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REZENSION/596: John Walsh - Contests and Contexts (Gälisch) (SB)


John Walsh


Contexts and Contexts

The Irish Language and Ireland's Socio-Economic Development



Laut Verfassung ist Gälisch die erste Amtssprache Irlands. Dennoch wird von den Iren fast ausschließlich die zweite Amtssprache Englisch gesprochen. Obwohl laut Volkszählung mehr als die Hälfte der Bevölkerung von fast fünf Millionen Menschen nach eigenen Angaben Gälisch zumindest rudimentär beherrscht, verwenden außerhalb des Schulsystems - wo die irische Sprache Pflichtfach ist - weniger als 100.000 Iren es täglich. Damit ist die Republik Irland vom Ziel der Gründerväter, die mit dem Osteraufstand 1916 gegen Großbritannien nicht nur die politische, sondern auch die kulturelle Unabhängigkeit erreichen wollten, leider noch Lichtjahre entfernt.

Für die geringe Nutzung des Gälischen in Irland gibt es viele Gründe - historische, kulturelle und wirtschaftliche. Bis heute haftet der irischen Sprache trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer langen Geschichte als Medium der Mythen und Gedichte der Ruf des Rückständigen, des Ländlichen an. Wer in der modernen, urbanen Welt der Globalisierung vorankommen will, braucht die internationale Verkehrssprache Englisch, so die vorherrschende Meinung. Warum sich mit einer Minderheitensprache aufhalten, die sowieso kaum einer versteht? Angesichts der allgegenwärtigen englischen Sprache stößt diejenige Person, die in der irischen Öffentlichkeit Gälisch benutzt, selten auf Wohlwollen, sondern meistens auf Unverständnis, gelegentlich auf Animosität. Die meisten Iren wissen schon um den Wert der gälischen Sprache als Symbol der kulturellen Eigenständigkeit, doch ist sehr vielen ihre Nutzung zu aufwendig. Das zuzugeben, ist ihnen zudem peinlich. Wer Gälisch nicht fließend spricht, befindet sich in einer entsprechenden Gesprächssituation anderen gegenüber eventuell in einer sozial benachteiligten Position - was niemand mag und worauf sich einzulassen, die wenigsten bereit sind.

Ein gutes Beispiel für die Empfindlichkeit in der Frage des Stellenwertes der gälischen Sprache in der irischen Öffentlichkeit stellt die Kontroverse dar, die vor wenigen Tagen Gerry Adams und die politische Kolumnistin Miriam Lord auf den Seiten der Irish Times austrugen. Letztes Jahr hatte der Vorsitzende der linksnationalistischen Sinn-Féin-Partei und Architekt des nordirischen Friedensprozesses sein Mandat für die Regionalversammlung im heimischen Belfast aufgegeben, bei den Parlamentswahlen im Süden kandidiert und einen Sitz als Abgeordneter der grenznahen Grafschaft Louth gewonnen. Seitdem hat Adams im irischen Unterhaus, dem Dáil, den Vorsitz der Sinn-Féin-Fraktion inne und liefert sich in dieser Funktion mit Premierminister Enda Kenny von der konservativen Partei Fine Gael regelmäßig Rededuelle - demonstrativ auf Gälisch.

Nun, wer Adams mal Gaeilge sprechen gehört hat, wird an den nicht seltenen Beugefehlern und an der Verwendung des einen oder anderen englischen Begriffs erkennen, daß der ehemalige Kommandeur der Untergrundarmee IRA sie nicht absolut perfekt spricht. Um so mehr müßte man ihn dafür loben, daß er im öffentlichen Rampenlicht mit seinem fehlerhaften Gälisch weitaus mehr wagt, als Abgeordnetenkollegen, welche die gälische Sprache fließend beherrschen, sie jedoch niemals oder nur gelegentlich benutzen. Miriam Lord, deren satirische Berichte über das politische Treiben vor und hinter den Kulissen des irischen Parlaments im Dubliner Leinster House in der Irish Times, der wichtigsten Tageszeitung des Landes, sich großer Beliebtheit erfreuen, scheint da offenbar anderer Meinung zu sein. Bei ihr ist Adams' Dauereinsatz fürs Gälische seit Monaten quasi zum "running gag" geworden. In einem Beitrag in der Ausgabe der Irish Times vom 10. Oktober hat sie sich sogar darüber mokiert, daß der Eindringling aus West Belfast die Dáil-Debatten mißbrauchen würde, um die erste Landessprache zu üben; dafür wäre Conradh na Gaeilge, der Verein zur Förderung der gälischen Sprache, doch besser geeignet. [1] Adams hat am 13. Oktober mit einem Leserbrief an die IT-Redaktion Lord nahegelegt, Leute, die Gälisch wie inkorrekt auch immer benutzen, zu ermuntern, statt sich auf billige Weise über sie lustig zu machen. [2] Der publizistische Zwischenfall und seine Bedeutung wurden in der irischen Blogosphäre tagelang diskutiert.

Vor dem Hintergrund der Adams-Lord-Reibereien läßt sich vor allem der Inhalt des ersten Teils von John Walshs Buch "Contests and Contexts - The Irish Language and Ireland's Socio-Economic Development" gut nachvollzienen und verstehen. Tatsächlich findet um die gälische Sprache ein Kulturkampf statt, der bereits vor Jahrhunderten begann und noch heute ausgefochten wird. Gälisch existiert als Mehrheitssprache nur noch in einigen kleinen Landstrichen entlang der Atlantikküste. Seit der Gründung der Irischen Republik wird versucht, diese sogenannte Gaeltacht am Leben zu erhalten. Doch dank der erfolgreichen Industrieförderpolitik und der Verbreitung moderner Kommunikationsmittel setzt sich der Siegeszug des Englischen ungebrochen fort. 2007 warnte eine Expertengruppe davor, daß ohne staatliche Korrrekturmaßnahmen bis 2030 in der Gaeltacht die irische Sprache nur noch von einer Minderheit der Bewohner gesprochen werden würde.

John Walsh, Dozent an der Universität von Galway, liegt das Wohl der irischen Sprache am Herzen. Sein Ausgangspunkt ist die wichtige, jedoch viel zu wenig beachtete Erkenntnis, die der Historiker Joe Lee in seinem 1989 erschienenen, zurecht groß gefeierten Werk "Ireland 1912-1985: Politics and Society" propagierte, daß nämlich der Verlust des Gälischen Irland intellektuell zu einer Provinz degradiert und der Verzicht auf das eigene sprachliche Erbe die Iren im Wettbewerb der Nationen benachteiligt hat. Damals belegte Lee sein originäres Argument durch den für die Republik Irland wenig schmeichelhaften Vergleich mit der post-kolonialen Entwicklung in ähnlichen Kleinstaaten wie Norwegen und Finnland.

In seinem Buch setzt Walsh den politisch-ökonomischen Ansatz Lees unter Anwendung soziolinguistischer Untersuchungsmethoden konsequent fort. Er nimmt die diversen Bemühungen, die in über 100 Jahren zur Rettung des Gälischen unternommen wurden, kritisch unter die Lupe, legt Fehlentwicklungen sowie brauchbare Ansätze gleichermaßen frei. Walsh geht der Primärfrage nach, ob die Forderung der gälischen Sprache positiv zur sozio-ökonomischen Entwicklung Irlands beiträgt und kommt am Ende zu einem eindeutigen Ja. Anhand von Beispielen wie der Ansiedlung zahlreicher unabhängiger Fernsehproduktionsfirmen westlich von Galway nach der dortigen Gründung des gälischen Fernsehsenders TG4 im Jahre 1996 und der erfolgreichen Schaffung der ersten urbanen Gaeltacht in West Belfast zeigt er, welches wirtschaftliche Potential in einer Erstarkung des Irischen als Alltagssprache steckt.

Derzeit bastelt die Regierung in Dublin an einer 20jährigen Strategie zur Förderung der irischen Sprache im öffentlichen Raum. Ende November läuft die öffentliche Konsultationsfrist aus. Die Umsetzung des ehrgeizigen Vorhabens, in das die Überlegungen und Schlußfolgerungen Walshs mit Sicherheit eingeflossen sind, dürfte angesichts der haushaltspolitischen Schwierigkeiten des irischen Staats, der nach wie vor am Tropf der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) hängt, nicht einfach sein. Plädiert Walsh in seinem Buch für eine enge und abgestimmte Zusammenarbeit zwischen Staat, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft, so deutet derzeit alles darauf hin, daß es gerade auf letztere ankommen wird, die gälische Sprache noch vor dem endgültigen Untergang zu retten. Die bemerkenswerte, landesweite Welle an Gründungen gälisch-sprachiger Schulen in den letzten 20 Jahren und das erstarkte Interesse junger Menschen an den Universitäten und im Internet [3] am Gälischen, erweckt allerdings den hoffnungsfrohen Eindruck, daß die Talsohle bereits durchschritten ist.

Fußnoten:

1. Miriam Lord, "Adams's native tongue can't put Old Father Time off his stroke", Irish Times, 10. Oktober 2012:

http://www.irishtimes.com/newspaper/ireland/2012/1010/1224325094437.html

2. "Speaking Irish in the Dáil", Letters, Irish Times, 13. Oktober 2012:

http://www.irishtimes.com/newspaper/letters/2012/1013/1224325223012.html

3: "Dúnmharú ar an DART" ("Murder on the D[ublin] A[rea] R[apid] T[ransit]:

http://www.youtube.com/watch?v=92ijzBQxTSs&feature=relmfu

26. Oktober 2012


John Walsh
Contests and Contexts - The Irish Language and Ireland's Socio-
Economic Development
Peter Lang AG, International Academic Publishers, Bern, 2011
468 Seiten
ISBN: 978-3-03911-914-1