bewusst und zielen darauf ab, bestehende Konflikte innerhalb der untersuchten Bereiche zu politisieren, um sie zu verstärken und thematische Anknüpfungspunkte für ihre politische Agenda herzustellen, wie z.B. beim Umgang mit Flüchtlingen und Migranten oder bei den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie.

So nutzen rechten Akteure sogenannte Gelegenheitsfenster, um Gewerkschaften als multikulturelle "Arbeiterverräter", Wohlfahrtsverbände als "Asylindustrie" und Sportverbände als "Verräter am Nationalsport" zu diffamieren. Den Kirchen wird vorgeworfen, die Werte des christlichen Abendlandes zu verraten. Der Kulturbereich sei mit seiner "linksgrün-versifften Multikulti-Ausrichtung" zum Handlanger der "Systemparteien" und ihrer Politik geworden. Auf "Hygiene-Demos" wird versucht, die Maßnahmen der Zivilgesellschaft zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ins Lächerliche zu ziehen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen reagieren auf diese Interventionsversuche nach keinem einheitlichen Muster und bewegen sich zwischen Ignorieren und aktiver Ausgrenzung der rechten Akteure. Die meisten Organisationen distanzieren sich eindeutig von rechten Inhalten. Es müsse jetzt darum gehen - so die Studie - die organisierte Zivilgesellschaft in ihrer positiven Rolle als Hort der Demokratie zu stärken, damit sie ihren unverzichtbaren Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt auch künftig leisten könne.

Das war auch das zentrale Thema einer Tagung am 24. und 25. September 2020 in Baunatal, wo die Studie intensiv diskutiert wurde. Das vorliegende Buch ist eine Dokumentation dieser Tagung, deren Ergebnisse in den Band eingeflossen sind. Die dort gehaltenen Referate und Redebeiträge wurden zu wissenschaftlichen Beiträgen umgearbeitet.

Wolfgang Schroeder ist Professor für Politikwissenschaft und Leiter des Fachgebiets "Politisches System der BRD - Staatlichkeit im Wandel" an der Universität Kassel; Fellow am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB). Forschungsschwerpunkte: Politische Parteien, Zivilgesellschaft, Arbeitsbeziehungen, Gewerkschafts-, Verbände- und Sozialstaatsforschung. Markus Trömmer ist Politikwissenschaftler und leitet das Team Promotionsförderung der Abteilung Studienförderung in der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Nach einem orientierenden Vorwort der Herausgeber folgen fünfzehn Beiträge von WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen. Ein Literaturverzeichnis ist jeweils angehängt. Die Artikel sind auf drei Hauptkapitel verteilt: Einführende Überlegungen, Strategie und Kommunikation und Einblicke in zivilgesellschaftliche Räume. Im Anhang werden die Autorinnen und Autoren vorgestellt. Kapitel eins beschäftigt sich mit grundlegenden und einführenden Überlegungen zur Zivilgesellschaft und deren Bedrohungen von rechts, Kapitel zwei mit strategischen und kommunikativen Aspekten rechtspopulistischer Akteure, Kapitel drei mit ausgewählten zivilgesellschaftlichen Räumen (Arbeitswelt, Gewerkschaften, christliche Kirchen und deren Verbände und Sport).

Wolfgang Schröder, Jennifer Ten Elsen, Samuel Greef und Lukas Heller fassen die Ergebnisse ihrer Studie zusammen, die Ausgangspunkt für die Tagung und für diesen Band darstellen. Sie weisen nach, dass die rechten Akteure die Bedeutung der organisierten Zivilgesellschaft erkannt hätten und versuchten infolgedessen, Anschlussmöglichkeiten zu finden und für sich zu nutzen: "Rechte Aktivitäten machen Konflikte sichtbarer, intensivieren sie und bedienen vorhandene Sorgen und Ressentiments. Bestehende Konfliktlinien innerhalb der zivilgesellschaftlichen Arenen werden von rechts aufgegriffen..." (S. 29). Bei den "Einführenden Überlegungen" geht es um einen Problemaufriss, worin die relevanten Fragestellungen von den Organisatoren der Tagung skizziert werden.:

"In unserem Text untersuchen wir die Wechselwirkung von rechten Aktivitäten und zivilgesellschaftlichen Reaktionen am Beispiel der zivilgesellschaftlichen Räume von Arbeitswelt, Religion, Freier Wohlfahrtspflege, Kultur sowie Sport und diskutieren zwei Fragen: 1. Welche Themen und Logiken zeichnen rechte Aktivitäten in den fünf Bereichen aus? 2. Welche Reaktionen sind im Umgang mit diesen Aktivitäten erkennbar?" (S. 17). Dabei erfolgt auch eine Differenzierung in Form einer tabellarischen Auflistung von Unterscheidungskriterien von Extremismus und Populismus, die, so die Herausgeber, nicht darüber hinwegtäuschen dürfe, dass Rechtspopulismus "als Brücke, Kontinuum und Möglichkeitsraum zwischen einer demokratisch konstituierten Öffentlichkeit und rechtsextremistischen Positionen verstanden werden kann. Insbesondere dann, wenn ein homogen gedachter Volkswille exklusiv beansprucht und als Legitimation für antidemokratische und der Volkssouveränität entkoppelte Verfahren genutzt wird, werden die Begriffsgrenzen durchlässig" (S. 21).

Der Bonner Parteienforscher Frank Decker skizziert die AfD, die sich in ihrer kurzen Geschichte in verschiedenerlei Hinsicht gewandelt habe. Die Partei lebe davon, dass sie mittlerweile über eine stabile Kernwählerschaft verfüge, die durch populistische und rechtsextreme Einstellungsmerkmale zusammengehalten werde. Eine reine Stigmatisierungs-Strategie könne diese Allianz nicht auseinandertreiben: "Blickt man auf die Nachfrageseite der Wähler_innen, erscheint es nur schwer vorstellbar, dass das Potential der AfD in absehbarer Zukunft nennenswert dezimiert werden könnte. Die Zahl derer, die sich im herrschenden Modernisierungskonsens der Regierenden nicht repräsentiert fühlen, lässt sich durch noch so gutes Regieren bestenfalls schrittweise reduzieren - wenn überhaupt" (S. 50). Die nach wie vor bestehenden und sich noch verschärfenden soziokulturellen, sozialen und ökonomischen Probleme und Konfliktlinien (u.a. Migrationsdruck, soziale Spaltung, ungerechte Vermögens- und Einkommensverteilung, ansteigende Armut) würden einen veritablen Resonanzboden für diese Partei bieten.

Siri Hummel stellt ein Analyseraster der Zivilgesellschaft vor mit drei Formen von rechtsextremen Strategien, die der Selbstorganisation, der Kaperung und der Diffamierung anderer Organisationen. Als Fazit der Untersuchungen und der Erfahrungen aus der alltäglichen Praxis kann man feststellen, dass rechtsextreme und rechtspopulistische Kräfte nach wie vor systematisch und auf vielen Wegen mit geschickten Methoden versuchen, die Arbeit der Verbände und Vereine in ihrem Sinne zu beeinflussen und zu lenken: "Sie nutzen dabei vielfach die ihnen zur Verfügung stehenden politischen Instrumente und verwenden im Kern einer Sprache, die bewusst mit Begriffen aus der diktatorischen Vergangenheit durchsetzt ist und die Grenzen des Sagbaren verschiebt. Der großen Mehrheit der Vereine und Verbände ist die Aufgabe durchaus bewusst, sich weiterhin nachhaltig mit Demokratiestärkung beschäftigen und sich aktiv gegen antidemokratische Handlungen zu stellen" (S. 324).

Der vorliegende Band belegt erstmals empirisch die Einflussnahmen rechtspopulistischer und rechtsextremer Akteure in die Organisationen der Zivilgesellschaft und zeigt Möglichkeiten zur Abwehr im Sinn der Stärkung der wehrhaften Demokratie, denn nach Brecht gilt offenbar auch heute noch: "der Schoß ist fruchtbar noch, aus das dies kroch".


Wolfgang Schroeder / Markus Trömmer (Hg.): Rechtspopulismus.
Zivilgesellschaft. Demokratie. Verlag J. H.W. Dietz Nachf. GmbH Bonn
2021, Broschur, 336 Seiten, 28,00 Euro.

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Quelle:
© 2022 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 13. August 2022

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