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BUCHBESPRECHUNG/120: Partituren - Magazin für Klassische Musik 12 (SB)


Friedrich Berlin Verlag


Partituren

Das Magazin für Klassische Musik - Ausgabe Nr. 12 September/Oktober

Eine Zeitreise durch 800 Jahre Pariser Musikgeschichte


In unserer heutigen Zeit fehlt vielen der Zugang zu der vermeintlich schweren Kost der "klassischen" Musik. Dabei kann die Beschäftigung mit ihr spannend wie eine Märchenstunde sein, denn in den unendlich vielen musikalischen Werken werden zahlreiche Geschichten aus der Vergangenheit erzählt. Mystisches, Tragisches und Heiteres, Dramatisches, Karikierendes, Parodien, beißender Spott und Ironie, in denen sich die historischen Ereignisse widerspiegeln, finden sich hier, denn die Musik vergangener Tage ist untrennbar mit der Geschichte vergangener Jahrhunderte verbunden.

Wer einmal angefangen hat, ein wenig in die Welt der klassischen Musik hineinzuschnuppern, in das Leben von Menschen aus anderen Zeiten, ihr Umfeld, ihre Gedanken, ihre großartigen Kompositionen oder Interpretationen, für den dürfte "Partituren" ein richtiger Schatz sein.

Seit etwa zwei Jahren gibt es dieses unvergleichbare Magazin auf dem nicht sehr reich und nicht sehr gut bestückten Markt an Zeitschriften für Klassische Musik. Jede Ausgabe der im Friedrich Berlin Verlag erscheinenden "Partituren" befaßt sich mit einem Schwerpunktthema, das anhand von zahlreichen Artikeln unterschiedlichster Art und mit einer farbenfrohen grafischen Gestaltung - beispielsweise dem Blick von den Türmen der Notre-Dame-Kathedrale über Paris, einer Aufnahme des Louvre im Licht der Abenddämmerung, der Basilika Sacré-Coeur bei Nacht - den Leser auch optisch fesselt.

Diese nunmehr 12. Ausgabe mit dem Schwerpunkt "Musikstadt Paris" führt unter Rubriken wie "Blick über Paris", "Paris erleben" oder "Pariser Leben" durch 800 Jahre Pariser Musikgeschichte.

Auf der beigefügten CD finden sich dementsprechend Werke fast ausschließlich französischer Komponisten. Wenn nicht in Paris geboren, so haben sie alle in Paris gelebt und vor allem gewirkt. Auf ca. 45 Minuten sind beispielsweise Marc-Antoine Charpentiers' "Prélude aus dem Te Deum" zu hören, das mit seinen fröhlichen, beschwingten Pauken und Trompeten allen Älteren als Erkennungsmelodie der Eurovision bekannt sein dürfte. Die für den Barock so typisch verspielten Klänge finden sich in einer Air wieder, einem im Frankreich des 17. Jahrhunderts beliebten Lautenlied, hier von Anthoine Boësset: "A la fin de cette bergère".

Jacques Offenbach (1819-1880) darf natürlich in Partituren über Paris nicht fehlen und wird hier als "Mozart der Champs-Élysées" vorgestellt. Zu allen Zeiten war Paris eine Weltstadt und Dreh- und Angelpunkt für Musiker, die sich einen Namen verdienen wollten. Offenbachs Vater schickte seinen Sohn mit 14 Jahren in die Metropole. Der junge Offenbach schließlich verstand es, mit dem ihm eigenen Witz und vor dem Hintergrund einer unterdrückten und sich nach Freiheit sehnenden Gesellschaft das nach Ablenkung lechzende Pariser Publikum in den Bann seiner "sozialkritischen Mythentravestien", seiner "Karikaturen gesellschaftlicher Typen" und seiner "geistreichen Parodien" zu ziehen. Auf der CD eingespielt ist das Stück "Voyez - la sous son éventail" aus der Oper "Hoffmanns Erzählungen", die Jacques Offenbach nach E.T.A. Hoffmanns phantastischen Erzählungen als letztes seiner Werke komponierte.

Amüsant zu lesen ist auch das fiktiv geführte Interview mit Claude Debussy, dessen Stück "Clair de lune" auf der Partituren-CD von Jean- Yves Thibaudet interpretiert wird. Mit dem weltberühmten französischen Pianisten, der viele Jahre in Paris verbracht hat, führte Partituren ebenfalls ein Interview, das den Leser - ebenso wie durch die verschiedenen anderen mit Musikern unserer Zeit geführten Gespräche - ein wenig die Atmosphäre der heutigen Pariser Musikkultur erahnen läßt.

Spannend zu hören sind auch Erik Saties kurze Einspielung "La Statue retrouvée" - ein imposantes, kurzes Orgelstück, sehr belebt und ungewöhnlicherweise mit Trompete kombiniert - und im Vergleich die so ganz anders klingende, darauf folgende Orgelsonate von Alexandre Guilmant, die hier von Ben van Oosten, der als wichtigster Interpret und bester Kenner der französischen Orgelmusik gilt, gespielt wird. Ihm verdanken die Partituren-Leser einen sehr informativen Artikel über die französische Orgelkunst im 19. Jahrhundert.

Es ist der Redaktion gelungen, auf knapp einhundert Seiten - übersichtlich strukturiert und sehr abwechslungsreich gestaltet - einen Eindruck nicht nur über das Pariser Musikleben, sondern auch über die französische Musikgeschichte mehrerer Jahrhunderte zu vermitteln. Man braucht keine akademische Ausbildung, nicht mal ein Expertenwissen, um Partituren zu verstehen. Das Magazin ist von der ersten bis zur letzten Seite fesselnd. Selbst Fragen wie "Was ist eigentlich Impressionismus" in der Musik oder die eher als trockener Lesestoff zu vermutende "Genealogie der Akkordeon-Familie" und die Rubrik "Wissensfutter" mit historischen Eckdaten und Informationen sind unkompliziert, bleiben unterhaltsam und spannend zu lesen.

"Partituren" erscheint sechsmal im Jahr, jeweils mit einer CD und kostet acht Euro.

20. Oktober 2007


Partituren 12, September/Oktober 2007
Magazin für Klassische Musik
Friedrich Berlin Verlag,
Redakt.: Arnt Cobbers
8,- Euro
ISSN-Nr. 1860-7659, Best.-Nr. 60012