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REZENSION/531: Walden Bello - Politik des Hungers (SB)


Walden Bello


Politik des Hungers



Der Zweite Weltkrieg dauerte sechs Jahre und hat 60 Millionen Menschen das Leben gekostet. Ein anderer Weltkrieg schafft das in nicht mal einem Drittel der Zeit, und das regelmäßig: Innerhalb von zwei Jahren sterben etwa 70 Millionen Menschen, weil sie nicht genügend zu essen haben. Sie sind Opfer in einem globalen Krieg, der so fürchterlich wütet, daß er nie beim Namen genannt wird. Mit historischen Dokumentationen, Chronologien und Analysen zum Zweiten Weltkrieg können ganze Bibliotheken gefüllt werden - Bücher zum globalen Hunger dagegen finden sich eher selten. Um so mehr Beachtung verdient deshalb das Buch "Politik des Hungers" des philippinischen Soziologieprofessors Walden Bello. Mit diesem programmatischen Titel - im Original "The Food Wars" - bezieht der Träger des Alternativen Nobelpreises eindeutig Stellung: Hunger wird gemacht. Er ist Folge absichtsvoller politischer Entscheidungen und nicht etwa tragischer Kollateralschaden einer ansonsten dem Erhalt des Lebens verpflichteten Politik.

Erst als es während der Preisexplosion von Grundnahrungsmitteln in den Jahren 2007, 2008 in mehreren Dutzend Ländern zu Unruhen und Hungeraufständen kam und Regierungen in Bedrängnis gerieten, ließ es sich nicht mehr vermeiden, daß Hunger, jener wie ein Tabu behandelte Kernwiderspruch der gegenwärtigen Verteilungsordnung, die Titelseiten der Gazetten erreichte - stets mit Blick darauf, wie brisant die Lage geworden sei ... für die Regierenden, versteht sich, nicht für die Hungernden. Deren Zahl hat sich innerhalb der letzten zwei, drei Jahre um mehr als 25 Prozent von rund 850 Millionen auf fast 1,1 Milliarden erhöht. Dieser jüngste Trend ist der Mainstreampresse keine Titelseite mehr wert, obgleich die bereits von den Regierungen in Deutschland, Großbritannien und anderen relativ reichen Ländern angekündigten Verarmungsprogramme auch in den Wohlstandsregionen die finstere Ahnung aufkommen lassen könnten, daß jene Kräfte, die vom Hunger in der sogenannten Dritten Welt profitieren, in ihren Machenschaften letztlich keine Grenzen kennen. Walden Bello hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Auswirkungen dieses Tuns auf die Länder des Südens zu beleuchten.

Nach einer ausführlichen Einleitung, in der der Autor einen weiten Bogen spannt von der Krise der globalen Preisexplosion für Grundnahrungsmittel bis zum Untergang des Bauerntums, geht Bello über zu einem allgemein gehaltenen Kapitel mit dem Thema "Kapitalismus gegen Bauern", um anschließend an den Beispielen Mexiko, Philippinen und Afrika die verheerenden Auswirkungen der "Politik des Hungers" aufzuzeigen. Im fünften Kapitel widmet er sich China, das einen eigenständigen Weg verfolgt, im Dezember 2001 der Welthandelsorganisation beigetreten ist und sich in einem Übergangsstadium auf dem Weg zur Kapitalisierung der Landwirtschaft befindet, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Das sechste Kapitel wiederum behandelt den Zusammenhang von "Agrotreibstoffen und Ernährungsunsicherheit". Abschließend legt Bello seine Vorstellung von einer Abkehr vom bisherigen Entwicklungsweg dar und propagiert eine "Rückverbäuerlichung" der Landwirtschaft. Bauernvereinigungen wie die 1993 gegründete La Via Campesina dienen ihm als positives Beispiel.

Explizit widerspricht Bello dem Historiker Eric Hobsbawm, der in seinem hochgelobten Buch "Das Zeitalter der Extreme" (1994) den "Untergang der bäuerlichen Klasse" ausgerufen habe. Das sei vorschnell gewesen, erklärt der Autor. Hobsbawm habe dann auch einräumen müssen, "dass die 'agrarisch dominierten Regionen [...] am Ende unseres Zeitalters' noch 'die Hälfte der Menschheit' beherbergen" (S. 20). Zudem widerspricht Bello Hobsbawms "ehrwürdigem Vorgänger Karl Marx", der die Bauern "mit einem zu nennenswerter Solidarität unfähigen und mit noch weniger Klassenbewusstsein ausgestatteten 'Kartoffelsack'" verglichen habe. Dieser Einschätzung hält Bello entgegen, daß sich La Via Campesina zu "einem einflußreichen Akteur in den Bereichen der globalen Landwirtschaft und des Handels" entwickelt hat. "Der Geist des Internationalismus, der beinhaltet, die eigenen Klasseninteressen aktiv mit dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft zu identifizieren und der einst ein hervorstechendes Merkmal der Arbeiterbewegung war", kennzeichne diese internationale Bauernbewegung (S. 20).

Eine zentrale Aussage, die Bello anhand verschiedener Länderbeispiele immer wieder ansteuert und auch für Laien nachvollziehbar vertieft, lautet, daß die von IWF und Weltbank über einen Zeitraum von zwanzig Jahren hinweg mehr als 90 Entwicklungs- und Schwellenländern verordneten "Strukturanpassungsprogramme" ein wesentlicher Verarmungsfaktor waren. Dieser habe der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern schweren Schaden zugefügt. Die relativ versorgungssichere bäuerliche Landwirtschaft sei von der Versorgungsunsicherheit erzeugenden kapitalistisch-industriellen Landwirtschaft abgelöst worden.

Der Autor nimmt die Massendemonstrationen im Frühjahr 2007 in Mexiko wegen des um 60 Prozent gestiegenen Tortilla-Preises zum Anlaß, um über die Fehlannahme aufzuklären, daß der Abzug von Mais für die Agrospritproduktion in den USA der Hauptgrund der Preisentwicklung war. Bello verweist auf die jahrelange Freihandelspolitik von IWF, Weltbank und der US-Regierung und betont, daß sie in den Jahren vor der Tortillakrise die Heimat des Maises in eine Mais importierende Ökonomie verwandelt haben.

Es begann damit, daß Mexiko Anfang der achtziger Jahre bei IWF und Weltbank um Darlehen bat, damit es seine Schulden begleichen konnte. Die Gegenleistung bestand nicht nur in der zeitlich gestaffelten Abtragung der geliehenen Summe samt Zinsen, sondern auch in der Verpflichtung, hohe Zölle, staatliche Regulierungsmaßnahmen und unterstützende Regierungsinstitutionen abzuschaffen. Diese stellten "der im Aufstieg begriffenen neoliberalen Doktrin zufolge Behinderungen der ökonomischen Effizienz dar" (S. 56). Das Programm sei euphemistisch als "Strukturanpassung" bezeichnet worden, und die Transformation der Landwirtschaft war eine der Hauptkomponenten.

Noch deutlicher erkennbar wird der destruktive Charakter der Strukturanpassung an den Philippinen, wo Reis das wichtigste Grundnahrungsmittel ist. Weder wird Reis im großen Maßstab auf dem Weltmarkt gehandelt, noch wird er für die Agrospritproduktion verwendet. Dennoch wurde aus dem Nettoexporteur von Nahrungsmitteln ein Nettoimporteur (S. 75). Die Liberalisierung des Handels und die restriktive Geld- und Steuerpolitik ließen Anfang der 1980er Jahre den Privatsektor regelrecht kollabieren. Bello zählt auf: "Zu den bis dahin im Inland hergestellten Gütern, die dieser Politik zum Opfer fielen, zählten Papierprodukte, Textilien, Keramikprodukte, Gummiprodukte, Möbel und Einrichtungsgegenstände, Petrochemikalien, Getränke, Holzprodukte, Schuhe, Erölerzeugnisse [sic], Kleiderzubehör und Lederwaren. Der Textilindustrie machte die Kombination aus Zollsenkungen und Missbrauch der Zollfreiheitsprivilegien nahezu vollends den Garaus; hatte es 1970 noch 200 Betriebe gegeben, so gab es Ende des Jahrhunderts weniger als zehn." (S. 78/79)

In einer Zeit des politischen Umbruchs der Philippinen von der Marcos-Diktatur zur Präsidentschaft Corazon Aquinos wäre es nach den Grundsätzen orthodoxer makroökonomischer Wirtschaftspolitik angebracht gewesen, dem Zusammenbruch der Industrie mit einer antizyklischen Politik zu begegnen, schreibt Bello (S. 79). Statt dessen hätten die internationalen Kreditgeber die noch in den Kinderschuhen steckende Demokratie zur Annahme einer "Musterschuldner-Strategie" bewegt. Zwischen 1986 und 1993 flossen acht bis zehn Prozent des Bruttosozialprodukts jährlich als Schuldendienst ins Ausland; insgesamt beinahe 30 Milliarden Dollar. Die Auslandsschulden der Philippinen beliefen sich 1986 jedoch nur auf 21,5 Milliarden Dollar. Die Reiskrise im Jahre 2007/2008 dieses südostasiatischen Landes geht nach Bello wesentlich auf die Folgen der Strukturanpassungsmaßnahmen zurück.

"Die afrikanische Landwirtschaft ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich durch doktrinäre Wirtschaftspolitik die produktive Basis eines ganzen Kontinents zerstören läßt" (S. 93), eröffnet der Autor ein Kapitel, in dem er die Auswirkungen der Strukturanpassung auf den afrikanischen Erdteil analysiert. Konnte sich Afrika in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts zur Zeit der Entkolonisierung noch vollständig mit Nahrungsmitteln selbst versorgen, wurde der Nettoexporteur nach und nach zu einem Nettoimporteur. Heute muß Afrika 25 Prozent seiner Nahrungsmittel einführen. Die Strukturanpassung verwüstete die Industrie und "lähmte die Landwirtschaft" (S. 99). Insbesondere die Abschaffung der Düngemittelsubventionen sei dafür der "Schlüsselfaktor" gewesen (S. 114). Die afrikanischen Ökonomien wurden so umgebaut, daß landwirtschaftliche Güter ausgeführt wurden, damit die Staaten Devisen einnahmen, um ihre Auslandsschulden abtragen zu können. Armut und chronische Hungersnöte als Folge halten bis heute an.

Die Ähnlichkeit der desaströsen Folgen der Strukturanpassung auf verschiedenen Erdteilen ist so frappant, daß hier sicher nicht von Zufall gesprochen werden kann. Der lange Zeitraum wiederum, in der die Maßnahmen durchgesetzt wurden und sich die schwerwiegenden Folgen längst abgezeichnet hatten, läßt darauf schließen, daß IWF und Weltbank sehr wohl wußten, daß sie zig Millionen Menschen in existentielle Not trieben. Vor dem Hintergrund der vernichtenden politischen Maßnahmen aus rund zwei Jahrzehnten und der anhaltenden Hungerkrise trifft Bello eine bemerkenswerte Aussage, die hier mit zwei Zitaten gewürdigt werden soll:

"Sicherlich war die Spekulation - neben der Ausrichtung der Landwirtschaft an der Biotreibstoffproduktion [...] - einer der Faktoren, die zum perfect storm, also der von 2006 bis 2008 gegebenen 'Verkettung unglücklicher Umstände' führten. Dennoch ist festzuhalten, dass der ökonomische Taifun weitgehend aus langfristigen Entwicklungen gespeist wurde. In den Jahren vor den rapiden Preisanstiegen von 2008 überstieg die Nachfrage nach den Hauptgetreidesorten (Reis, Weizen, Gerste, Mais und Sojabohnen) deren Produktion. Die Getreidespeichervorräte sanken auf 40 Prozent des Bestandes von 1998-99. Das Verhältnis der Bestände zum Verbrauch sank, auf die Hauptgetreidesorten bezogen, auf ein Rekordtief, während es bezogen auf Mais und pflanzliche Öle die niedrigsten Werte seit Jahren aufwies." (S. 12)

Und einige Seiten weiter:

"In den 1980er und 1990er Jahren galt es weitgehend als Konsens, dass die Welt über genügend Nahrungsmittel verfügt, um sieben oder acht Milliarden Menschen zu ernähren, so dass Hunger und Unterernährung auf ungleiche Einkommen und ungleichen Nahrungsmittelzugang zurückgeführt werden mussten. Bis zur Jahrtausendwende war das Problem aber tatsächlich zu einem der Produktions- und Angebotsbeschränkungen geworden (...)." (S. 15)

Die Weltgetreidevorräte schwinden, der Hunger nimmt zu. Zwei einfache Aussagen von großer politischer Brisanz, wie im folgenden mit Hilfe einer Analogie veranschaulicht werden soll: In einem geschlossenen Raum befinden sich zehn Personen, aber nur eine Hälfte weiß, daß die vorhandene Nahrung auch bei einer gerechten Verteilung nur für sie, nicht aber für die andere Hälfte reicht. Werden die Eingeweihten nicht versuchen, ihr Wissen vor den anderen zu verbergen? Und werden sie darüber hinaus nicht bemüht sein, Verhältnisse zu schaffen, in denen der Mangel dauerhaft auf die Uneingeweihten abgewälzt wird, am besten noch so, daß diese dem Eindruck unterliegen, sie seien vom Schicksal geschlagen?

Jener abgeschlossene Raum steht für die gesamte Erde. Die wird von gegenwärtig 6,7 Milliarden Menschen bewohnt, von denen ein Sechstel nicht genügend zu essen hat. Das komplexe Geflecht globalgesellschaftlicher Beziehungen entspricht in unserer Analogie den "Verhältnissen", die von den Eingeweihten geschaffen wurden, um die Uneingeweihten dauerhaft ihrem vermeintlichen Schicksal zu unterwerfen. Selbst die Vorstellung, daß sich das Problem des Nahrungsmangels durch "Verteilungsgerechtigkeit" beheben lasse, wäre in unserem Bild noch immer Bestandteil der Täuschung, obschon das konsequente Einfordern des Rechts auf Nahrung und die Vorstellungen zur Verteilungsgerechtigkeit durchaus als kritische Stellungnahmen - immer im Verhältnis zur offiziellen Politik, in der über Hunger geklagt wird, ohne den systemischen Charakter seiner Entstehung zu benennen - anzusehen sind.

Dennoch bleibt festzustellen, daß die Hoffnung, es gäbe im Prinzip genügend Nahrung für alle Menschen, wenn sie nur richtig verteilt würde, die Hungernden (Uneingeweihten) davon abhält, nicht mehr auf bessere Zeiten zu warten, sämtliche Hemmungen abzulegen und schlechterdings zu plündern und zu rauben. Mit "Politik des Hungers" kommt Walden Bello dieser Analogie näher als viele andere Analysten, die Krokodilstränen ob des globalen Hungers weinen, ihn gar hauptsächlich auf mutmaßliche Korruption in den Entwicklungsländern zurückführen oder andere bequeme Antworten liefern, anscheinend nur um auf keinen Fall das vorherrschende Raubsystem in Frage stellen zu müssen. Das wäre nämlich die gebotene Konsequenz, wollte man ernsthaft den Hunger beenden.

Bello sieht in der "Neuausrichtung der Agrarpolitik" im Zuge der Strukturanpassung "die zentrale Ursache für die Nahrungsmittelpreiskrise" (S. 13) und kommt zu dem Schluß, daß die den Entwicklungs- und Schwellenländern oktroyierte Politik den Zweck hatte, diese in den Weltmarkt zu integrieren (S. 19).

An dieser Stelle hätte man sich allerdings gewünscht, daß der Autor etwas tiefer in die Analyse eingedrungen wäre, damit er nicht unfreiwillig herrschaftsförmige Mystifizierungen kolportiert. Wird doch mit einer Bezeichnung wie "Weltmarkt" knallharte Interessenpolitik zum freien Spiel von vermeintlich waffengleichen Wirtschaftsakteuren in Nord und Süd verklärt. Eine Integration in den Weltmarkt besagt jedoch nicht weniger, als daß die davon betroffenen Länder des Südens servierfertig gemacht und den einflußreichen Wirtschaftsnationen zum Verzehr zugeführt werden. Dabei erfüllt sowohl die Ver- als auch die Entschuldung den gleichen Zweck: sie sichert den sogenannten Geberländern den langfristigen Einfluß auf bzw. die Verfügungsgewalt über die mineralischen und biologischen Ressourcen des Südens, inklusive die menschliche Arbeitskraft.

Für das Kapital seien "Nahrungsmittel, Tierfutter und Agrotreibstoffe als Investitionsmöglichkeiten austauschbar", stellt der Autor fest. Über die Allokation der Investitionen entschieden die Profitraten. Wohingegen die Frage, "wie die realen Bedürfnisse der Mehrheit der Weltbevölkerung befriedigt werden sollen", nur von zweitrangiger Bedeutung sei, sofern "sie in der Geschäftskalkulation überhaupt berücksichtigt" (S. 25) werde. Mit diesen Anmerkungen trifft Bello einen wunden Punkt der vorherrschenden globalen Mangelverwaltung, allerdings ohne dabei konventionelle Vorstellungen vollständig abzulegen. So schreibt der Autor in seiner Einleitung, er wolle nachweisen, "dass sich die kapitalistisch-industrielle Landwirtschaft zum Zeitpunkt ihres scheinbaren Triumphes als ausgesprochen dysfunktional erwiesen hat" (S. 27). Hier wäre zugespitzt zu formulieren: "Dysfunktional" war die industrielle Bewirtschaftungsweise nur in Hinsicht ihres Versprechens, mehr Nahrung für die Hungernden in der Welt produzieren zu können, wohingegen sie überaus funktional in Hinsicht der von dem Autor selbst angesprochenen Absicht der Profitmaximierung bzw. Ausbeutung war (S. 29).

Das vorliegende Buch strotzt nur so von Beispielen, anhand derer die Entstehung von Hunger als Folge politischer Maßnahmen transparent wird. Noch in zehn Jahren wird es nicht an Aktualität eingebüßt haben, weil es grundlegende Mechanismen der wirtschaftlichen Unterwerfung ganzer Regionen beschreibt. Die aktuell zähen Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten um die Verabschiedung von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die ins Stocken geratene Doha-Runde der Welthandelsorganisation, sogar die gescheiterten Versuche, einen verbindlichen internationalen Klimaschutzvertrag abzuschließen, zeugen davon, daß die Ziele der teils zwanzig oder dreißig Jahre zurückliegenden Strukturanpassungsprogramme eins zu eins auf die heutigen Auseinandersetzungen zwischen den Staaten übertragbar sind.

Thematisch nicht berührt wird von Bello die Absicht globaler Akteure wie den USA, sich mit der Nahrungsproduktion geostrategische Vorteile im Ringen um die globale Hegemonie zu verschaffen. Immerhin sind die USA der weltgrößte Getreideexporteur. Nicht zufällig sitzen die größten Agrokonzerne der Welt in den USA. US-Politiker haben über Jahre hinweg die bäuerliche Landwirtschaft in den Ländern des Südens aufs Korn genommen und die Regierungen überredet, Getreide aus den USA zu kaufen, da es von dort kostengünstig zu erstehen sei, anstatt es mühsam selbst anzubauen. Durch jährliche Subventionen in Milliardenhöhe für die eigene Landwirtschaft versuchen sich die USA ein fulminantes Herrschaftsmittel zu erwirtschaften: Die Kontrolle über Nahrung, ihre Produktion ebenso wie ihre Verteilung.

Ein Abbau des Staates, wie er von IWF und Weltbank mit Hilfe der Strukturanpassungsmaßnahmen als Bestandteil der Verschuldungspolitik betrieben wurde, bedeutet logischerweise, daß andere Kräfte und Interessen an seine Stelle treten. Im Kapitalismus nimmt die Wirtschaft diese Funktion wahr, jedoch ohne die abgeschafften Aufgaben des Staates zu übernehmen. Auf diese Weise wird eine staatlich organisierte Gesellschaft allmählich in eine wirtschaftlich organisierte transformiert. Während aber der Staat zumindest in seiner idealen Form um das Wohl aller Bürger besorgt ist, betreibt die Wirtschaft das genaue Gegenteil davon. Sie muß Mangel produzieren, denn nur darüber kann ein Akkumulationsregime geschaffen werden, in dem wenige Menschen den von ihren Artgenossen produzierten Mehrwert abschöpfen. Wenn dagegen umgekehrt alle notwendigen Dinge zur Befriedigung von Bedürfnissen frei verfügbar wären, bräuchte kein Handel und kein Wirtschaften zu entstehen.

In "Politik des Hungers" benennt Walden Bello die Akteure der vorherrschenden Mangelproduktion und beschreibt die Folgen ihrer Methoden und Konzepte. Die Einordnung und Bewertung dieser Herrschaftsmechanismen wäre eine Aufgabe, die von den Leserinnen und Lesern geleistet werden müßte. Dazu bietet das Buch eine gelungene Steilvorlage.

17. Juni 2010


Walden Bello
Politik des Hungers
Aus dem Englischen von Max Henninger
Assoziation A, Berlin, Hamburg April 2010
ISBN 978-3-935936-91-0
200 Seiten, 16 Euro