Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

BUCHBESPRECHUNG/082: Herbert Schäfer - Zeitbombe Wasser (Umwelt) (SB)


Herbert Schäfer


Zeitbombe Wasser



"Die Zeit drängt, wenn das Meer noch eine Chance haben soll" - mit solch mahnenden Worten begleitet der Autor Herbert Schäfer seine lose Sammlung tagesaktueller Berichterstattung, die er in der Reihe "Zeitbombe" des Orac-Verlags untergebracht hat (Auch der Radioaktivität und Gentechnik widmet sich der Verlag unter diesem Titel). Das vorliegende Buch bietet all das, was ein Zeitungsleser schon von früher her kennt - und nicht noch einmal vorgelegt bekommen will, vor allem nicht mit dem stracks gereckten moralischen Zeigefinger des Ökodetektivs. Diese neue Unterart des Homo sapiens hat die Neigung, auch alle anderen in Ökodetektive wandeln zu wollen, beispielsweise durch die Empfehlung, mit dem Minilabor der Umweltschutzgruppe Greenpeace eigene Wasserproben zu nehmen. Dabei handelt es sich um eine Art ökopädagogisch wertvollen Chemiebaukasten, den der Autor als "kleine Sensation" vorstellt, da nun auch der Laie ein Werkzeug an der Hand habe, um fast zwei Dutzend Wassertests durchzuführen.

Große Zuneigung, wenn nicht sogar Leidenschaft empfindet der Autor jedoch zweifelsohne für Zeitungsausschnitte, in denen irgendwelche Wasserverschmutzungen gemeldet werden. Dies war ihm so wichtig, daß er einige Presseschnipsel sogar auf einer Seite collagenartig angeordnet hat, um dem Leser auch auf grafische Weise zu veranschaulichen, wie häufig das Thema Dioxinverseuchung in der Presse vorkommt. Wer bei der Zusammenstellung eines Buchs mit vielen Einzelbeispielen zur Wasserproblematik nur mit aktuellen Berichten jongliert, merkt es vielleicht nicht, wie die bloße Aneinanderreihung eher die Sicht versperrt und einschränkend wirkt, als daß sie sich dadurch erweiterte. Zwar handelt Schäfer Themenbereiche wie Killeralgen, Robbensterben, PCB, Müllverbrennung auf See, Wattenmeer, Rhein, Elbe, Donau und so weiter ab, aber er verbleibt mit seinen Fallbeispielen auffällig in einem Bereich, der von deutschen Umweltschutzorganisationen - vorzugsweise Greenpeace - thematisch vorgegeben wird.

Ganz im Sinne von Agitation und Medienarbeit zeigen die eingestreuten Fotos schon mal, wie "vor laufender Kamera des Zweiten Deutschen Fernsehens" salzhaltiges Wasser aus der Werra in Fässer gepumpt wird, um es analysieren zu lassen. Somit ähnelt das Buch nicht nur inhaltlich dem damals (herausgegeben 1989) bei Greenpeace üblichen Themen, es verwendet auch die gleiche sensationsheischende Sprache. Da heißt es beispielsweise in einer Bildunterschrift:

Salziger als die Nordsee: Bei einer Blitzaktion unmittelbar an der deutsch-deutschen Grenze eilen Feuerwehrleute der hessischen Stadt Wanfried im Sommer mit ihrer Motorspritze zur Werra, um mehrer hundert Liter Flußwasser in ihre Tanks zu pumpen.

Welch eine Sensation, Feuerwehrleute pumpen Wasser in Fässer, dürfte manch Leser spötteln, der vielleicht selbst gewisse Erfahrungen mit dem Aktionismus von Ökogruppen gesammelt, aber später dann festgestellt hat, daß das Ziel der Kritiker von einst offenbar einzig darin bestand, selbst die Hebel administrativer Macht bedienen zu dürfen. Heute ist der parlamentarische Arm der Ökobewegung und bewegten Ökologen selbst in der Regierung und in dieser Position stets um Konsens bemüht - wobei die Bemühung eher darauf abzielt, den Eindruck vor der Basis aufrechtzuerhalten, es ginge noch um die alten Werte, als darin, mit der Industrie Einigung zu erzielen. Denn die gibt es schon, und die gemeinsame Sprache heißt Einfluß und gesellschaftliche Macht.

Heute stellt sich vielen Aussteigern aus der Ökobewegung die Frage, wie es geschehen konnte, daß eine Bewegung so sehr korrumpiert wurde, wie die Grünen es heute unverhohlen vorführen. Die wenigen oben genannten Beispiele aus "Zeitbombe Wasser" beleuchten zumindest einen Aspekt, der zu dieser Entwicklung beigetragen hat. Zunächst einmal sucht sich Greenpeace/Schäfer ganz gezielt nur jene "Mißstände" in dieser unserer Republik aus, die öffentlichkeitswirksam angeprangert werden können. So wird auch heute noch eine der schlimmsten Verseuchungen von Grundwasser weltweit, die Arsenbelastung der Brunnen in Bangladesh und im indischen Westbengalen, hierzulande kaum wahrgenommen, auch nicht von Umweltschutzorganisationen. Zwar wurde sie erst nach Erscheinen von "Zeitbombe Wasser" ruchbar, aber zur Verdeutlichung des Unverhältnisses, mit dem manche Probleme in der Ökobewegung verschwiegen, anderen jedoch aufmerksamkeitsheischend angeprangert werden, dient es allemal.

Die Anklage im Fall Arsenverseuchung in Bangladesh fällt schwer. Es wäre so ähnlich, als wolle man die Erde anklagen, daß sie den Menschen unablässig zu Boden zieht und er sich ihr nur unter großem Verschleiß ein befristetes Leben lang entgegenstemmen kann. Mitte der achtziger Jahre wurden in Bangladesh erste Fälle von arsenbedingten Krankheiten und Todesfällen bekannt. Doch erst ab Mitte bis Ende der neunziger Jahr schälte sich allmählich das Ausmaß der vergifteten Brunnen heraus: 20 Millionen Bangladeshis und sechs Millionen Inder trinken regelmäßig arsenverseuchtes Brunnenwasser, weitere 75 Millionen Einwohner Bangladeshs sind gefährdet, weil das Arsen über die Feldfrüchte in die Nahrungskette gelangt. Das meldete die Weltgesundheitsorganisation WHO 1997. Teilweise wurde ein Überschreiten der zulässigen Arsenkonzentration um das 1400fache gemessen. Die WHO geht davon aus, daß bereits heute jeder zehnte(!) Todesfall in Bangladesh auf die Arsenvergftung zurückgeht. Man rechnet in den nächsten Jahren mit einer weiteren Steigerung. Für die Verseuchung kann man jedoch niemanden verantwortlich machen. Das Arsen wird mit dem Ganges transportiert und sedimentiert, es stammt aus dem Abraum des Kohletagbaus.

Dieser kurze Ausflug soll beispielhaft verdeutlichen, daß Schäfer nur bestimmte "Skandale" aufgreift, andere Themen jedoch nicht behandelt, da es keinen Schuldigen zu bezichtigen gibt. Bei der übersalzenen Werra beispielsweise sind es die Kaliwerke, beim PCB die Industrie, Politik und Verbraucher, bei Nitrateinträgen die Landwirte, usw.

Verfehlung und Schuld müssen immer zusammen vorhanden sein, damit der Moralist Schäfer eine Adresse hat, an die er sich wenden kann. Obschon der Titel "Zeitbombe Wasser" eigentlich vermuten läßt, daß der Autor auch die Frage kriegerischer Auseinandersetzungen um die wertvolle Ressource behandelt, wird in dem Buch das Wort Krieg nicht erwähnt, allenfalls in der Umschreibung des Ökokriegers in seinem heroischen Kampf durch den Paragraphendschungel der unnachgiebigen Behörden. Wer sich über die weltweiten Verteilungskämpfe und rechtlichen wie militärischen Sicherungen von Wasser informieren möchte oder wer eine übergreifende Analyse der Dutzende von Fallbeispielen erwartet, ist mit Buch "Zeitbombe Wasser" schlecht beraten. Wer hingegen noch mal nachlesen will, mit welchen Beispielen sich Umweltschutzgruppen Ende der achtziger Jahre befaßt haben und wie einige schon damals auf politischen Erfolg abzielten, den sie heute teilweise erreicht haben, mag gerne zugreifen und sich ein eigenes Bild über ein zutiefst ökomoralisches Buch machen.

Herbert Schäfer
Zeitbombe Wasser
Orac Verlag, Wien 1989
ISBN 3-7015-0184-X