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REZENSION/322: Gazi Cagla/Hagan Ates Bakar - Die USA im Nahen Osten (SB)


Gazi Cagla/Hagan Ates Bakar


Die USA im Nahen Osten

Geschichte und Gegenwart einer imperialistischen Beziehung



Das Sternenbanner flattert vor dem Jerusalemer Tempelberg, von dem Teile der Klagemauer und des Felsendoms zu sehen sind - schon der Umschlag des Buches "Die USA im Nahen Osten" stellt klar, daß es um Dominanz und Unterwerfung geht. Die Autoren Gazi Caglar und Hakan Ates Bakar haben mit "Die USA im Nahen Osten" auf instruktive und pointierte Weise die "Geschichte und Gegenwart einer imperialistischen Beziehung" geschildert, die die Welt einmal mehr in Atem hält. So nimmt das Verhältnis zwischen dem Westen und dem Iran einige Seiten des Buches ein und erinnert daran, daß die Islamisierung des Landes vermeidbar gewesen wäre, wenn Britannien und die USA nicht bereits in den fünfziger Jahren seine demokratische Entwicklung brutal unterbrochen hätten. Seit der iranischen Revolution 1979 befindet sich das Land wieder im Visier US-amerikanischer Globalstrategen, die nicht davor zurückschrecken, es mit Atomwaffen zu bedrohen oder Israel einen "Präventivschlag" zu empfehlen, "der der Welt eine Menge Ärger ersparen könnte", so der kalte Krieger Alexander Haig noch vor Beginn des Terrorkriegs im Juli 2001. Daß die iranische Regierung unter diesen Bedingungen eben das tun könnte, was man ihr zwecks Legitimation eines Überfalls auf das Land anlastet, sollte nicht weiter erstaunen.

Die Autoren legen besonderen Wert auf die Analyse des neokolonialistischen und imperialistischen Übergriffs, den die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Britannien sowie die an ihre Stelle getretenen USA zu verantworten haben. Der Nahe und Mittlere Osten ist zutiefst gezeichnet von den Folgen seiner Unterwerfung unter die Interessen westlicher Staaten, die die Region zum Zwecke der Energiesicherung, als Rohstofflieferant, Hort billiger Arbeitskraft, Absatzmarkt für Rüstungsgüter und geostrategisches Aufmarschgebiet zu kontrollieren trachten. Dabei geben die USA als mit Abstand größte Militärmacht und einflußreichster Akteur in den supranationalen Aufsichtsorganen der Weltwirtschaft den Grad an Aggressivität und die Tiefe der Eingriffe vor, mit denen die Region für westliche Kapitalinteressen erschlossen wird.

Ein halbes Jahr nach Erscheinen des Buches im September 2005 steht der Nahe und Mittlere Osten vor einer Eskalation der Gewalt und Not, die die angeblich humanitären und demokratischen Motive des westlichen Interventionismus nicht krasser widerlegen könnten. Im Irak sind laut der Koordinationsstelle Unabhängige Hilfsorganisationen NCCI 26 Prozent der Bevölkerung unterernährt, 20 Prozent leben unter der Armutsgrenze und 1,5 Millionen Bürger sind aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben worden (Neues Deutschland 19. April 2006). Der Zustand der öffentlichen Infrastruktur hat immer noch nicht Vorkriegsniveau erreicht, das bereits aufgrund des UN-Embargos kaum erträgliche Lebensbedingungen bewirkte. Trotz des Hungers und der Abhängigkeit fast aller Iraker von subventionierten Nahrungsmitteln wurden die dafür bereitgestellten Regierungsmittel auf Druck des Internationalen Währungsfonds von vier Milliarden Dollar pro Jahr auf drei Milliarden gekürzt, gleichzeitig explodieren die Preise für Grundnahrungsmittel, was nichts anderes bedeutet, als daß den Irakern die freie Marktwirtschaft in Haut und Knochen gebrannt werden soll.

In Palästina bestrafen die USA, EU und Israel die Bevölkerung mittels finanzieller wie physischer Aushungerung dafür, die falsche demokratische Wahl getroffen zu haben. So führen sie den Menschen der Region vor Augen, daß ihr Demokratismus so autoritär ist wie die arabischen Regime, die sich von den USA alimentieren lassen, während der Westen gleichzeitig die angebliche Rückständigkeit der zivilgesellschaftlichen Entwicklung als Vorwand für Bevormundungen aller Art nutzt. Die damit einhergehende Diskreditierung demokratischer Selbstbestimmung ist Wasser auf die Mühlen aller reaktionären Kräfte, die das Heil in der restriktiven Moral eines in Abgrenzung zum westlichen Liberalismus besonders fundamentalistischen Islam suchen.

Diesen Stand der Dinge reflektieren die Autoren anhand der jüngeren Geschichte der Region unter besonderer Beachtung des Osmanischen Reichs, das sie angesichts der vorrangigen Bedeutung der vielen Glaubensformen, die in friedlicher Koexistenz unter dem gemeinsamen Dach einer relativ dezentral organisierten Administration lebten, als multireligiös und multilingual und nicht multiethnisch verfaßt verstanden wissen wollen. Unter Verweis auf den Hegemoniebegriff Antonio Gramscis leisten sie eine Rehabilitation der Gesellschaften unter osmanischer Herrschaft, die die simplifizierenden Erklärungsmuster westlicher Kulturwissenschaftler und Orientalisten als Projektionen eigener Engstirnigkeit und Suprematie erkennen lassen. Der Niedergang des Osmanischen Reichs, seiner kulturellen Vielfalt, seiner religiösen Toleranz und seiner zivilgesellschaftlichen Institutionen geht mit seiner Integration in den kapitalistischen Weltmarkt einher, die unter anderem durch die Übernahme der osmanischen Staatsfinanzen durch die europäischen Mächte erzwungen wird.

Die Neuordnung der Region durch die Siegermächte des Ersten Weltkriegs wird von den Autoren im Lichte des Widerspruchs zwischen westlicher Nationalstaatsideologie und tradierter Heterogenität kritisch bewertet:

Die Nation als 'imaginäre Gemeinschaft' (Anderson 1996) betrat zusammen mit der militärischen, ökonomischen und kulturellen Suprematie des Imperialismus die neue geschichtliche Bühne des Nahen Ostens und wurde seither zur Ideologie der Aufrechterhaltung der Herrschaft konservativer und autoritärer Herrschaftsblöcke einerseits und zur erleichterten Durchsetzung imperialistischer Interessen andererseits.
'Eine Nation ist ein Volk im Besitz eines Staates' (vgl. Deutsch 1972: 204). Nein, vielmehr sind Nationen und das 'Volk' als scheinbare Quelle der Souveränität neue Legitimationsideologien des modernen Staates als einem Vermittlungs- und Gewaltapparat der herrschenden Klassen und Schichten. Sie werden 'kreiert' in einem komplizierten historischen Prozess der Homogenisierung des Marktes und der Bevölkerung sowie der Schaffung zentralstaatlicher Institutionen, also der Homogenisierung der Bürokratie und der Militärmacht sowie der Bildung und der Sprache (vgl. Wallerstein 1979/1984/1995). Im Nahen Osten sind diese Legitimationsideologien bis heute brüchig. Die 'Nation' und das 'Volk' sind in einer permanenten Krise, weil die reaktionären, autoritären und ultrakonservativen Regime der herrschenden Blöcke es nicht vermocht haben, eine ökonomische Basis für einen Konsens zwischen den Herrschenden und Beherrschten herzustellen und diesen Ideologien eine gewisse zivilgesellschaftliche Basis zu geben. 'Nation' wie 'Volk' sind im Nahen Osten nicht anders als in Europa vor allem Gewaltprojekte, die unzähligen Menschen das Leben gekostet haben und weiterhin kosten.
(S. 32 f.)
Als wesentliche Triebkraft westlicher Einflußnahme nennen Caglar und Bakar den Drang zum Erlangen der Verfügungsgewalt über den Schmierstoff kapitalistischer Weltwirtschaft. Zwar neigen die Autoren nicht zur profanen Einseitigkeit, mit der die Mehrschichtigkeit imperialistischer Interessen auf einen bloßen Raubzug reduziert wird, der sich in den Gewinnen der Ölkonzerne materialisiert, doch sie weisen der Kontrolle über die Erdölressource primären Stellenwert zu und belegen dies mit den Übergriffen, mit denen insbesondere die USA versucht haben, die jeweilige Nationalisierung der Ölrente zu verhindern und die Verwertung dieses nicht nur zur Energieerzeugung, sondern auch der Produktion zahlreicher hochwertiger Erzeugnisse der chemischen Industrie unentbehrlichen Rohstoffs in eigener Regie zu betreiben.Im Rahmen dieser Zielsetzung werden die Strategien und Ergebnisse des Aufstiegs der Vereinigten Staaten von Amerika zur Hegemonialmacht des Nahen Ostens vom Ersten Weltkrieg bis heute transparent gemacht. Dabei sind die Einbindung der Türkei in das NATO-System und die US-Hegemonie als Verbündeter Israels, die Ausschaltung des Irak als aufstrebende Mittelmacht, die Instrumentalisierung des Islam als Waffe gegen den sowjetischen Einfluß und die Folgen dieser Strategie im "langen Krieg" (S. 101), so seit neuestem auch der offizielle Titel Washingtons für den mit dem 11. September 2001 ausgerufenen Terrorkrieg, von besonderem Interesse. Der Vergleich des Versuchs der USA, dem Irak eine Regierung nach ihrem Willen aufzuoktroyieren, mit der äquivalenten Episode aus dem von Britannien dominierten Staatenbildungsprozeß im Irak der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts oder die Kontingenz, mit der die USA sich auf die Seite regionaler Kontrahenten schlagen, um mit einer Destabilisierung zulasten aller Beteiligten die eigene Vormachtstellung zu sichern, bieten aufschlußreiche Anhaltspunkte für die Bewertung aktueller Entwicklungen.Dem Bestreben Washingtons, die Region einer weiteren, dieses Mal US-amerikanischen Interessen genügenden Neuordnung zu unterwerfen, scheint der Irakkrieg jedenfalls keinen Abbruch getan zu haben. Hierzu ist lesenswert, was Caglar und Bakar zum Verhältnis der USA zu Israel und beider zu den Palästinensern zu sagen haben. Dieser, wie schon die Illustration auf dem Umschlag des Buches nahelegt, alle Probleme der Region wie ein Brennglas fokussierende Konflikt kann überhaupt nur dank des immensen finanziellen und rüstungstechnischen Einsatzes der USA am Leben gehalten werden, wäre Israel doch ohne diese Hilfe nicht überlebensfähig. Gleichzeitig sichern die USA ihre Vorherrschaft ab, indem sie die Regime in Ägypten und Jordanien durch Militärhilfe respektive in Saudi-Arabien durch die Lieferung hochwertiger Rüstungsgüter von sich abhängig machen.Diese Politik ist nur scheinbar ambivalent, denn Washington trägt Sorge dafür, daß die arabischen Regierungen untereinander so verfeindet und ihre Gesellschaften so voller sozialer Bruchlinien bleiben, daß sie keine reale Gefahr für Israel darstellen können. Wo essentielle Interessen des jüdischen Staates wie die Kontrolle über das Süßwasser berührt sind, kämen die USA nicht darauf, etwa auf eine gerechte Verteilung dieser kostbaren Ressource zu drängen. So verfolgen auch die von Washington vermittelten Friedensabkommen stets das Ziel eines mehr oder minder großen Ausverkaufs palästinensischer Interessen, wie die Autoren mit einem Zitat Noam Chomskys zum Osloer Friedensprozeß belegen. Daß sie gleichzeitig die islamistische Hamas für dessen Scheitern verantwortlich machen, ist ein Widerspruch ihrer Analyse, die in der Bewertung des Islamismus als einer ausschließlich reaktionären und opportunistischen Kraft wurzeln.So scheint zumindest die derzeitige Entwicklung nicht das Urteil der Autoren zu bestätigen, daß der Islamismus, sobald er in einem Land an die Macht käme, nicht lange brauche, um zu zeigen, "wie bereit er zur Zusammenarbeit mit den USA" (S. 151) sei. Auch wenn sich dies aus dem fundamentalistischen und antikommunistischen Gehalt seiner Doktrin zu ergeben scheint, wirkt die Eskalation zwischen den USA und dem Widerstand im Irak sowie der iranischen und palästinensischen Regierung eher so, als treibe der neokonservative Übergriff US-amerikanischer Imperiumsstrategen auf eine Konfrontation zu, deren eliminatorische Tendenz am Feindbild des Islam wirkmächtig wird. Zweckbündnisse zwischen Islamisten und Imperialisten werden in dem Maße unwahrscheinlicher, als das auch westliche Gesellschaften in Mitleidenschaft ziehende Herrschaftskonzept des Terrorkrieges der Stigmatisierung der Islamisten als Hort des Bösen bedarf.

Dies zeigt sich auch in der von den Autoren als islamophob kritisierten Entmündigung muslimischer Staatsdienerinnen durch das ihnen in Deutschland exklusiv auferlegte Kopftuchverbot und die Instrumentalisierung der Interessen muslimischer Frauen als Kriegsvorwand. Die Verlogenheit des scheinemanzipatorischen Anliegens imperialistischer Frauenbefreiung hat, wie Caglar und Bakar mit gebotener Deutlichkeit feststellen, nichts an der Unterdrückung nicht nur islamischer Frauen durch Ausbeutung und Krieg geändert, sondern patriarchalische Gewalt auch noch befördert.

In ihrer Schlußbetrachtung lenken die Autoren den Blick auf die Folgen ökonomischer Not und politischer Diskriminierung, die imperialistische Kriege nicht nur an ihren Austragungsorten, sondern insbesondere bei Flüchtlingen und Migranten auch im Westen zeitigen. Dort stellen sie die vorrangigen Angriffspunkte einer Strategie der Ausgrenzung und Unterdrückung dar, die alle Menschen betreffen soll, die für die kapitalistische Verwertung überflüssig geworden sind oder darauf bestehen, sich nicht vorschreiben zu lassen, wie sie zu denken und handeln haben. Die Kämpfe im Nahen und Mittleren Osten sind mit den Lebensbedingungen in den westlichen Metropolen auf vielfältige Weise verknüpft, so daß es allemal Anlaß gibt, sich für die Situation der dort lebenden Menschen zu interessieren. Insbesondere dem Leser, der sich einen ersten großen Überblick aus herrschaftskritischer Sicht verschaffen will, leistet das vorliegende Buch vorzügliche Dienste.


UNRAST-Verlag, Münster, 2005
175 Seiten, Euro 14,00
ISBN 3-89771-020-X


23.04.2006