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REZENSION/488: Komitee für Grundrechte und Demokratie - Haftbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland (SB)


Komitee für Grundrechte und Demokratie


Haftbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland

Dokumentation einer Öffentlichen Anhörung zu Gefängnispolitik und Knastalltag



Interessieren Sie sich für die "Haftbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland, für Gefängnispolitik und Knastalltag"? Diese Frage würde wohl nur ein geringer Prozentsatz der bundesrepublikanischen Bevölkerung mit ja beantworten. Sich mit der Entwicklung des Repressionsapparates und den Verschärfungen insbesondere im Bereich des Freiheitsentzuges zu beschäftigen, setzt ein grundlegendes Interesse an den "Schattenseiten" der gesellschaftlichen Realität voraus, das in aller Regel erst für all diejenigen manifest wird, die selbst in die Mühlen von Polizei und Justiz geraten oder von der Inhaftierung von Angehörigen, Freunden oder Bekannten mitbetroffen sind. Über den Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland, über dessen entwürdigende Bedingungen und nicht selten in erheblichem Maße zerstörerische Auswirkungen herrschen im allgemeinen, korrespondierend zu dem geringen Interesse der Medienkonsumenten wie auch -anbieter, nur geringe Kenntnisse vor.

Vor diesem Hintergrund ist die im Juni 2009 vom "Komitee für Grundrechte und Demokratie" publizierte und in einer Auflage von 600 Exemplaren veröffentlichte Dokumentation zum Thema "Haftbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland" allerwärmstens zu empfehlen. In diesem 161 Seiten starken Band wurden die Redebeiträge verschiedener Autoren und Autorinnen auf der von dem Komitee vom 19. bis 21. September 2008 in Bonn veranstalteten öffentlichen Anhörung zum Thema Gefängnispolitik und Knastalltag in teilweise überarbeiteter Fassung zusammengefaßt. Zu dem Autorenkreis gehören Rechtsanwälte und Richter, Kriminologen, Politologen und Publizisten wie auch Insider aus dem Strafvollzug selbst, der Gefangenenseelsorge und der Straffälligenhilfe. Dem einzigen Strafgefangenen, Sven Born, der auf dieser Tagung aus seiner Sicht hätte Stellung nehmen wollen, wurde von der JVA Hamburg so kurzfristig die Teilnahme verweigert, daß er gegen diese Anordnung juristisch nicht mehr vorgehen konnte. Sein Manuskript ("Es geht um ein Leben in Freiheit, und nicht um ein Leben in Gefangenschaft, auf das der Gefangene vorbereitet werden soll"), befindet sich gleichwohl in der Dokumentation.

Im Komitee für Grundrechte und Demokratie, das 1980 gegründet wurde, um "innerhalb der neuen sozialen Bewegungen einen politischen parteiunabhängigen Zusammenhang für die engagierte Verteidigung bedrohter Grundrechte in der Bundesrepublik zu schaffen und um verfassungsstrukturelle und reale Demokratiedefizite einzuklagen", so Martin Singe im Einführungstext (S. 9), war die Betreuung inhaftierter Menschen von Beginn an ein Themenschwerpunkt der menschenrechtspolitischen Arbeit. Zu diesem Zweck wurde eine Projektgruppe "Strafvollzugsbedingungen" ins Leben gerufen, die im vergangenen Oktober mit der Tagung zu den aktuellen, aus guten Gründen als "menschenunwürdig" bewerteten Haftbedingungen sowie der nun erfolgten Veröffentlichung der Redebeiträge dazu beitragen will, "die gegenwärtig mit Sicherheitsideologien überfrachtete Kriminal- und Gefängnispolitik einer menschenrechtlich-kritischen Bilanz zu unterziehen", wie es in einer vom Komitee für Grundrechte und Demokratie zu diesem Thema am 15. Juni 2009 verfaßten Presseerklärung heißt.

Und diese Bilanz fiel eindeutig negativ aus. Wolf-Dieter Narr, Hochschullehrer, Politologe und Mitbegründer des Komitees für Grundrechte und Demokratie, bezeichnete ganz generell die Haftstrafe als "konträr den Menschenrechten" (S. 148) und führte aus, daß daran auch eine unter fiktiv-optimalen Bedingungen der "Resozialisierung" durchgeführte Inhaftierung nichts wesentliches ändern würde:

Fehlsamen Menschen wird ihre Freiheit entzogen, das Rückgrat ihrer Menschlichkeit entbeint. Sie werden offiziell in "Justizvollzugsanstalten" inhaftiert. Zuchthäuser und ihre Bilder erkalteter Grausamkeit schrecken nicht mehr momentan. Wiedereingliederung in die "normale" Gesellschaft, "Resozialisierung" lautet das Ziel des "Strafvollzugs". So wird es uns "Normalen" möglich, die institutionalisierte Gewalt an den Rand unseres Horizonts und Empfindens zu schieben. Inhaftierung als so etwas wie konzentrierte Sozialarbeit.
(S. 148)

Diese Textpassage deutet das Widerspruchsdilemma, in das ein menschenrechtsbegründeter Kritikansatz führt, bereits an. Bei dem Versuch, kriminalisierten und wegen der ihnen in einem Ermittlungs- und Strafverfahren zugewiesenen "Schuld" zu Straftätern erklärten und bestraften Menschen nicht in einer ihre systematische Entwürdigung oder besser Entmenschlichung fortsetzenden Weise gegenüberzutreten, wurde der von der ehemaligen Leiterin einer Justizvollzugsanstalt, Helga Einsele, gewählte Begriff "fehlsame Menschen" übernommen. Auch wenn damit beabsichtigt sein mag, die gegen die Inhaftierten von den dafür vorgesehenen gesellschaftlichen Instanzen und Repressionsorganen verhängte und vollzogene Schuldigsprechung begrifflich nicht anzuerkennen, bleibt die Zulastung doch auf der Seite des Individuums, das "gefehlt" hat.

Eine Kritik der herrschenden Verhältnisse in Gefängnissen wie auch allen anderen freiheitsentziehenden Institutionen wie Psychiatrie und Abschiebeknästen zu leisten, ohne die gesellschaftlichen Interessen an der damit gewährleisteten Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung sowie deren Kernwiderspruch zwischen verarmten Massen und privilegierten Eliten in die Analyse miteinzubeziehen, läuft Gefahr, in einer - und sei es noch so "gutgemeinten" - Reformpolitik zu versanden. Ein solcher Reformansatz führte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts im Strafvollzug zu dem sogenannten Resozialisierungsgedanken, der in dem ersten, bundesweit einheitlichen Strafvollzugsgesetz von 1977 seinen gesetzlichen Niederschlag fand. In diesem Gesetz wurden drei Gestaltungsgrundsätze für den Strafvollzug bestimmt, an die heute die wenigsten, für die Gefängnisse verantwortlichen Behörden und Gerichte wohl noch gerne erinnert werden möchten. "Resozialisierung" bedeutet demnach, folgende Vollzugsziele - und keine weiteren mehr - zu verfolgen (S. 30):

den Grundsatz der Angleichung des Lebens im Vollzug an die allgemeinen Lebensverhältnisse

den Grundsatz, schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken

den Grundsatz, den Vollzug darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen helfe, sich in das Leben in Freiheit (wieder) einzugliedern.

Dies sind, oder vielmehr waren, hehre Versprechungen, dem Zweck geschuldet, inhaftierten Menschen durch das süße Gift der Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben im Gefängnis sowie eine reelle Chance auf ein gesellschaftlich "normales" Leben danach ihr unwürdiges Los erträglich zu machen. Es ist das Verdienst des Komitees für Grundrechte und Demokratie und namentlich seiner von der Projektgruppe Strafvollzug vorgelegten Publikation, dieses Versprechen entlarvt und ihm eine Knastrealität gegenübergestellt zu haben, die jenseits von medialer Beobachtung und öffentlichem Interesse ein Schattendasein führt, das schlechtestenfalls durch spektakuläre Meldungen wie die über die Tötung eines Insassen durch Mitgefangene in der JVA Siegburg durchbrochen wird mit der Intention, eine gesellschaftliche Akzeptanz für weitere Verschärfungen im Strafvollzug, am besten gleich für ein Wegschließen der "Gefährlichen" für immer, zu befeuern.

Einer der Autoren, der 61jährige Journalist und Beirat der JVA Köln-Ossendorf, Klaus Jünschke, selbst seit vielen Jahren um kriminalisierte Jugendliche bemüht, stellte in einem seiner Texte ("Menschen statt Mauern - Ein Praxisbericht") zu dem Problem der Gewalt zwischen Gefangenen, dessen Ausmaß durch jüngste Studien bekannt geworden sei, klar, daß das Recht auf Einzelunterbringung keinen Schutz vor solchen Übergriffen biete, weil schon die Zelle selbst "ein Übergriff ist" (S. 129). Die Diskussion darüber, ob nicht eine Mindestgröße für Haftzellen festgeschrieben werden sollte und wenn ja, mit welcher Quadratmeterzahl, geht im Ansatz an der von jugendlichen wie erwachsenen Inhaftierten gleichermaßen als Gewalt erlebten Gefängniszelle in Vollzugsanstalten, die nicht selten seit dem Kaiserreich, der Weimarer und der NS-Zeit keine nennenswerten räumlichen Veränderungen erfahren haben, vorbei.

Wie Jünschke in seinem Tagungsbeitrag darlegte, hat nach dem Todesfall in der JVA Siegburg eine Untersuchungskommission des nordrhein-westfälischen Landtages in einem Anfang Februar 2009 erstellten Zwischenbericht versprochen, "die Empfehlungen von Experten ernst nehmen zu wollen, die besagen, dass junge Täter in der U-Haft oft erst die psychischen Schäden erleiden, die eine Eingliederung ins 'normale Leben' später kaum möglich machen" (S. 130) Man wolle in Nordrhein-Westfalen, so hieß es, das Bewußtsein, es gäbe kaum Alternativen zur Untersuchungshaft, verändern. Zwar vertritt auch Jünschke die Auffassung, daß Menschen, die für sich und andere eine Gefahr darstellen, in ihrer Bewegungsfreiheit vorübergehend eingeschränkt werden müssen - womit sich die Inhaftierung kriminalisierter Menschen rechtfertigen ließe und derzeit auch, siehe nachträgliche Sicherungsverwahrung, begründet wird, doch sollte dies seiner Meinung nach auf eine menschenwürdige Weise geschehen "in Häusern mit Zimmern, in Räumen, deren Türen innen eine Klinke haben, die sie folglich verlassen können, wenn sie in Angstzustände geraten" (S. 131). Und "sie sollten vor der Zimmertür immer jemanden treffen, mit dem sie sprechen können."

Dieser Ansatz verträgt sich gut mit dem der Gefängnisseelsorgerin Heike Rödder, die gleich zu Beginn ihres Beitrags zum Thema "Konkrete Haftbedingungen" feststellt, daß die Förderung von Menschen in den Gefängnissen verhindert wird. Sie schildert auf der Basis ihrer vielen, mit Gefangenen geführten Gespräche, wie extrem belastend für diese die 23 Stunden am Tag währende Zwangsgemeinschaft mit einem anderen Menschen in einer Zelle von nur 7,5 qm mit einer offen sichtbaren Toilette sind. "Wie sollen Menschen lernen, die Würde anderer zu achten, wenn sie selbst vornehmlich Entwürdigung erfahren?" (S. 100) fragt die Angehörige eines Berufsstandes, der seine Existenz der Gefangenschaft anderer Menschen zu verdanken hat. Diese Art der Fragestellung läßt die eigentlich naheliegende Schlußfolgerung, daß mit der "Resozialisierung" die behaupteten Sozialisationsdefizite der Inhaftierten nicht nachgebessert, sondern dauerhaft festgeschrieben werden sollen mit der Folge, daß mehr und mehr Menschen in Gefängnissen und gefängnisähnlichen Institutionen verwahrt werden, unberührt. Die Schuldzuweisung an einzelne Kriminalisierte wird durch den von Rödder wie auch vielen anderen Autoren vollzogenen Verweis auf psychiatrisierte Menschen keineswegs aufgehoben, sondern verfestigt:

Fachleute der Psychiatrie sind sich darin einig, dass etwa 90% der Inhaftierten eine psychiatrische Diagnose aufweisen und eigentlich medizinische und psychologische Behandlung bräuchten. Schließlich sind die meisten Inhaftierten von einer Suchterkrankung schwer gezeichnet, weisen Persönlichkeitsstörungen und schlimmere Krankheitsbilder auf.
(S. 100)

Rödder erklärt, daß es "bis zur Abschaffung der Gefängnisse und der Schaffung von heilsamen Alternativen" ein weiter Weg sei. Da sie 90 Prozent der Inhaftierten psychiatrisiert sehen möchte und unter "heilsamer Alternative", wie angenommen werden muß, die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung versteht, würde sich die Zwangslage der Inhaftierten gegebenenfalls sogar noch steigern, da der Zustand der "verrechtlichten Entrechtlichung" (Narr) in der Psychiatrie tendenziell noch totaler ist als in einer Justizvollzugsanstalt.

Karl-Heinz Bredlow, Leiter der Justizvollzugsanstalt Iserlohn, beteiligte sich an der Tagung über die Haftbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland aus seiner Sicht mit einem Beitrag, in dem er der Idee eines humanen, um nicht zu sagen schmerzfreien Strafvollzugs das Wort redete. Der Jurist, der zur Zeit der Studentenbewegung in Göttingen studiert hatte, repräsentiert die "kritische" Fraktion innerhalb der Anstaltsleiter. Er spricht von der "scheinbar ungebrochenen Tradition des Konstrukts Strafvollzug, der in all seinen Äußerungen und Reformen nie seinen inneren Kern verloren hat: eine nach außen abgeschottete, nach innen reglementierende und ausgrenzende Institution", die "Menschen in ihrer buchstäblich nackten unmittelbaren Existenz verwaltet und beeinflussen will" (S. 84). Zum Abschluß seines Textes zitiert er aus einer Denkschrift [1] unter anderem folgendes:

Das ernüchternde, vielleicht auch überraschende Resümee am Ende muss daher lauten, dass der Schmerz in Verbindung mit Strafe und Strafvollzug als Konstante nachweisbar ist. Wenn der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Straftätern den Prüfstein für das von ihr erreichte Zivilisationsniveau darstellt, wirkt dies sicherlich decouvrierend oder gar brüskierend. Denn allgemein glaubt man, Aggressionen überwunden zu haben und möchte selbstverständlich in humanistisch-aufgeklärter Tradition die grundsätzliche Tabuisierung der Persönlichkeit des Delinquenten für sich in Anspruch nehmen. (...) Wenn heute von Strafe und Schmerz die Rede ist, geht es somit vor allem um seelische Leiden.

Die Analyse eines JVA-Leiters reicht genau bis an die Stelle, an der er das von ihm geleitete Gefängnis, die JVA Iserlohn, als positives Gegenbeispiel inmitten eines allgemeinen Mißstands verstanden wissen will. Doch wie sollte eine Strafe und erst recht eine Freiheitsstrafe "ohne Schmerz" auch nur denkbar sein? Ob die Verzweiflung und das Leiden inhaftierter Menschen als "seelisch" determiniert bezeichnet oder ihr Verhalten aus der sicheren Distanz des Beobachters als in psychiatrischer Hinsicht auffällig und pathogen diagnostiziert wird, ändert nichts an der - zumindest von einigen Autoren konstatierten - Menschenunwürdigkeit der Freiheitsstrafe. Diese Ablehnung steht in einem inhaltlichen Kontext zur Abolitionismus-Diskussion, wie die Forderung nach einer Abschaffung der Gefängnisse bzw. der Befreiung der Gesellschaft von Knästen in ihrer verwissenschaftlichen Form genannt wird. Der Theologe Martin Singe vom Sekretariat des Komitees für Grundrechte und Demokratie stellte in seinem Einführungstext zu dieser Thematik grundsätzlich klar:

Die staatliche Strafgewalt hat in Form der Freiheitsstrafe in der totalen Institution Haftanstalt nur eine eindeutige und klare Folge. Sie verletzt Würde und Integrität des Verurteilten und dementsprechend Eingekerkerten. (...) Die zeitige, aber erst recht die lebenslange Gefängnisstrafe greift in Grundrechte tief ein, ja schneidet sie ab. (...) Die totale Institution Haftanstalt ist asozial. Sie ist darauf angelegt, 'normale' psychische Bedürfnisse und 'normales' Verhalten zu zerstören. In dieser Institution können keine Erfahrungen mit den Anforderungen eines eigenverantwortlichen Lebens nach der Strafentlassung gemacht werden.
(S. 15)

Einige Autoren, so Narr, Jünschke und Feest, machten darauf aufmerksam, daß der vorgebliche Strafzweck, nämlich die Verhinderung von Straftaten und damit die Gewährleistung allgemeiner Sicherheit, durch Abschreckung nicht erreicht werden könne. Abschreckung funktioniere nicht, erklärte Jünschke, während der Kriminalwissenschaftler und Rechtssoziologe Johannes Feest klipp und klar feststellte:

Sicherheit vor Kriminalität durch Strafvollzug sollten wir nicht versprechen, auch nicht für Zwecke der Propaganda. Sie ist in jeder Hinsicht eine Illusion. Das gilt für die Sicherheit durch Wegsperren, was man leicht daran sehen kann, dass auch in Zeiten hoher Einsperrungsraten die Kriminalität nicht zurückgeht. Es gilt aber auch für Sicherheit durch resozialisierende Behandlung, weil diese unter Zwangsbedingungen nicht funktionieren kann.
(S. 44)

Es darf unterstellt werden, daß sich die für die Strafgewalt verantwortlichen Politiker und Juristen über die Dysfunktionalität des Strafrechts und insbesondere der Inhaftierung in Hinsicht auf die wahlweise behaupteten Strafzwecke Abschreckung und Resozialisierung durchaus im klaren sind. Die Gefängnisse könnten stattdessen als eine "inoffizielle" Schule der Nation bewertet werden, in der Menschen, die - nach welchen Kriterien und aufgrund welcher juristischer Rechtfertigungen auch immer - kriminalisiert wurden, systematisch gebrochen werden sollen. Sie machen Gewalterfahrungen, die als Androhung von Gewalt auch auf alle anderen Menschen wirken und wirken sollen, und so gehen reformistische Ideen, und seien sie noch so gut begründet und mit Alternativvorschlägen zur gefängnisfreien Konfliktbewältigung bestückt, insofern am Kern des Problems vorbei.

Gleichwohl kommt dem Beharren auf dem Resozialisierungskonzept in der heutigen Zeit, in der mehr oder minder offen über die Umgehung bzw. Aufhebung des Folterverbots nachgedacht wird, ein fast schon progressives Moment zu. Dabei hat auch der in den 1970er Jahren und bei der Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes maßgebliche Resozialisierungsgedanke im übrigen eine primär ordnungspolitische Funktion, weil er in einer Zeit des Aufbruchs und der Infragestellung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse der Entlastung der Gesellschaft durch die Belastung (Bestrafung) einzelner, in aller Regel ohnehin an den Rand gedrängter Menschen, den Zuschlag gab. Inzwischen stellt schon der Versuch, dem in seinem Kern stets beschönigungslos destruktiven Freiheitsentzug ein humanitäres Antlitz zu verleihen und insofern an dem Versprechen eines "menschlichen" Gefängnisses festzuhalten, beinah schon ein Störmanöver dar angesichts des in der Bundesrepublik wie auch in vielen anderen Staaten zu verzeichnenden massiven Rechtsrucks, der an der Kriminal- und Gefängnispolitik keineswegs spurlos vorüberging.

So wirkt vieles, was für den Autoren- bzw. Referentenkreis der Komitee-Tagung einen selbstverständlichen Konsens darstellt, in der ausschließlich von Rechtsverschärfungen dominierten öffentlichen Debatte und Gesetzgebungspraxis schon antiquiert, wodurch der Stellenwert dieser Dokumentation nur noch weiter erhöht wird, da in ihr durch das konsequent und gutbegründete Beharren auf dem Ideal eines humanen Strafvollzugs der Mehrheitsgesellschaft ein Zerrspiegel vorgehalten wird. Besonders krass tritt die "verrechtlichte Entrechtlichung" inhaftierter Menschen dann zu Tage, wenn diese den Versuch unternehmen, ihnen ihre durch die Justizvollzugsbehörden vorenthaltenen Rechte gerichtlich einzuklagen. Dieser Problematik hat sich Wolfgang Lesting, Richter am OLG Oldenburg, in seinem Beitrag über "Rechtsschutzdefizite im Strafvollzug" gewidmet.

Gefangene haben zum einen Rechtsschutzprobleme, die sie mit anderen Randgruppen dieser Gesellschaft teilen. Bekanntlich können nicht alle Bürger über die Ressource "Recht" gleichermaßen verfügen. Es gibt unterschiedlich hohe Zugangsbarrieren zu den Gerichten je nach wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Machtposition, nach Durchsetzungskraft und Befindlichkeit, nach Artikulationsfähigkeit und Rechtskenntnissen. Das alles sind Eigenschaften, über die Gefangene eher selten verfügen. Hierdurch werden sie in der Wahrnehmung ihrer Rechte behindert.
(S. 55)

Diese Anmerkung würden schon genügen, um eine generell ablehnende Haltung gegenüber dem Strafvollzug sowie dessen behaupteten Zwecken einzunehmen, zumal sie die Schlußfolgerung, daß die konstatierte Randständigkeit der Inhaftierten ganz wesentlich auch zu den ihnen zugelasteten Gesetzesverstößen und damit ihrer Kriminalisierung geführt haben, nahelegt. Lesting geht jedoch noch einen Schritt weiter, indem er von "renitenten Strafvollzugsbehörden" spricht, was er folgendermaßen verstanden wissen will:

Renitente Strafvollzugsbehörden sind Vollzugsbehörden, die eine konsequente Umsetzung gerichtlicher Entscheidungen, die zugunsten von Gefangenen ergangen sind, verweigern. Wir, Johannes Feest [der sich mit einem eigenen Beitrag "Thesen zur Föderalismusreform" an der Tagung beteiligte, Anm. d. SB-Redaktion] und ich haben den Begriff vor über 20 Jahren kreiert in bewusster Anlehnung an den "renitenten Strafgefangenen", über den die Vollzugsverwaltungen so wortreich klagen. Die polemische begriffliche Zuspitzung hat sich als ausgesprochen erfolgreich erwiesen. (...) Ich will aus einer neueren, noch nicht veröffentlichten Studie drei Ergebnisse referieren, die den gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse über renitente Strafvollzugsbehörden wiedergeben. Das erste Ergebnis ist nicht überraschend. Der Ungehorsam von Vollzugsverwaltungen gegenüber Gerichtsentscheidungen ist nicht so selten, wie vielfach behauptet wird. (...) Auffälliger ist das zweite Ergebnis der Studie. Deutlicher als zuvor konnten wir nachweisen, dass Renitenz häufig mit wenigstens stillschweigender Duldung durch die zuständigen Justizministerien erfolgt. Was früher eine nahe liegende Vermutung war, weil unvorstellbar schien, dass sich ein Anstaltsleiter eigenmächtig über ihn bindende gerichtliche Entscheidung hinwegsetzt, fanden wir jetzt gewissermaßen "schwarz auf weiß" bestätigt. (...) Ermutigender ist hingegen unser drittes Ergebnis. Wir konnten ein deutlich geschärftes Problembewußtsein bei den Gerichten, in der Politik und der Öffentlichkeit feststellen. Als Beispiel für die politischen Reaktionen sei nur an die bemerkenswerte Presseerklärung des Bundesjustizministeriums vom 6. Januar 2006 erinnert, wonach sich Landesjustizverwaltungen an Gerichtsurteile halten müssten.
(S. 57/58)

Weitere Schlußfolgerungen zieht der Autor, selbst Richter, nicht. Er moniert zu Recht das faktische Zusammenspiel zwischen Gerichten und Justizbehörden wie auch -ministerien zulasten derjenigen, die als inhaftierte und damit faktisch schon sehr weitgehend entrechtete Menschen am allermeisten darauf angewiesen wären, daß die im Grundgesetz postulierte und verankerte Gewaltenteilung an gegenseitiger Kontrolle das hält, was sie verspricht. Wenn der Begriff der "renitenten Strafvollzugsbehörden" schon vor 20 Jahren geprägt wurde und in seiner Substanz bis heute nicht das Geringste verloren, sondern eher noch hinzugewonnen hat, kann die Nagelprobe auf das staatliche Gewaltmonopol, das zum Schutz der ihm unterworfenen Staatsbürger institutionell dreigeteilt zu sein vorgibt, nur negativ ausfallen. Und so werden die Bedenken der hier tätigen Juristen und Kriminalwissenschaftler zu einem nicht unerheblichen Teil ihrer grundsätzlichen Sorge dem Erhalt des Versprechens "Rechtsstaat" gewidmet sein.

Der Autorenkreis dieser Dokumentation repräsentiert durchaus den aus menschenrechtlichen und humanitären Gründen kritisch eingestellten Teil der am Strafvollzug partizipierenden Berufsgruppen wie auch ehrenamtlichen Helfer und ihrer Organisationen, ohne die der Freiheitsentzug in der Bundesrepublik Deutschland längst nicht mehr durchgeführt werden könnte. Ihr Engagement für einen menschenrechtlich adäquaten Freiheitsentzug, der den Eingeschlossenen ihre Würde beläßt, stellt allerdings, zumal ihre eigenen berufsständischen wie sozialen Beweggründe in ihre Arbeit mit einfließen, ein durchaus zweischneidiges Schwert da. So konstatieren sie, wenngleich nicht immer einhellig, daß der Resozialisierungsstrafvollzug eine lediglich verkappte Form der Entrechtlichung darstellt, der die Betroffenen nicht nur in Abhängigkeit von Justizvollzugsanstalt und Gericht beläßt, sondern in eine weitere, nämlich in die von urteilenden Gutachtern und Sozialarbeitern, bringt. Gleichwohl entsteht beim Lesen des Buches nicht von ungefähr der Eindruck, als wäre die Zurückdrängung des "Behandlungsvollzuges" zugunsten eines reinen "Verwahrvollzuges" eine Negativentwicklung, weil sich im ersteren Fall immerhin noch Menschen, und sei es in berufsständisch-institutionalisierter Form, um die Eingeschlossenen "gekümmert" hätten. Die im Strafvollzugsgesetz formulierten Prinzipien sind geradezu darauf angelegt glauben zu machen, daß Menschen, die bislang aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position "gescheitert" und infolgedessen straffällig geworden sind, im Knast eine zweite (oder überhaupt eine erste) Chance bekommen würden.

Selbst wenn der sogenannte Resozialisierungsvollzug die gegebenen Versprechen einhalten würde und könnte, was nicht der Fall ist, bliebe die gesellschaftliche Realität einer von unten nach oben umverteilenden Raubordnung erhalten. Die Tatsache, daß die Tage des Strafvollzugsgesetzes gezählt sind, weil im Zuge der Föderalismusreform die Zuständigkeit auf die einzelnen Bundesländer übertragen wird, die, wie in Bayern, Hamburg und Niedersachsen bereits geschehen, eigene Landesstrafvollzugsgesetze erlassen, stellt nicht etwa einen Anpassungsvorgang der bundesgesetzlichen Ebene an die zu Recht als menschenrechtswidrig bewerteten Haftbedingungen dar, sondern eine Zurückdrängung des in dem damaligen gesellschaftlichen Kontext ordnungspolitisch sinnvollen Versprechens eines humanen Strafvollzugs.

Die staatliche Anmaßung, tief in die Grundrechte einzugreifen und Menschen nicht nur ihrer Freiheit zu berauben, sondern sie in entsprechend dafür eingerichteten und vorgesehenen Anstalten zu brechen, ist durch ein Ausweichen auf psychiatrische oder anderweitige medizinische oder sozialwissenschaftlich determinierte Behandlungskonzepte keineswegs zu beenden, sondern erfährt lediglich eine im allgemeinen akzeptanzsteigernde Modifikation. Dabei besetzen die wohlmeinenden Streiter für die Würde gefangener Menschen tendenziell sogar noch die Sprache, die es Betroffenen ermöglichen könnte, Fragen wirkmächtiger Gegenwehr zu entfalten. So treten die berufsständischen wie ehrenamtlichen Helfer als der kritische und liebenswerte Appendix des bundesdeutschen Strafvollzugssystems in Erscheinung und tragen zu dessen Bestandssicherung in einer Zeit bei, die von der systematischen Steigerung des Wegschließens und einer Brutalisierung, wie sie beispielsweise in der unter dem Label "nachträgliche Sicherungsverwahrung" vollzogenen, inoffiziellen lebenslänglichen Inhaftierung bereits ihre Anwendung findet, gekennzeichnet ist.

[1] "Strafe und Schmerz - eine Annäherung", Aufsatz von Guido Britz, in: Grundfragen staatlichen Strafens, Festschrift für Heinz Müller-Dietz zum 70. Geburtstag, hrsg. von Heike Jung, Guido Britz ua., München 2001

1. Juli 2009


Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg.)
Haftbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland
Öffentliche Anhörung zu Gefängnispolitik und Knastalltag
Dokumentation der Tagung des Komitees für Grundrechte und Demokratie
vom 19.-21. September 2008 in Bonn
1. Auflage, Mai 2009
Komitee für Grundrechte und Demokratie
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50670 Köln
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ISBN 978-3-88906-130-0