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REZENSION/378: Caoimhghin O'Croidheáin - Language from Below (SB)


Caoimhghin O'Croidheáin


Language from Below

The Irish Language, Ideology and Power in 20th-Century Ireland



91 Jahre nach dem Osteraufstand von 1916 sind die Ziele dieses gewagten Unternehmens, wie sie einst von Patrick Pearse, dem Verleser der Unabhängigkeitserklärung und später vom britischen Militär hingerichteten Kommandeur der revolutionären Irish Republican Brotherhood (IRB) formuliert worden sind, nämlich ein Irland nicht nur frei, sondern auch gälisch sprechend, noch lange nicht realisiert. Sowohl die volle politische, als auch die kulturelle Unabhängigkeit lassen auf sich warten.

Die Republik Irland ist Mitglied der Vereinten Nationen und der Europäischen Union, aber nicht der NATO, weil militärisch neutral. Die strittige Frage der völkerrechtlichen Zugehörigkeit des Nordostens der Insel soll nach dem Abschluß des Karfreitagsabkommens vom 1998 nicht mehr Gegenstand von Kämpfen zwischen katholischen Nationalisten und protestantischen Unionisten sein, sondern ausschließlich mit friedlichen Mitteln geregelt werden. Demnach bleibt Nordirland im Vereinigten Königreich mit Großbritannien so lange, wie die Mehrheit der Bevölkerung in den Sechs Grafschaften dies wünscht. Gleichzeitig hat das Karfreitagsabkommen eine Reihe von allirischen Institutionen einschließlich eines Nord-Süd-Rates geschaffen, die nach Meinung nicht nur des Premierministers in Dublin, Bertie Ahern, sondern auch von Gerry Adams, dem Vorsitzenden der IRA-nahen Partei Sinn Féin, über kurz oder lang die Wiedervereinigung der Insel herbeiführen werden. Hinzu kommt, daß der wirtschaftliche Erfolg des mehrheitlich katholischen Südens in den letzten Jahrzehnten die früheren, nachzuvollziehenden Befürchtungen der Ulster-Protestanten, im Armenhaus Europas zu landen, gegenstandslos gemacht hat.

Was die kulturelle Eigenständigkeit Irlands betrifft, so sieht die Bilanz trotz oder vielleicht gerade wegen der folkloristischen und PR-gerechten Überhöhung der "grünen Insel" mit ihrer malerischen Landschaft, ihren berühmten Kneipen und Feenbergen mager aus. Zwar hat das Land mit Samuel Beckett, James Joyce und William Butler Yeats jeweils den vielleicht größten Dramatiker, Romancier und Dichter des 20. Jahrhunderts vorzuweisen, doch Yeats und Joyce schrieben fast ausschließlich auf Englisch, obgleich in "Finnegan's Wake" des letzteren nicht wenige gälische Wortfetzen eingingen. Und Beckett verfaßte einige seiner wichtigsten Theaterstücke, darunter "Warten auf Godot", auf französisch. Fast die Hälfte der rund vier Millionen Bürger der Republik Irland geben an, gälisch, und sei es nur rudimentär, sprechen zu können. Etwa 400.000 geben an, die Sprache im Alltag zu verwenden. Doch zieht man die Anzahl derjenigen Lehrer und Studenten im Bildungssystem, wo von gesetzwegen Gälisch quasi Pflichtfach ist, ab, sind es nur rund 70.000 Iren, welche die Sprache ihrer Vorfahren tatsächlich jeden Tag sprechen. (1)

Der Frage, wie es zu dieser traurigen Situation kommen konnte und was man dagegen unternehmen könnte, um ein nicht unwichtiges Kulturerbe der Menschheit nicht nur zu retten, sondern ihm zu neuer Blüte zu verhelfen, widmet sich Caoimhghin O'Croidheáin in seinem Buch "Language from Below - The Irish Language, Ideology and Power in 20th-Century Ireland". Überraschend und gleichzeitig begrüßenswert ist die Tatsache, daß sich O'Croidheáin, obwohl er für die Arbeiten zu diesem Buch finanzielle Hilfe und Unterstützung der School of Applied Languages and Intercultural Research an der erst seit 1980 existierenden Dublin City University (DCU) erhalten hat, die sich vornehmlich als Bildungszulieferbetrieb der Großindustrie versteht, einer marxistischen, materialistischen Analyse befleißigt (Einer interessanten Fußnote der Geschichte zufolge lernte Karl Marx' Unterstützter, Mitstreiter und Kollege Friedrich Engels, angeregt von Kontakten zu irischen Proletariern in der nordenglischen Industriemetropole Manchester, darunter seine Geliebte Mary Burns und deren Schwester Elisabeth, gegen Ende seines Lebens Gälisch und arbeitete an einer Geschichte Irlands). (2)

Doch es ist nicht nur das Gedankengebäude Marx', das O'Croidheáin in seiner Analyse umsetzt. In den ersten beiden Kapiteln einerseits über Ideologie, andererseits über Nation, Ethnizität und Sprache lernt der Leser die Ideen derjenigen Personen kennen, die in den letzten 200 Jahren in Irland und darüber hinaus die Diskussion um Nationalbewußtsein, Sprache, Ideologie und Dekolonialisierung maßgeblich bestimmt haben. Hierzu gehören unter anderem Johann Gottfried von Herder, Wilhelm von Humboldt, Thomas Davis, Antonio Gramsci, Franz Fanon, Máirtín O'Cadhain, Edward Said und Ngugi wa Thiongo'o. Tatsächlich hat Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts die europaweite Rezeption von James MacFergusons Version der altkeltischen Sagen um Oisín (Ossian), seinen Vater Fionn MacCumhal und dessen Kriegerkaste Na Fianna auf die Sturm-und-Drang-Bewegung und die anschließende Romantik großen Einfluß gehabt. Nicht umsonst erklärte seinerseits Johann Wolfgang von Goethe: "Ossian hat in meinem Herzen den Homer verdrängt." (3)

In den Kapiteln drei und vier untersucht O'Croidheáin die Sprachpolitik in Irland jeweils von 1893 bis 1945 und von 1945 bis 2000. 1893 gilt deshalb als Wendepunkt, weil in jenem Jahr unter der Leitung des Sprachforschers Douglas Hyde in Dublin Conradh na Gaeilge gegründet wurde. Die Gründung eines Vereins, dessen erstes Ziel die rechtliche Gleichstellung der gälischen Sprache mit dem Englischen war, löste eine kulturelle Erneuerungsbewegung aus, deren politische Höhepunkte der Osteraufstand von 1916 und der Unabhängigkeitskrieg 1920/21 waren. Sechs der sieben Unterzeichner der Erklärung der Unabhängigkeit Irlands vom British Empire, die deswegen von den britischen Militär hingerichtet wurden, waren Conradh-Mitglieder. Dies gilt ebenfalls für Michael Collins und Eamonn De Valera, deren Anhänger sich nach der Gründung des "Freistaats" im Süden Irlands und der Teilung der Insel 1922 einen kurzen, aber heftigen Bürgerkrieg lieferten.

O'Croidheáin erklärt recht dezidiert, welche Bemühungen der irische Staat durch die Jahrzehnte unternommen hat, um Gälisch nicht nur de jure, sondern de facto zur ersten Sprache des Landes zu machen, und weswegen dies gescheitert ist. Nach der politischen Trennung vom Vereinigten Königreich war das Bedürfnis der neuen irischen Staatselite nach kultureller Eigenständigkeit nicht mehr so wichtig wie einst unter britischer Herrschaft. Vieles, was über die Jahre geleistet wurde, hat symbolhaften, wenn nicht archivarischen Charakter. Die Politiker verordneten zum Beispiel, daß alle Kinder in der Schule Gälisch lernen mußten, selbst benutzten sie es kaum und wenn, dann hauptsächlich nur die berüchtigten "cúpla focal" ("paar Wörter"), um das Gesicht zu wahren und vermutlich in einem Akt des Aberglaubens die toten Ahnherrn bei Laune zu halten. Dies brachte natürlich Apathie, Ressentiments und Zynismus hervor, die bis heute noch anhalten.

Mit der Öffnung für das internationale Kapital ab den sechziger Jahren kam die Abkehr vom erklärten Ziel eines "gälischen" Irlands hin zur politischen Akzeptanz der real existierenden Zweisprachigkeit. Tatsache ist jedoch, daß Gälisch nach wie vor benachteiligt ist und über die Jahre vom Staat regelrecht vernachlässigt wurde. Erst auf Druck interessierter Bürger hat die Regierung in Dublin 1972 Radió na Gaeltachta und 1996 den gälischen Fernsehsender TG4 aus der Taufe gehoben. Gerade in den letzten zehn Jahren hat TG4 viel dazu beigetragen, das überkommene und nie richtig zutreffende Klischee vom sozialkonservativen Gälischsprecher zu überwinden. Seit Anfang der neunziger Jahren wird eine neue Gaelscoil - eine Schule, in der Gälisch die Hauptunterrichtsprache ist - nach der anderen gegründet. Nach einer erfolgreichen Bürgerkampagne hat die derzeitige Ahern-Regierung das Versäumnis der Administration von Jack Lynch, beim Beitritt Irlands 1973 zur damaligen Europäischen Gemeinschaft, der heutigen EU, Gälisch als offizielle Arbeitssprache einzuführen, wiedergutgemacht. Seit dem 1. Januar dieses Jahres hat die irische Sprache in der EU diesen Status.

In den letzten Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, daß die irische Sprache langsam wieder im Kommen ist. Dafür sind nicht nur die vielen Gaelscoileanna und die Popularität von TG4, sondern auch die plötzliche Präsenz auf der Kinoleinwand - ein wichtiger Gradmesser kultureller Grundströmungen - ein Indiz. So spielt die gälische Sprache in dem Oscarpreisträger "Million Dollar Baby" von Clint Eastwood aus dem Jahr 2005, nämlich in Form des Spitznamens der von Hilary Swank gespielten, irisch-amerikanischen Boxheldin "Mo chuisle" ("Mein [Herz]-Schlag"), sowie in Ken Loachs "The Wind that Shakes the Barley" eine Schlüsselrolle. Loachs Drama über den irischen Unabhängigkeits- und anschließenden Bürgerkrieg, das im letzten Frühjahr in Cannes die Goldene Palme gewann, war 2006 Kassenschlager in den irischen Kinos. Vor wenigen Wochen hatte auf dem Dubliner Filmfest der erste große Spielfilm auf Gälisch, eine von TG4 produzierte Adaption von Máirtín O'Cadhains literarischem Meisterwerk "Cré na Cille" Premiere. Nicht umsonst ist vor kurzem in der irischen Presse davon die Rede gewesen, daß Gälisch "vom Tode wiederauferstanden ist". (4) Wie O'Croidheáin im letzten Kapitel seines Buches zurecht anmerkt - eigentlich ist es sein Hauptanliegen -, darf jedoch die erhoffte Wiederbelebung der gälischen Sprache niemals zum chauvinistischen Selbstzweck geraten, sondern sie dient, laut James Connolly, einem der Helden des Osteraufstands und dem größten Sozialistenführer Irlands, dem Erhalt des "revolutionären Geistes des Volkes". Diesem internationalistischen Geist ist O'Croidheáin mit seinen höchst aufschlußreichen Erläuterungen mehr als gerecht geworden.


Fußnoten:
1. Tomás Mac Síomóin, "ó MHARSA go MAGLA - Straitéis nua don Ghaeilge",
    Coiscéim, Dublin, 2006, S. 11.
2. Daniel Cassidy, "From Five Points to Gaza - 'S lom to Slum",
    Counterpunch, 4. September 2006.
3. DTV-Lexikon, München, 1972 (Siehe Band 12, Mach-Muns, S. 10,
    Eintragung zum schottischen Dichter James MacPherson, 1736-1796)
4. Damien Corless, "The language that rose from the dead",
    Irish Independent (Review Section), 6. Januar 2007, S. 9.


12. April 2007


Caoimhghin O'Croidheáin
Language from Below
The Irish Language, Ideology and Power in 20th-Century Ireland
Peter Lang AG, International Academic Publishers, Bern, 2006
345 Seiten
ISBN: 3-03910-171-4
US-ISBN: 0-8204-6981-5