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REZENSION/425: Gabriel Kolko - Machtpolitik ohne Perspektive (SB)


Gabriel Kolko


Machtpolitik ohne Perspektive

Die USA gegen den Rest der Welt



Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen derzeit am Beginn der schwersten Rezession seit der Depression in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Am 4. Februar hat Präsident George W. Bush dem Kongreß einen Haushaltsentwurf für das Fiskaljahr 2009 in Höhe von 3,1 Billionen Dollar vorgelegt - offizielle Ausgaben für das Militär von sage und schreibe 515,4 Milliarden Dollar inklusive. Nicht enthalten sind darin die gigantischen Folgekosten, welche die Kriege im Irak und in Afghanistan zum Beispiel für die medizinische Versorgung von Zehn- oder Hunderttausenden erkrankter und verletzter Veteranen verursachen werden. Die Defizite der USA im Staatshaushalt sowie im internationalen Handel explodieren geradezu, weshalb der Dollar aktuell Gefahr läuft, seinen Platz als internationale Leitwährung, den er seit 1945 innehat, zu verlieren. Nichtsdestotrotz hat vor wenigen Tagen der republikanische Präsidentschaftskandidat Senator John McCain, der gute Chancen hat, im November zum Nachfolger von Bush jun. gewählt zu werden, auf die Frage nach seinem Rezept für die wirtschaftlichen Probleme der USA geantwortet, die Ökonomie sei zweitrangig, denn die Zukunft Amerikas hänge vom Sieg im "globalen Antiterrorkrieg" gegen den "islamischen Extremismus" ab.

Von solcher Irrationalität handelt Gabriel Kolkos jüngstes, empfehlenswertes Buch "Machtpolitik ohne Perspektive - Die USA gegen den Rest der Welt". Darin erläutert der 1932 geborene kanadische Professor die Gründe für den Militarismus, dem zu frönen die politische Elite in Washington für ihr natürliches Recht hält, mit dem sie unter anderem den Anspruch Amerikas, für "Frieden" und "Stabilität" auf der Welt zu sorgen, auch begründet. Kolko, dessen 1999 erschienenes "Jahrhundert der Kriege" (Originaltitel "Century of War: Politics, Conflicts and Society") als Meisterwerk gilt, glaubt, daß "es in der gesamten Geschichte der Menschheit keine Epoche gegeben hat, die gefährlicher gewesen wäre als die unsrige" zu Anfang des 21. Jahrhunderts. Daran seien nicht die USA alleine schuld, doch Washingtons eisernes Festhalten am Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln lasse eine vernünftige und gemeinsame Bewältigung der anstehenden Probleme der Menschheit - Massenarmut, Ressourcenschwund, Klimawandel u. v. m. - nicht zu, so der führende Militärhistoriker unserer Zeit.

Für Kolko löst militärische Gewalt prinzipiell keine politischen Probleme, sondern verschlimmert sie nur noch. An zahlreichen Beispielen vom Koreakrieg, über Vietnam und dem Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern bis hin zu den derzeitigen Desastern im Zweistromland und am Hindukusch zeigt er, wie die Interventionen der USA Konflikte verschärften und ihre Lösung noch schwieriger machten. Dadurch ist es den USA gelungen, ihren Supermachtstatus zu bewahren, doch nach Meinung von Kolko läßt sich langfristig die globale Polizistenrolle nicht halten, weil die Welt dafür zu groß und zu kompliziert ist. Ähnlich anderen namhaften Kritikern der Außen- und Sicherheitspolitik der USA wie Chalmers Johnson, Michael Klare oder Howard Zinn sieht Kolko die USA bereits in einer Phase, in der sich die Überdehnungs- und Zerfallserscheinungen nicht mehr verheimlichen lassen, die bisherigen Verbündeten auf Abstand gehen und die Konkurrenten mutiger werden. In einer relativ einfachen und bildreichen Sprache macht Kolko vielschichtige geopolitische Verhältnisse jedem Leser leicht verständlich, wie folgendes Zitat zu einem Thema, das die internationale Politik der nächsten Jahrzehnte bestimmen dürfte, zeigt:

Es ist ausgeschlossen, dass die USA ihre Vorherrschaft in Ostasien aufrechterhalten können, und dies wäre auch gar nicht in ihrem Interesse. Dennoch wollen sie den chinesischen Einfluss in der Region partout nicht hinnehmen. China wird nicht von der Landkarte verschwinden, und es als "ebenbürtigen Konkurrenten" zu behandeln und einen Konflikt zu riskieren, ergibt keinen Sinn: China ist eine Atommacht. Sollte es zwischen China und den USA zum Krieg kommen, wird dies vorraussichtlich ein Atomkrieg sein. Washington unterstützt die Autonomie Taiwans und steht den Interessen und Ambitionen Chinas größtenteils feindselig gegenüber, auch wenn gelegentlich Gegenteiliges versichert wird. Stützpunkte und Truppen von Europa abzuziehen und in die Nähe Chinas zu verlegen, ist Teil der US-Eindämmungspolitik. Für die Zukunft verheißt das nichts Gutes, aber womöglich kommt den Amerikanern ja noch irgendetwas dazwischen. Wie auch immer, ihre globalen Ansprüche und Ambitionen bleiben dieselben, selbst wenn sie ihre Prioritäten vorübergehend neu ordnen und sich anderen Weltgegenden zuwenden. Das Interesse an der Aufrechterhaltung der Hegemonie in Ostasien zeugt von der Weltsicht, der Psychologie und den gefährlichen Ansprüchen der USA. In einer Zeit nuklearer Waffen ist eine solche Weltsicht an Dummheit nicht zu überbieten.
(S. 182)

Kolko wähnt die Menschheit "unaufhaltsam ihrem Untergang entgegen" gehend, sollte es ihr nicht gelingen, Kernwaffen abzuschaffen, wie der internationale Atomwaffensperrvertrag es vorschreibt, und das Problem der ungerechten Lebensverhältnisse endlich anzupacken. Deshalb heißt er den Vorschlag des Iran bezüglich einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten gut und verurteilt den von Bush und Donald Rumsfeld 2001 forcierten Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag mit Rußland, nur um einen Raketenschild in Betrieb nehmen zu können, bei dem es erhebliche Zweifel gibt, ob er jemals funktionieren wird. Für dieses und andere haarsträubende Beispiele eines völlig aufgeblähten Militärapparats macht Kolko die sich permanent um die Aufteilung des Pentagon-Etats streitenden Waffengattungen, Amerikas Rüstungsunternehmen und deren durch Wahlkampfspenden bezahlte Handlanger im Repräsentantenhaus, Senat und Weißen Haus verantwortlich.

In seiner Kritik greift Kolko gelegentlich jedoch zu kurz. Gemäß der offiziellen Verschwörungstheorie behauptet er zum Beispiel, daß die Ereignisse vom 11. September 2001 den US-Sicherheitsapparat vollkommen überrascht haben und daß es keine Verbindung zwischen den Verantwortlichen für die Flugzeuganschläge und denjenigen gegeben hat, die kurze Zeit danach tödliche Milzbrandbriefe an Politiker und Redakteure in Florida, New York und Washington verschickten und ganz Amerika in Angst und Schrecken versetzten. Zahlreiche Hinweise sprechen für das Gegenteil, nämlich daß bestimmte Elemente innerhalb des US-Machtapparats die Flugzeug- und Anthrax-Anschläge entweder passiv oder aktiv begünstigt haben, um im Innern den Polizeistaat zu installieren und sich freie Hand für das Abenteurertum in Übersee zu verschaffen.

Auch wenn Kolko zurecht konstatiert, daß sich Konflikte zwischen Ethnien, Gesellschaften, Nationen oder Religionen einzig durch Verhandlungen und nicht durch Waffengewalt wirklich bewältigen lassen, unterschätzt er eventuell die Bedeutung des ambitionierten Projektes, das Amerikas tonangebende Neokonservative seit 2001 erfolgreich in die Tat umsetzen. Für sie ist der Krieg das Gesellschaftsmodell schlechthin. Mittels "kreativer Zerstörung" - um den Begriff Michael Ledeens zu gebrauchen - wird die Region zwischen Mittelmeer und indischem Subkontinent genauso destabilisiert, wie die US-Staatskasse zugunsten der Schwerreichen sowie der Öl- und Rüstungsindustrie geplündert wird. Nach acht Jahren George W. Bush wird sich Amerika nicht nur zum Schurkenstaat, sondern auch quasi zum "gescheiterten Staat" entwickelt haben, an dessen Kadaver sich die Plutokraten mit ihren privaten Sicherheitsdiensten à la Blackwater noch lange gütlich tun werden.

Die Hoffnung Kolkos, aus dem weltweiten Widerstand gegen den angloamerikanischen Einmarsch 2003 habe sich eine von der EU angeführte, internationale Gegenmacht entwickelt, welche die Staaten zurück zum Völkerrecht, zur Rüstungskontrolle, zur Schlichtung ihrer Streitereien durch die Vereinten Nationen und zur Einhaltung der Menschenrechte führe, scheint leider fehl am Platz zu sein. Rechtzeitig zur diesjährigen Sicherheitskonferenz in München treten die wichtigsten deutschen Atlantiker, angeführt von dem Ex-Außenminister und Grünen-Chef Joseph Fischer, für den Einsatz der Bundeswehr im Süden Afghanistans ein - um der "Glaubwürdigkeit" Berlins willen. Und das, obwohl nach Meinung aller Experten, die etwas davon verstehen, der Konflikt mit den Taliban Mullah Omars nicht militärisch gelöst werden kann, sondern im Gegenteil den Atomstaat Pakistan zu destabilisieren droht. Daran kann man erkennen, daß es nicht nur die Machthaber in Amerika sind, die sich, wie Kolko es treffend formuliert, "mit Vorliebe kollektiven Illusionen hingeben".

8. Februar 2008


Gabriel Kolko
Machtpolitik ohne Perspektive
Die USA gegen den Rest der Welt
(Originaltitel "The Age of War - The USA Confronts the World",
aus dem Englischen von Maren Hackmann)
Rotpunktverlag, Zürich, 2007
327 Seiten
ISBN: 978-3-85869-356-3