Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → ROMANE

REZENSION/106: Olivier Adam - Je vais bien, ne t'en fais pas (SB)


Olivier Adam


Je vais bien, ne t'en fais pas



Kleine Fluchten oder Wie man lernt, sich ins Unvermeidliche zu fügen...


Die Geschichte

Als ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Loïc von dem einen auf den anderen Tag während ihrer Abwesenheit das Elternhaus verläßt, stellt Claire das Essen ein. Es scheint, als sei ihr mit seinem Verschwinden jeglicher Antrieb verlorengegangen zu sein. Erst als ein erster, knapper Brief von Loïc eintrifft, erwacht sie wieder zum Leben. Ein Bekannter ihres Vaters verschafft ihr eine Stellung als Kassiererin einer Supermarktkette in Paris. Dort wohnt sie im Viertel Pigalle, in der Nähe von Monmartre, das ihr Bruder so liebte. Zwei-, dreimal im Monat erhält sie eine Karte mit einem kurzen Gruß von Loïc, der von Ort zu Ort zu ziehen scheint und nirgendwo lange verweilt - kein Wort darüber, warum er fortgegangen ist. Von ihren Eltern hat sie lediglich bei ihrer Rückkehr aus den Ferien bei der Großmutter erfahren, daß er dem Elternhaus nach einem heftigen Streit mit dem Vater im Zorn den Rücken gekehrt hat.

Das ist nun fast zwei Jahre her, sein früheres Zimmer ist unverändert. Ein Buch liegt noch aufgeschlagen mit den Seiten nach unten, wie er es zurückgelassen hat. Claire hat Urlaub und fährt ziellos ins Blaue, irgendwo campen. Einen Tag verbringt sie bei den Eltern und erhält noch eine Karte von ihrem Bruder, aus Portbail diesmal. Kurzentschlossen, und weil die Möglichkeit besteht, daß er, erst frisch angekommen, dort noch einige Zeit verbringen wird, beschließt Claire, ihn zu suchen.


Hintergrund und Erzählweise

In heute fast schon gewohnter, episodenhafter Erzählweise, die an einen Film erinnert, entwickelt der Autor in teils Rückblicken, teils aktuellem Fortlauf die Geschichte einer jungen Frau, die den wichtigsten Teil von sich verloren hat und dies zu akzeptieren lernt. Ihr Leben unterscheidet sich kaum von dem Gros der Menschen, das sie umgibt, die ähnlich entfremdet, beziehungslos und einsam dastehen, doch sind diese in der Lage oder willens, ihre Interessen agressiver vorzubringen, und Claire ist ihnen relativ schutzlos ausgeliefert. Außer wenn sie als junge, attraktive Frau kurzfristig nutzbar erscheint, sieht man gern an ihr vorbei - eine Verkäuferin eben, mehr nicht.

Claire claque la porte et tourne les clés. Il est dix heures. Elle commence à onze. Le Shopi ferme a vingt et une heure, elle fait la fermeture. Elle descend les escaliers quatre à quatre. Au kiosque, elle achète Libé. Il fait déjà chaud et elle ôte son gilet. La brasserie oú elle a ses habitudes est fermée. C'est le mois d'août. La patronne la salue à peine, la fait répéter deux fois lorsqu'elle commande son café et son croissant. Elle étale son journal sur la table, va directement à la page des annonces. Avec Loïc, ils lisaient toujours cette page, alors elle se dit qu'il pensera peut-être à lui laisser un message. [S. 7] [1]

Olivier Adam vermag es, diese junge Frau dem Leser ans Herz zu legen. Durch den knappen, nüchtern wirkenden Stil, die Aufzählung äußerer Umstände wirkt sie sogleich ein bißchen fremd in der Welt, verloren. Obwohl der Autor nicht in der Ich-Form erzählt, ist man Claire schon mit der ersten Szene nah. Das mag zum einen daran liegen, daß Adam sofort ohne Vorrede in das Geschehen eintritt, zum anderen, daß er das einfache Präsens für seine Schilderung wählt. So entrollt sich die Handlung zum Zeitpunkt des Lesens; zeitweilig vermeint man, durch ihre Augen zu sehen.

Daß dies kein Zufall ist, kann man aus einem Interview über dieses Buch ersehen, das im Jahr 2000, also nicht allzu lang nach dessen Erscheinen in Frankreich, geführt wurde. Dieses Gefühl der Nähe rührt aus dem Bemühen des Autoren selbst, seiner Protagonistin nahzukommen. Auch wenn die Handlung sowie der Stil einfach anmuten, bergen sie trotzdem eine über den spontanen Einfall hinausgehende Auseinandersetzung mit menschlicher Bindung und Distanz, in der sich Adam für die Bindung entscheidet.

Bien sûr que je ne suis pas clair avec mes propres bons sentiments. Si j'ai moi-même encore tendance à mépriser parfois, c'est parce que je détiens, grâce à mon éducation bourgeoise, des clés d'analyse qui me permettent de prendre de la distance et, comme le premier imbécile venu, de me croire forcément plus intelligent qu'une caissière de supermarché. C'est tout le sens du personnage de Julien, qui intervient dans la dernière partie de mon livre: en se battant avec cet architecte arrogant et poseur, qui incarne la condescendance sociale (dans l'une des dernières scènes, ndlr), il cherche à dépasser un regard qu'il aurait pu lui-même avoir, c'est contre lui-même qu'il se bat. (Les Éditions Réticulaires - 01/01/00: Olivier Adam, un activisme de conscience, von Nicolas Fargues. http://www.chronicart.com/webmag/article.php?id=569) [2]

Der einfache Stil kommt jedoch gleichzeitig dem Leser entgegen, der sich nicht gern mit den geistigen und psychologischen (Un-)Tiefen eines anderen Menschen befaßt. Adam weist zwar eine hohe Bereitschaft auf, sich in die (Gefühls-)Welt seiner Protagonisten einzudenken, doch setzt er lediglich Signale für deren Befindlichkeit, die dem heutigen Medienkonsumenten in der Regel genügen, um den eigenen Film ablaufen zu lassen. Dieses Buch und damit diese anrührende Heldin werden den Leser nicht wirklich lange beschäftigen.

Auch wenn Adam hier kein Stück lästiger Befindlichkeitsliteratur abliefert, beschreibt er Alltagsgeschehen, nichts eigentlich, das man nicht kennt. So wie der Leser die Umstände der Geschichte und das Lebensumfeld wiedererkennt, fühlt er sich auch verstanden und zuhause. Man kennt die Waren, die Claire in die Kasse tippt oder das Studieren der Libé im Café beim unvermeidlichen Kaffee und Croissant. Man erkennt das Gefühl der Fremdheit und die Sehnsucht nach dem anderen Menschen wieder. Adam geht nicht leichtfertig über das Empfinden hinweg, daß etwas fehlt. Und man findet genügend Hinweise darauf, daß er kein Anhänger der Alles-Klar-Kultur ist und die heutige Gesellschaft nicht unhinterfragt läßt.

Près du Luxembourg, on pourrait faire du vélo dans les appartements, des tableaux abstraits sont accrochés aux murs. De jeunes minets vomissent leur vodka, évaluent leurs ambitions financières en vue de leur imminente entrée sur le marché du travail, parlent de refuser toute offre à moins de deux cents kilo-francs annuels. Ils ne se sont pas emmerdés pour rien, tout de même, après toutes ces années d'études. Les autres n'avaient qu'à faire pareil, après tout. L'inégalité des chances, c'est de la branlette, chacun a la possibilité égale de réussir, de saisir sa chance. C'est quand même pas notre faute si les bougnoules en banlieue sont trop cons à faire les marioles pendant les cours. Après ils on l'air de quoi. Les garçons deviennent dealers, les filles caissières au supermarché et basta, ils ne peuvent s'en prendre qu'à eux-mêmes. [S. 18] [3]

Das Buch repräsentiert eine Strömung in der neueren französischen Literatur, in der Gefühle, Schwäche und menschliche Nähe hämefrei wieder einen hohen Stellenwert haben. Dies sagt noch nichts darüber aus, ob diese Menschen dem Schicksal in Gestalt unwirtlicher gesellschaftlicher Verhältnisse trotzen oder ob sie lediglich Deckung in einer Nische suchen. Adam zeigt, was heute nicht mehr wahr sein darf, daß ein Mensch für sich allein nicht leben kann, ohne größere Blessuren davonzutragen. In seiner Kürze erscheint dies in heutigen Zeiten wie ein kleines Manifest gegen die Emanzipation von frau und mensch - was ganz sicher nicht so gemeint ist - und führt dazu noch mit der dem Autoren eigenen Fluchtlogik in die rettende einfühlsame Beziehung. Er bleibt damit weit, weit vor einer Auseinandersetzung mit den entfremdeten und entfremdenden Lebensverhältnissen stehen.

Interessant in diesem Zusammenhang ist ein weiteres Interview mit Olivier Adam anläßlich seines 2007 veröffentlichten Romans "A l'abri de rien", in dem eine von ihrer Umgebung enttäuschte Frau einen radikalen Schnitt vollzieht und sich mit Haut und Haar der Sache illegaler Einwanderer verschreibt. Gleichzeitig liefert Adam an dieser Stelle eine Kritik am Gros der Gesellschaft sowie an gängigen Gesellschaftsromanen, die an den wirklichen Problemen der Menschen vorbeigehen, ganz besonderes jener, die am Rand - hier im Flüchtlingslager Sangatte - leben, und es zeigt sich, daß der Autor über die Jahre nicht nur bei seinem Thema geblieben ist, sondern es weiterentwickelt hat.

La réalité se joue dans les lotissements pavillonnaires, dans les cités HLM, chez des gens qui ne sont pas dans ces castes dominantes et médiatiques. En dehors de ce côté sociologique très volontaire, Marie est "comme tout le monde", résignée et fragilisée par le fait que la vie lui passe un peu à côté. Le quotidien, avec les emmerdes, le manque d'argent, le boulot, la vie réduite à des tâches concrètes, la sclérose. Et en même temps, elle a ce petit je-ne-sais-quoi qui la pousse à se dire "Putain, ça ne peut pas se réduire à ça, il doit bien y avoir autre chose". C'est pour ça que je l'ai choisie, parce qu'au milieu de ses voisins et de ses voisines, sa différence c'est d'être à la fois un peu moins armée pour le monde mais aussi un peu moins résignée. (http:// www.evene.fr/livres/actualite/olivier-adam-abri-de-rien-928.php) [4]


Aufbau und Stil

Die Beschreibung bekannter und naheliegender Szenen in alltagssprachlichen Worten und Wendungen, die zudem ohne viel Überraschung bleiben, machen es dem im Französischen noch nicht so Geübten leicht, dem Romangeschehen zu folgen. Unbekannte Worte lassen sich leicht raten oder fallen wenig ins Gewicht. Der szenische Aufbau entspricht heutigen sprunghaften Lese- und Mediengewohnheiten. Er kommt dem schnellen und flüchtigen Leser entgegen, der bei einem langangelegten Erzählaufbau möglicherweise den Faden verliert. Die eigentliche Geschichte in "Je vais bien, ne t'en fais pas" entrollt sich in einem Mosaik aus kaum erklärten Einzelteilen, die man sich mit ein wenig Mühe zusammenfügen kann und die allerdings aufgrund geringer Unverwechselbarkeit Teile einer beliebigen anderen Geschichte sein könnten.

Auch sprachlich und stilistisch hat dieser Roman als Abbild seines Umfeldes und seiner Zeit seine Grenzen - mit gängigen umgangssprachlichen Wendungen läßt sich einfach kaum mehr bewerkstelligen. Dennoch braucht das Buch im Rahmen der zeitgenössischen Unterhaltungsliteratur, die an ähnlichem krankt, den Vergleich nicht zu scheuen. Es ist anrührend aufgrund seiner verletzlichen Heldin, die die ungeteilte Sympathie von Autor sowie Leser erringen und damit zum Lesen verführen kann.

Für den Fremdsprachenunterricht ist dieses Buch ganz sicher eine gute Wahl. Es ist in dem gesprochenen Französisch verfaßt, das für den Alltag typisch ist und in den französischen Medien vorherrscht. Die Reclam-Ausgabe bietet zudem hilfreiche Worterklärungen, dazu editorische Notiz und Werkauswahl. Im Nachwort finden sich ein kurzes Portrait des Autoren sowie eine ausführliche Darstellung und Interpretation der Romanhandlung. Herausgeber Peter Müller folgt fraglos der dem Buch eigenen Logik und wertet dieses zustimmend als Roman vom Erwachsenwerden, das aus seiner Sicht ganz richtig dazu führt, daß man die Welt so akzeptiert, wie sie nunmal ist, daß man gelernt hat, sich ins Unvermeidliche zu fügen oder, freundlicher gesagt, daß man seinen Platz im Leben findet...:

Während sie sich bisher als Außenseiterin, ja als Opfer dieser Welt wahrgenommen hat, stellt sie hier fest, dass sie ebenso wie ihr Bruder dieser Welt zugehörig sein könnte. [Nachwort, S. 186]

Wichtiger scheint zu sein, dass Julien sich in Claire verliebt hat und bereit ist, mit ihr die bedrückenden Lebensumstände der Kindheit hinter sich zu lassen und in ein gemeinsames Leben aufzubrechen. Dabei stellt Claire ihre gewachsene Selbständigkeit unter Beweis, denn sie gibt das Zeichen für diesen Aufbruch: » 'On y va?' demande Claire « (S. 170) [Nachwort S. 189].


Autor und Werk

Olivier Adam ist 1974 geboren und in einem Pariser Vorort aufgewachsen. Den persönlichen Daten nach, die über ihn bekannt sind, kennt er das Umfeld und die Gefühlswelten, die er beschreibt. "Je vais bien, ne t'en fais pas" (Keine Sorge, mir geht's gut) ist der erste Roman, den er - im Alter von 23 Jahren - geschrieben hat. Das Buch ist 1999 bei Le Dilettante in Paris erschienen, mit einer Auflage von über 100.000 Exemplaren wurde es zum Bestseller. Für seinen 2004 erschienenen Erzählband "Passer l'hiver" (Am Ende des Winters, 2004) erhielt er den Prix Goncourt, und die Romane "Poids léger" aus dem Jahr 2002 (Leichtgewicht, 2005) und "Je vais bien ne t'en fais pas" wurden verfilmt. Eine deutsche Übersetzung von "A L'Ouest" (2001) und "Falaises" (2005) - letzteres befaßt sich im Rückblick mit der eigenen traumatisierten Kindheit nach dem Selbstmord der Mutter - gibt es bislang nicht. Über die Publikation von Romanen und Erzählungen hinaus ist Olivier Adam ein erfolgreicher Drehbuchautor - er war an dem Filmskript zu "Je vais bien, ne t'en fais pas" beteiligt - und hat mehrere Kinderbücher veröffentlicht, von denen eines auf deutsch erschienen ist ("Comme les doigts de la main"/Mein Herz und deine Seele, 2005/2007). Olivier Adam lebt mit Frau und Tochter in Saint-Malo in der Bretagne.


Deutsche Übersetzung

Die deutsche Fassung von "Je vais bien, ne t'en fais pas" hat der SchirmerGraf Verlag 2007 herausgebracht, nachdem die Verfilmung im Frühjahr auch in deutschen Kinos angelaufen war. Carina von Enzenbergs Übersetzung ist gelungen. Sie übermittelt getreu den ursprünglichen, reduzierten Präsens-Stil des kleinen Romans und vermag dem deutschen Leser die Aussage und Stimmung des Originals nahezubringen.


Der Film

Zu guter Letzt wäre noch der Hinweis anzufügen, daß der nach dem Roman gedrehte Film in seiner französischen Originalfassung - in Zusammenarbeit mit dem Reclam-Verlag - bei Lingua Video auf DVD erschienen ist. Er wurde mit zwei Césars prämiert und gehört zu den erfolgreichsten französischen Romanverfilmungen der letzten Jahre.

"Je vais bien, ne t'en fais pas", unter der Regie von Philippe Lioret, 2006, 100 Min.
Die Darsteller sind u.a.: Mélanie Laurent, Kad Merad, Julien Bosselier, Isabelle Renaud.
Bezug über LinguaVideo.com Medien GmbH Bonn, www.lingua-video.com; Preis: 29,- Euro.


Hörbuch

Darüber hinaus ist in diesem Jahr ein interaktives Hörbuch mit drei Erzählungen
von Olivier Adam in Leichtfasssung bei Digital Publishing erschienen:
"Passer l'hiver"
CD-ROM (für Windows-PC), Audio-CD und Textheft
Niveau A2 - 1.200 Wörter, 60 Min.
ISBN: 9783897478459, 19,80 Euro


Anmerkungen

[1] Lili schlägt die Tür zu und dreht den Schlüssel um. Es ist zehn Uhr. Sie fängt um elf an. Shopi schließt um einundzwanzig Uhr, sie macht den Kassenabschluß. Sie läuft die Treppe hinunter, nimmt vier Stufen auf einmal. Am Kiosk kauft sie eine Libé. Es ist schon warm, und sie zieht ihre Strickjacke aus. Die Brasserie, in die sie geht, hat geschlossen. Es ist ja August. Sie betritt ein kleines Café, in dem drei alte Männer bei ihrem dritten Glas Rotwein über Fußball fachsimpeln. Die Wirtin begrüßt sie kaum, läßt sie die Bestellung, einen Kaffee und ein Croissant, zweimal wiederholen. Sie breitet die Zeitung auf dem Tisch aus und schlägt sofort die Seite mit den Annoncen auf. Zusammen mit Loïc hat sie immer diese Seite gelesen, deshalb sagt sie sich, daß er ihr vielleicht auf diese Weise eine Nachricht zukommen läßt.

(Keine Sorge, mir geht's gut, SchirmerGraf Verlag 2007, S. 9)

[2] Natürlich bin ich nicht ganz im Reinen mit meinen eigenen Empfindungen. Wenn ich selbst von Zeit zu Zeit noch zu Geringschätzung neige, dann deswegen, weil ich dank meiner bürgerlichen Bildung über Analyseinstrumente verfüge, die es mir erlauben, auf Distanz zu gehen und mich zwangsläufig wie der erste dahergelaufene Idiot für intelligenter zu halten als eine Kassiererin im Supermarkt. Das ist die ganze Bedeutung der Figur Jules, die im letzten Teil meines Buches eingreift: Indem er sich mit diesem arroganten, angeberischen Architekten prügelt, der die gesellschaftliche Herablassung verkörpert (in einer der letzten Szenen, ndlr), versucht er, eine Betrachtungsweise zu überwinden, die er selbst hätte haben können, es ist er selbst, gegen den er kämpft. [Übersetzung: SB-Redaktion]
(Les Éditions Réticulaires - 01/01/00: Olivier Adam, un activisme de conscience, von Nicolas Fargues.
http://www.chronicart.com/webmag/article.php?id=569)

[3] In den Wohnungen am Jardin du Luxembourg könnte man Fahrrad fahren, abstrakte Gemälde hängen an den Wänden. Junge Schnösel kotzen ihren Wodka aus, beziffern ihre Gehaltsvorstellungen mit Blick auf ihren baldigen Eintritt in den Arbeitsmarkt, reden davon, jedes Angebot unter zweihunderttausend Francs jährlich abzulehnen. Sie haben sich im Studium doch nicht umsonst den Arsch aufgerissen. Die anderen hätten es schließlich genauso machen können. Das mit der Chancenungleichheit ist Quatsch, jeder hat die gleichen Möglichkeiten, es zu was zu bringen und seine Chance zu nutzen. Es ist doch nicht unsere Schuld, wenn die Kameltreiber aus den Vorstädten zu blöd sind, um sich im Unterricht anzupassen. Das haben sie jetzt davon. Die Jungs werden Dealer, die Mädchen Kassiererinnen im Supermarkt und fertig, das haben sie sich selbst zuzuschreiben.
(Keine Sorge, mir geht's gut, SchirmerGraf Verlag 2007, S. 21)

[4] Marie ist "wie alle", resigniert und anfällig geworden durch die Tatsache, daß das Leben ein wenig an ihr vorbeigeht. Der Alltag mit seinem Ärger und seiner Langeweile, der Geldmangel, die Arbeit, das Leben reduziert auf konkrete Aufgaben und Abläufe, die Sklerose. Und gleichzeitig hat sie dieses kleine Ich-weiß-nicht-was, das sie dazu treibt zu sagen: "Verdammt, das kann nicht alles sein, es muß noch etwas anderes geben." Aus dem Grund habe ich sie gewählt, weil sie im Unterschied zu ihren Nachbarn und Nachbarinnen ein wenig weniger gerüstet ist für diese Welt und zugleich weniger resigniert. [Übersetzung: SB-Redaktion]
(http://www.evene.fr/livres/actualite/olivier-adam-abri-de-rien-928.php)


4. Juli 2008



Olivier Adam
Je vais bien, ne t'en fais pas
Herausgegeben von Helga Zoch und Peter Müller
Philipp Reclam jun., Stuttgart, 2008
191 S., UB 19723, 4,80 Euro
ISBN 978-3-15-019723-3