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REZENSION/163: Andreas Eschbach - Perry Rhodan. Das grösste Abenteuer (Science Fiction) (SB)


Andreas Eschbach


Perry Rhodan

Das grösste Abenteuer


Andreas Eschbach, Autor von "Das Jesus-Video" und "Eine Billion Dollar", der erst im Oktober vergangenen Jahres mit "NSA - Nationales Sicherheits-Amt" einen weiteren Roman veröffentlichte, der bereits in der erste Woche zum Bestseller wurde, ist seit seiner Jugendzeit Fan von Perry Rhodan. Die seit 1961 wöchentlich erscheinende größte Science-Fiction-Serie der Welt wird von einem festen Autorenteam geschrieben. Nachdem auf Eschbachs Initiative hin auch ab und zu Gastautoren die Ehre zuteil wurde, einen Band zu verfassen, hat er bereits sechs solcher Romane für die Serie geschrieben, deren 3000ster Band Ende Februar 2019 erschienen ist.

Nun wurde er vom Fischer TOR Verlag gebeten, einen langen Roman über Perry Rhodan zu schreiben, ein Ansinnen, dem der Autor nach reiflicher Überlegung, wie er in einem Interview mit waz-online erzählte, entsprach, als ihm auffiel, daß 2019 nicht nur Band 3000 herauskommt, sondern auch der 50. Jahrestag der ersten Mondlandung gefeiert wird. Die Idee, die bislang wenig beleuchtete Kindheit und Jugend Perry Rhodans mit der tatsächlichen Geschichte der bemannten Raumfahrt und dem Kalten Krieg zu verbinden, war geboren.

Andreas Eschbach schlüpft als Erzähler in die Person Homer G. Adams, des Finanzgenies der Unsterblichen um Perry Rhodan und erklärt einem von uns aus gesehen 3000 Jahre in der Zukunft lebenden Leser das politische und gesellschaftliche Umfeld der 1940er bis '60er Jahre, in dem Perry Rhodan aufgewachsen ist. Ganz nebenbei dürfte dieser Rückblick auf die Mitte des 20. Jahrhunderts für ein junges Leserpublikum unserer Gegenwart mindestens genauso interessant sein.

Er beginnt bei der familiären Herkunft Perry Rhodans - angefangen bei dessen Großvater, dem 1889 in Bayern geborenen Alois Roden und dessen Söhnen Karl und Jakob, die nach dem ersten Weltkrieg nach Amerika auswanderten. Wie Homer G. Adams erläutert, habe sein Vater Jakob, der sich von nun an Jake Rhodan nannte, ihm die Bereitschaft zu entschlossenem Handeln und hohe moralische Standards in die Wiege gelegt. Und auf der französischen mütterlichen Seite existierte eine Dynastie von Kaufleuten und Händlern, die es gewohnt waren, in großen Dimensionen zu denken und dabei nicht selten zu Tricks zu greifen, um ihre Ziele zu erreichen - beides also Einflüsse, die den Charakter Perry Rhodans formten.

Anschaulich wird Perry Rhodans Kindheit beschrieben, die Ereignisse, die dazu geführt haben, seine Führungsqualitäten auszubilden. Er bewahrt trotz der Anfeindungen, die er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wegen seines deutschen Großvaters zu ertragen hat, stets die Ruhe und stillt sein bereits früh von seinem Onkel Karl gewecktes Interesse für Astronomie, indem er sich in Bücher verkriecht. Bei der Schilderung seiner Kindheit konnte Andreas Eschbach auf zwei von Kurt Mahr verfasste Hefte (1177 und 1178) zurückgreifen und die darin beschriebene Freundschaft zu dem schwarzen Jungen Leroy Washington ausbauen, durch die sein Sinn für Gerechtigkeit schon früh geprägt wurde. Sein unbändiger Drang, alles zu lesen, was ihm in die Finger kommt, führte dazu, sich eine eigene Meinung zu bilden und damit nicht selten Anstoß zu erregen. Allerdings entsteht schnell der Eindruck, als wachse hier ein 'Gutmensch schlechthin' heran, denn der Enthusiasmus, den er dabei entwickelt, läßt ihn fast schon wie einen Heiligen erscheinen, der unangefochten von menschlichen Schwächen 'seinen' Weg geht, gleichsam, als wäre er nicht von dieser Welt. Angesichts der Rassentrennung in den 50er Jahren in Amerika kanalisiert sich sein 'heiliger Zorn' über diese Unmenschlichkeit zu etwas, was später 'natürliche Autorität' genannt wird.

Geboren wird dieser Wesenszug während einer Auseinandersetzung mit rassistischen Polizisten, als der eigentlich noch zu junge, unerfahrene Mensch Perry Rhodan, der bislang immer eher zurückhaltend und introvertiert erschienen ist, unter dem Einfluß dieses 'heiligen Zorns' urplötzlich eine Bestimmtheit ausstrahlt, die wesentlich ältere Personen, die sich zudem im Recht wähnen, in ihre Schranken weist. Dieses Gefühl kann Andreas Eschbach sehr gut vermitteln und erklärt darüber hinaus, worin das 'Phänomen Perry Rhodan' begründet liegt.

Nicht etwa in dem Phänomen, daß die wichtigste Person dieser seit 58 Jahren erscheinenden Serie die farbloseste und neutralste von allen ist. Bei der Nachricht, daß Andreas Eschbach einen ganzen Roman über Perry Rhodan geschrieben hat, mag mancher Perry-Rhodan-Leser vielleicht gedacht haben: "Na endlich! Endlich bekommt diese Person mal etwas Farbe und Profil. Denn wie unverwechselbar im Vergleich zu ihm ist beispielsweise ein Reginald Bull mit seinem hitzigen Gemüt oder der zu Arroganz neigende alte 'Arkonidenhäuptling' Atlan. Erst recht Gucky mit seinem Hang zu Eskapaden. Dagegen erscheint Perry Rhodan doch immer etwas langweilig. Aber nun wird sich das ja ändern."

Nun, man kann sich vorstellen, daß die Perry-Rhodan-Redaktion zu Andreas Eschbach gesagt haben mag: "Sie dürfen das Leben Perry Rhodans gerne in den spannendsten Kontext stellen, den Sie sich ausdenken können, doch verändern dürfen Sie ihn nicht." Und daran hat er sich auch gehalten. Perry Rhodan bleibt der vordergründig emotionslose, immer beherrschte Mensch, nur kann man am Ende des Romans besser verstehen, warum er so ist.

Perry Rhodans Führungskraft meldet sich, wenn sie gebraucht wird, dann aber mit unwiderstehlicher Energie. Dann geht von ihm eine Autorität aus, eine unbeirrbare, ja geradezu stählerne Bestimmtheit im Auftreten. Wenn die Dinge so laufen, wie er es für richtig hält, nimmt er sich gänzlich zurück und überläßt es anderen, sie weiterzuführen. Macht an sich bedeutet ihm nichts.

Ein weiterer Bestandteil des 'Phänomens Perry Rhodan' besteht in seiner Eigenschaft des 'Sofortumschaltens'. Diese liegt nicht nur in einem extrem schnellen Reaktionsvermögen begründet, das ihm angeboren ist. Er kann beispielsweise ein fallendes Lineal praktisch im selben Moment auffangen, in dem es losgelassen wird. Darüber hinaus ist er in der Lage, eine Situation blitzschnell allumfassend zu begreifen.

"Er sieht eine Fahne schwarzen Qualms aus dem Heck eines Flugzeugs dringen - und erkennt als Sofortumschalter unmittelbar die Zusammenhänge. Und zwar erkennt er sie nicht, indem seine Gedanken mühsam Kausalitätspfaden folgen, Ursachen und Wirkungen berechnen, Rückschlüsse ziehen und so weiter, sondern vielmehr überblickt er die Situation gewissermaßen »von oben«, sieht auf eine unbegreifliche Weise blitzartig, was Sache ist, und findet daraufhin eine Lösung. So, wie es Menschen gibt, die im Kopf ungeheure Berechnungen durchführen können, die nicht rechnen, sondern das Ergebnis einfach wissen, so weiß Perry Rhodan auf eine gewissermaßen überintuitive Weise, was jeweils Sache ist."
"Paradoxerweise ist die Fähigkeit eines Sofortumschalters nur dann erklärlich, wenn wir davon ausgehen, dass Rhodan auf eine unerklärliche Weise anders, direkter mit der Wirklichkeit verbunden ist als alle anderen." (Seite 371) 

Es muß so sein, "dass Rhodan zumindest ab und zu, in Situationen höchster Gefahr oder Anspannung, einen Blick hinter den Schleier der Wirklichkeit selbst erhascht, jenen Schleier, den wir anderen normalerweise für eine feste Wand halten." (Seite 373) 

Seine militärische Ausbildung wird so detailreich geschildert, daß man den Eindruck gewinnt, Andreas Eschbach wäre selbst an der Militärakademie West Point gewesen oder hätte hinter verschlossenen Türen der Krisensitzung im Pentagon beigewohnt, nachdem die Sowjetunion als erste Nation den Satelliten Sputnik I in den Erdorbit schoß. Dabei scheint er sich über die Herkunft und die Eigenheiten der sowjetischen Wissenschaftler genauso intensiv informiert zu haben, wie über die der Amerikaner. Er schildert das gesamte Gebiet der raumfahrttechnischen Entwicklung derart interessant, daß es auch einem technisch wenig versierten Leser niemals langweilig wird. Hier ergänzen sich Andreas Eschbachs phänomenale Erzählkunst und sein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik aufs produktivste.

Zwei Drittel des Romans hält sich Eschbach an die realen historischen Fakten - angefangen bei Sputnik I bis zu Apollo 8. Perry Rhodan wird dabei so geschickt in die Historie eingeflochten, daß er u.a. die Astronauten Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Jim Lovell kennenlernen kann. Letzterer wird sogar zu einem sehr guten Freund. Ein Geheimprojekt eines gewissen General Pounder - die Perry-Rhodan-Leser der ersten Stunde kennen ihn natürlich - läuft neben den offiziellen Apollo-Missionen her. Es wird ein Raumgleiter entwickelt, mit dem man wesentlich schneller und eleganter zum Mond kommt, als mit den Apollo-Kapseln, die mehr oder weniger ins All katapultierte Dosen sind. Diesem Geheimprojekt gehört Perry Rhodan an und als es eingestellt werden muß, weil ein Investigativ-Reporter dahinterkommt, daß hier Gelder in eine unbekannte Richtung fließen, fällt er in ein tiefes Loch und erwägt, seinen Wunsch, zu den Sternen zu gelangen, aufzugeben.

Der Klappentext des Romans erwähnt die 'politischen Eskapaden' Perry Rhodans. Bei dieser Formulierung stutzt man als Perry-Rhodan-Leser unwillkürlich, denn so etwas paßt nicht zu ihm. Und tatsächlich läßt sich in dem ganzen Roman nichts dergleichen finden. Einer Kundgebung Martin Luther Kings beigewohnt zu haben, kann man beim besten Willen nicht als politische Eskapade bezeichnen. Nur eine Begebenheit könnte man möglicherweise dazu rechnen: Daß er bei den 1968er Studentenunruhen in Paris, in die er sich eher zufällig hineinziehen läßt im schon bekannten 'Heiligen-Zorn-Modus' den stellvertretenden Polizeipräsidenten von Paris zusammenschlägt, weil dieser im Begriff ist, Nervengas gegen Studenten einzusetzen.

Perry Rhodan wäre vermutlich nie zu den Sternen gelangt, wenn ihm eine Pariser Studentin nicht ohne sein Wissen zu einem Drogenrausch verholfen hätte, den der Teletemporarier Ernst Ellert dazu nutzte, ihm im Traum zu begegnen und im Gespräch den Impuls in ihm zu wecken, beim Militär zu bleiben. An dieses Gespräch durfte Rhodan sich natürlich nach dem Erwachen nicht mehr erinnern, sonst hätte dies ein Zeitparadoxon gegeben, denn Ernst Ellert war zu dem Zeitpunkt auf der Lebensbühne Perry Rhodans noch gar nicht aufgetaucht.

Die Geschichte des Mutantenkorps, zu dem Ellert schließlich gehören sollte, findet erst gegen Ende des Romans Erwähnung. So wie auch Homer G. Adams erst gegen Ende wirklich zu Rhodan stößt. Er hatte die Geschehnisse, die Perry Rhodans Flug zum Mond nach sich zogen, aus dem Gefängnis heraus beobachten können. Homer G. Adams im Gefängnis? Selbst als Perry-Rhodan-Altleser ist einem dieser Umstand fremd. Aber wenn man, neugierig geworden, in den alten Heften nachliest, entdeckt man in Heft Nr. 6 "Das Mutantenkorps", daß Adams tatsächlich 14 Jahre im Gefängnis gesessen hat, und nur deshalb zu Rhodan kam, weil dieser den "erfolgreichsten Börsenspekulanten und Finanzmakler aller Zeiten" brauchte, um sein Imperium aufzubauen. Da die Serie seit jeher ein Spiegel ihrer Zeit war, hätten die Autoren 1961, als die Wirtschaft im Aufschwung begriffen war und die Kritik an Ausbeutung und Versklavung von Menschen zur Wahrung kapitalistischer Vorteile im gesellschaftlichen Bewußtsein noch nicht Fuß gefaßt hatten, Homer G. Adams nicht folgende von Andreas Eschbach formulierten Worte in den Mund gelegt:

"Zu meinem Gefängnisaufenthalt sei nur noch so viel gesagt, dass meine Verurteilung zwar, rein juristisch betrachtet, zu Unrecht erfolgte, da ich für etwas verurteilt wurde, das ich in Wirklichkeit nicht getan hatte - und doch geschah mir recht, denn aus einer höheren Sicht der Dinge hatte ich mich tatsächlich einer schweren Verfehlung schuldig gemacht: Ich war nämlich dem Glauben verfallen, man müsse notwendigerweise andere Menschen übervorteilen, um zu überleben, und hatte mich deshalb mit Gangstern eingelassen, die umgehend ihrerseits mich übervorteilt hatten. Die Zeit hinter Gittern war für mich, wie es ja auch gedacht ist, eine scharfe Zäsur, die mir reichlich Gelegenheit bot, in mich zu gehen, über mein eigenes Leben und dessen Einbettung und die großen Zusammenhänge nachzudenken." (Seite 207) 

Dieses Insichgehen brachte einen Artikel hervor, dessen Lektüre - wie Adams vermutet - Perry Rhodan wohl dazu bewogen haben mochte, den Kontakt zu ihm aufzunehmen, weil er nicht nur einen fähigen Finanzmann brauchte, sondern auch einen mit sozialer Verantwortung, der Spielregeln aufstellt,

"die dafür sorgen, dass die Tatkräftigen sich entfalten können und die Schwachen geschützt werden; Regeln, die niemanden bremsen, der etwas beizutragen hat, und niemanden im Stich lassen, der Pech hat; Regeln, die eine Balance bewahren zwischen Ermutigung und Sicherheit, zwischen Belohnung und Solidarität." (Seite 837) 

Sehr geschickt hat Andreas Eschbach die historischen Eckpunkte der Raumfahrt bis zur Apollo-8-Mission mit dem Werdegang Perry Rhodans verquickt. Anders als in Wirklichkeit kehrt die Mannschaft von Apollo 8 nicht heil zur Erde zurück. Und so beginnt im letzten Drittel des Buches das Perryversum, wie es 1961 in den ersten Heften der Perry-Rhodan-Serie mit der Mondlandung von Perry Rhodan, Reginald Bull, Eric Manoli und Clark Flipper beginnt. Auch hier hält sich Eschbach genau an die 'Fakten' und erzählt die Geschichte in gekürzter Form bis zur Invasion der Individual-Verformer nach, wodurch der Roman an dieser Stelle ein wenig an Reiz verliert, denn man könnte ja auch die Hefte nachlesen.

Der Abspann des Romans, der mit "DAS GRÖSSTE ABENTEUER (II)" überschrieben ist - der Beginn trägt den Titel "DAS GRÖSSTE ABENTEUER (I)" - läßt vermuten, daß die Geschichte mit dem Start Perry Rhodans ins Wega-System weitergehen soll, also mit Heft 10 der Serie. Wenn Andreas Eschbach die bereits bekannte Serie lediglich nacherzählen will, wird das bestimmt nicht so erfolgreich sein. Das Bestechende an dem vorliegenden Roman ist, den bislang unbekannten Werdegang Perry Rhodans mitzuerleben. Zweifellos kann man den weiteren Verlauf spannend nacherzählen und durch die Tatsache, daß dies ja aus der Perspektive Homer G. Adams geschieht, gibt es auch einige Abweichungen und Ergänzungen, aber letztlich dürfte eine schlichte Zweitversion zumindest nicht das Interesse der Altleser wecken.

12. März 2019




Andreas Eschbach
Perry Rhodan - Das grösste Abenteuer
FISCHER Tor, S. Fischer Verlag GmbH
Frankfurt am Main, März 2019
848 Seiten
€ 25,00
ISBN 978-3-596-70145-2


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