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REZENSION/066: Robert Schneider - Die Luftgängerin (Magie) (SB)


Robert Schneider


Die Luftgängerin



Der Titel des Romans ist hübsch gewählt, wenn auch irreführend. Schließlich handelt es sich bei der "Luftgängerin" um einen menschgewordenen Engel, und nicht um eine Magierin wie im Vorspann verkündet.

Bedauerlicherweise steht Robert Schneiders Roman nicht auf jener Qualitätsstufe, die ohne überhaupt das Wort Magie einzuflechten, einen wahrhaft magischen Roman aufzubauen vermag. Dabei ist es anderen Autoren durchaus schon gelungen, auch mit äußerst knappen bis verschwindend geringen magischen Episoden ein wundersames Werk auferstehen zu lassen. Robert Schneiders Geschichte bietet zwar wenig Magisches, aber der Roman sprüht nicht gerade vor außergewöhnlichem Zauber. Dafür gibt es viel Banales, das er mit einer Mischung aus "Sex und Dreck" vor fader Weitschweifigkeit zu retten versucht.

Robert Schneider verliert sich im Vergleich, im Abwägen von Gut und Böse und im Bemühen, Sehnsucht zu erzeugen.

Mit seinem drei Jahrzehnte überspannenden Roman, der 1969 beginnt, liegt R. Schneider nicht nur im Trend der wiedererweckten 70er Jahre, sondern er personifiziert gleichzeitig einen esoterischen Aspekt, der durch seine Vermarktung in den 80er Jahren vielerorts Einzug hielt. Der wirtschaftliche und soziale Niedergang der 90er in Form von Firmenbankrotts und ausgeklinkten Punk-Nazis erhält denn auch seinen Platz in dem Schneiderschen Resümee der "Nach-Hippiezeit".

Gefallene Engel, Engel in Menschengestalt, Schutzengel - die Vorstellung, einem Engel zu begegnen, hat schon von jeher fasziniert. Diesen Umstand nutzt R. Schneider ebenso wie die Tatsache, daß jeder Mensch gerne in Erinnerungen schwelgt. Und den Traum von der ewigwährenden, großen Liebe webt R. Schneider zwischen die Marotten, Neurosen und Alltäglichkeiten der Einwohner seiner erdachten Rheintaler Kleinstadt Jacobsroth.

Doch offenbar sind dem Autor die Fäden entglitten. Der unfertige Stoffetzen seiner Arbeit besteht aus Details kleinstädtischen Lebens, in dem so manche Hauptfigur nur kurz bis kaum beschrieben im Hintergrund verschwindet. Die Schicksalsstränge von Nebenfiguren wiederum werden aufgebauscht, obwohl sie für den Fortgang wie für den Inhalt der Geschichte verhältnismäßig unerheblich bleiben. Zum Abschluß verknüpft er sämtliche Schicksale noch einmal miteinander und läßt die meisten gewaltsam enden. Die große Liebe, die zwischenzeitlich an der Realität scheiterte, bietet der Autor in einer anderen Variante am Schluß erneut als Hoffnungs- und Sehnsuchtsträger an.

Robert Schneider wird seinem Credo:

Ein Luftgänger hat vor nichts und niemandem Angst. Vor allem nicht vor sich selbst. Und weil er keine Angst hat und immer auf sein Herz hört, kann er durch die Lüfte gehen!

nicht ganz gerecht. Keine seiner Figuren geht wirklich durch die Luft. Es ist nicht einmal im übertragenen Sinne zu verstehen. Denn tatsächlich hat die "Luftgängerin" Angst vor demjenigen, der sie verfolgt und töten will. Das "Immer-auf-sein-Herz-Hören" äußert sich darin, daß Maudi Latuhr, Sproß einer bankrott gehenden Fabrikantenfamilie, sich an Bettler, Alkoholiker, Polen und andere Ausländer verschenkt.

Der Autor steht mit dem Reinen und Feinen im Verbund und liebt es, das Kultivierte, das Feinstoffliche am Groben, am Häßlichen, am Abschaum zugrundegehen zu lassen. Seine Hauptfigur Maudi entscheidet sich dafür, in der Gosse zu leben und die Kränkung, die das Leben den Ausgestoßenen erteilt, mitzuerleiden. Trotz dessen, daß sie das "Leuchten der Seele" in jedem Menschen, der ihr in die Augen blickt, wachhält, betrachtet der Leser sie aufgrund der Beschreibung R. Schneiders aus der Ferne und mit Mißbilligung. Das Gute gehört zwar zum Bösen, aber das Bedauern ist doch groß, wenn sich dieses hübsche Menschenkind an die schmutzige Seite des Lebens stellt. Die "Luftgängerin" hält sich in gammeligen, verdreckten Wohnungen auf und schläft in feuchten, stinkigen Betten mit fremden Männern, von denen sie sich erniedrigen läßt. Das ist die Vorstellung R. Schneiders vom "Vor-nichts-und-niemanden-Angst-Haben". Der Vater von Maudi Latuhr, der ihr diese Lebenseinstellung beigebracht hat, vergibt sich denn auch darin, sich gegen läppische gesellschaftliche Regeln aufzulehnen. Er will zeitlebens kein Geld anfassen und dennoch auf nichts verzichten. Er zeigt Maudi also, wie man den Menschen statt Geld "ein Stück ihrer Seele schenkt". Für R. Schneider erschöpft sich diese durchaus lobenswerte Absicht darin, daß der Vater unter anderem eine Buchhändlerin dazu bringt, aus ihrem Leben zu erzählen und darüber vergißt, ihm die ausgewählten Bücher zu berechnen.

Nach einem kurzem Ausflug in das angepaßte Leben - Maudi holt ihr Abitur nach und studiert Kunstgeschichte - kehrt die Luftgängerin in das heruntergekommene Milieu zurück. Ihr Entschluß gründet sich aber nicht auf der Absicht, eine Veränderung herbeizuführen. Sie bleibt dabei, das Böse zu beobachten: "Es muß jemand dasein. Jemand muß dabeistehen und zusehen, wenn das Böse geschieht, die Kränkung, der Schmerz. Ich werde dasein."

Leider hängt R. Schneider so sehr an der ach so bedauerlichen Vorstellung, in der sich das Gute an das Böse verschenkt, daß er nicht in der Lage ist, eine wirklich mächtige Magierin zu kreieren. Seine Figur bleibt verwickelt, dem Schicksal unterworfen und zum Zusehen, zum Dabeistehen entschlossen. Die von der Luftgängerin berührten Menschen verwirklichen sich nur dadurch, daß sie ihre abstrusen Marotten noch weiter steigern, aber ansonsten bewirkt die Luftgängerin mit ihrer sonderbaren Kraft wenig bis nichts.

Entweder war Robert Schneider von Engeln, die unsterblich von einem Körper zum anderen wandern, äußerst fasziniert, oder er hat sich nicht genügend mit Magierinnen und Hexen befaßt - so fatalistisch sind sie sicherlich nicht.

Als magischer Roman ist das Werk "Die Luftgängerin" von Robert Schneider nicht zu empfehlen. Es bietet nur eine seichte Retrospektive der letzten dreißig Jahre, gepaart mit einem Schuß Esoterik und einem Spritzer häßlicher Erotik.


Robert Schneider
Die Luftgängerin
Karl Blessing Verlag, München 1998
351 Seiten
ISBN 3-89667-055-7