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REZENSION/433: Daniel Cassidy - How The Irish Invented Slang (SB)


Daniel Cassidy


How The Irish Invented Slang

The Secret Language Of The Crossroads



In Deutschland gibt es eine auffällige Tendenz, zwischen Englisch und Amerikanisch zu unterscheiden. Bei deutschsprachigen Versionen von Büchern aus den USA oder Großbritannien wird in der Regel irgendwo angemerkt, erstere seien "aus dem Amerikanischen" und letztere "aus dem Englischen" übersetzt worden. Man könnte einwenden, es gebe gar keine Sprache, die "Amerikanisch" heiße, es handele sich hier um eine PR-Masche des deutschen Verlagswesens, und man hätte gute Argumente auf seiner Seite. Die Amerikaner nennen ihre Sprache Englisch, die Engländer das, was sie und ihre transatlantischen Vettern reden, ebenso. Wenn es "Amerikanisch" gäbe, müßte es dann nicht auch "Australisch", "Neuseeländisch" und "Kanadisch" geben? Der in Indien aufgewachsene, in Großbritannien berühmt gewordene Romancier Salman Rushdie lebt seit einigen Jahren genauso wie sein ebenfalls kaum weniger bekannter australischer Kollege Peter Carey in New York. Heißt das nun, sie schrieben "amerikanisch"?

Englisch, das sich in den letzten Jahren zur unumstrittenen Lingua franca entwickelt hat, weist zwischen seinen regionalen Variationen Unterschiede auf, ohne daß es gerechtfertigt wäre, von verschiedenen Sprachen zu reden. Da sich das britische und das amerikanische Englisch ohnehin über die elektronischen Medien - Internet, Film und Fernsehen - ständig aneinander anpassen, sind die Unterschiede zwischen ihnen nicht allzu gravierend. Wörter, die wie "centre" in den britischen Medien mit -re am Ende geschrieben werden, werden auf der anderen Seite des Atlantiks statt dessen mit -er am Ende buchstabiert. Ähnlich ist es mit den Endungen -our/or und -ence/ense. Folglich heißt in England Hafen "harbour" und in den USA "harbor". Und während in London das britische Ministry of Defence (MoD) steht, sehen die Amerikaner im Arlingtoner Pentagon ihr Department of Defense (DoD).

Der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen dem britischen und amerikanischen Englisch besteht in der Vielfältigkeit des letzteren, was den Slang betrifft. Dies hängt mit der Geschichte der Vereinigten Staaten als Einwanderungsland zusammen. Nicht nur aus dem sogenannten Mutterland Großbritannien, sondern auch aus Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien, den skandinavischen Ländern und Osteuropa hat die Alltagsprache der Amerikaner viele Impulse erhalten. Hierzulande gilt der Dollar, was vom deutschen Taler kommt, als das beste Beispiel dieses Phänomens. Schaut man jedoch in den Standardlexika der englischen Sprache, dem Webster's in den USA oder dem englischen Oxford, nach, bieten diese häufig keine Hilfe, wenn es um den Ursprung der Begriffe aus der amerikanischen Gauner- und Gossensprache geht. Mit trauriger Regelmäßigkeit stößt man auf den Hinweis, die Herkunft sei "unklar" oder liege "im dunkeln".

Daniel Cassidy hat für diesen Umstand, den er mit seinem Buch "How The Irish Invented Slang - The Secret Language Of The Crossroads" zu beheben versucht, eine plausible Erklärung. Ihm zufolge ist die Quelle eines nicht geringen, wenn nicht sogar des größten Teils der Slang-Wörter Amerikas die gälische Sprache, nach Latein und Altgriechisch die älteste Schriftsprache Europas, welche die britischen Eliten in jahrhundertelanger Kolonialherrschaft aus Irland und Schottland verdrängt und dort fast ausgelöscht haben. Folglich haben die angelsächsischen, protestantischen Bildungseliten auf beiden Seiten des Atlantiks bewußt oder unbewußt jede Spur jener Sprache, die sie selbst stets als barbarisches, unverständliches Kauderwelsch diffamiert und abgetan haben, in ihrem eigenen Wortschatz übersehen. Dem ist Cassidy mit seiner meisterhaften etymologischen Untersuchung des amerikanischen Slangs und seines häufig irischen Ursprungs energisch entgegengetreten. Zurecht ist er für dieses Werk mit dem American Book Award 2007 in der Kategorie Fachbuch ausgezeichnet worden. In den irischen Medien erntete das Buch große Anerkennung und ist sogar in einer Besprechung, die am 9. Januar in der Zeitung Lá Nua (Neuer Tag) erschienen ist, von Ciarán O'Pronntaigh als "wichtiger Schlag" im anhaltenden Kampf der gälischen Sprache ums Überleben gelobt worden.

Man schätzt, daß zwischen einem Drittel und der Hälfte der Millionen von Iren, die im 19. Jahrhundert in die USA einwanderten, aus den verarmten, gälischsprechenden Regionen im Westen der grünen Insel stammte. Angeregt durch die eigene Familiengeschichte hat es sich Cassidy, der im irisch-amerikanischen Milieu in New York aufgewachsen ist und heute als Professor für Irisch-Studien (Léann Éireannach) am New College of California in San Francisco arbeitet, zur Aufgabe gemacht, die sprachlichen Relikte dieser Völkerwanderung freizulegen. Das Ergebnis ist dermaßen verblüffend und anregend, daß im Vorwort der Schriftsteller Peter Quinn die Arbeiten Cassidys mit denen Jean-Francois Champollions, der vor rund 200 Jahren die Hieroglyphen Altägyptens entschlüsselte, vergleicht.

Auch wenn die Detektivarbeit des 63jährigen Cassidys nicht ganz so spektakulär wie die des Entzifferers des Rosetta-Steins ausfällt, so sind seine Schlußfolgerungen über den Einfluß des Gälischen auf das amerikanische Englisch fundiert und in der Regel nicht von der Hand zu weisen. Zu den überzeugendsten der zahlreichen Beispiele gehört die Erklärung für "dig" wie in "Can you dig it?". Dies stammt von dem gälischen Wort "tuig" für "verstehen". Auf gälisch heißt "Verstehst Du?" "An dtuigeann tú?". Hinzu kommen die Abschiedsformel "slán" ("tschüß") als Quelle für "so long", "póca" ("Tasche") für den Namen des Kartenspiels "Poker" und "teas" ("Hitze") für den Musikstil "Jazz". Diese und viele andere Erläuterungen belegt Cassidy mit Zitaten aus der Folk Music, aus verschiedenen Lexika, aus amerikanischen und irischen Zeitungsartikeln der letzten anderthalb Jahrhunderte, aus den Werken berühmter Schriftsteller wie James T. Farrell, James Joyce, Eugene O'Neill, Damon Runyon und Mark Twain sowie aus Hollywood-Klassikern mit Mae West und Jimmy Cagney. Nebenbei lernt man jede Menge über die Sozialgeschichte Amerikas, Irlands und Großbritanniens sowie die Welt des Profiboxens, des Baseballs, des Glückspiels und des organisierten Verbrechens. Besonders Personen, die beruflich mit dem Übersetzen von englischsprachigen Texten zu tun haben, kann man das Buch Cassidys wärmstens empfehlen.

3. April 2008


Daniel Cassidy
How The Irish Invented Slang
The Secret Language Of The Crossroads
Counterpunch, Petrolia (California), 2007
303 Seiten
ISBN: 978-904859604