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REZENSION/134: M. Chossudovsky - Global brutal (Globalisierungskritik) (SB)


Michel Chossudovsky


Global brutal

Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg



Aus der großen Zahl globalisierungskritischer Bücher sticht das jüngste Werk des kanadischen Ökonomen Michel Chossudovsky durch die besonders schonungslose Analyse des Zusammenhangs zwischen den expansiven Interessen des Kapitals und den daraus resultierenden sozialen und ökonomischen Folgen heraus. Ob der Verlag Zweitausendeins seinem Autor allerdings einen Gefallen damit getan hat, dem Buch unter dem Titel "Global brutal" mit einer Schockwirkung, die sich auch in der Gestaltung des Einbandes marktschreierisch niederschlägt, zu Beachtung zu verhelfen, darf bezweifelt werden. Gerade ein als besonders streitbar bekannter Exponent der Antiglobalisierungsbewegung wie Chossudovsky läuft stets Gefahr, der Unseriosität bloßer Polemik und der Überspitzung angeblich nicht so dramatischer Zustände bezichtigt zu werden.

Der englische Originaltitel des 1997 erstmals erschienenen Werks "The Globalisation of Power. Impacts of IMF and World Bank Reforms" ist daher ebenso wie der deutsche Untertitel "Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg" besser geeignet, den sachbezogenen und nüchternen Charakter der umfassenden Kritik zu repräsentieren, die Chossudovsky am heutigen Stand der Weltwirtschaft und an der Durchsetzung minoritärer Interessen durch ökonomischen wie militärischen Zwang übt. So versteigt sich der Autor, der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Ottawa lehrt und seine profunde Sachkenntnis unter anderem als Berater für Regierungen und Institutionen in Lateinamerika, Afrika und Asien erlangt hat, niemals zu Ausfällen gegen Funktionsträger, die das von ihm beschriebene Dilemma der immer desolateren sozialen Lage eines wachsenden Teils der Weltbevölkerung zu verantworten haben.

Um so deutlicher greift Chossudovsky jedoch die Agenturen der Globalisierung selbst an und um so mehr Mühe verwendet er darauf, das zerstörerische Wirken einer Weltwirtschaftsordnung, deren Regeln und Normen maßgeblich von den Bretton-Woods-Institutionen Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank sowie der Welthandelsorganisation (WTO) gesetzt werden, durch konkrete Fallbeispiele im Detail nachzuweisen und gleichzeitig in den größeren Zusammenhang der politischen Entwicklung seit Ende des Kalten Krieges zu stellen. Da dieses Unterfangen selbst bei einem 477 Seiten starken Werk nicht erlaubt, alle seiner Analyse zugrundeliegenden wirtschaftswissenschaftlichen Theoreme zu erklären, ist der mit dem Thema unvertraute Leser mitunter genötigt, ökonomische Grundbegriffe nachzuschlagen, um der Argumentation Chossudovskys folgen zu können.

Das tut der guten Verständlichkeit des Buches, das zudem ohne die bei Übertragungen aus dem Englischen ins Deutsche immer häufiger anzutreffenden Nachlässigkeiten in Stil und Syntax übersetzt wurde, jedoch keinen Abbruch. Der Autor richtet sich durchaus an ein breites Publikum, geht es ihm doch darum, der fortschreitenden Usurpation aller Gesellschaften durch das Primat marktradikaler Ökonomie im aufklärerischen Sinne entgegenzutreten. Dabei kann der Leser schon an der unverminderten Aktualität desjenigen Teils des Buches, der bereits Mitte der neunziger Jahre verfaßt wurde, ermessen, wie trittsicher Chossudovsky die Ursachen der "Globalisierung der Armut" und der Zerrüttung sozialer Verhältnisse nicht nur in den Ländern des Südens, sondern auch Nordamerikas und Westeuropas eruiert.

Wer das Zeitgeschehen aufmerksam verfolgt und sich nicht durch die Nebelwerfer der Konzernpresse irreleiten läßt, wird das, was Chossudovsky über das Ausmaß des globalen Niedergangs zu Beginn des Buches mitzuteilen hat, denn auch kaum als übertrieben bezeichnen:

Die Menschheit ist nach der Ära des Kalten Krieges in eine wirtschaftliche und soziale Krise beispiellos rascher Verarmung großer Teile der Weltbevölkerung gestürzt. Ganze Volkswirtschaften brechen zusammen, Arbeitslosigkeit nimmt überhand. In den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, in Asien und Lateinamerika sind regionale Hungersnöte ausgebrochen. Diese Globalisierung der Armut - die die Errungenschaften der Entkolonalisierung nach dem Krieg weitgehend umgekehrt hat - begann in der Dritten Welt zusammen mit der Schuldenkrise der frühen 80er Jahre und der Durchsetzung der mörderischen Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Neue Weltordnung nährt sich von menschlicher Armut und der Zerstörung der natürlichen Umwelt. Sie schafft soziale Apartheid, schürt Rassismus und ethnische Kämpfe, sie höhlt die Rechte von Frauen aus und stürzt häufig Länder in zerstörerische Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volksgruppen. (...) Diese weltweite Krise ist vernichtender als die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre. Sie hat weitreichende geopolitische Auswirkungen: Die wirtschaftlichen Verwerfungen werden begleitet von regionalen Kriegen, dem Auseinanderbrechen von Nationalstaaten und in einigen Fällen der Zerstörung ganzer Länder. Es ist bei weitem die schwerste Wirtschaftskrise der modernen Geschichte.

Chossudovsky ist nicht nur in der Lage, diesen von Marktfundamentalisten bestrittenen Sachverhalt zu dokumentieren, sondern er kann auch die systematische Erzeugung von Not und Elend durch die von ihm angegriffenen Institutionen belegen. Diese begünstigen nicht etwa nur den unmittelbaren Raubzug finanzstarker Konzerne und westlicher Regierungen, sondern fördern die Etablierung dauerhafter Verwertungsbedingungen, die dem immanenten Zwang des Kapitals, durch die Steigerung der Produktivität menschliche Arbeit zu vernichten und den dabei erlittenen Verlust an Kaufkraft durch Ausschaltung der Konkurrenz und weltweite Expansion zu kompensieren, gerecht werden sollen. Der Autor verweist darauf, daß die Washingtoner Finanzinstitutionen IWF und Weltbank einerseits eng mit den großen Banken der Wall Street verquickt sind und andererseits als Prozessoren der politischen Agenda der G-7-Staaten fungieren.

Wer in diesem Dreieck aus Globaladministration, Finanzkapital und Nationalstaaten, das die Basis der administrativen Strategie weltweiter ökonomischer Liberalisierung bildet, wen am stärksten beeinflußt, wird nicht explizit benannt. Das dürfte allerdings auch schwierig sein, denn wenn Chossudovsky auch nahelegt, daß die großen Kapitaleigner maßgeblichen Einfluß auf staatliche Akteure nehmen, so ist angesichts der insbesondere in den USA häufig anzutreffenden Personalunion von Geld und Politik kaum klar zu differenzieren, wer die Fäden des globalen Dramas zieht. Allerdings ist dies auch nicht erforderlich, da mit einer Schuldzuweisung, die sehr umfassend agierende Interessen auf das triviale Niveau persönlicher Bereicherung reduzierte, niemandem außer den ohnehin nicht zu belangenden Gewinnern, die im Schatten dem Publikum vorgeworfener Sündenböcke erst recht aufblühten, gedient wäre.

Nimmt man persönliche Vorteilnahme einmal als gegeben hin, dann zeigt sich viel mehr, daß die Raubinteressen individueller Personen niemals den derart umfassenden und tiefgreifenden Einfluß einer spezifischen Ausformung kapitalistischer Ideologie, der neoliberalen Doktrin, ermöglichten. Die Hegemonie eines Marktfundamentalismus, der in der Lage ist, die nationale Souveränität der Staaten im Rahmen einer "Neuen Weltordnung" aufzuheben und die über lange Jahre mühsam erkämpften Rechte ihrer Bürger durch ökonomischen Zwang zu mindern, wäre ohne die umfassende Teilhaberschaft nationaler Eliten und supranationaler Bürokraten nicht denkbar.

Damit wird deutlich, daß es sich bei der Globalisierung der Armut eben nicht nur um eine Wirtschaftskrise, sondern auch eine Krise der politischen Institutionen und der sogenannten Zivilgesellschaft handelt. Wachsender Überlebensdruck und unverhohlene Gewaltandrohung sorgen dafür, daß politischer Opportunismus nicht nur unter auf Privilegien und Machterhalt bedachten Funktionseliten floriert, sondern der Mut der Bürger zu streitbarem Widerstand gegen den Ausverkauf ihrer Interessen gelähmt wird. Chossudovsky trägt dieser Entwicklung, und das unterscheidet ihn wesentlich von den meisten anderen Globalisierungskritikern, durch den Nachweis Rechnung, daß es sich bei den Kriegen der Neuen Weltordnung um ein nicht von den expansiven Ambitionen des Kapitals zu lösendes Phänomen handelt:

Zu Beginn des dritten Jahrtausends gehen Krieg und 'freie Märkte' Hand in Hand. Der Krieg ist gewissermaßen das multilaterale Investitionsabkommen der letzten Instanz. Er zerstört physisch, was durch Deregulierung, Privatisierung und die Erzwingung von 'Marktreformen' noch nicht vernichtet wurde. Direkte kriegerische Kolonialisierung und die Errichtung westlicher Protektorate erfüllen de facto den Zweck, westlichen Banken und multinationalen Konzernen ungehinderten Zugang zu den betreffenden Märkten zu verschaffen, so daß sie - wie in den Bestimmungen der WTO verlangt - global wie auf einem nationalen Markt agieren können.

Von großem Interesse ist daher auch das der ersten englischsprachigen Auflage des Buches, die Anfang 1996 abgeschlossen wurde, angehängte Kapitel über den wirtschaftlichen Niedergang Jugoslawiens und die Rolle, die der IWF dabei spielte. In ihm wird die verbreitete These aus ethnischen Ressentiments entstandener Sezessionskriege und des allein durch nationalchauvinistische Ambitionen bedingten Zerfalls Jugoslawiens überzeugend widerlegt, so daß der Leser durchaus Gehör für die von antiimperialistischer Seite vertretene These einer gezielten Zerschlagung dieses Staates, der sich seiner Globalisierung verweigerte und mit seiner sozialistischen Tradition ohnehin nicht in eine neoliberal reformierte EU paßte, entwickeln kann. Auch die neu hinzugekommenen Kapitel über die seit 1997 grassierenden regionalen Finanzkrisen, die zunehmende Monopolisierung der Wirtschaft und die Bedeutung der Ereignisse des 11. September für den amerikanischen Hegemonialanspruch aktualisieren einen Text, der schon in seiner nunmehr sechs Jahre alten Version von höchstem Interesse ist, für den Gebrauch in einer Gesellschaft, in der ökonomischer Sachverstand angeblich das A und O aller Kompetenz darstellt.

Gerade Chossudovskys Ausführungen zeigen jedoch, daß die Beanspruchung wirtschaftlicher Vernunft ganz und gar interessenbedingt ist, und zwar im unmittelbarsten Sinne des Sozialkampfes. Seit sich der Druck auf die Bundesregierung, endlich die eingeforderte Liberalisierung des Arbeitsmarktes durchzusetzen, weiter verstärkt hat und noch einseitiger propagiert wird, die krisenhaften Symptome der Volkswirtschaft ließen sich über die Senkung von Lohnkosten und die optimierte Allokation des Kapitals beseitigen, wird die Handschrift einer Wirtschaftsdoktrin, mit der Millionen von Menschen ins Elend getrieben wurden, um so müheloser entzifferbar. Wer die in dem Buch enthaltenen Länderstudien zu den verheerenden Auswirkungen der vom IWF verordneten Strukturanpassungen liest, wer die darin geschilderten Währungsmanipulationen studiert, mit denen ganze Volkswirtschaften dem kostengünstigen Zugriff kapitalstarker Investoren preisgegeben und ihre Bevölkerungen ausgeplündert wurden, der kommt nicht umhin, darin eine Ratio des Mangels zu erkennen, die einem hypertrophen Sozialdarwinismus zuarbeitet.

Der kanadische Ökonom bleibt bei allen Ausführungen betont unideologisch, was sein Buch für ein breites Publikum verdaulich macht. Zwar belegen seine Ausführungen die Relevanz moderner Imperialismustheorien aufs beste, doch will sich Chossudovsky durch den Verzicht auf einen solch vorbelasteten Begriff offensichtlich frei von politischer Stigmatisierung halten. Zumindest kann man dem Autor nicht einen besonders von linksliberalen Publizisten und NGO-Aktivisten propagierten Etatismus anlasten, der die unterstellte Dichotomie von transnationalen Konzernen und Nationalstaaten einer staatsautoritären Lösung auf kapitalistischer Grundlage zutreibt. Angesichts dessen, was Chossudovsky über die Rolle einzelner Regierungen bei der Durchsetzung marktradikaler Politik schreibt, ist kaum anzunehmen, daß er sich den frommen Glauben an ein angeblich allen Menschen gerecht werdendes Demokratiepostulat erhalten hat, wie es in der EU und den USA vertreten wird.

Der Verzicht auf eine konkretere politische Standortbestimmung tut dem Nutzen seiner Analyse jedoch keinen Abbruch, zumal sich gerade in jüngster Zeit gezeigt hat, daß die vom Vater des heutigen US-Präsidenten nach dem Golfkrieg von 1991 ausgegebene Losung von der Neuen Weltordnung eine durchaus geeignete Metapher für die politische Verfassung dieses von einem globalen Aggressor heimgesuchten Planeten ist.


Michel Chossudovsky
Global brutal
Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg
Verlag Zweitausendeins, Frankfurt, 2002