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BUCHBESPRECHUNG/110: Pitt, Ritter - Krieg gegen den Irak (Politik) (SB)


William Rivers Pitt mit Scott Ritter


Krieg gegen den Irak

Was die Bush-Regierung verschweigt



In Scott Ritter besitzen die Gegner des amerikanischen Aufmarsches gegen den Irak einen Kronzeugen, wie man ihn sich nur wünschen kann. Als im Nachrichtendienst tätiger Offizier des U.S. Marine Corps war er an führender Stelle bei den Waffeninspektionen der UNSCOM tätig und verfügt dank seiner siebenjährigen Arbeit im Irak über einen tiefen Einblick in die Geschichte der durch Resolution 687 des UN-Sicherheitsrats verfügten Abrüstung des Landes.

Die Karriere Ritters vom ausführenden Organ einer internationalen Abrüstungskommission bis zum Kritiker ihres Chefs Richard Butler, der die UNSCOM in ein Instrument machtpolitischer Ziele verwandelte, gehört zu den Ausnahmeerscheinungen eines ansonsten in seiner Opportunität gut geölten und gegen jegliche Öffentlichkeit hermetisch abgedichteten Apparats weltweiter Einflußnahme. Auch wenn es zur Zeit so erscheinen mag, kann man dessen Wirken keineswegs allein in den USA verorten, sondern die unterschwellige Form institutioneller Machtentfaltung dient im eigentlichen Sinne der Globalisierung zur Durchsetzung in jeder Beziehung grenzenloser, allein von Nützlichkeitserwägungen bestimmter Hegemonialinteressen. Ein Ausscheren aus den Reihen dieser gesellschaftlich stets gut integrierten Gemeinschaft von Politikern, Technokraten, Experten und Geheimdienstlern jeder Couleur und aller Fachgebiete wird bestenfalls mit Totschweigen und schlimmstenfalls mit physischem Ableben quittiert, wie das mysteriös erscheinende Verschwinden politischer Dissidenten in aller Welt ahnen läßt.

Auch Ritters Ausführungen sind selten in den großen westlichen Medien anzutreffen, dafür zirkulieren seine Erkenntnisse um so reger in den kleinen Publikationen der Kriegsgegner. Der mit 107 Seiten schmale Band "Krieg gegen den Irak" des amerikanischen Publizisten William Rivers Pitt dürfte dazu beitragen, die Legende über die heute noch vom Irak ausgehende Gefahr von Massenvernichtungswaffen zu entkräften, auch wenn eine solche Veröffentlichung kaum die Dominanz einer Propaganda überwinden wird, die auf simpelsten, da nur so wirksam zu verabreichenden Behauptungen basiert.

Ritters Kehrtwende von einem der am aggressivsten vorgehenden und bei der Regierung in Bagdad dementsprechend verhaßten Waffeninspekteure der UNSCOM zum Fürsprecher der internationalen Bewegung gegen die über den Irak verhängten Wirtschaftsanktionen und einen weiteren Angriff auf das Land erfolgte nach Abbruch der Inspektionen im Dezember 1998, die unmittelbar in die viertägigen Bombenangriffe der Operation Desert Fox und die seitdem anhaltenden Übergriffe amerikanischer und britischer Kampfflugzeuge mündeten. Nun erweist sich der engagierte Einsatz des Marine bei den UN-Waffeninspektionen als großer Gewinn für den Kampf gegen die Bemühungen Washingtons, den Irak nicht etwa nur abzurüsten, sondern vollends zu erobern. Da das Argument von der Gefahr irakischer Massenvernichtungswaffen nach wie vor im Mittelpunkt der internationalen Mobilisierungskampagne für den Krieg steht, wirken Ritters Enthüllungen als Antidot gegen Unterstellungen, die vordergründiger nicht sein könnten und die gerade deshalb gründlich zu widerlegen sind.

Die Untermauerung seiner Aussage, der Irak habe sein Arsenal an Massenvernichtungswaffen weitestgehend eingebüßt und stelle daher keine Bedrohung für seine Nachbarn oder gar die EU dar, wie seitens der Protagonisten einer weiteren Entwaffnung des Landes mit militärischen Mitteln behauptet wird, nimmt den größten Raum des mehrstündigen Interviews ein, das Pitt mit Ritter geführt hat. Hier werden demjenigen Leser, der sich angesichts der drohenden Kriegsgefahr erstmals mit der Materie auseinandersetzt, die Augen über die Unvereinbarkeit von Kriegspropaganda und Faktenlage geöffnet, während Friedensaktivisten, die sich schon länger mit dem Thema beschäftigen, interessante Einblick in die Arbeit der UNSCOM erhalten.

Auch sonst liefert das Buch, wie auf dem Einband versprochen, "Argumente gegen Krieg" in Hülle und Fülle. Ritter geht ausführlich auf die militärischen Perspektiven des geplanten Krieges ein, entlarvt die unterstellte Zusammenarbeit zwischen Saddam Hussein und Osama bin Laden als abenteuerliche Irreführung und klärt über die Instrumentalisierung der UNSCOM durch westliche Geheimdienste auf. Seine Aussagen haben den Vorteil, mit der Nüchternheit eines Mannes vorgebracht zu werden, dem die eigene Karriere innerhalb der US-Streitkräfte weniger wichtig war als die Widerspruchsfreiheit des eigenen Tuns.

Ritter wird zwar nicht müde, sich als Patriot zu bezeichnen, gehört als solcher aber zu einer Minderheit amerikanischer Bürger, die die Werte der eigenen Verfassung in einem archaisch anmutenden Sinne ernst nehmen. Als bekennender Republikaner befindet sich der Ex-Soldat nicht nur im Konflikt mit seiner Partei gleichen Namens, sondern hat die Position eines politischen Außenseiters inne, dessen Selbstverständnis auf Kollisionskurs mit einer Regierung liegt, die sich in zunehmendem Maße diktatorisch wirkende Vollmachten anmaßt und aller Welt demonstriert, daß nicht die Respektierung internationaler Abkommen, sondern die Verfügungsgewalt über stärkere Waffen Grundlage hegemonialen Einflusses ist.

Ritters patriotischem Anspruch gemäß kann seine Bewertung etwa der UN-Charta, der Rolle der USA in der Welt und der Legitimität einer schon im Golfkrieg von 1991 von imperialistischen Motiven geprägten Kriegführung in einzelnen Aspekten von linken Kriegsgegnern kaum akzeptiert werden. Das gilt auch für die Ausführungen des Verfassers Pitt, der neben einem Vorwort einen Abriß der irakischen Geschichte im 20. Jahrhundert beisteuert. Während seine instruktiven Informationen einerseits ahnen lassen, daß der Irak auch heute noch ein Opfer kolonialistischer und imperialistischer Politik ist, verhindern Auslassungen, die vor allem die Rolle der USA beim Zustandekommen des Golfkriegs von 1991 betreffen, diesen Eindruck so zu untermauern, daß sich eine trittsichere Einschätzung der geostrategischen Pläne Washingtons vornehmen ließe.

Dennoch lohnt der kurze Überblick über die Geschichte des Landes seit seiner Abtrennung vom Osmanischen Reich die Lektüre. Gerade die weniger von den maßgeblichen politischen denn vorgeblich technischen Motiven getragene Verabschiedung der jüngsten Resolution des UN-Sicherheitsrates und ihre freizügige Auslegung als Ermächtigung zum Kriege dokumentieren den geschichtsblinden Umgang westlicher Medien mit dem Konflikt um den Irak. Ohne zu verstehen, wie die arabische Welt vom Leidensschicksal der irakischen wie palästinensischen Bevölkerung in einem Maße umgetrieben wird, das man sich dank der Ausblendung zentraler historischer Achsen hierzulande kaum erklären kann, sind Prognosen über die weitere Entwicklung in der Region kaum anzustellen. Der Verzicht auf die Tiefendimension des zwischen westlicher und islamischer Welt entbrannten Konflikts trägt denn auch dazu bei, daß der Widerstand gegen den sogenannten Krieg gegen den Terrorismus in noch engeren Grenzen verläuft als gegen den anstehenden Feldzug.

"Krieg gegen den Irak" ist ein wichtiger Beitrag zum aktuellen Versuch, einer Entwicklung entgegenzutreten, die als "erster Krieg des 21. Jahrhunderts", so US-Präsident Bush kürzlich vor johlenden Soldaten in Fort Hood, durchaus Folgewirkungen zeitigen könnte, die die Dimension eines Weltkriegs annehmen. Ritters Prognosen sind auch in dieser Hinsicht eindeutig - für ihn stellt die Gefahr eines weiteren Angriffs auf den Irak alles in den Schatten, was das Land selbst auch nur ansatzweise an militärischer Zerstörungskapazität freisetzen könnte.


William Rivers Pitt mit Scott Ritter
Krieg gegen den Irak
Was die Bush-Regierung verschweigt
Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2002