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REZENSION/638: Hannes Hofbauer - Die Diktatur des Kapitals (SB)


Hannes Hofbauer


Die Diktatur des Kapitals

Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter




Kapitalismuskritik ist längst keine alleinige Angelegenheit linker Autoren mehr. Dennoch tun sich viele Menschen, denen die krasse Ungleichheit der Lebensverhältnisse nicht nur im eigenen Land, sondern erst recht zwischen den Kontinenten ins Auge springt, schwer damit, diese Kritik auf den Begriff zu bringen. So herrscht zweifellos Bedarf an Publikationen, die den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit auf die politische Entwicklung in Europa in einer Form anwenden, die so allgemeinverständlich wie möglich und so fachspezifisch wie nötig ist. Im vorliegenden Buch, das diesem Anspruch durchaus gerecht wird, legt der Autor Hannes Hofbauer eine Analyse herrschender Verhältnisse vor, die einen Verlust an historisch erkämpften Möglichkeiten demokratischer Partizipation durch die Ermächtigung wirtschaftlicher Akteure zu einer "Diktatur des Kapitals" konstatiert. Dies tut er aus der Sicht eines Wirtschaftshistorikers, der die widersprüchlichen Verwerfungen im Verhältnis von Politik und Ökonomie vor allem in ihrer zerstörerischen Auswirkung auf alle egalitären Formen gesellschaftlicher Beteiligung untersucht.

In einer Gesamtschau auf die politischen Entwicklungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, von der Installation des Marshall-Plans als Mittel der Systemkonkurrenz mit dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) über die Montanunion bis zum Vertrag von Lissabon, zeichnet Hofbauer die Etappen dezidiert nach, in denen global agierende Kapitalgruppen versuchten, Parlamente und Regierungen ihren Interessen zu unterwerfen. Der Verlust des politischen Primats über ökonomische Prozesse habe "eine Spur der sozialen Verwüstungen und des regionalen Auseinanderbrechens durch Europa" (S. 21) gezogen.

Wie aber konnten Konzerne und weltweite Finanzorganisationen die gesellschaftliche und politische Macht an sich reißen und dabei demokratische Rechtssysteme aushebeln? "Die am weitesten verbreitete kritische Analyse des Verhältnisses von Kapital und Staat geht davon aus, dass es einen abstrakten Staat gibt, der ein neutrales Gebilde von Administration darstellt, das sich über das wirtschaftliche Herrschaftsverhältnis zum Instrument bürgerlicher Interessen, mithin zum Instrument von Kapitalinteressen, entwickelt hat." (S. 157) An dieser Vorstellung von einem politischen und ideologischen Überbau findet Hofbauer nichts Falsches, aber die Frage bleibt, "ob mit dieser Erklärung die neue Qualität der Gesellschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts, die mit extremen Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen konfrontiert ist, ausreichend beschrieben werden kann" (S. 157). Wenn Kapital und Staat tatsächlich miteinander verschmelzen und sich jede Trennschärfe zwischen ihren Wirksphären auflöst, so wäre dies zumindest aus historischer Sicht ein präzedenzloser Fall.

Denn es waren nach Ansicht des Autors die sozialistischen, sozialdemokratischen, konservativen, christlichen und nationalen Weltanschauungsparteien, die dem Akkumulationsregime des Kapitals Schranken setzten: "Sozialisten standen für einen hohen Grad an Vergesellschaftung wichtiger Wirtschaftszweige, Christlich-Konservative bremsten bei sozialen Deregulierungen und ökonomischen Modernisierungsvorhaben und Nationale legten fallweise Wert auf eine entsprechende betriebliche Eigentümerschaft" (S. 21). So blieb das "liberale Element, dessen historische Grundlagen nicht auf Massenparteien, sondern auf sogenannten liberalen Klubs basierten", in der Nachkriegszeit bis hinein in die 1980er Jahre "vergleichsweise schwach vertreten" (S. 22).

Mit der Vergesellschaftung weiter Teile der Ökonomie und der gezielten Steuerung der Investitionsgüterindustrie betrieben die Mitgliedsländer der Warschauer Vertragsorganisation eine staatsgelenkte Wirtschaft. Auch wenn diese nicht wirklich unabhängig von der kapitalistischen Weltökonomie agieren konnte, so setzten sie damit doch die privatwirtschaftliche Akkumulationslogik innerhalb ihrer Grenzen außer Kraft. Im Westen dagegen bildete sich nach Vorgaben des Marshall-Plans ein transatlantischer Integrationsraum aus, der den großen US-Firmen Absatzmärkte sicherte und sämtlichen Teilnehmerstaaten mit sogenannten Counterpart-Fonds ein von Washingtoner Regierungsbehörden kontrolliertes Akkumulationsregime auf der Basis kompatibler Währungen aufzwang. Im Gegenzug verpflichtete das COCOM-Embargo die Nutznießer des Marshall-Plans dazu, "ihre Wirtschaftsbeziehungen mit dem kommunistischen Osteuropa strengsten Kontrollbestimmungen zu unterwerfen" (S. 141).

Daß die herrschenden Eliten aufgrund der geographischen Nähe und Konkurrenz zu den sozialistischen Staaten Osteuropas marktwirtschaftliche Konzessionen hinnehmen mußten, um die Bevölkerungen Westeuropas im ideologischen Wettstreit der Systeme bei Laune zu halten, tat der Wachstumsdynamik keinen Abbruch. Schließlich herrschte in der Nachkriegszeit kein Mangel an Investitionsmöglichkeiten. Darüber hinaus sorgte die von den USA nach Europa schwappende Konsumbegeisterung dafür, daß die Fließbänder nicht stillstanden und der Warenverkehr innerhalb des europäischen Binnenmarkts Rekordmarken erreichte.

Die sogenannten Wirtschaftswunderjahre, in denen die Massenkonsumtion den Motor der Kapitalverwertung in Gang hielt, gingen in den 1970er Jahren zu Ende. "Zunehmende Konkurrenz im Weltmaßstab, relativ starke Gewerkschaften in den Zentrumsländern, die hohes Lohnniveau und stabile Arbeitsverhältnisse durchgesetzt hatten, und eine durch Marktsättigung hervorgerufene Überproduktion stellen die Eckpfeiler dieser Verwertungskrise dar." (S. 28) Die in dieser Zeit verstärkt einsetzende Militarisierung der Ökonomie, wie sie im NATO-Doppelbeschluß 1979 und der Strategic Defense Initiative (SDI) 1983 ihren politischen Widerhall fand, kann nach Ansicht des Autors als Antwort auf die zivile Verwertungskrise interpretiert werden. Die Stationierung von Marschflugkörpern, sogenannten Cruise Missiles, und Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II in US-Basen am Grenzverlauf Europas zum sozialistischen Staatenbund war eine "militärische Meisterleistung mit geopolitischen Langzeitfolgen" (S. 28), bildete sie doch unter dem US-Präsidenten Ronald Reagan die Grundlage einer durch Staatskonsum von Rüstungsgütern betriebenen Antikrisenpolitik. Die ökonomische Ratio hinter der Hochrüstungspolitik der USA erschließt sich zudem in der Absicht, die Sowjetunion und die Staaten der Warschauer Vertragsorganisation kriegswirtschaftlich niederzukonkurrieren. Die Sowjetunion konnte im Rüstungsmarathon nicht mithalten und schlitterte in den ökonomischen Ruin. Für Hofbauer schließt sich damit "der Kreis von der militärkeynesianischen Anstrengung der USA über die totgerüstete Sowjetunion zu offenen Märkten im Osten" (S. 30).

Das Ende der Bipolarität und der damit einhergehende Zusammenbruch der osteuropäischen Planwirtschaften öffnete westlichen Investoren eine "bislang verschlossen gewesene zweite Welt" (S. 31) und einen schier unbegrenzten Markt für Absatz und Arbeitskraft."

Als am 28. Juni 1991 der RGW aufgelöst wurde und damit die Transferrubel-Zone zu existieren aufgehört hatte, stand Osteuropa ohne jedes ökonomische Regulativ vor einer vollständigen Neuordnung der Besitzverhältnisse. Kapitalmangel im Osten, teilweise durch fulminante Raubzüge - vor allem in der Ex-Sowjetunion - kompensiert, und überschüssiges Kapital aus dem Westen trafen unter dem Zauberwort der Privatisierung auf leergeräumte Märkte mit immensen Profitaussichten. (S. 33/34)  

Die Markterweiterung Richtung Osten nach 1989/91 ging mit der Kapitalisierung ganzer Volkswirtschaften in den ehemaligen RGW-Staaten einher. Wesentliches Kennzeichen dieses Übergangs von kollektivistischen Produktionsstrukuren, die sich dort über Jahrzehnte entwickelt hatten, zu einer auf Verwertung von Mensch und Ressource basierenden Rationalität kapitalistischer Produktionsweisen war laut Hofbauer auch dort die Ablösung des politischen durch das ökonomische Primat. "Zu Anfang stand die Entwertung des alten Geldes. Hyperinflation ist, sozio-ökonomisch betrachtet, eine Enteignung der Besitzlosen, also jener, die nichts haben als die eigene Arbeitskraft und ein Sparbuch." (S. 40) Die Sparer des Sozialismus wurden im Sinne einer umfassenden Kapitalvernichtung gezielt enteignet, da die neuen Investoren "die finanz- und währungspolitische Sicherheit für ihre Geldanlage forderten" (S. 41).

Doch die Rechnung wäre ohne den Wirt gemacht, wenn die Erschließung neuen Marktraums für die Europäische Union im Osten und die Wertschöpfung von Millionen gut ausgebildeter, jedoch in den Privatisierungsschüben verarmter und daher für das Kapital zu billigsten Konditionen verfügbar gemachter Menschen eine Einbahnstraße bliebe. Was im Osten mit der Transformation in ein neofeudales Austeritätsregime vorexerziert wurde, sollte bald schon den Weg in die westlichen Gesellschaften zurückfinden: "Das Pendel der Zerstörung sozialer Sicherheiten schlug zurück" (S. 40).

Lange Zeit beherrschten die hochproduktiven Zentren USA, Westeuropa und Japan die globalen Märkte, "bis Ende der 1980er-Jahre die von der post-maoistischen Führung um Deng Xiaoping entfesselte chinesische Produktivität auf den Weltmarkt drängte" (S. 80). Das Wachstum des chinesischen Bruttonationalprodukts sprengte binnen weniger Jahrzehnte noch die kühnsten Prognosen. Seitdem gilt China sowohl in den USA als auch in Europa als Referenzpunkt für den global entuferten Wettbewerb. Hofbauer sieht in dem Aufstieg Chinas zur weltweit führenden Wirtschaftsmacht und der daraus erwachsenen Furcht des Industriestandorts Europa, in essentiellen Branchen den Anschluß an die Weltökonomie zu verlieren, den Taufpaten für die Agenda 2010, "der wohl umfassendsten Neuordnung für Betriebsgründungen und Arbeitsmarkt seit dem Ende der Bipolarität" (S. 81). Die von der rotgrünen Regierung unter Gerhard Schröder durchgepeitschten Änderungen am Arbeitsmarkt erfolgten unter dem Eindruck internationaler Herausforderungen. Gleichwohl waren es nicht nur die chinesischen Produktionsstätten, die den Wettbewerbsdruck auf die Bundesrepublik erhöhten. Auch die nach 1990 vollständig deregulierten Arbeitsbedingungen in Osteuropa machten dem deutschen Export schwer zu schaffen. So galt es zur Steigerung nationaler und regionaler Wettbewerbsfähigkeit, die hohen Lohnkosten und sozialen Standards in der Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu senken, den Kündigungsschutz zu lockern und die sogenannten "Lohnnebenkosten" auf die Arbeiterinnen und Arbeiter abzuwälzen.

"In dem Maße, in dem Akkumulation im Weltmaßstab passiert, werden Demokratien zu Hindernissen dieser Akkumulation. Der Staat, spätestens seit den bürgerlichen Revolutionen ein Instrument der Kapitalverwertung, agiert nun, indem er das demokratische Element in seiner Struktur zurückdrängt und auflöst." (S. 160) 

Die stärkste EU-europäische Volkswirtschaft stieg in das Programm des sozialpolitischen Dumpings mit ein, das bis dahin nur der östlichen Peripherie der EU aufgezwungen worden war. Daß die Agenda 2010 in großen Zügen lediglich die Weltbank- und IWF-Richtlinien für Osteuropa kopierte, kann nicht überraschen, denn "die Herrschaft der Ökonomie über die Politik, mithin die Aushebelung demokratischer Strukturen, ist nicht Ideologie, sondern Pragmatik" (S. 66/67). Die Zurichtung der Lohnabhängigen auf die prekären und informellen Verhältnisse des Niedriglohnsektors und der Leiharbeit sowie der Rückbau des Sozialstaates wurden komplettiert durch die Senkung des Spitzensteuersatzes auf Einkommen von 53 auf 42 Prozent und der Körperschafts- und Gewerbesteuern um fast die Hälfte.

Das deutsche Beispiel machte in der Eurozone Schule, als eine Reihe südeuropäischer Staaten und Irland krisenbedingt vor dem Bankrott standen und daher Kreditbürgschaften seitens der EU und des IWF in Anspruch nehmen mußten. Im Gegenzug wurden sie auf eine radikale Verschlankung der Staatsausgaben und eine bis an die Schmerzgrenze reichende Reduzierung bis dahin geltender sozialrechtlicher Garantien verpflichtet. Strenggenommen wurde Griechenland unter die De-facto-Zwangsverwaltung der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) gestellt. Regierung und Parlament sind seit 2010 in der wesentlichsten Frage des Budgetrechts nicht mehr entscheidungsbefugt, sondern müssen sich den letztlich von den Finanzmärkten diktierten Sanierungsmaßnahmen beugen.

Die Selbstentmachtung der Politik, wie es Hofbauer nennt, und ihre zum Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft degradierte Rolle in der supranationalen Brüsseler Administration war durch die Krise lediglich sichtbar geworden. Die Europäische Gemeinschaft bereitete seit 1986 mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) Bestimmungen vor, welche die westeuropäische Freihandelszone per Beschluß in eine Wirtschaftsunion umwandeln sollte. Die vier kapitalistischen Freiheiten - die uneingeschränkte Zirkulation von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften - wurden damit quasi zum zentralen Glaubensbekenntnis der sich - nicht ohne Doppelsinn - als Wertegemeinschaft bezeichnenden Europäischen Union. Diesen vor allem Kapitaleigner begünstigenden Freiheiten wurden sozial- und regionalpolitische Interventionen durch gewählte Repräsentanten einzelner Staaten explizit untergeordnet, was "organisatorisch eine Entdemokratisierung der Entscheidungsstrukturen" (S. 35) zur Folge hatte.

Eine weitere Zäsur in der Herrschaftsaneignung des Kapitals über die politischen Mandatsträger bildete der im Februar 1992 im kleinen niederländischen Städtchen Maastricht von den Staats- und Regierungschefs des "Europa der Zwölf" unterschriebene Vertrag, "der der künftig Union genannten Staatengemeinschaft eine klarere wirtschaftsliberale Richtung gab und auch die inneren Machtverhältnisse strukturierte" (S. 36). Diese Wirtschaftsverfassung sieht für den europäischen Binnenmarkt eine in hohem Maße wettbewerbsfähige Marktwirtschaft vor und engt den politischen Handlungsspielraum der einzelnen Mitgliedsstaaten durch die sogenannten Maastricht-Kriterien weiter ein: Die Inflationsrate jedes einzelnen Mitgliedslandes darf nicht höher als 1,5 Prozent über der Inflationsrate jener drei Staaten liegen, die die niedrigste Inflation haben. Das jährliche Haushaltsdefizit darf 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nicht übersteigen und die Staatsverschuldung muß unter 60 Prozent des BIP bleiben.

Der Fiskalpakt von 2012 verschärfte die staatlichen Haushaltsregeln noch einmal, indem er die höchstzulässige Neuverschuldung eines Landes auf 0,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung begrenzte. Im Falle einer Übertretung wird ein Defizitverfahren eröffnet mit der Folge, daß die Budgethoheit vom nationalen Parlament auf Kommission und Rat übergeht. Obwohl demokratisch nur sehr bedingt legitimiert, konzentriert sich in diesen EU-Institutionen die administrative Macht. Der Autor erkennt darin eine Qualifikation des marktwirtschaftlichen Charakters, die sich nicht mehr ohne weiteres rückgängig machen läßt: "Nun herrscht das ökonomische Primat nicht nur über politische Prozesse, sondern es ist dem System der Europäischen Union unumkehrbar eingeprägt" (S. 98).

Der vorläufige Endpunkt in der Selbstermächtigung der Kapitalinteressen über die sozialen, kulturellen und politischen Belange der Bevölkerungen Europas ist mit dem Vertrag von Lissabon am 13. Dezember 2007 in die Geschichtsbücher eingegangen. Für Hofbauer stellt der neue Grundlagenvertrag eine "demokratiepolitische Finsternis" (S. 121) dar, da die Außen- und Sicherheitspolitik von der parlamentarischen Kontrolle ausgenommen sind und der Zwang zur Aufrüstung durch die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik festgeschrieben wird. Die fehlende Trennung von Exekutive und Legislative, die der Autor als "bürgerlich-liberale Erbsünde der EU-europäischen Verfaßtheit" (S. 125) kritisiert, wurde damit vollends legalisiert. Der Vertrag von Lissabon verlangt zudem die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die, so heißt es dort explizit, "auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist".

Was sich für Hofbauer als eine von demokratischer Regulation befreite Form kapitalistischer Konkurrenz im Innern der EU darstellt, wirkt sich nach außen folgerichtig als permanente Bereitschaft zu kriegerischer Eskalation aus. Dies war bereits im Vertrag von Amsterdam 1997 angelegt und wurde durch den Vertrag von Lissabon 2007 dahingehend weiterentwickelt, als es sich bei der EU nun auch um ein Militärbündnis handelt, "das vor allem auch um seiner wirtschaftlichen Vorteile willen in der Welt intervenieren kann und darf" (S. 131).

Hofbauer zieht allem Anschein nach ein düsteres Fazit; er gibt wirtschaftlichen Fakten keinen falschen Glanz noch beschönigt er gesellschaftspolitische Mißstände. Aus seiner Analyse spricht nicht bloß der Wirtschaftshistoriker, der Prozesse aus objektiver Distanz beurteilt. So könnte ihm die programmatische Alternativlosigkeit einer Margaret Thatcher, die die Härte ihres Durchgreifens gegen den großen Bergarbeitersstreik 1984 als einzig gangbaren Weg zur Sanierung der britischen Volkswirtschaft darstellte und damit der Qualifizierung kapitalistischer Herrschaft in ihrer neoliberalen Epoche den Weg ebnete, nicht ferner liegen. Anstatt sich dem Getriebe marktförmiger Regulative zu überantworten, gibt der Autor den Anspruch der bürgerlichen Demokratie, Staat und Gesellschaft nach den mehrheitlichen Interessen der Menschen zu formen, nicht auf. Die demokratische Partizipation ansonsten als Marktsubjekte auf waren- und geldförmige Tauschprozesse reduzierter Menschen hochzuhalten, steht allerdings vor dem Problem der konkreten politischen Machbarkeit.

So pocht Hofbauer im Untertitel des Buches "Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter" auf die bestimmende Kraft des verfassungsrechtlichen Souveräns. Wie das realpolitisch in seinem konstitutiven Primat vielfach gebrochene Staatsvolk angesichts der vom Autor analysierten Entdemokratisierung zu einer Handlungsfähigkeit gelangen soll, über die es auch in den repräsentativen Demokratien Westeuropas nie in einer Vollständigkeit verfügte, die ihm die Möglichkeit an die Hand gegeben hätte, eine klassenlose Gesellschaft zu verwirklichen, kann nur eine offene Frage bleiben. Wo die Rechtsform des Privateigentums alle gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt, sind der über Parlamente vermittelten demokratischen Willensbildung wie jeder anderen Form von Stellvertreterpolitik Grenzen gesetzt. Geht man zudem, wie in der etablierten Gesellschaftskritik inzwischen gang und gäbe, von postdemokratischen Verhältnissen aus, dann könnte die Frage nach bürgerlicher Emanzipation wohl nur dahingehend präzisiert werden, daß sie nichts Geringeres als die unabgegoltene soziale Revolution auf die Tagesordnung hebt.


Fußnoten:

Weitere Rezensionen zu Büchern von Hannes Hofbauer im Schattenblick:

REZENSION/606: Hannes Hofbauer/David X. Noack - Slowakei (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar606.html

REZENSION/578: Hannes Hofbauer - Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar578.html

REZENSION/159: Hofbauer - Osterweiterung (Europäische Union) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar159.html

Hannes Hofbauer
Die Diktatur des Kapitals
Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter
Promedia Verlag, Wien 2014
240 Seiten, 17,90 Euro
ISBN 978-3-85371-376-1


29. Januar 2015


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