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REZENSION/208: Hans-Peter Waldrich - Perfect Body (Körperkult) (SB)


Hans-Peter Waldrich


Perfect Body

Körperkult, Schlankheitswahn und Fitnessrummel



Vom eigenen Körper zu sprechen scheint einem Euphemismus gleichzukommen, wenn man mit der Rechtsform des Eigentums unbedingte Selbstbestimmung und Autonomie verbindet. Begreift man sie allerdings als Grundlage der Verfügbarkeit des Menschen durch die herrschende ökonomische Ordnung, dann ist die Verwertung des Körpers nicht nur durch Arbeit, sondern auch durch neue Formen sozialer Konditionierung und medizinischer Nutzung logische Folge einer auf Warentausch, seiner Vermittlung über die abstrakte Geldform und den sozialen Unterschieden, die diese universale Vergleichsgrundlage konstituiert, basierenden Gesellschaft. Um so mehr macht die Suggestion, der eigene Körper sei das Reich individueller Freiheit, eine Überzeugungsarbeit erforderlich, deren doktrinärer Charakter an eine zivilreligiöse Erweckungsbewegung erinnert. Ohne die mit großem medialen Aufwand propagierte Scheinrationalität, mit der das Diktat physischer Normen und das emphatische Bekenntnis persönlichen Versagens bei dem Versuch, ihnen zu entsprechen, begründet wird, um die Sühne dieser Schuld durch die Kur des Tages als unabdingbar erscheinen zu lassen, provozierte dieser Anpassungsdruck heftigen Widerspruch unter den angeblich mit körperlichen Mängeln aller Art geschlagenen Menschen.

Schließlich gibt es für sie viel zu verlieren und kaum etwas zu gewinnen, das man ihnen nicht vorher genommen hätte. Schon wenn der Mensch ins Dasein tritt, wird die Frage aufgeworfen, ob er physisch für ein erfolgreiches Leben qualifiziert ist. Sein Existenzrecht wird zusehends an Bedingungen ökonomischer Verwertbarkeit geknüpft, was angesichts der seit langem etablierten humanistischen Ideale der Menschenwürde und Diskriminierungsfreiheit nur als Verlust auf der ganzen Linie menschlichen Fortschritts bezeichnet werden kann.

Als Heranwachsender unterliegt man in seiner körperlichen Entwicklung nicht minder starkem Selektionsdruck, wie etwa die derzeit auch hierzulande anlaufende Kampagne gegen die Fettleibigkeit von Kindern und Jugendlichen zeigt. Mit zunehmendem Alter wächst der Zwang, bestimmten Erwartungen im Aussehen zu genügen, adäquat zur wachsenden Entfernung vom jugendlichen Idealkörper, und wenn der abschätzende Blick der Fleischbeschau den Menschen endlich verschont, dann weiß er, daß er mit dem Verlust jeglicher Anziehungskraft auch an die Grenze seines Existenzrechts gelangt ist.

Wer seine Einzigartigkeit nicht durch eine außergewöhnliche Begabung unter Beweis stellen kann, der muß neben beruflichen und sozialen Fertigkeiten auch physische Attraktivität erwerben, und sei es beim Schönheitschirurgen. Ansonsten läuft er Gefahr, in der Konkurrenz um die knapper werdende Lohnarbeit wie bei der Partnerwahl zu unterliegen. Der scheinbar unaufhaltsam um sich greifende Sozialdarwinismus straft den Verlierer doppelt - durch die materiellen Nachteile, die sich aus seiner Unterlegenheit ergeben, und durch die soziale Stigmatisierung, die dem Etikett des Losers anhaftet. Geht der Mensch nach einem unerquicklichen Daseinskampf um die schwindenden Möglichkeiten ökonomischer Teilhaberschaft den Weg alles Zeitlichen, dann kulminiert der Selektionsdruck schließlich zur unausgesprochenen Aufforderung, sich doch gefälligst so bald wie möglich in den Tod zu verabsentieren, da man als unproduktiver Mensch nicht nur überflüssig, sondern ein Kostenfaktor sei. Auf dem Weg dorthin wird womöglich noch die Anforderung erhoben, den Körper im denkbar direktesten Sinne zu vergesellschaften, das heißt seine Gewebe und Organe zur Zweitverwertung freizugeben.

Dieses Szenario einer immer strikter nach Kosten-Nutzen- Rechnung operierenden Gesellschaft ist nur zum Teil Zukunftsmusik, wie jeder weiß, der die Fortschritte des neoliberalen Strukturwandels, der sozialtechnokratischen Verhaltenskontrolle und des biomedizinischen Gestaltungsstrebens verfolgt. Insbesondere die ästhetische Seite des fremdnützigen Zugriffs auf die menschliche Physis ist Thema des Buches "Perfect Body" des Journalisten und Therapeuten Hans-Peter Waldrich. Seine Überlegungen zu "Körperkult, Schlankheitswahn und Fitnessrummel" haben durchweg fremde Interessen zum Gegenstand, die die Betroffenen für die ureigensten halten und die sie gerade deshalb auf mitunter höchst selbstdestruktive Weise verwirklichen.

Waldrich analysiert Anspruch und Wirklichkeit der physischen Erscheinungsform des Menschen in den postindustriellen westlichen Staaten und gelangt dabei zu dem Ergebnis, daß die gesellschaftlich erwünschten Ideale meist in einem krassen Mißverhältnis zum Wohlbefinden derjenigen stehen, die ihnen nacheifern. Das individuelle Leid, das der Versuch einer maximalen Adaption am Vorbild der Schönen und Erfolgreichen glorifizierter Schlankheit und Fitness mit sich bringt, wird anhand von Informationen und Fallbeispielen über extreme Eßstörungen und notorische Magersucht auf beeindruckende Weise in den Widersinn zwischen Glücksverheißung und Verelendung gestellt. Die Irrationalität des Strebens danach, zwecks Steigerung des eigenen sozialen Ansehens so dünn zu werden, daß man sich bei logischer Fortsetzung dieser Tendenz praktisch in nichts auflöste, weist Waldrich anhand sozialwissenschaftlicher Untersuchungen zu den Merkmalen körperlicher Attraktivität nach. Tatsächlich belegen sozialwissenschaftliche wie medizinische Indikatoren, daß das Ideal extremer Schlankheit weder die Attraktivität eines Menschen als Sexualpartner erhöht noch seiner Gesundheit zuträglich wäre.

Daß der "Schlankheitswahn" dennoch unausrottbar ist und mitunter lebensgefährliche Blüten treibt, erklärt der Autor unter anderem mit einer rigiden Abwehrhaltung dem eigenen Körper gegenüber, der in seiner natürlichen Unzulänglichkeit, Bedingtheit und Individuation als inakzeptabel empfunden werde. Waldrich geht von einem grundlegenden Anpassungsstreben aus, das in striktem Widerspruch zur propagierten Freiheit der Individualität steht, die sich bei genauerem Hinsehen als ein Massenphänomen von beliebiger Austauschbarkeit erweist. Alle vermeintliche Sinnhaftigkeit wird schließlich durch den Tod relativiert, dennoch suchen immer mehr Menschen im Körper,

"was Welt und Überwelt ansonsten nicht mehr bieten können. Dem Körper wird damit indessen etwas zugemutet, das seinem eigentlichen Wesen widerspricht. Deshalb muss seine Natur, seine unausweichliche Realität, verdrängt werden. Diese Verdrängung bringt der gegenwärtige Körperkult zum Ausdruck." (S. 25)

Waldrich argumentiert in erster Linie psychoanalytisch, wenn er die Widersprüche der doktrinären Verherrlichung des als schön geltenden mageren weiblichen Körpers und der Mühsal, die es bereitet, diesem für sich gesehen nicht nur nutzlosen, sondern einem erfüllten Leben kontraproduktiven Ideal nachzustreben, hinterfragt. Er ergänzt seine Kritik an Ausblendung essentieller Fragen zur Lebensqualität durch eine materialistische Analyse, in der er von der Zurichtung des Körpers für seine kapitalistische Verwertung ausgeht und die physische Magersucht etwa mit der Verschlankungsdoktrin analogisiert, der die flexibilisierten Produktionsabläufe in Fabrik und Verwaltung unterliegen. Produktivitätssteigerung um jeden Preis und vor allem ohne Schaffung neuer Arbeitsplätze setzt er mit einer Mangelkultur gleich, deren ausgemergelte Physignomien Triumphe öffentlicher Bewunderung feiern. Während die bei Models zelebrierte Magerkeit Ausdruck einer privilegierten Lebensführung ist, deren finanziellen und zeitlichen Aufwand an Diätetik, Kosmetik, Bewegungsarbeit und medizinischer Vor- wie Nachsorge kaum jemand betreiben kann, der sich alltäglich den Strapazen des Berufslebens aussetzt, liefert die physische Deformation des Lumpenproletariats Anreiz genug für den Kampf um die Zugehörigkeit zu einer Klasse, deren schöner Schein die von ihr ausgehende Gewalt so talmihaft kaschiert, wie die dick aufgetragene Wimperntusche absichtliche Blindheit gegenüber den Problemen der Armut und Not demonstriert.

Letztlich verbleibt Waldrichs Kritik jedoch im Lager der Psychoanalyse und nimmt lediglich Anleihen an marxistisch geprägte Kapitalismuskritik auf. So bestimmen psychologische Instanzen häufig die Analyse des Problems der Fremdbestimmung, wo sie im Grunde genommen ohne Verlust an Aussagekraft, aber mit Zugewinn an Schärfe der Kritik entbehrlich gewesen wären:

So wie das Bewusstsein überhaupt zum Anhängsel des Marktes zu werden droht, so ist der Körperkult in seiner gegenwärtigen Ausprägung ohne den Dauerbeschuss durch die Marktbotschaften nicht zu verstehen. Das ausgebeutete Bewusstsein ist das enteignete Bewusstsein, und wie tief diese Enteignung wurzelt, zeigt sich zum Beispiel darin, dass wir unseren Körper nur noch mit Stirnrunzeln betrachten können. (S. 100)

Die Kategorie des Bewußtseins trägt wenig dazu bei, die Totalität der Fremdbestimmung und Ausbeutung des Menschen im Kapitalismus auf den Begriff zu bringen. Seine körperliche Maßregelung durch eine disziplinatorische Gesellschaft entspricht deren Produktionsweise im ganz physischen Sinne. Daher greift auch Waldrichs Plädoyer für runde anstatt rechtwinklige Formen der Physis bei aller Plausibilität zu kurz. Schließlich ist das Rad Inbegriff industrieller Dynamik und Mittel nicht etwa zur Befreiung des Menschen von Arbeit durch die damit erreichte Produktivitätssteigerung, sondern seiner effizienteren Ausbeutung im beschleunigten Prozeß kapitalistischer Verstoffwechselung. Als solches ist es nicht minder an den Leisten metrischer Objektivierung der Physis zum Zwecke ihrer technischen Verfügbarkeit gebunden als die offenkundig verkrüppelnde Funktionalität zackiger militärischer Gesten, die aus empfindenden Wesen Roboter der Zerstörung machen, und mechanischer Hebelarme, die den Körper des Arbeiters in die Unentrinnbarkeit maschineller Abläufe zwingen. Idealtypische Funktionsprinzipien wie die insbesondere aus asiatischen Kampfkünsten bekannten Kreis- und Kugelformen haben einiges für sich, bieten jedoch noch lange keine Gewähr dafür, daß sich der Bewegungspraktiker nicht an ihm wesensfremde Einflüsse anpaßt.

So leicht entkommt man der evolutionären Logik, sich in Ermangelung ausreichender Lebenschancen an der Überwindung des anderen anstelle der solidarischen Verbindung mit ihm zu orientieren, nicht. Das Bedürfnis nach Kompensation drängender Probleme ist groß, so daß das Angebot der Vermittlungsinstanz des Bewußtseins, der Enge auf den Menschen einwirkender Gewalten in den Freiraum des Geistes zu entkommen, gerne angenommen wird. Daß dieser bereits durch das Diktat kultureller wie medizinischer Ideale okkupiert wird, fällt desto weniger auf, je mehr man diese als erstrebenswerte Merkmale gesellschaftlichen Erfolgs begreift. Dieser wiederum ist ganz und gar vom Urteil der anderen abhängig und somit treffender Ausdruck von Fremdbestimmung. Im Endeffekt sind die Gedanken so frei wie die Machtfrage tabu. Sie wird aus gutem Grund nicht gestellt, da sich schnell erwiese, wie unausweichlich der Durchgriff herrschender Kräfte und Interessen ist.

Groteske "Muskelmänner", die die Modellierung des Körpers wie von Perfektionssucht getriebene Architekten betreiben und dabei einen Grad an muskulärer Ausdifferenzierung und mit dem Begriff der "Haltung" angemessen bezeichneter Erstarrung erreichen, um dem Wirkungsgefüge ihres Bewegungsapparates in jeder Beziehung im Wege zu stehen, sind für Waldrich die Verkörperung einer Kultur der Stärke und Leistungsbereitschaft, der er Grundzüge faschistischer Ideologie zuweist. Dieser stellt er das Schwache und Verletzliche als eine menschliche Eigenschaft gegenüber, auf die die Vernichtungsabsicht faschistischer Körperverherrlichung im Kern zielt. Zur Definition einer prinzipiellen Gegenposition wäre allerdings die Frage nach der Ermächtigung des Menschen unter Ausschluß seiner jeweiligen Vorzüge und Nachteile zu stellen. Die in dem Buch beschriebenen Phänomene physischer Anziehung und Ablehnung verbleiben jedoch im Feld gegenseitiger Vergleiche, das heißt sie gelangen über ihre gesellschaftliche Determination nicht hinaus.

So könnten die vermeintlichen Vorzüge starker und schöner Körper durchaus gründlicher demontiert werden, als es bei Waldrich geschieht. Es wäre etwa daran zu erinnern, daß gerade das Muskelgebirge von Mann in eklatanter Weise dem Sklavenkörper der Antike gleichkommt, in der die schwellenden Formen männlicher Selbstbehauptung vornehmlich Sklaven und Soldaten auszeichneten. Stärke manifestiert sich heute vor allem in den Wandlungs- und Zerstörungspotentialen industrieller Produktivität und militärischer Aggressivität. Paradoxerweise erfordert deren Kontrolle weniger physische Kraft denn je, so daß es sich bei der demonstrativen muskulären Ausformung derselben bestenfalls um die kompensatorische Bewältigung des persönlichen Verlustes an Autonomie handelt. Das angestrengte Aufbauen körperlicher Stärke bei Männern wie Frauen findet in der maschinellen Ausstattung des Kraftraums zur Fabrikarbeit zurück und signalisiert mit der an archaische mechanische Systeme der Krafterzeugung gemahnenden Tretmühle des Anarbeitens gegen den Widerstand nicht nur des aufgeladenen, sondern eigenen Gewichts Unterwerfung unter das herrschende Verwertungssystem.

Das positive Leistungsdenken, das seinen Lohn in der sozialen Anerkennung eigener Körperlichkeit findet, unterscheidet sich damit nicht von dem Scheitern, das der vielbeklagten Delinquenz der Dicken und Trägen angekreidet wird. Das macht aus deren Obsessionen noch keinen Akt des Widerstands gegen ihre Vereinnahmung durch Gesundheitstyrannei und Medizinaltechnokratie, doch erweisen sich deren Adepten, wie Waldrich resümiert, als nicht weniger ohnmächtig in ihrem Aufbegehren gegen die eigene Unzulänglichkeit:

Selbst wenn derartige Körper-Ertüchtigung eigentlich gänzlich funktionslos bleibt, weil im bürokratischen und technologischen Zeitalter nicht die Körper, sondern die Maschinen, Organisationen und die Eigengesetzlichkeit der Strukturen über reale Macht verfügen, vermittelt ein durchtrainierter Körper illusionär eine letzte verbliebene Sicherheit in einer Welt der Verunsicherung, ähnlich wie ein Stachelarmband dem Jugendlichen als magisches Objekt dient zur Abwehr der Welt. (S. 139)

Alle Beschwörung bleibt jedoch im wahrsten Sinne des Wortes eitel, wenn die Grundlagen ökonomischer Macht und politischer Herrschaft nicht über ihr Postulat hinaus in Frage gestellt werden. Waldrich verbleibt in dieser Hinsicht an der Peripherie kultureller Indoktrination, wie die von ihm in aller Ausführlichkeit geschilderte Bedeutung der Konsum- und Medienkultur für die Verbreitung favorisierter Körperbilder zeigt, tut dies jedoch in der gebotenen Ausführlichkeit und Schärfe. Ihm ist vor allem hoch anzurechnen, daß er die menschenfeindliche Diskriminierung, die dem Propagieren exklusiver Körperbilder stets immanent ist, zum Gegenstand der Kritik macht und mit der Analyse verordneter Body-Herrlichkeit ein viel zu selten aufgegriffenes Problem moderner westlicher Gesellschaften thematisiert. Dabei entwirft er diverse bedenkenswerte und diskussionswürdige Ansätze zum Verständnis des Dilemmas aus unterstellter Wertschätzung der körperlichen Befindlichkeit bei praktischer Dämonisierung aller Aberrationen, die sich aus einer von Unterhaltung, Sport, Mode und Medizin formierten kollektiven Wahrnehmung ergeben. Das Buch ist mithin jedem zu empfehlen, der persönlich oder professionell mit Fragen der physischen Erscheinungsform zu tun hat und nicht bereit ist, diese im Sinne herrschender Interessen zu beantworten.


Hans-Peter Waldrich
Perfect Body
Körperkult, Schlankheitswahn und Fitnessrummel
PapyRossa Verlag, Köln 2004
182 Seiten, 12,50 Euro
ISBN 3-89438-276-7