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REZENSION/544: Christoph Twickel - Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle (SB)


Christoph Twickel


Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle



Wer wie der Rezensent nach drei Jahrzehnten wieder einmal die Hamburger Stadtviertel St. Pauli-Süd und Altona-Ottensen besucht, kann die Gentrifizierung mit bloßen Händen greifen. Wo einst billiger Wohnraum zur Verfügung stand, der alteingesessenen Arbeitern, mittellosen Zuwanderern und Studierenden eine Bleibe bot, macht sich heute bistro-gefütterter Mittelstand breit; wo einst Fischverkäufer in kalten, zugigen Hallen ihre Ware ersteigerten, sitzen heute in feinstem Zwirn gekleidete, vom Catering-Service rundum versorgte hanseatische Händler zu Tisch; wo sich schmucklose, rein auf ihre innere Funktion beschränkte Kontore aufreihten, stellen inzwischen Geschäftshäuser mit Glas, Marmor und Edelstahl ihren Reichtum zur Schau.

Daß sich Städte im Laufe der Zeit verändern, ist nicht anders zu erwarten. Aber wie es dazu kommt, daß der Reichtum in vormals ärmere Viertel einzieht, während deren Bewohner in die Peripherie abgedrängt werden, darüber hat der Hamburger Autor Christoph Twickel ein aufschlußreiches Buch geschrieben. "Gentrifidingsbums" hat er es genannt, ein Wort, das nicht weniger sperrig klingt als der stadtgeographische Fachbegriff Gentrifizierung, der mit Dingsbums verulkt wird. Wer es beim Lesen bis "Gentrifi-" gebracht hat, ohne seine Zunge zu verknoten, sollte eigentlich mit dem anschließenden "-zierung" kein Problem mehr haben. Aber bitte, Gentrifidingsbums lautet der Name, ein "politischer Kampfbegriff", mit dem einstmals Aktivisten rund um den ehemaligen Bauwagenplatz "Bambule" in Hamburg zu einer Demonstration aufgerufen hatten (S. 8).

Vornehmlich an Fallbeispielen aus der Hansestadt, aber auch mit Blick auf Berlin, London und andere Städte beschreibt der Autor die "Abkehr von der wohlfahrtstaatlichen zur unternehmerischen Stadt" (S. 28). Im Fokus neoliberaler Politik stehe nicht mehr der Ausgleich zwischen sozialräumlichen Ungleichheiten, sondern die Ungleichheit als Anreizsystem für unternehmerische Investitionen. 1983 habe der Erste Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi 650 Mitgliedern des alteingesessenen "Hamburger Überseeclubs" eine neue Standortpolitik für das "Unternehmen Hamburg" als Antwort auf den wirtschaftlichen Strukturwandel ans Herz gelegt (S. 27). Die Stadt, in der sich auch die Besserverdienenden wohlfühlen können, sollte fortan wie ein Unternehmen geführt werden, das mit anderen Städten konkurriert. Alstervergnügen, Hafen-Geburtstag und zahlreiche weitere große und kleine Events werben für Hamburg als attraktiven Standort für die Unternehmensansiedlung und als günstige Anlageoption fürs Finanzkapital.

Twickel zitiert aus einer Senatsdrucksache aus dem Jahre 2002, wonach die "Unverwechselbarkeit des Standortes zu einem internationalen Markenzeichen" (S. 63) entwickelt werden soll. Aus diesem Grund hatte die Stadt Hamburg eigens den Unternehmensberater Roland Berger beauftragt, damit er prüfe, inwiefern die Ideen des Ökonomen und zum Guru der Stadtplaner gemauserten Richard Florida auf die Hansestadt angewandt werden könnten. Florida rät den Städten zu einer Art Vitalisierungsspritze, indem sie die "kreative Klasse" fördern. Das Ergebnis solcher Image-Aufpolierung ist bei Twickel nachzulesen:

"Die Image City entdeckt den Bohemien als Insignium metropolitaner Coolness und Vielfalt. Die DJs, die Musiker, die freien Künstler und Filmemacher, die Mode- und Theaterleute, die Slam-Poeten, die kleinen Läden, Klubs und Galerien und ihre Communitys stehen nicht nur für ein interessantes Umfeld, sondern für das coole Off, das nonkonformistische Andere im Stadtraum. Hier leben und arbeiten die Underdogs, die man schätzt und die gleichzeitig der Metropole eine Aura von konsumierbarem Ausnahmezustand geben, von hipper Prekarität. So erklärt sich, warum die unternehmerische Stadt für ihre Bildproduktion neben den Großevents auch die Subkulturen braucht."
(S. 63)

Der Bau der Hafen-City, die auf den Grundfesten der alten Speicherstadt errichtet wurde und für gehobene Mittelständler bis Neureiche vorgesehen ist, sowie die bis heute noch nicht fertiggestellte Elbphilharmonie - Opernhaus, Fünf-Sterne-Hotel, Eigentumswohnungen in einem einzigen Gebäudekomplex, der allein vierzig Prozent des Kulturetats verschlingt - sind gestaltgewordene Wahrzeichen des ungeheuren Reichtums der Elbmetropole.

Eine Stärke dieses Buchs liegt in der kenntnisreichen Beschreibung, wie leerstehender Wohnraum in "heruntergekommenen" Stadtvierteln von Künstlern nicht nur materiell durch Renovierungsarbeiten aufgewertet, sondern wie damit auch ein Imagegewinn für das Viertel geschaffen wird, der sich für die Eigentümer der Gebäude rechnet. So werden "Studierende, Künstler, Bohemiens und die Alternativkultur" zu gut geschmierten "Rädchen der ökonomischen Aufwertung", in einem Getriebe, an dessen Schalthebeln "die Bauwirtschaft, Immobilienfonds, Banken und Investoren" sitzen (S. 5).

"Wer sich die Mieten nicht leisten kann, muss sich als 'künstlerischer Nachwuchs' einsortieren lassen und bei der Kreativagentur um 'temporäre Nutzung von Leerständen' ersuchen. Dafür gibt es sogar einen Mietzuschuss, allerdings nur, wenn 'die Dringlichkeit des Bedarfs und die Relevanz für den Kreativstandort Hamburg' gegeben sind ..."

heißt es in dem von Twickel mitverfaßten und im vergangenen Jahr veröffentlichten Manifest "Not in Our Name, Marke Hamburg" (S. 119). Damit wurde erstmals die Rolle der Künstler im Rahmen der Gentrifizierung einer breiten, überregionalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Der Autor stellt gleich zu Beginn seines Buchs die Grundsatzfrage: "Wie soll man etwas bekämpfen, das man doch selbst produziert hat?" (S. 5) Wie kann verhindert werden, daß sich eine Stadt mit "kreativen Milieus" schmückt und darüber ein investitionsfreudiges Image produziert wird, dem anschließend, wenn die Mieten in den aufgewerteten Vierteln steigen, auch die relativ mittellosen Künstler zum Opfer fallen und nomadisierend weiterziehen müssen, um andernorts den gleichen Prozeß in Gang zu setzen?

Bewegungen wie "Recht auf Stadt", Manifeste wie "Not in Our Name, Marke Hamburg" oder auch das zum Abriß vorgesehene, von Künstlern besetzte Hamburger Gängeviertel sind nach Ansicht des Autors Teil einer wachsenden Gegenkultur. Diese will sich des Wohnraums bemächtigen, der von ihr besetzt wird, und sie will verhindern, daß Investoren in ihr Stadtviertel Einzug halten und es gentrifizieren. Im Rahmen dieser Kampagnenarbeit soll das Buch ein "Tool" sein, ein Werkzeug, um "den Hype um die globale und nationale Standortkonkurrenz zu dechiffrieren, der Städte heute zur Beute von Anlagekapital macht und die Gemeinwesen zu Geiseln von Imagepolitik". Es gebe "viele kluge und dicke Bücher, die dies allgemeingültiger, wissenschaftlicher, detailreicher analysieren", räumt Twickel ein. Den möglichen Wert seines Buchs sieht er in der "Grassroots-Perspektive" (S. 7).

Die Mechanismen und Phänomene der Gentrifizierung und die Bemühungen, sich ihr zu widersetzen, werden von dem Autor anschaulich beschrieben. Allein das macht das Buch lesenswert. Auch versäumt er es nicht, den Blick über den Tellerrand zu werfen und festzustellen, daß Stadtentwicklung "nun im weltumspannenden Maßstab" stattfindet. "US-Immobilienfonds engagieren sich im asiatischen Raum, chinesische Banken setzen auf Hypothekenanleihen in den USA. Gigantische Infrastruktur- und Städtebauprojekte in China oder in den arabischen Öl-Staaten eröffnen neue Geschäftsfelder für das Finanzkapital." Die schuldenfinanzierte Urbanisierung sei zu einem globalen Geschäft geworden. Ihre Konsequenzen seien sozial und ökologisch desaströs und widersprächen "jeder stadtplanerischen Vernunft" (S. 114).

Nicht erwarten darf man von dem Buch hingegen, daß in ihm die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Gentrifizierung prinzipiell hinterfragt werden. Das ist nicht Twickels Anliegen, auch wenn er treffend konstatiert:

"Gentrifizierung ist kein 'Prozess' ohne Namen und Adresse. Sie ist das politisch beförderte Recht des Stärkeren, angewandt auf den Stadtraum. Sie ist das Mittel, mit der die Koalitionen aus politischen Entscheidungsträgern, Bau- und Immobilien-Wirtschaft sowie privilegierten Bürgerlobbys unsere Metropolen durchsortieren. Das Resultat sind die gut ausgestatteten, für die Work-Life-Balance optimierten Gegenden für das obere Viertel der Bevölkerung ebenso wie die sozial und kulturell abgehängten Ecken für das untere Viertel. Gentrifizierung macht aus einem Milieu der Vielen ein Produkt für Wenige."
(S. 103)

Wenn jedoch in einer Gesellschaft eine Daseinsgrundfunktion wie Wohnen den Kräften der nach günstiger Rendite strebenden Unternehmen ausgeliefert wird, dann bleiben Mietpreiserhöhungen und Gentrifizierung nicht aus. Gegenentwürfe wie die Forderung nach einem "Recht auf Stadt" richten sich ausgerechnet an jene Institutionen und Funktionsträger, die das Recht geschrieben haben oder die an einflußreichen Stellen des finanzgetriebenen Verwertungssystems sitzen und sicherlich nicht bereit sind, ihre Privilegien aufzugeben. So kann es zwar geschehen, daß nach entsprechenden Protesten ein Stadtgebiet wie das Gängeviertel nicht abgerissen wird oder daß sich Hausbesetzer mit dem Eigentümer und der Stadtverwaltung auf den Erhalt eines Gebäudes und die fortan legale Nutzung einigen, aber das bleiben solange Einzelbeispiele, denen mindestens ebensoviele Negativerfahrungen in womöglich derselben Stadt oder andernorts gegenüberstehen, wie nicht die vorherrschenden Produktionsweisen, denen der vergesellschaftete Mensch unterworfen ist, fundamental in Frage gestellt werden.

12. Oktober 2010


Christoph Twickel
Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle
Edition Nautilus, Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg 2010
128 Seiten, 9,90 Euro
ISBN 978-3-89409-726-2