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REZENSION/527: Martin Balluch - Widerstand in der Demokratie (Tierschutz) (SB)


Martin Balluch


Widerstand in der Demokratie

Ziviler Ungehorsam und konfrontative Kampagnen



In den frühen Morgenstunden des 21. Mai 2008 verschaffte sich die schwer bewaffnete Sondereinheit WEGA der österreichischen Polizei gewaltsam Zugang zu 23 Privatwohnungen und Büros verschiedener Tierschutzorganisationen des Landes, beschlagnahmte umfangreiches Beweismaterial und nahm zahlreiche Verhaftungen vor. Zehn Personen mußten 105 Tage in Untersuchungshaft verbringen. Einer von ihnen war Dr. Dr. Martin Balluch, Autor des 2009 im Promedia Verlag erschienenen Buchs "Widerstand in der Demokratie. Ziviler Ungehorsam und konfrontative Kampagnen", das sich besonders in der ersten Hälfte wie ein rechtsphilosophisches Plädoyer für Aktivismus am Beispiel des Tierschutzes mit juristisch grenzwertigen Mitteln liest.

Der aufsehenerregenden Verhaftungswelle war eine jahrelange Bespitzelung der österreichischen Tierschutzbewegung durch die SOKO Pelztier der Bundespolizeidirektion Wien vorausgegangen. Den Ordnungskräften, die sich teils aus dem Inlandgeheimdienst und der Mordkommission rekrutierten, stand das volle Repertoire moderner Ermittlungsmethoden zur Verfügung. So unterwanderte die Polizei nicht nur die Tierschutzgruppen und brachte Peilsender an Autos an, sondern setzte auch den Großen Lauschangriff ein. Die Auswertung des E-Mailverkehrs und der Forumsbeiträge wiederum trug nicht unerheblich zur Sammlung gewaltiger Datenmengen bei. Ob diese auch nur im mindesten halten, was sich die Strafverfolgungsbehörden von ihnen versprechen, werden die Verhandlungen zeigen, denen Balluch und zwölf weitere Aktivisten seit dem 2. März 2010 vor einem Gericht der Wiener Neustadt ausgesetzt sind.

Ihnen wird nach §278a StGB, auch "Anti-Mafia-Paragraph" genannt, Verdacht auf Bildung einer "kriminellen Organisation" vorgeworfen. Sie sollen eine Zelle der Animal Liberation Front (ALF), eines losen Netzwerks an Tierbefreiungsgruppen in mehreren Ländern, gebildet haben. Konkret geht es um Delikte wie Nötigung, Brandstiftung und schwere Sachbeschädigung, wobei der §278a - vergleichbar mit dem deutschen §129 - zuläßt, daß strafbare Handlungen nicht mehr bestimmten Personen zugeordnet werden müssen. Das hat diesen Paragraphen hierzulande wie in Österreich den Vorwurf des "Gesinnungsstrafrechts" eingebracht.

Es ist das erste Mal, daß bei unserem südlichen Nachbarn mit derart schweren Geschützen gegen Tierschützer vorgegangen wird. Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken (VGT), steht im Zentrum des laufenden Verfahrens, das sich voraussichtlich noch bis zum Herbst hinziehen wird. Insofern ist es verständlich, daß der Angeklagte bei dem heiklen Thema "Widerstand in der Demokratie" alles vermieden hat, was zu seiner Belastung beitragen könnte. So bekennt sich Balluch nicht nur mit dem Buchtitel zur Demokratie, auch innerhalb der acht Oberkapitel, in denen er einen Bogen über ethische und rechtsphilosophische Fragen, die Legitimität und Notwendigkeit konfrontativer Kampagnen, Aktionsformen aus dem Umfeld des Tierschutzes bis zu juristischen Angriffen gegen die Tierschutzbewegung spannt, betont er, daß sich jede Kampagne nur demokratisch legitimer Mittel bedienen sollte. Personen dürften nicht zu Schaden kommen, mehr noch, sie dürften nicht einmal bedroht werden, da ansonsten die Tierschutzbewegung nicht auf Unterstützung der Öffentlichkeit rechnen dürfte. (S. 83)

Damit grenzt sich Balluch klar gegen jene als radikal oder militant bezeichneten Tierschützer bzw. Tierrechtsaktivisten beispielsweise aus Großbritannien und den USA ab, die schon mal einen Brandanschlag auf das Haus eines an der Tierverbrauchsforschung beteiligten Wissenschaftlers verübt, den Leichnam der Schwiegermutter eines Unternehmers, der Versuchstiere züchtet und verkauft, gestohlen, Erpressungen vorgenommen und Mitarbeiter von Forschungslaboren bedroht haben. Aber auch in Österreich haben Tierschützer unter anderem Personen, die Kleidung mit Pelzaccessoires verkauften, einem so starken Druck ausgesetzt, daß dies den Rahmen von Gewaltfreiheit deutlich überschritten hat.

Wie kommen "radikale" oder "militante" Tierrechtsaktivisten dazu, Straftaten zu begehen? Sie haben ein grundsätzliches Anliegen, mit dem sie sich gegen das anerkannte, geradezu tabuisierte Raubverhältnis Mensch versus Tier, dem tagtäglich auf der ganzen Welt zig Millionen Tiere zum Opfer fallen, stellen. Sie wollen erreichen, daß keine Tiere mehr gequält oder getötet werden, und wissen, daß sie ihre Vorstellungen niemals auf systemimmanente Weise, wie sie Balluch in seinem Buch propagiert, durchsetzen können. So bedeutet das in Österreich von Tierschützern erkämpfte Auftrittsverbot von Wildtieren in Zirkussen logischerweise, daß "Nutz"-Tiere weiterhin vorgeführt werden dürfen. Die per Gesetz beschlossene Befreiung von Hühnern aus Legebatterien befreit die Tiere nicht von einem vorbestimmten Leben als Eierlegemaschine, und die Bestimmung, daß Versuche an Tieren genehmigt werden müssen, bewahrt diese nicht vor ihrer Vernutzung. In dieser erdrückenden Gewalt, die zu überwinden Tierrechtsaktivisten angetreten sind, gründet sich ihre Militanzbereitschaft.

Selbst die von Balluch gutgeheißenen legitimen Mittel müssen nicht deckungsgleich mit legalen Mitteln sein. Der Autor versucht zu begründen, warum auch und gerade eine Demokratie Widerstand in Form konfrontativer Kampagnen aushalten muß, ohne sogleich ins Extrem der Kriminalisierung der Aktivisten zu verfallen. Laut dem differenziert vorgetragenen Standpunkt muß eine demokratisch organisierte Gesellschaft konsequenterweise die Möglichkeit ihrer Weiterentwicklung zulassen. Andernfalls handelte es sich um keine Demokratie, und das wäre sehr bedenklich.

Wie aber könnten Veränderungen erreicht werden? Indem die Bürgerinnen und Bürger alle vier Jahre zur Wahl gehen, ein Kreuzchen machen und ihre Stimme abgeben? Das wäre eine Art der Einflußnahme, sie ist allerdings geringfügig und wird womöglich nicht dem Anliegen einer gesellschaftlichen Gruppe gerecht. Um dem eigenen Interesse mehr Gehör zu verschaffen und zur Durchsetzung zu verhelfen, sollten noch weitere Wege zur Einflußnahme zulässig sein, fordert der Autor. Träten Interessenkonflikte auf, wie es in einer komplexen Gesellschaft nicht anders zu erwarten sei, müßte es möglich sein, diese frei auszutragen. Immerhin könne es dazu kommen, daß sich die Interessen innerhalb der Bevölkerung wandeln und diese nun einen stärken Einfluß anstreben, um die Regeln, nach denen Gesellschaft funktioniere, zu reformieren. Deshalb seien Konflikte nicht a priori negativ zu bewerten, aus ihnen ergebe sich eine "Dynamik" und das Potential zur "Weiterentwicklung" der Gesellschaft. (S. 58/59)

Eine Regierung wäre dann die - theoretisch neutrale - Instanz, die darüber entscheide, welches Interesse sich durchsetzt. Nun gebe es jedoch Interessengruppen, die näher an der Macht seien und großen Einfluß auf die politischen Entscheidungsträger nähmen, wodurch andere Interessen unterdrückt würden. Das "freie Spiel der Kräfte" sei dann durchbrochen. Aus diesem Grund müsse Widerstand innerhalb einer Demokratie zugelassen werden, denn nur so könnten sich unterdrückte oder an den Rand gedrängte Interessen bemerkbar machen und ihre Chance auf Durchsetzung wahren.

Die zum Teil gesetzwidrigen, aber "demokratiepolitisch unbedenklichen" (S. 17) Aktionsformen, die im Rahmen der Tierschutzkampagne begangen werden, bilden laut Balluch das "Gegengewicht" bzw. den "Ausgleich" zur finanziellen Potenz regierungsnaher Interessen. (S. 30f) Der Autor verweist hier argumentativ nicht ungeschickt auf die konfrontativen Aktionsformen von respektablen historischen Persönlichkeiten wie Martin Luther King, der rund zwanzig Mal im Gefängnis saß, und Mahatma Gandhi.

Es gilt sicherlich nicht allein für die Tierschutzbewegung, daß viele der beteiligten Aktivisten aus einem Selbstverständnis heraus handeln, das lediglich moralisch oder mit einem diffusen Empfinden von Ungerechtigkeit begründet wird. Hier argumentiert der Autor, der 1989 an der Universität Heidelberg zum Doktor der Physik und 2005 an der Universität Cambridge zum Doktor der Philosophie promovierte, feinsinniger. Das hat den hinnehmbaren Nachteil, an manchen Stellen etwas umschweifig zu wirken, aber den großen Vorteil einer Gründlichkeit in der Auseinandersetzung mit Fragen, die viel zu selten gestellt werden. Ob er mit seinem "Plädoyer" das Gericht überzeugen kann, ist dagegen eine andere Frage. Es würde überraschen, sollte es sich auf eine Diskussion über Grundsatzfragen einlassen. Denn nach offizieller Lesart braucht es innerhalb einer Demokratie keinen Widerstand zu geben, da die von ihr erlaubten Mittel der Einflußnahme genügen. Folglich zielte weitergehender Widerstand auf die Abschaffung der Demokratie und müsse unterbunden werden. Auf eine solche Argumentation wird sich vermutlich auch die Staatsanwaltschaft in der, wie es in der österreichischen Öffentlichkeit heißt, "Tierschutzcausa" einschießen. Nach Paragraph 278a genügen den Anklägern bloße Mutmaßungen, Eindrücke, letztlich könnte man sogar von Emotionen sprechen, um die Verhängung einer Gefängnisstrafe zu rechtfertigen.

"Wir, die wir politisch aktiv sind, müssen jetzt eine Demarkationslinie ziehen bezüglich gerechtfertigter Aktionsformen, hinter die wir uns nicht zurückdrängen lassen" (S. 18), fordert dagegen Balluch und bezieht sich damit nicht nur auf den Tierschutz, sondern auf alle konfrontativen, politischen Kampagnen. Sie alle stünden vor demselben Problem, "auf Basis der bereits erreichten Überzeugung einer Mehrheit oder zumindest einer signifikanten Minderheit in der Gesellschaft gegen die Macht einflussreicher Personen oder Wirtschaftskreise eine Änderung der Geschäftspolitik von Firmen oder der Gesetzeslage zu bewirken" (S. 19). Der Autor mahnt eine Rückkehr zu einer "echten, lebendigen Demokratie" an, die er in Österreich unerfüllt sieht.

Es läßt sich denken, daß die Vertreter des Staates eine solche Aussage nicht anerkennen, da sie die Demokratie in Österreich sehr wohl als "echt" ansehen. Auch Balluchs nachvollziehbarer Standpunkt, daß er und andere Aktivisten sich vom Staatsapparat verfolgt und bedroht sehen, dürfte von der anderen Seite vollkommen anders bewertet werden. Aus Sicht des Staates wird die "Demarkationslinie" vom Gesetzgeber bestimmt. Wer sie überschreitet, wird dafür zur Rechenschaft gezogen, und die Ermittlungsbehörden bedienen sich selbstverständlich aller ihnen vom Gesetzgeber zugestandenen Methoden. Sollte es darüber hinaus zu ungesetzlichen Handlungen seitens der Strafverfolger kommen, könne ja dagegen rechtlich vorgegangen werden.

Für manche radikalen Tierschützer, die Tierbefreiungen vornehmen oder sich für Tierrechte einsetzen, ist Balluch zu kompromißbereit, da er sich für eine Politik der kleinen Schritte (S. 55) ausspricht und nicht die Demokratie an sich in Frage stellt. Worauf sich solche Kritik auch immer stützen mag, sie sollte nicht mit dem vorliegenden Buch begründet werden, denn darin muß wiederum Balluch eine persönliche "Demarkationslinie" ziehen, will er der Staatsanwaltschaft keine Munition liefern. Deshalb bleiben die von ihm diskutierten "Aktionsformen im Rahmen konfrontativer Kampagnen" (Kapitel 5) im Rahmen rechtsstaatlich erlaubter oder zumindest nicht als kriminell zu bezeichnender Methoden der Mobilisierung.

Durch seine jahrzehntelange Kampagnenarbeit zunächst gegen den Bau eines Atomkraftwerks, dann für den Erhalt eines Naturschutzgebietes und weiterer Umweltprojekte und seit geraumer Zeit für den Tierschutz hat Balluch reichlich Erfahrungen gesammelt, wie die Öffentlichkeit mobilisiert werden kann. Er ist dabei zu Einsichten gekommen, zu denen nur jemand gelangen kann, der sich regelmäßig in Konfrontation zu den Vertretern des Gesetzes begeben hat. So steckt hinter simpel klingenden Ratschlägen wie dem, daß bei konfrontativen Kampagnen möglichst Alternativen angeboten und nicht einfach nur Mißstände angeprangert werden sollten (S. 60), die Erfahrung des langjährigen Aktivisten. Die österreichischen Tierschützer haben vergleichsweise viel erreicht, Balluch gehört zweifellos zu denen, die daran einen maßgeblichen Anteil hatten.

Die Tierschutzcausa bewegt längst nicht mehr nur Aktivisten. Eben weil der österreichische Staat derart massiv gegen die Tierschützer vorgegangen ist, fließt diesen Sympathien aus dem In- und Ausland auch von Personen zu, welche illegale Aktionsformen strikt ablehnen. Darüber hinaus ergreifen politisch interessierte Bürgerinnen und Bürger, welche die Erosion ihrer Rechte und die zunehmende staatliche Repression im Zuge der sogenannten Terrorismusbekämpfung nicht hinnehmen wollen, die Gelegenheit, um ihrer Forderung nach Abschaffung des "Gesinnungsparagraphen" §278a Nachdruck zu verleihen.

Martin Balluch ist im besten Sinne des Wortes ein unbequemer Zeitgenosse, Störenfried einer gesellschaftlichen Ordnung, in der nach einer niemals hinterfragten Überlebensratio in großer Zahl Menschen und Tiere vernichtet werden. Der Autor hat die Entscheidung getroffen, sich für letztere einzusetzen, und dafür den erfolgversprechenden Karriereweg als Physiker verlassen. Jetzt laufen er und Gleichgesinnte Gefahr, daß ihnen bis zu fünf Jahre ihrer Freiheit genommen wird. Falls das eintrifft, muß das nicht bedeuten, daß sie dadurch mundtot gemacht werden, und der durch ihre Aktionen zum Ausdruck gebrachte Standpunkt würde dadurch nicht aus der Welt geschafft. Solange es gesellschaftliche Widersprüche gibt, wird es Menschen geben, die sich dagegen auflehnen, außerhalb und innerhalb von Gefängnismauern. Ob eine Befreiung der Tiere nicht konsequenterweise auch eine Befreiung des Menschen von jeglicher Verfügung und Verwertung einschließen müßte, wäre eine diskutierenswerte Frage, die gewiß den Rahmen einer Rezension sprengte.

25. Mai 2010


Martin Balluch
Widerstand in der Demokratie
Ziviler Ungehorsam und konfrontative Kampagnen
Promedia Verlag, Wien 2009
160 Seiten, 9,90 Euro
ISBN: 978-3-85371-304-4