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REZENSION/285: Herfried Münkler - Imperien (Politik) (SB)


Herfried Münkler


Imperien

Die Logik der Weltherrschaft -
vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten



Den Europäern gibt Herfried Münkler, Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, zum Ausklang seines jüngsten Werks "Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten" einen dringenden Rat mit auf den Weg in eine ungewisse Zukunft. Da sich die bislang als wohlwollender Hegemon agierende westliche Führungsmacht USA zunehmend in einen imperialen Akteur verwandle, der auf die Wünsche und Vorstellungen seiner Verbündeten kaum noch Rücksicht nimmt, müsse sich Europa die Handlungslogik eines Imperiums umgehend vor Augen führen und über die politische Recheneinheit Staat hinausdenken.

Die imperiale Herausforderung Europas ist eine doppelte, und sie ist ungleichartig. Auf der einen Seite müssen die Europäer sich zu den übermächtigen USA ins Verhältnis setzen und darauf achten, daß sie nicht für die Aktionen der Führungsmacht Ressourcen bereitstellen und mit der Nachsorge für deren Kriege betraut werden, aber keinen Einfluss mehr auf grundsätzliche politisch-militärische Entscheidungen haben. Hier haben sich die Europäer ihrer Marginalisierung zu widersetzen. Europa muß sich gegenüber den USA als ein Subzentrum des imperialen Raumes behaupten und darauf achten, daß sich zwischen den USA und ihm kein Zentrum-Peripherie-Gefälle herausbildet. Auf der anderen Seite müssen die Europäer sich aber auch um ihre instabile Peripherie im Osten und Südosten kümmern, wo es gilt, Zusammenbrüche und Kriege zu verhindern, ohne dabei in eine Spirale der Expansion hineingezogen zu werden, die das verfasste Europa in seiner gegenwärtigen Gestalt überfordern würde. Hier stehen die Europäer vor der - paradoxen - Gefahr, imperial überdehnt zu werden, ohne selbst Imperium zu sein. (S. 247)

Die Europäer, meint Münkler, hätten auf diese doppelte Herausforderung bislang keine Antwort gefunden, ja sie noch nicht einmal als solche begriffen. Sie schwankten zwischen Beschwichtigung hinsichtlich des US-Imperiums, mit dessen Niedergang sie rechneten, und der Beschränkung auf Identitätssuche, die sich an die Hoffnung auf ein rasches Zusammenwachsen zu einer europäischen Integration klammere. Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erwachse jedoch nicht nur aus der Herausforderung durch das US- Empire, sondern auch daraus, daß es unerläßlich sei, an der europäischen Peripherie stabilisierend einzugreifen.

Im Sinne eines imperialen Ordnungsmodells, das auf verschiedene Grenzlinien hinauslaufe, müßten in Europa an die Stelle von Grenzen künftig Grenzräume treten, wenn man sich nicht überfordern und schließlich scheitern wolle. Dieses Modell gelte es weiterzuentwickeln, um die Außengrenzen stabil und zugleich elastisch zu machen. Das schließe Einflußnahmen auf die Peripherie ein, die eher imperialen als zwischenstaatlichen Vorgaben ähnelten. Europas Zukunft werde daher ohne Anleihen beim Ordnungsmodell der Imperien nicht auskommen.

Münkler ist mit vielen Studien zur politischen Ideengeschichte und zur Theorie des Krieges hervorgetreten, von denen etliche mittlerweile Standardwerke sind, so etwa "Machiavelli" (1982), "Gewalt und Ordnung" (1993) und "Die neuen Kriege" (2002). Zuletzt erschien von ihm "Der neue Golfkrieg" (2003). Diese Beiträge machen ihn zu einer festen und vielzitierten Größe in der bangen Debatte um Machtstreben und Kriegsgefahr, in der die Europäer zwischen blankem Entsetzen und kaum verhohlener Großmannssucht schwanken.

Dies mutet an wie das Verhältnis zweier Räuber, deren kleinerer fasziniert das Treiben des größeren verfolgt, da sich die ewige Furcht, den kürzeren zu ziehen, mit der unstillbaren Gier paart, selbst die dominierende Position in Besitz zu nehmen. Die Ermahnung des Autors an die Europäer, nur ja Anleihen beim Ordnungsmodell der Imperien zu nehmen, ist offenbar dem Wunsch geschuldet, einen maßgeblichen Beitrag zur Analyse von Herrschaft und Ausbau der Macht beizusteuern. Die aller Wissenschaft immanente Debatte, ob sie nach reiner Erkenntnis strebend überparteilich sein könne, ist hier ganz praktisch zugunsten herrschaftsrelevanter Indienststellung und Affirmation beantwortet.

Die selbst im kritischen Diskurs weithin unterbelichtete Frage nach der eigenen Beteiligung an Unterdrückung und Ausbeutung samt daraus abzuleitenden theoretischen und praktischen Konsequenzen muß freilich vollends in den Hintergrund treten, wo die Welt des Raubes als unhinterfragte, weil vermeintlich durchsetzungsfähigste Richtschnur historischen Entwicklungsverlaufs zum Maß aller Dinge erklärt wird. Dabei sollte doch gerade die Diskussion von Macht und Herrschaft, wie sie beim Thema Imperien gewissermaßen in expansivster Reinkultur das Feld beherrscht, auf das schier unausrottbare Vorteilsstreben als unabdingbare Voraussetzung von Herrschaft sowohl auf seiten der Starken als auch der Schwachen stoßen. Man muß keine existierenden Beispiele gesellschaftlicher Entwicklung vorweisen können, die nicht der Maxime des Raubes unterworfen wären, um diese dennoch als letztgültige Naturkonstante zu bestreiten.

Eingehend befaßt sich Münkler mit dem wechselseitigen Verhältnis von Zentrum und Peripherie imperialer Ordnung. In diesem Zusammenhang jedoch von der europäischen Aufgabe zu sprechen, im Osten und Südosten Zusammenbrüche und Kriege zu verhindern, unterschlägt freilich die höchst aktive und zielstrebige Zusammenarbeit der europäischen Führungsmächte mit den USA bei der Zerschlagung Jugoslawiens und Kriegführung auf dem Balkan wie auch der Osterweiterung zur Einkreisung Rußlands. Erst die Vernichtung des erstaunlich stabilisierenden und dauerhaften jugoslawischen Staats durch Förderung der expansiven Partikularinteressen schuf ja die Voraussetzung für ein Auftreten als Ordnungsmacht gegenüber den Spaltprodukten.

Das Verhältnis der Europäer zu den Vereinigten Staaten ist zweifellos von einem längst nicht entschiedenen Konkurrenzkampf, jedoch zugleich vom gemeinsam vorangetriebenen Streben bestimmt, der Welt eine neue Ordnung aufzuzwingen. Am Horn von Afrika, am Balkan und in Afghanistan stehen deutsche Truppen, und dies obwohl Deutschland zuletzt nicht als treuer Vasall, sondern eher als halbherziger Verbündeter Amerikas dargestellt wurde. Dieser vermeintliche Widerspruch läßt sich durchaus auflösen, doch kommt man dazu nicht ohne eine Analyse der Herrschaftsverhältnisse aus, die auch die innergesellschaftlichen Widersprüche einbezieht. Wohl erörtert Münkler ausgiebig die Binnenstruktur von Imperien wie auch die Mechanismen, welche Zusammenhalt fördern oder im Gegenteil Sprengwirkung entfalten, doch reicht diese Klassifizierung nicht hin, gesellschaftliche Verhältnisse im Hinblick auf ihre durchgängige Widerspruchslage zu analysieren.

Der Autor verwirft diesbezügliche an der Politischen Ökonomie ausgerichtete Ansätze mit dem Hinweis darauf, daß für die Beschreibung von Imperien neben wirtschaftlichen Kriterien auch militärische, administrative und kulturelle Momente konstituierend und ihre jeweiligen Anteile höchst bedeutsam für Verlauf und Dauerhaftigkeit imperialer Herrschaft seien. So unverzichtbar die Bildung und Erörterung solcher Kategorien der wissenschaftlichen Debatte auch erscheinen mögen, sollten sie doch nicht in den Verzicht münden, hinter Theorien und Handlungsansätze zurückzufallen, die längst als entwickelte Fragestellungen existieren.

So zählte es bekanntlich in der politischen Diskussion um Klassenzugehörigkeit und Nationalstaat zu den hitzigsten und richtungsweisendsten Kontroversen, ob beispielsweise der deutsche Arbeiter dem französischen oder russischen nicht viel näher stehe als seinem Landesherrn, man also am Vorabend imperialistischer Kriege für einen gänzlich andersgearteten Frontverlauf der Auseinandersetzung eintrete. Diese Frage für historisch längst und abschließend entschieden zu erklären, weshalb man sie getrost vernachlässigen könne, zeugt vom notorischen Dilemma der Geschichtsbetrachtung, die nachträglich logische Zusammenhänge und gesetzmäßige Verläufe interpretativ zu konstatieren versucht, indem sie die Meßlatte aggressivsten Durchsetzungsvermögens anlegt.

Im Zuge der Erörterung, ob Demokratie mit Imperiumsbildung vereinbar sei, verweist Münkler darauf, daß demokratische Gesellschaften Kriege in erster Linie einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterwerfen und häufig als ineffizient und zu kostspielig ablehnten. Da die Bevölkerung nur schwer für Kriegsentscheidungen zu gewinnen sei, würden viele Konflikte verdeckt ausgetragen oder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen begonnen. So wurde das Luftbombardement Nordvietnams mit dem sogenannten Tonking- Zwischenfall begründet, das amerikanische Eingreifen am Golf mit der angeblichen Tötung kuwaitischer Brutkastenbabys durch irakische Soldaten forciert und die vorgebliche Bedrohung der freien Welt durch Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins beschworen. Wie der Autor zu Recht feststellt, durchziehe die amerikanischen Interventionsbegründungen eine breite Spur von Täuschungen und Lügen.

Bemerkenswert sind indessen die Konsequenzen, die Münkler aus diesem Faktum zieht:

Deren Aufklärung ist regelmäßig als Beleg für die abgründige Verlogenheit der amerikanischen Politik genutzt worden, die Bedrohungen und Gefahren inszeniert, um eigene Interessen durchzusetzen und ihren Einflussbereich auszuweiten. Was dabei zumeist übersehen wird, ist der strukturelle Zwang zur Inszenierung von Bedrohungen, um die demokratische Öffentlichkeit zur Übernahme imperialer Verpflichtungen zu motivieren. Die Politik der Inszenierungen und Täuschungen dient dazu, die Lücke zwischen Demokratie und Imperium zu schließen.
Dass eine solche Politik auf Dauer demokratiegefährdend ist, steht außer Zweifel; dass sie auch angesichts der Erfordernisse imperialer Ordnung ein gefährlicher Notbehelf ist, gerät meist nicht in den Blick, da die Demokratie in unserem Selbstverständnis einen höheren Wert darstellt, als das Imperium (wenn es denn überhaupt als ordnungspolitischer Wert akzeptiert wird). Als die gewiß brisanteste Bedrohung der Demokratie hat Anfang der 1960er Jahre unter dem Decknamen Operation Northerwoods [sic] entworfene Plan von Generalstabsschef Lyman Lemnitzer zu gelten, wonach Terroranschläge verübt und Zivilisten in den Straßen amerikanischer Städte aus dem Hinterhalt erschossen werden sollten, um die politische Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung für eine Invasion Kubas zu bekommen. Zwar musste Lemnitzer nach Bekanntwerden dieser Pläne zurücktreten, aber der Verdacht, dass die US-Regierung nicht nur Bedrohungen inszeniert, sondern auch Angriffe gegen die eigene Bevölkerung durchführt, hat sich seitdem gehalten und ist nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu regelrechten Verschwörungstheorien ausgebaut worden. (S. 238)

Wie so oft führt auch in diesem Fall das Wissen um die lange Tradition der politischen Scharade seitens der Machtkomplexe nicht zwangsläufig dazu, dem gebotenen Mißtrauen den Zuschlag zu geben. Wer wie der Autor Anschlagspläne gegen die eigene Bevölkerung zitiert und beim 11. September 2001 mit dem lapidaren Verweis auf "Verschwörungstheorien" abrupt das Thema wechselt, scheint wenig Interesse an dem naheliegenden Verdacht aufzubringen, daß das lange zuvor konzipierte Muster letztendlich mit verheerender Wucht zur Anwendung gebracht worden sein könnte. In den verschwörungstheoretischen Topf wandern inzwischen abweichende Meinungen diversester Couleur, wobei der Generalverdacht des Absurden die Kontroverse zugunsten einer Diffamierung abschneidet.

In diesem Zusammenhang erweist sich einmal mehr, daß ausgiebige Recherche und umfassende Zusammenschau ein durchaus faktenreiches und schon allein deshalb lesenswertes Werk hervorbringen können, jedoch erst die Positionierung des Autors Informationen zu denkprägender Meinungsbildung lenkt und gerinnen läßt. Fakten sprechen keineswegs für sich, denn wo dies dennoch behauptet wird, hat man auf Grundlage einer spezifischen Sichtweise bereits vorab entschieden, was Fakten seien und wie man diese zuordnen müsse.

Wenn man im alten China und im Römischen Imperium, im Reich der Mongolen und russischen Zaren, im portugiesischen, spanischen oder britischen Weltreich und nicht zuletzt bei den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union die grundlegenden Prinzipien der Machtentfaltung und -erhaltung erörtert, droht man im Hochgefühl intellektuellen Erkenntnisgewinns fast zu vergessen, daß man damit noch lange nicht der Siegerseite zugehört. Wie also steht es um die zahllosen und größtenteils ungenannten Opfer imperialen Strebens, denn bekannt sind in der Regel vor allem jene Völker und Staaten, die den Imperien als Konkurrenten die Vorherrschaft streitig machten oder ihnen im Zuge der Expansion unterworfen wurden.

Münkler erinnert durchaus an den Widerstand germanischer Stammesbündnisse gegen das Vordringen der Römer, den spanischen Partisanenkrieg gegen napoleonische Truppen, die Kriege gegen die europäischen Kolonialherrn, den sowjetischen und jugoslawischen Partisanenkrieg gegen die deutsche Besatzung, das Debakel der Amerikaner in Vietnam oder jenes der Sowjetunion in Afghanistan. Unter der Stichwort expansive Überstreckung erörtert der Autor militärstrategische, politische, ökonomische und ideologische Aspekte im Zusammenhang mit dem erzwungenen Rückzug oder gar Zusammenbruch imperialer Mächte.

Das Imperium zieht sich als Administrator des umkämpften Raumes zurück und entlässt die dortige Bevölkerung in die politische Unabhängigkeit, aber sie kehrt nach einiger Zeit als Kontrolleur der Ströme von Waren und Dienstleistungen, Informationen und Kapitalzuflüssen zurück. Nun entstehen jene Formen sanfter Abhängigkeit, die weder durch Aufstände, noch durch einen Partisanenkrieg überwunden werden können. Die klassischen Waffen des antiimperialistischen Kampfes sind unter diesen Umständen stumpf - weil es das Imperium als repressive Macht nicht mehr gibt, wie die einen meinen; weil die Formen imperialer Repression und Ausbeutung elastischer und raffinierter geworden sind, wie die anderen behaupten. Bei dem Streit, der an der Peripherie imperialer Einflusszonen ausgetragen wird, geht es im Grunde um die Frage, ob der Gestaltwandel des Imperiums auf eine Veränderung seines Charakters von einem repressiven und ausbeuterischen zu einem Frieden sichernden und Wohlstand fördernden Regime hinausläuft oder ob die imperiale Unterdrückung und Ausbeutung lediglich unsichtbar geworden ist, letzten Endes jedoch unverändert fortbesteht. (S. 199/200)

Während sich der Politikwissenschaftler auch hier der Gepflogenheit seines Berufsstandes bedient, die Kontroverse zu moderieren, ohne ersichtlich für eine der beiden einander widersprechenden Positionen Partei zu ergreifen, ist die Diktion doch beredt genug, um die Offenlassung als implizites Votum zuordnen zu können. Der historisch zu nennende Diskurs im Kontext der Befreiungskriege, der bis zu der entschiedenen Auffassung reicht, daß angesichts globaler Verflechtung und Einflußnahme von Freiheit nicht die Rede sein könne, so lange irgendwo Unfreiheit existiere, hat Frieden und Wohlstand längst den ihnen gebührenden Platz im Gefüge der Herrschaft zugewiesen. So erstrebenswert sie dem Menschen im Kontrast zu Krieg und Elend zwangsläufig erscheinen, bleiben sie doch nur ein zugewiesener Bruchteil zuvor grundsätzlich entrissener Lebens- und Gestaltungsmöglichkeiten.

Der Autor stellt die Akteure antiimperialistischer Kämpfe als Partisanenkrieger dar und in schlimmeren Fällen führt er sie unhinterfragt als Vertreter des an Illegalität und Gesetzlosigkeit nicht mehr zu überbietenden Terrorismus an, um sie in der Sache und als Menschen zu demontieren:

In einem ganz allgemeinen Sinn bemühen sich Partisanenkrieg und Terrorismus als asymmetrische Formen der antiimperialen Kriegführung, das Friedensversprechen des Imperiums und die damit verbundenen Sicherheitsgarantien zu dementieren. Das, was die imperiale Ordnung nicht nur im Zentrum, sondern auch an der Peripherie und über diese hinaus attraktiv macht, soll zerstört werden, um mittel- und langfristig die Akzeptanz der imperialen Ordnung abzuschmelzen. (S. 189)

In dieser Diktion zeichnet sich bereits die Auffassung ab, daß das Imperium über ein bloßes Versprechen hinaus selbst an seiner Peripherie durchaus attraktiv sei, aber ungeachtet seiner letztendlichen Vorteile doch von den Partisanen und Terroristen unterminiert werde. Und Münkler wird noch deutlicher, wenn er konstatiert, es habe kaum eines der Länder, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine Unabhängigkeit in einem Partisanenkrieg erkämpfte, am Ende des Jahrhunderts auch nur annähernd die Ziele erreicht, die für die ersten Jahre nach der Unabhängigkeit gesteckt worden waren.

Daraus zieht er den Schluß, daß antiimperiale Akteure besser daran getan hätten, das Mittel des Partisanenkriegs zu meiden, wenn es ihnen denn in erster Linie um eine wirtschaftliche Besserstellung gegangen wäre. Mit dieser Erkenntnis sei der Niedergang des Marxismus, der ehemaligen Leitideologie der Befreiungskriege, eng verbunden. Und so sei er bereits längere Zeit vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion durch ethnisch-nationalistische und vor allem religiös-zivilisatorische Ideologien abgelöst worden. Diese hätten aus ihrer Sicht den Vorteil, daß sie den Erfolg des antiimperialen Kampfes nicht von sozioökonomischen Faktoren abhängig machten, da es ihnen um die Bewahrung ethnischer, kultureller oder religiöser Identität gehe. Krieg und Gewalt hätten damit ihren instrumentellen Charakter verloren und eine existentielle Dimension bekommen. Wichtiger als das Ergebnis sei der Kampf um des Kämpfens willen.

Nicht nur, daß Münkler vom "klassischen Terrorismus" spricht, wenn von den russischen Anarchisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts die Rede ist und er damit einen erst in den letzten Jahrzehnten geprägten Begriff unzulässig auf historische Verläufe reprojiziert, er schließt sich vielmehr auf ganzer Linie einem ideologischen Konstrukt des Terrors um seiner selbst willen an, der allein in Reaktion auf die drohende kulturelle Überfremdung seitens des Westens, die noch dazu im strategischen Sinne unbeabsichtigt erfolge, entstehe.

Hunger, Elend, Krankheit und Sterben, wie sie die alltägliche Lebenswirklichkeit des überwiegenden Teils der heutigen Menschheit bestimmen, der mit dem Begriff "Peripherie" in einer machtzentrierten Weltsicht ausgegrenzt wird, werden damit als naheliegendste und plausibelste Gründe antiimperialen Kampfes ausgeschlossen. Um der Auflehnung jede Legitimität und Akzeptanz abzusprechen, setzte man den Terrorbegriff in die Welt, der als innovatives Konzept des Bösen in den Rang einer unanfechtbaren Letztbegründung erhoben wird.

Wenn daher im Klappentext des Buches programmatisch die Fragen aufgeworfen werden, wodurch sich Imperien auszeichnen, welche Gefahren eine imperiale Ordnung berge und welche Chancen sie biete, scheinen diese insofern rhetorischer Natur zu sein, als der Frage nach den Vorteilen imperialer Expansion längst der Zuschlag gegeben wurde. Für die Verdammten dieser Erde - um mit Frantz Fanon zu sprechen, den Herfried Münkler in einem einzigen Satz für gescheitert erklärt -, ist eine Chance freilich eine Option, die sie am allerwenigsten von imperialer Herrschaft zu erwarten haben.

14. Oktober 2005


Herfried Münkler
Imperien
Die Logik der Weltherrschaft -
vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten
Rowohlt Verlag, Berlin 2005
332 Seiten
ISBN 3-87134-509-1