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REZENSION/434: Brown - Plan B 2.0 ... Rettung der Zivilisation (Öko) (SB)


Lester R. Brown


Plan B 2.0

Mobilmachung zur Rettung der Zivilisation



Mit einer Investition von 161 Milliarden Dollar jährlich könnte die Welt vor dem Klimawandel und Ressourcenmangel gerettet werden. Davon ist der Gründer und Präsident des in Washington ansässigen Earth Policy Institute, Lester R. Brown, überzeugt. Durch den Hinweis, daß diese Summe nur unbedeutend verglichen mit den jährlichen Militärausgaben aller Staaten in Höhe von 975 Milliarden Dollar sei, versucht er, die Machbarkeit seiner Kalkulation plausibel erscheinen zu lassen. Wo und wie das Geld im einzelnen eingesetzt werden sollte, beschreibt er in seinem jüngsten Buch, das den programmatischen Titel "Plan B 2.0 - Mobilmachung zur Rettung der Zivilisation" trägt.

Auf insgesamt 384 Seiten zieht Brown zunächst einmal eine umfangreiche Bilanz des Ist-Zustands der natürlichen Systeme und daraus abgleitet der zu erwartenden Entwicklung, wenn nichts gegen Wassermangel, Verstädterung, Artensterben, Luftverschmutzung, Energieverschwendung, Bodenerosion, Desertifikation und viele, viele Mißstände mehr unternommen wird. Beispielsweise berichtet er in dem Kapitel über "Sinkende Wasserspiegel" (S. 71 - 79), daß in 15 Ländern, auf die mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung entfällt, die Grundwasserleiter zur Zeit kräftig überpumpt werden und der Zeitpunkt, an denen sie erschöpft sind, zeitlich zusammenfallen könnte. Darauf bezogen warnt er:

"... die Tatsache, dass die Entleerung der Grundwasserleiter immer schneller fortschreitet, bedeutet, dass dieser Tag sehr bald kommen und einen möglicherweise nicht mehr zu beherrschenden Lebensmittelmangel mit sich bringen wird."
(S. 79)

Wie die jüngsten Hungerrevolten in Haiti, Kamerun, Ägypten und weiteren Staaten zeigen, träfe der befürchtete Grundwasser- bzw. Nahrungsmangel auf eine bereits heute höchst prekäre Situation. Nicht minder dramatisch ist auch der gegenwärtige Verlust an Seen. So existierten vor zwanzig Jahren in der westchinesischen Provinz Qinghai 4.077 Seen - heute sind mehr als 2000 davon verschwunden. In der Provinz Hebei gingen sogar von einst 1052 Seen sage und schreibe 969 verloren (S. 84). Brown, der das fußnotenreiche Buch mit einer enormen Menge an wichtigen Informationen über die Umweltveränderungen und die begrenzte Tragfähigkeit der Erde versehen hat, wirkt geradezu getrieben von dem Wunsch, möglichst viele Menschen zu erreichen, die im Sinne seines Plans etwas bewegen, die Einfluß nehmen auf ihr unmittelbares soziales Umfeld, die kommunale Politik und nicht zuletzt auf die Regierungen.

Nach Jahrzehnten, die der umtriebige Autor auf dem Feld der Umweltpolitik aktiv war, weiß er trittsicher, grundsätzliche Probleme an Einzelbeispielen aufzuzeigen und von diesen wiederum aufs Allgemeine zu schließen. Dabei steht das Buch in einer Tradition mit Klassikern der Umweltbewegung wie "Grenzen des Wachstums" (1972), geschrieben u. a. von Donella und Dennis Meadows, den beiden 1993 und 2006 erschienenen Nachfolgebänden oder auch "Global 2000", ein 1500 Seiten starkes Konvolut, das mehrere hundert Wissenschaftler 1980 für die US-Regierung erstellt haben.

Leider erinnert Brown auch in anderer Hinsicht an Vertreter seiner Zunft, wenn er einen wesentlichen Faktor, der maßgeblich zum heutigen Antlitz der Erde geführt hat, unberücksichtigt läßt. Die Rede ist von den politischen Rahmenbedingungen. Wenn Brown die Ausgaben zur Umsetzung seines Plans B 2.0 den weltweiten Militärausgaben gegenüberstellt und erklärt, daß nur ein Sechstel davon zur Rettung der Zivilisation erforderlich ist, setzt er auf eine Rationalität, von der die Welt bislang nicht bewegt wurde. Im Gegenteil, die hohen Militärausgaben sind Ausdruck dessen, daß die gesellschaftlich dominierenden Kräfte ihre Privilegien mit allen Mitteln zu verteidigen wissen.

Wenn bei einem globalen Plan zur radikalen Abkehr von einer Mangel und Not generierenden Wirtschaftspolitik die geringste Chance auf Erfolg bewahrt werden soll, müßten die Voraussetzungen in Angriff genommen werden, die dazu geführt haben, daß die Menschen 975 Milliarden Dollar pro Jahr für Rüstung ausgeben. Die zu bewältigenden Probleme wären dann nicht mehr bei den typischen Umweltthemen anzusiedeln, sondern bei der Frage nach den vorherrschenden Interessen und dem politischen System, das ihre Durchsetzung begünstigt.

Die Systemfrage darf nicht nur nicht vermieden werden, sie muß sogar am Anfang der Auseinandersetzung stehen. Ansonsten besteht die Gefahr, daß die Verwirklichung von Browns zahlreichen Vorschlägen zu Energieeinsparung, Wassermanagement, Emissionsminderung, Senkung der Geburtenrate etc. in halbgaren Reformversuchen stecken bleibt, schlimmstenfalls sogar in ökodiktatorische Maßnahmen mündet, welche das Verhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten tiefer denn je festschrieben.

Ein typisches Beispiel für eine sozialfeindliche Umweltschutzpolitik sind die sogenannten Umweltzonen in den Innenstädten. So begrüßenswert es auch ist, wenn Stadtbewohner eine weniger schadstoffbelastete Luft atmen können, so werden von dem Fahrverbot in erster Linie die Besitzer älterer Autos, und damit allgemein die ärmere Bevölkerung, getroffen. Ihr Bewegungsraum wird durch die Verhängung von Umweltzonen stark eingeschränkt, tendenziell werden die unteren sozialen Schichten aus den Kernbereichen verbannt, zumal die öffentlichen Verkehrssysteme wegen ihrer hohen Fahrpreise keine akzeptable Alternative darstellen.

Die weitgehende Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Widersprüchen zeigt sich bei Brown daran, daß er hin und wieder in der Wir-Form schreibt. Das ist keine Frage der Form, sondern des Inhalts. "Wir" seien im Begriff, "unsere" natürlichen Ressourcen übermäßig zu strapazieren (S. 23), gibt er zu bedenken und fragt im Zusammenhang mit dem prognostizierten Wachstum der Weltbevölkerung:

"Werden wir die 9,1 Milliarden-Marke nicht erreichen, weil wir die weltweite Armut ausrotten und die Geburtenraten senken oder weil wir es nicht tun und die Sterberaten zu steigen beginnen, wie es in vielen afrikanischen Ländern bereits der Fall ist? So stehen wir also vor zwei großen Herausforderungen: der Neustrukturierung der Weltwirtschaft und der Stabilisierung der Weltbevölkerung."
(S. 23/24)

Fragt man, wer denn mit dem "Wir" gemeint sein kann, kommt man schnell darauf, daß hier der bürgerliche Teil des westlichen Kulturkreises angesprochen werden soll. Selbstverständlich ist es das gute Recht eines jeden Autors, sich seine Zielgruppe auszusuchen. Das enthebt ihn allerdings ebenso wenig davon, an seinem eigenen Anspruch gemessen zu werden. Die in Plan B 2.0 zusammengetragenen Vorschläge spiegeln im wesentlichen Ideen wider, wie sie auch von einer breiten Zahl an Umweltbewegungen im Umfeld von internationalen Klima-, Artenschutz- oder Entwicklungskonferenzen vorgetragen werden. Brown strebt eine "Mobilmachung zur Rettung der Zivilisation" an und nicht etwa eine "Revolution zur Rettung des Menschen" - für letzteres liefert auch die englische Originalausgabe mit dem Titel "Plan B 2.0 - Rescuing a Planet Under Stress and a Civilization in Trouble" keinen Anhaltspunkt.

Ein Beispiel, an dem die Vermeidung herrschaftskritischer Fragen besonders deutlich zutagetritt, ist der Tabelle 2-1 zum "Wechselkurs Weizen-Erdöl, 1950 - 2005" (S. 53) und ihrer Interpretation zu entnehmen. Brown stellt hier die Preisentwicklung von einem Scheffel Weizen und einem Barrel Erdöl über einen Zeitraum von 55 Jahren einander gegenüber und konstatiert, daß das Verhältnis zwei Jahrzehnte lang relativ ausgeglichen eins zu eins war, dann aber der Ölpreis immer mehr angezogen hat und 2005 das Faß Rohöl dreizehnmal so teuer war wie der Scheffel Weizen.

Aus dieser Entwicklung zieht Brown den Schluß, daß die USA als Getreideexporteur und Erdölimporteur ein Handelsdefizit und eine Rekordauslandsverschuldung erwirtschaftet haben (S. 52). Der steile Anstieg der Kaufkraft von Erdöl habe "zu einer der abruptesten Vermögensverschiebungen aller Zeiten" in Richtung der erdölexportierenden Länder geführt (S. 53). Der Autor vermutet zwar zurecht, daß sich der "Wechselkurs dank der Rentabilität der Umwandlung von Getreide in Kraftstoff wieder stabilisieren" wird (S. 54) - im Februar 2008 kostete der Scheffel Weizen an der Börse von Minneapolis 24 Dollar und ein Barrel Erdöl auf dem Weltmarkt schwankte um die 100 Dollar -, aber wie die gegenwärtigen Hungerrevolten in vielen Staaten der Welt zeigen, ist für die Mehrheit der Menschen nicht das Handelsdefizit der Vereinigten Staaten von Amerika oder ihre Auslandsverschuldung das Problem, sondern es sind die hohen Lebensmittelpreise, die sich bei ihnen direkt in Nahrungsmangel umrechnen lassen.

Es bleibt der Einschätzung der Leserinnen und Leser überlassen, ob sie glauben, daß dies zu ignorieren auch dann möglich gewesen wäre, wenn sich der Autor nicht Sorgen um die Zivilisation, sondern um die Menschen gemacht hätte. Selbst in dem Kapitel "Lebensmittel und Kraftstoff im Konkurrenzkampf um das Land" (S. 54 - 62) wird nicht der nackte Hunger in den Mittelpunkt der Erörterungen gestellt, sondern die Energieausbeute und andere Fachfragen im Zusammenhang mit der Biodiesel- und Ethanolproduktion.

Die Vermeidung allzu unbequemer Fragen an die Regierungen, die eine Weltordnung fabrizieren, in denen ein kleiner Teil der Menschheit in Wohlstand, der größere aber in Armut lebt, geht bei Brown sogar so weit, daß er behauptet, daß "Länder wie Afghanistan oder Haiti" heute nur deshalb überleben können, "weil sie am Tropf der internationalen Gemeinschaft hängen" (S. 176). Dazu ist zu sagen, daß die von der US-Regierung in Haiti an die Macht gebrachte Regierung Mitverantwortung dafür trägt, daß das Land heute eine einzige riesige Hungerregion bildet, in der Millionen Arme dazu übergegangen sind, getrocknete Lehmfladen (mit etwas Salz und Gras) zu essen - 5 Cent das Stück. Anstatt dies und den jahrelangen Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen Afghanistan beim Namen zu nennen, wird der Autor an dieser Stelle entgegen seiner sonstigen Ausführungen auffällig unpräzise und ergeht sich in vagen Andeutungen, wenn er über Haiti und Afghanistan schreibt:

"Die geleistete Wirtschaftshilfe - und dazu gehören, wie ich erwähnen möchte, auch Lebensmittellieferungen - trägt dazu bei, dass sie überleben können. Doch bisher reicht die Hilfe nicht aus, um die sich gegenseitig verstärkenden Trends des Verderbens aufzuhalten und sie durch staatliche Stabilität und nachhaltigen wirtschaftlichen Fortschritt zu ersetzen."
(S. 176)

Zumindest bezüglich des Lebensmittelmangels in Afghanistan ist festzustellen, daß er durch die ständigen Luftangriffe der NATO-Kampfjets und Feldzüge der ISAF auf mehrfache Weise verstärkt wird: Wegen der Gefahr, beschossen zu werden, bestellen die Afghanen in manchen Regionen ihre Felder nicht oder nur eingeschränkt; bei den Angriffen kommen unbewaffnete Menschen ums Leben, die ansonsten in der Landwirtschaft produktiv hätten sein können; dem Land wurde ein Krieg aufgenötigt, der den Widerstand und damit die Einbindung von produktiven Kräften in die Reihen der Aufständischen herausgefordert hat. Sollte Brown das mit den "sich gegenseitig verstärkenden Trends des Verderbens" gemeint haben, so drückt er sich hier um eine eindeutige Stellungnahme.

Damit soll ihm nicht nachgesagt werden, er hätte etwas gegen Afghanen oder Muslime allgemein. Beispielsweise lobt er ausdrücklich Iran für seine verantwortungsbewußte Familienpolitik. Der Regierung und den religiösen Führern sei es gelungen, das hohe Bevölkerungswachstum während der achtziger Jahre zu bremsen. Zu der "ganzen Palette an empfängnisverhütenden Maßnahmen" gehöre ein Sterilisationsangebot für Männer, was einmalig in der islamischen Welt sei (S. 186). Alle Formen der Geburtenkontrolle seien kostenlos, und Paare müßten sich, bevor sie eine offizielle Heiratserlaubnis erhielten, über moderne Empfängnisverhütungsmaßnahmen informieren. Iran habe "Pionierarbeit" geleistet, bescheinigt der Autor ausgerechnet einem Land, dem von der westlichen Welt politische Verantwortungslosigkeit vorgeworfen wird.

Einige der Vorschläge aus Browns Plan B 2.0 sind auf jeden Fall mit Skepsis zu betrachten. Beispielsweise die Bioethanol-Produktion in Brasilien. Daß für Zuckerrohr und andere Energiepflanzen riesige Waldflächen abgeholzt oder ökologisch wertvolle Naturlandschaften dem zerstörerischen Monokulturanbau unterworfen werden, wird von ihm nur randläufig erwähnt (S. 62). Er schenkt diesem Problem keine ausreichende Beachtung, wenn er behauptet, daß mittels des Anbaus von Energiepflanzen fossile Treibstoffe eingespart werden können (S. 285). Im übrigen hat die Subventionierung von Biotreibstoffen insbesondere durch die USA und EU den Lebensmittelmangel in der Welt verstärkt. Das war beim Erstellen des Buchs sicherlich noch nicht so klar zu erkennen wie heute, aber für einen an Umwelt- und Wirtschaftsfragen Interessierten sehr wohl absehbar.

Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile verschiedener Energiegewinnungsformen (Wind, Solar, etc.) innerhalb des Kapitels 10 "Die Stabilisierung des Klimas" (S. 259 - 289) hat der Autor einen wichtigen Energieträger, der in letzter Zeit starken Zuspruch im Kampf gegen den Klimawandel erfährt, außen vor gelassen: Nuklearenergie. Das ist bedauerlich. Nicht etwa, weil diese Energieform all die Verheißungen erfüllte, von denen ihre Lobbyisten gerne fabulieren, sondern weil es eine Gelegenheit gewesen wäre, die Mär von der klimafreundlichen Nuklearenergie schonungslos offenzulegen.

Dieser Mangel mindert den Wert des in dem Buch präsentierten Faktenreichtums jedoch keinesfalls. Der Autor kommt gleich zur Sache, welches Thema auch immer er gerade in Angriff genommen hat, und geht von einem Punkt, der diskutiert und bewertet wird, unverzüglich zum nächsten weiter. Umschweifige Erörterungen sind Browns Stil nicht. Dadurch wird eine Dynamik erzeugt, die die Lektüre von der ersten bis zur letzten Seite spannend macht - kein Zweifel, das Anliegen des Autors, so schnell wie möglich eine "Ökologische Revolution" (S. 346) einzuleiten, ist das Gebot der Stunde.

14. April 2008


Lester R. Brown
Plan B 2.0
Mobilmachung zur Rettung der Zivilisation
übersetzt von Verena Gajewski
Globale Analysen Band 7
Kai Homilius Verlag
384 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-89706-606-9