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REZENSION/477: Naomi Wolf - Wie zerstört man eine Demokratie (SB)


Naomi Wolf


Wie zerstört man eine Demokratie

Das 10-Punkte-Programm



Die 1962 geborene und in San Francisco aufgewachsene Naomi Wolf ist eine der schillernsten Figuren der amerikanischen Publizistik. In den neunziger Jahren machte sie sich mit einer Reihe lobenswerter Streitschriften, darunter der Bestseller "Der Mythos Schönheit", gegen die Kosmektik- und Kulturindustrie und die von ihnen betriebene Kommodifizierung der Frau in der modernen Industriegesellschaft einen Namen als führende Vertreterin der "dritten Welle" des Feminismus. Nicht wenige vor allem weibliche Kommentatoren haben Wolf jedoch einen zwanghaften Hang zur Selbstinszenierung vorgeworfen. Der Einwand scheint nicht gänzlich unbegründet zu sein.

1996 runzelten einige Politbeobachter die Stirn, als bekannt wurde, Wolf arbeite bei der Wiederwahlkampagne des demokratischen Präsidenten Bill Clinton mit und solle diesen beraten, wie er das angeblich entscheidende Bevölkerungssegment der "soccer moms" - Mütter, die entweder als Hausfrauen oder beruflich nur halbtags tätig sind und dadurch Zeit haben, ihre Kinder nachmittags zum Sport zu fahren bzw. zu begleiten - für sich gewinnen könne. Im Präsidentschaftswahlkampf 2000 zwischen Al Gore und George W. Bush wurde der Beraterdienst Wolfs zum regelrechten Politikum, als herauskam, die Feministin habe Clintons Vizepräsidenten, der bei der ersten Fernsehdebatte zwischen den beiden Hauptkandidaten reserviert und überkultiviert gewirkt hatte, gedrängt, das "Alpha-Tier" raushängen zu lassen, um bei den folgenden TV-Begegnungen den Macho-Mann aus Texas in seine Schranken zu weisen. Zwar ist Gore dem Rat gefolgt, doch seine Bemühungen in diese Richtung wirkten überaggressiv und gekünstelt.

2004 sorgte Wolf für einen handfesten Skandal im Medienbetrieb, als sie in einem Essay für das New York Magazine behauptete, während ihres Studiums der Anglistik an der Yale University habe sie ihr damaliger Professor Harold Bloom am "inneren Oberschenkel berührt". Für diesen reichlich verspäteten Vorwurf an die Adresse des damals 70jährigen, weltberühmten Literaturpapstes Amerikas erntete Wolf, die ihre Behauptung mit nichts anderem als den eigenen Erinnerungen untermauern konnte, in der Presse fast nur Kritik. 2006 lieferte sich Wolf dem Spott aus, als sie bei einem Interview mit dem schottischen Sunday Herald offenbarte, daß sie während einer Therapiesitzung ein Jahr zuvor zur Behandlung eines bei ihr vorliegenden Falls von Schreibblockade eine Vision gehabt habe, in der sie - in Gestalt eines 13jährigen Jungen - Jesus Christus persönlich begegnet sei. Die Begegnung mit dem christlichen Messias sei für die jüdisch erzogene Schriftstellerin "das profundeste Erlebnis" ihres Lebens gewesen und habe sie daran erinnert, daß "jeder von uns hier" da sei, "um zu helfen, die Welt zu reparieren", so Wolf gegenüber dem Herald-Journalisten Torcuil Crichton.

Vom Zeitlichen her könnte man "Wie zerstört man eine Demokratie - Das 10-Punkte-Programm", das Ende 2007 in den USA erschienen ist, als Ergebnis jener "spirituellen Erweckung" mit gleichzeitiger Behebung besagter Schreibblockade Wolfs deuten. In dem Buch prangert die Gastautorin der New York Times, des Wall Street Journal, der Zeitschriften Glamour und New Republic, der Politwebseite HuffingtonPost.com sowie des linksliberalen Londoner Guardian offen die zahlreichen Maßnahmen an, mit denen die Regierung von George W. Bush und Vizepräsident Dick Cheney vor allem seit den Anschlägen vom 11. September 2001 die USA in Richtung Polizeistaat geführt haben.

Zu den von Wolf kritisierten Merkmalen der Ära Bush-Cheney gehören unter anderem: die Beschwörung eines äußeren und inneren Feindes in Form des angeblich weltumspannenden "Terrornetzwerkes" Al Kaida und seiner "Schläferzellen" in den USA; die Installierung und Aktivierung eines Überwachungssystems für die ganze Gesellschaft - siehe die hochgeheime, vom Weißen Haus angeordnete, illegale Überwachung des gesamten amerikanischen Telefon- und E-Mail-Verkehrs durch die National Security Agency (NSA); die Drangsalierung und Diffamierung von Regierungskritikern wie zum Beispiel das Schicksal der rund eine Million US-Bürger, deren Namen aus unbekannten Gründen auf der "No-Fly-Liste" der Behörden stehen und die deshalb als "Sicherheitsrisiko" in den USA entweder kein Flugzeug besteigen oder erst nach einer längeren Überprüfung ihrer Personalien und ihres Gepäcks abfliegen dürfen; die Aussetzung wichtiger Gesetze zum Schutz vor staatlicher Willkür - beste Beispiele sind die Präsidialbefehle Bushs zur Folterung mutmaßlicher "Terroristen" sowie zur jahrelangen Einkerkerung von US-Bürgern wie José Padilla, ohne daß jemals gegen sie Anklage erhoben worden wäre; die Schaffung von Geheimgefängnissen wie den berüchtigten "black sites" der CIA und Privatarmeen wie dem mehrere tausend Mann starken Heer des US-Sicherheitsunternehmens Blackwater unter der Regie des christlich-fundamentalistischen Republikaners und ehemaligen Elitesoldaten Erik Prince.

Von Herbst 2007 bis Herbst 2008 ist Wolf mit der Verkaufstournee für das vorliegende Buch und der von ihr parallel ins Leben gerufenen American Freedom Campaign auf jener Welle der Unzufriedenheit der amerikanischen Wähler mit Bush und den Republikanern geritten, die schließlich dem demokratischen Hoffnungsträger Barack Obama als ersten schwarzen Präsidenten Amerikas ins Weiße Haus spülen sollte. Seit dem Regierungswechsel in Washington ist seitens Wolfs wenig in bezug auf die von ihr im Buch postulierte "faschistische Verschiebung" in den USA zu hören und das trotz der Tatsache, daß Obama zwar die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo Bay und eine Einhaltung des Folterverbots durch CIA und Pentagon angeordnet hat, gleichwohl am gigantischen NSA-Überwachungssystem Bushs wie auch an dessen überbordender Auslegung präsidialer Macht festhält, wonach das Weiße Haus einen jeden auf der Welt entführen und einkerkern lassen kann - zum Beispiel im Horrorgefängnis des US-Militärs auf dem afghanischen Luftwaffenstützpunkt Bagram.

Diese Einseitigkeit, mit der Wolf im Buch die Verfehlungen der Grand Old Party geißelt, spricht nicht gerade für Aufrichtigkeit, sondern eher für Opportunismus. Es fehlt jeder Hinweis, daß die von ihr angeprangerten Mißstände bereits vor dem Einzug Bushs ins Weiße Haus ihren Lauf genommen hatten. Ausgespart bleiben zum Beispiel polizeistaatliche Übergriffe aus der Ära Clinton-Gore wie zum Beispiel das Massaker unter den Branch Davidianern 1993 in Waco, Texas, das 76 Menschen, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, das Leben kostete, und die Tatsachen, daß bereits unter den beiden demokratischen Lichtgestalten das US-Gefängnissystem im Zug des "Antidrogenkrieges" aus allen Nähten platzte und daß Washington im Kampf gegen den "islamistischen Terrorismus" längst zum Mittel der "extraordinary renditions" gegriffen hatte, um im Ausland Verdächtige zu verschleppen und sie von irgendwelchen Unrechtsregimen wie denen in Ägypten, Jordanien oder Marokko foltern zu lassen. Charles Graner, der verurteilte Haupttäter in Verbindung mit dem Skandal 2004 um die Mißhandlungen von Gefangenen in Abu Ghraib, hatte zum Beispiel bereits vor dem Einsatz als Nationalgardist im Irak sein brutales Handwerk im modernen US-Strafvollzugssystem gelernt.

Heute arbeitet Wolf bei der Soros Foundation für Friedensforschung, die sich in den letzten Jahren bei der Verwirklichung sogenannter "Farben-Revolutionen" in Osteuropa und Zentralasien zusammen mit der CIA und deren Ableger, der National Endowment for Democracy (NED), hervorgetan hat. Der schwerreiche Börsenspekulant George Soros, der auch zu den ersten Gönnern des Präsidentschaftskandidaten Obama zählte, ist bekanntlich der Hauptverfechter der neoliberalen Lehre von der "offenen Gesellschaft". Folglich wundert es wenig, daß sich Wolf im Buch immer wieder des Paradigmas des Gegensatzpaars "offene/geschlossene Gesellschaft" bedient und sich um alle erdenklichen Vergleiche zwischen der Entwicklung in den USA ab 2001 mit der im Deutschland Adolf Hitlers, in Italien Benito Mussolinis, in der Sowjetunion Joseph Stalins und in China Mao Tse-tungs bemüht. Vor einer konkreten Benennung der gesellschaftlichen Ursprünge der brandgefährlichen politischen Tendenzen in den USA scheut Wolf jedoch womöglich aufgrund ihrer eigenen privilegierten Position als Mitglied der ideologischen Führungsschicht Amerikas zurück. Schade.

22. April 2009


Naomi Wolf
Wie zerstört man eine Demokratie
Das 10-Punkte-Programm
(Aus dem Englischen "The End of America - Letter of Warning to a Young
Patriot" von Thomas Pfeiffer
Riemann Verlag, München, 2008
283 Seiten
ISBN: 978-3-570-50098-9